Das in Hainburg ansässige IMA Institut für Medienarchäologie fabriziert seit den Gründerjahren DVD-Porträts essentieller Künstlerinnen unter dem Titel IMAfiction. Im Gespräch mit Alois Sonnleitner erläutert Elisabeth Schimana die Hintergründe der Reihe und ihre konkreten Ausformungen.
Schon während ihrer Studienzeit stellte sich Elisabeth Schimana die Frage: Gibt es in der elektronischen Musik, in der Sound-Art und in der Medienkunst keine Frauen? Oder ist es nur so, dass man nirgends Informationen über sie erhält? „Frauen kamen einfach nicht vor“, erinnert sich Schimana. „Männer tun sich da leichter, die können sich auf Cage oder Coltrane oder wen auch immer beziehen. Aber auf wen kann ich mich beziehen?“. Erst die Ö1-Kunstradio-Sendungen Anfang der 90er Jahre über Klangkünstlerinnen erzeugten in ihr so etwas wie ein Zugehörigkeitsgefühl. Das Schaffen von Frauen war damals nicht erforscht, so gut wie alles schlummerte im Verborgenen. Das ist genau der Punkt, an dem das Institut für Medienarchäologie, kurz IMA, auf den Plan tritt, um die dringend notwendige Forschungsarbeit zu leisten. 2005 gegründet, liegt der IMA-Schwerpunkt damals wie heute auf den Themen Frauen, Kunst & Technologie. „Es ging von Anfang an um Ahninnenforschung, wenn man so will“, sagt Schimana.
Aus der Verweigerungshaltung heraus, dass sie sich, was Klangkunst anbelangt, nichts mehr von Männern über Männer erzählen lassen wollte, und angeregt nach der Lektüre eines in den USA erschienen Buchs über Women and Technology, hat sie die Reihe IMAfiction ins Leben gerufen – mit dem Fokus auf zeitgenössische Künstlerinnen auf nationaler wie internationaler Ebene. „Das ist ein absolutes Low-Budget-Projekt, das nur das Engagement der Beteiligten machbar ist. Es passt in keine Förderstruktur, weder Film noch Medienkunst noch Musik. Daher ist es extrem mühsam, Geld dafür aufzustellen.“ 15- bis 30-minütige, persönlich gehaltene Porträts werden angefertigt. Und die Künstlerinnen dürfen sich selbst aussuchen, von wem sie porträtiert werden wollen.
2006 debütierte IMAfiction mit Martin Breindls Porträt von Liesl Ujvary. Eigentlich als Literatin bekannt, hat sich Ujvary seit jeher mit Sound beschäftigt, mit Radiokunst und mit neuen Technologien. Schimana skizziert sie so: „Liesl Ujvary nähert sich in ihrer Sprache wesentlichen Fragestellungen an, und sie passt auch in keine der vorhandenen Schubladen.“ Für die zweite DVD porträtierte Elisabeth Schimana eine Künstlerin, die das Spiel mit Identitäten auf die Spitze treibt: Rebekah Wilson aka Netochka Nezvanova. Benannt nach der gleichnamigen, unvollendeten Dostojewski-Novelle, war Netochka Nezvanova eine der ersten Kunstfiguren im Internet. Immer wieder sind Leute mit der Behauptung aufgetaucht, sie seien Netochka Nezvanova. Sicher ist, dass sie eine Software namens Nato entwickelte, für die Filmindustrie programmiert, die Netzkommunikation vorantreibt und Schimana in Moskau kennenlernte.
IMAfiction #3 ist laut Schimana „einer österreichischen Institution“ gewidmet, die „viele von uns beeinflusst hat, uns Denkaufgaben gestellt und das Kunstradio weit über die eigentliche Sendung hinaus“ animiert hat: Heidi Grundmann, die sich als Porträtzeichner den Italiener Roberto Paci Dalò gewünscht hat. Zwar habe die sich nie und nimmer als Künstlerin bezeichnet, aber letztlich sei das eine Frage der Definition. Geht es darum, Umgebungen zu schaffen, in denen andere agieren können, sei Grundmann sehr wohl eine Künstlerin. Sendungsinhalte habe sie immer kritisch beleuchtet, die Grenzen zwischen Kunst und Theorie durchlässig gemacht. Die Grande Dame der elektronischen Musik wurde vom IMA-Team porträtiert: Eliane Radigue. Nach intensiver Beschäftigung mit der musique concréte in den 1950er Jahren übersiedelte sie nach New York, kam dort mit der minimal music in Berührung und arbeitete als eine der ersten mit dem ARP-Synthesizer. Aur ihr Konto gehen bis zu 80 Minuten lange, sich allmählich entwickelnde Kompositionen. Mittlerweile schreibt sie wieder für traditionelle Instrumente, „aber vor dem Hintergrund ihrer Synthesizer-Geschichte“. Elisabeth Schimana: „Eliane Radigue hat einen komplett eigenständigen, eigenwilligen Zugang zur musikalischen Sprache gefunden – und kommt in der öffentlichen Repräsentanz einfach nicht vor. Das ist ein Skandal!“
Stilistisch ebenfalls nicht einwandfrei einzuordnen ist das Schaffen von Andrea Sodomka. Im Film von Gabriele Mathes kommt Sodomkas Bildende Kunst ebenso zur Sprache wie ihre elektroakustischen Arbeiten, ihre Beschäftigung mit der Radiokunst, mit Fotografie, Sound und mit dem Thema der Autorenschaft, das sie in der Gruppe alien productions aufwirft. „Eine Besessene“ nennt Schimana die vor zwei Jahren verstorbene US-Amerikanerin Maryanne Amacher, die sie nach aufwendiger Recherche zusammen mit Elena Tikhonova porträtiert. Mit Klängen, Artefakten, Dias, Licht etc. schaffte die Soundforscherin Amacher Räume von hoher Plastizität. Sich selbst hat sie als Konstrukteurin von Wahrnehmungslandschaften qualifiziert, sie arbeitete wissenschaftlich an psychoakustischer Klangforschung. „Nicht am Klang an sich“, sagt Schimana, „sondern am Medium, um über die Wirklichkeit und sich selbst etwas herauszufinden.“ Für Schimana ist Maryanne Amacher eine der wichtigsten Künstlerinnen, die ebenfalls nie die ihr gebührende Anerkennung erhalten habe.
Um mit diesen Missständen aufzuräumen, leistet die feministische Hainburger Initiative mit IMAfiction wertvolle aufklärerische Arbeit. Durchschnittlich wird eine DVD pro Jahr produziert. „Nur das Amacher-Porträt hat drei Jahre in Anspruch genommen“, bilanziert Schimana. Die so einheitliche wie attraktive Gestaltung (DVD plus Booklet in gestanztem Kartoncover) verdankt sich dem grafischen Konzept von Edith Schild. Insgesamt sechs IMAfictions herausragender Frauen aus den Bereichen Kunst, Wissenschaft und Technologie liegen gegenwärtig vor, die siebte, ein Porträt von Anne La Berge, befindet sich zurzeit in Arbeit.
Die DVD-Reihe IMAfiction ist erhältlich bei chmafu nocords (www.nocords.net) und im Shop auf der Website www.ima.or.at.