Immer weiter durchbrechen – Das EUROSONIC FESTIVAL 2018 im Rückblick

Wie kann man beim EUROSONIC FESTIVAL alles wegfetzen. Und was hat österreichischer Fußball damit zu tun. Ein Bericht von Europas wichtigster Plattform für die Livebranche.

Metaphern gibt es für das Eurosonic zuhauf. Casting Show, Viehmarkt oder ein drei Tage dauernder Vergleich, wer die größere Latte hat – an Geschäften natürlich. Jedes Jahr im Jänner reist aus Österreich ein Haufen von rund fünfzig Leuten an. Das Büro des Musikexports ist dabei, einige Labels, der Öffentlich-Rechtliche, die relevanten Bookingagenturen, das mica und natürlich Bands. Heuer waren es sechs Stück, Ankathie Koi, Avec, Cari Cari, Hearts Hearts, Nihils und Thirsty Eyes. Sie mussten es mit 346 anderen aufnehmen. Unter ihnen sieben Namen, die gerade von der BBC zu den aussichtsreichsten Newcomern des Jahres auserkoren wurden. Bei Sigrid und IAMDDB kam man überraschend leicht in den Saal, bei Nilüfer Yanya oder Superorganism ging die Schlange um die Ecke.

Wer beim Eurosonic spielen will, tut das in der Regel gratis. Man darf international noch nicht etabliert sein, muss sich bewerben, muss professionell auftreten, die Auswahl ist streng. Das Eurosonic zahlt keine Gage, stellt ein Hotelzimmer für eine Nacht und ein wenig Backline. Wer also technische Sonderwünsche hat – Pyro, Laser, Bengalos –, muss diese selbst mitbringen. Die Organisation ist sehr gut, aber bei insgesamt 52 Bühnen natürlich auch ein wenig chaotisch und nicht allzu sentimental. Das Sturmtief Friedericke tut heuer noch ein Übriges, um alles zu verkomplizieren, Flüge werden gestrichen, Züge sind für einige Stunden gesperrt, Auftritte fallen aus und werden umdisponiert. Aber das Festival gilt als Sprungbrett, hier soll man den Grundstein für die Karriere legen können. Deshalb unterstützt in Österreich das Exportbüro auftretende Bands bei den Reisekosten.

Bild Cari Cari
Cari Cari (c) Stefan Niederwieser

Business

„Vor zehn, fünfzehn Jahren war das Eurosonic tatsächlich der Schauplatz, um etwas zu entdecken, alle waren neugierig. Das Business hat sich geändert, die Vorläufe sind viel länger geworden, besonders bei den großen Acts weiß man im Jänner schon, was man hat“, so Hannes Tschürtz von Inkmusic. Er kommt seit 2003 nach Groningen, im Nordosten der Niederlande. Für Inkmusic waren Elektro Guzzi und Leyya die Bands, die hier für das meiste Aufsehen gesorgt haben, glaubt er, für sie ist hier viel richtig gelaufen. Im Normalfall stellt sich im Lauf des Jahres heraus, was der Auftritt bewirkt hat. Heuer ist der Andrang bei Cari Cari enorm, selbst mit Spezial-VIP-Band kommt man nicht gleich in den Saal. Das Duo mit dem erschöpft-coolen Blues absolviert in Groningen gleich mehrere Auftritte, inklusive einer spontanen Session mit ORF-Kamerateam. Noch gibt es kein Album, man will die Spannung aufbauen, an den Zahlen arbeiten. „Aus Bandsicht wird es immer schwieriger, hier noch Lücken in Festival-Lineups zu füllen, die Festival-Systematik hat sich stark verändert. Es braucht viel Vorarbeit, hier wird das vorhandene Image bestätigt“, so Hannes Tschürtz.

Netzwerke

„Im Durchschnitt haben wir etwa fünf Acts gebucht, die am Eurosonic gespielt haben. Beim Waves Vienna sind umgekehrt gleich viele zuerst aufgetreten, die dann hier spielen“, so Festivaldirektor Thomas Heher. Er ist das zehnte Mal hier, macht erstmals unter 30 Meetings, aber nur, weil Stefan Weinöhrl und Susi Fellner aus dem Team dabei sind und viel zusätzlich übernehmen. Netzwerke – das hört man von allen, wenn man darüber spricht, warum sie hierher kommen. Meistens sind es Booker und Agenturen, die sich hier treffen. Für Thomas Heher sind Exportbüros mindestes so wichtig, die ihre Themen – also Bands und Musiker aus ihrer Region – platzieren wollen. Ein Fokusland beim Waves werden, das hat auch damit zu tun, welches Büro wie viele Acts nach Wien bringen will und wie viel es bereit ist, dafür auszugeben. Die Qualität muss stimmen, das ist ohnehin klar.

Stefan Baumschlager ist in Groningen, um das Startup Record Bird vorzustellen, eine Art Frühwarnsystem für neueste Releases, die den eigenen Geschmack treffen. Vor zwei Jahren hat Record Bird eine sechsstellige Investition aufstellen können, jetzt braucht man Partner. Beim Essen erzählt die Managerin von Ankathie Koi wiederum, wo sie die Stärken der Musikerin sieht, wo man womöglich noch besser werden kann, wer die nächsten Songs produzieren könnte. Derweil führt Ankathie Koi selbst Interviews mit einem niederländischen Fernsehteam. Am Rückweg spielt sie zwei Konzerte, “das überzeugendste Achtzigerjahre-Konzert seit Neujahr 1990“ schreibt die Stuttgarter Zeitung hinterher.

Bild Hearts Hearts
Hearts Hearts (c) Stefan Niederwieser

Optimal nutzen

„Die Show war ziemlich sick, in einem Planetarium mit riesigen Visuals, die Leute sind gelegen, haben nicht so sehr auf mich geschaut. Meine deutsche Bookingagentur hat mich zum ersten Mal dort gesehen. Vorher gab’s Gespräche, aber live ist doch was anderes“, sagt Wandl über seinen Auftritt 2017. Er wirkt ziemlich happy. Sein Album “It’s All Good Tho“ war das viertbeste im letzten Jahr, hinter The xx, Kendrick Lamar und Wanda, meinte der deutsche Musikexpress. Wandl habe „…die aktuelle Lage der elektronischen Musik kommentiert, gegenwärtige Entwicklungen nicht kopiert, sondern erweitert.” Man kann beim Eurosonic sicher viel erreichen. Elektro Guzzi und Sohn haben ihre Chance ziemlich optimal genutzt. Ihre Musik sticht hier deutlich heraus, live sind sind hervorragend eingespielt, im Vorfeld wurde an vielen Rädern gedreht, damit die richtigen Leute auch wirklich auf das Konzert gehen. Über 400 Vertreter verschiedener Festivals sind hier und noch einmal so viele Medien. Man kann auch sehr leicht untergehen.

Auch Barracuda

Bei der Barracuda hat sich zuletzt sehr viel getan. Der größte Live-Veranstalter in Österreich kam nicht zuletzt unter Druck, weil die DEAG und Arcadia neue Formate ausprobierten und neue Festivals gründeten. Bei Barracuda sind alte Partner weggebrochen und viele junge Leute dazu gekommen. „Sie haben viel Expertise, das wird wahrgenommen, die Booker fragen nach, sind sehr aufgeschlossen neue Acts aufzubauen, es gibt einen guten Austausch von unterschiedlichen Geschmäckern“, sagt Gerald Hollerer, der dort Online Promotion macht. Er ist das zweite Mal am Eurosonic, für ihn ist vor allem die Konferenz interessant. Von anderen Showcase-Festivals würde man oft gleich schlau wie vorher zurück kommen, hier haben die Gäste etwas zu erzählen. Man tauscht sich aus, über Bots, die Anfragen von Fans beantworten sollen oder darüber, wie man Plattformen umgeht, die Tickets für gefragte Shows aufkaufen und teurer weiterverkaufen.

Beim Eurosonic ist für jeden was dabei. Auch musikalisch, sei das nun Jazz, Elektronik, Tanzbären, abstrakte Dancemusic, R’n’B, Rock’n’Roll mit sexy Sänger auf Selbstzerstörungskurs, Neo-Grunge oder Indie, der sich wirklich sehr im Leben spürt. Die Programmierung richtet sich heuer sanft nach aktuellen Trends aus, es sollte mehr Metal und mehr Hip Hop zu sehen sein. Wer hier wirklich neue Musik entdecken möchte, der kann dies auf Bühnen tun, die leicht zu Fuß erreichbar sind. Und nicht selten sieht man als Erster eine Band, die später die Festivalbühnen in Europa dominieren wird. In vier Jahren will man beim Eurosonic auf allen Bühnen und allen Podien zur Hälfte Frauen sehen, so haben es die Veranstalter versprochen. Man hat lang zugesehen, ohne einen radikalen Schnitt würde sich nichts bewegen. Die Initiative Keychange tritt genau dafür ein, hat sich mit vielen Festivals getroffen, auch mit dem Waves, das Popfest setzt gleiche Sichtbarkeit beider Geschlechter seit einigen Jahren um. Zu #metoo hört man dafür sehr wenig. Im Klassikbereich gab es einige Fälle, in denen sexuelle Belästigung zu Konsequenzen geführt hat, aber das hier ist nicht der Klassikbereich. Machismo steckt tief in der Knochen von Popmusik, es gibt wenig Frauen an mächtigen Positionen. In Schweden haben 2000 Frauen einen offenen Brief unterschrieben, in dem sie von zahlreichen Übergriffen erzählten und versprachen nicht mehr still zu sein. Der Rest Europas ist leider noch nicht soweit.

Viel Training und neue Hürden

Einfach hinfahren und alles umreißen, das funktioniert nicht, hört man immer wieder. Das richtige Management, die richtige Agentur, die richtigen Vorbereitungen sind entscheidend, damit es sich auszahlt, nach Groningen zu fahren. Man muss Netzwerke knüpfen, Kontakte erweitern, dafür ist hier einer der besten Marktplätze in Europa. Hannes Tschürtz will weiterhin kommen, auch wenn ihn etwas zunehmend stört. Booker hätten früher an bestimmte Acts geglaubt, sich auf ihren Instinkt verlassen. Sie gehen heute auf Nummer sicher, sie verlassen sich auf Zahlen von Facebook, Youtube, Spotify und Radio-Rotationen. Das sei eine neue Hürde, auch wenn man sich qualitativ nicht verstecken braucht. „Man muss Schritt halten, das ist wie im österreichischen Fussball, Aufholerei hilft nur bedingt was, die anderen bleiben nicht stehen.“

Stefan Niederwieser

Das Eurosonic findet jedes Jahr Mitte Jänner in Groningen, Niederlande statt. Heuer haben dort Ankathie Koi, Avec, Cari Cari, Hearts Hearts, Nihils und Thirsty Eyes gespielt. Wer dort spielen möchte, tut dies mittels Einreichung bei mica – music austria. Näheres zum Auswahlprozess hier.

Links:
Eurosonic Noorderslag
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