Mit „Demonologia“ veröffentlicht ZOSIA HOLUBOWSKA als MALA HERBA eine Beschwörung. Dämonen kreiseln unter Discokugeln, Geister huschen über den Dancefloor, Hieronymus Bosch kichert heimlich aus dem Garten der Lüste. Was sich auf dem Debütalbum abspielt, hat MALA HERBA, nicht-binäre Soundartist und SOUNDS QUEER?-Activist, als politische Séance inszeniert. Zehn Tracks pflücken Heilkräuter und brauen einen Zaubertrank aus Dark Wave und Industrial – auf der Suche nach dem Technoclub, nach der eigenen Vergangenheit und „queerable“ Momenten in der Gegenwart. Warum Dämonen auf die Tanzfläche gehören, was Modulations-Massagen bewirken und wieso Fluchen politisch ist, hat MALA HERBA im Gespräch mit Christoph Benkeser erklärt.
Dein Debütalbum „Demonologia“ ist gerade erschienen. Welche Rückmeldungen hast du bisher bekommen?
Mala Herba: Ich weiß, dass ich unter dem Impostor-Syndrom leide. Aber ich wusste nicht, dass es so viel Stress und Verzweiflung verursachen kann. Ich habe geweint, als das Album veröffentlicht wurde und positive Kritiken aus der ganzen Welt eintrafen. Das war neu für mich. Ich bin es eher gewohnt, zu strampeln und abgelehnt zu werden. Deshalb war ich schockiert, als ich sah, dass jemand schrieb: „Diese Platte ist großartig! Sie streift den Kitsch.“ Ich denke mir aber nur: „Es ist Kitsch? Die Platte ist Kitsch!“ Oder jemand anderes schreibt: „Ich finde den Lo-fi-Sound der Platte toll.“ Und ich so: „Es klingt schlecht?“ Das ist es, was ich höre.
Du legst die Dinge negativer aus?
Mala Herba: Ich komme ursprünglich aus der Punk-Szene, habe also eine starke DIY-Ethik. Mittlerweile arbeitet dieser Ansatz gegen mich. Außerhalb der Szene Erfolg zu haben und – ich will nicht sagen kommerziell zu werden, weil ich immer noch in einer WG lebe –, im Mainstream aufzutauchen, wird verachtet. Mir schreiben Leute, mit denen ich seit Jahren nicht mehr gesprochen habe: „Du bist jetzt ein Star?“ Was soll ich da sagen? Ich bin kein Star!
Ich habe neulich in der U-Bahn deine Platte gesehen – als Album der Woche
Mala Herba: Keine Ahnung, wie das passiert ist! Einige meiner Freundinnen und Freunde aus Wien haben ein Foto gemacht und waren super aufgeregt. Ich bin auch in der wichtigsten polnischen Tageszeitung erschienen. Deswegen haben sich noch mehr Leute bei mir gemeldet. Heute Morgen habe ich mir den Kommentarbereich zu einer meiner Rezensionen angesehen. Jemand schrieb, dass ich übergewichtig sei. Ich habe eine ganze Stunde lang gedacht: „Wirklich? Bin ich das? Was ist hier los?“ Das hatte ich einfach nicht erwartet.
Die Leute sind grausam, wenn man sich öffnet –besonders wenn man kein weißer Cis-Mann in den 50ern ist.
Mala Herba: Wie echte Popstars damit umgehen, dass die Leute ständig schlechtes Zeug über sie schreiben ist mir ein Rätsel. Ich habe einen schlechten Kommentar bekommen, und schon bin ich wie … Ich verstehe, dass es viel mit Sexismus zu tun hat, mit völlig irrealen Körpernormen und damit, dass die Leute nicht damit umgehen können, dass jemand, der sich als Femme identifiziert, eine Platte produzieren kann, die erfolgreich ist.
Das Internet ist in dieser Hinsicht nicht gerade der progressivste Raum.
Mala Herba: Die Sache ist, es kann ein wunderbarer Raum sein. Ich liebe Instagram, ich habe dort so viele Freund*innen, mit denen ich mich unterhalte und Memes austausche. Ich stehe auch auf Instagram-Kunst und Kunstformen, die es nur im Internet gibt. Aber wie du sagst, es gibt auch den Boomer-Bereich …
Der oft mit dem Troll-Bereich kollidiert.
Mala Herba: Diese Leute geben sich sehr viel Mühe. Schließlich muss man einen Account anlegen, sich registrieren, posten – manchmal frage ich mich, warum man sich das überhaupt antut.
So viele Leute nutzen ihre Zeit für solche Dinge …
Mala Herba: Es gibt einen Komiker, der die Leute, die ihm Hate-Postings geschrieben haben, persönlich kontaktierte, um zu fragen: „Warum hast du mir das geschrieben?“ Diese Leute brachen dann zusammen und weinten und kamen mit Argumenten wie: „Ich wurde in der Highschool gemobbt.“
Das ist eh nett, aber toleriert man damit nicht die Intoleranz?
Mala Herba: Es ist auch zusätzliche emotionale Arbeit, sich mit dieser Art von Menschen auseinanderzusetzen.
Emotionale Arbeit, die man lieber mit dem Musikmachen verbringen würde, um eine Platte zu veröffentlichen. So wie du.
Mala Herba: Weißt du, es ist gut, dass sie draußen ist.
Bist du erleichtert?
Mala Herba: Sehr erleichtert! Es hat zwei Jahre gedauert, bis ich sie fertig hatte. Mit der Veröffentlichung ist mir ein großer Stein vom Herzen gefallen, jetzt kann ich weitermachen. Es war allerdings ein kräftezehrender Prozess.
Inwiefern?
Mala Herba: Ich war mit meinen alten Demos nicht zufrieden. Deshalb habe ich Vieles überarbeitet. In der Zwischenzeit habe ich mein Setup verändert und bin von reiner Hardware auf Ableton [Digital Audio Workstation, Anm.] umgestiegen. Es hat lange gedauert, bis ich einen angenehmen Arbeitsprozess gefunden habe, weil ich die Software durch die Arbeit an meinen Songs lernen musste. Es war schwierig, meine Musik, die früher sehr improvisiert war, in etwas zu übertragen, das eine Struktur haben sollte. Außerdem musste ich lernen, wie man Songs abmischt – etwas, von dem ich keine Ahnung hatte. Ich kämpfte lange Zeit damit, weil ich meine Songs nie so hinbekam, wie ich sie klingen lassen wollte. Am Ende habe ich die unterschiedlichen Spuren zu einem Studio geschickt. Es dauerte noch mal vier Monate, sie zu mischen. Danach konnte ich nicht einmal mehr sagen, ob ich die Songs mochte oder hasste. Ich wollte sie einfach aus meinem Leben haben.
„ICH HABE DIE PERSPEKTIVE VERLOREN. SIND DIE SONGS GUT? ZU KOMPLIZIERT? ODER ZU PRIMITIV? WAS MACHE ICH DA EIGENTLICH?“
Weil Du sie schon so oft gehört hattest?
Mala Herba: Genau, ich habe die Perspektive verloren. Sind sie gut? Zu kompliziert? Oder eher zu primitiv? Was mache ich da eigentlich? So viele Fragen tauchten auf, aber am Ende dachte ich mir: „Das ist das Beste, was ich in diesem Moment meines Lebens tun kann. Entweder ich ziehe es für die nächsten zehn Jahre in die Länge oder ich beende es jetzt und ziehe weiter.“ Ich entschied mich für Letzteres, auch wenn ich einige der Songs drei- oder viermal überarbeitet habe.
Das merkt man, wenn man sich frühe Demos von dir anhört. Es gibt einige Songs, die es auf das Album geschafft haben, aber sie klingen völlig anders.
Mala Herba: Die Texte sind das Einzige, was geblieben ist. Vor Kurzem habe ich eines der alten Song-Projekte in Ableton geöffnet und mir die Spuren und Effekte angeschaut und gesagt: „Was zum Teufel hast du dir dabei gedacht?“ – weil ich jetzt weiß, wie ich es viel besser machen kann. Ich lerne ständig dazu und schaue mir jede Woche Tutorials an. Ich mische meine eigenen Sachen und habe super Feedback von Mastering-Engineers bekommen.
Welche Tutorials kannst du empfehlen?
Mala Herba: Die von Yan Cook zum Beispiel. Von seiner Musik bin ich zwar nicht so begeistert, aber sie ist schön produziert – und seine Tutorials sind hervorragend, weil sie so prägnant sind. Er macht überhaupt keine Eigenwerbung, sondern kommt gleich zur Sache. Und er verrät alle seine Geheimnisse. Das ist ein großes Plus, denn viele Leute, die Tutorials machen, lassen sie absichtlich unvollständig, reden endlos über sich selbst oder drehen die Regler so hin und her, dass man den Überblick verliert.
Das kann ganz schön nervig sein. Welche schaust du dir noch an?
Mala Herba: Es gibt eine finnische Produzentin namens LNA. Sie ist ein bisschen tollpatschig und hat einen trockenen Sinn für Humor, ich kann mich also gut in sie hineinversetzen. Außerdem betreibt sie eine Initiative, die sich dem Austausch von Musik- und Produktionswissen widmet.
Wir könnten jetzt über Sounds Queer? sprechen, aber ich würde lieber noch bei „Demonologia“ bleiben. Eine Platte, die mich literally und angesichts des Kontextes, in den du sie stellst, schon seit einer Weile verfolgt.
Mala Herba: Ich habe mich schon als Kind für Magie interessiert. Ich wollte immer eine Hexe sein. Wahrscheinlich, weil ich mit Mythen, Legenden und Geschichten über verschiedene Arten von Teufeln und Dämonen in der polnischen Kultur aufgewachsen bin. Ich habe sogar einen Kalender gebastelt, anstelle der Namen der Heiligen habe ich Namen von Teufeln hineingeschrieben und ihn ganz stolz meiner Mama präsentiert.
Das kann ich mir gut vorstellen!
Mala Herba: Die Art und Weise, wie Dämonen dargestellt oder imaginiert werden, öffnet immer ein interessantes Fenster in die Kultur, die man verstehen will. Was in der polnischen Kultur faszinierend ist, ist, dass eine Menge Dämonen weiblich sind. Nicht wenige von ihnen sind Geister von Frauen, denen in ihrem Leben irgendwie Unrecht widerfahren ist und die zurückgekommen sind, um sich zu rächen. Ich habe das so interpretiert, dass in der Realität, in der Gewalt gegen Frauen ein so großer Teil der Kultur war, sie immer noch eine gewisse Handlungsfähigkeit oder rohe Energie in den Überzeugungen über Dämonen finden konnten – um ihre Rache zu bekommen, finden sie Wege, zumindest in den Geschichten über diese Kreaturen, die einen anlocken, ertränken, angreifen oder besitzen können.
Das ist interessant.
Mala Herba: Natürlich gab es auch männliche Dämonen. Es gibt eine Geschichte über einen Dämon, der zurückkommt und Sex mit seiner Frau hat, so ähnlich wie ein Zombie.
Hat sich dein Interesse an Dämonen immer mehr in Richtung der teuflischen Seite der Dinge ausgerichtet?
Mala Herba: Na ja, es gibt ja verschiedene Arten von Geistern. Dämonen sind die gefährlichen.
Würdest du sagen, dass Dämonen von Natur aus gefährlich sind?
Mala Herba: Nein, es geht ihnen nicht darum, böse zu sein. Wenn man sie verärgert, schlagen sie zurück. Rache und Vergeltung im Kontext von Gewalt ist ein legitimes Gefühl. Es hat eine Menge politisches Heilungspotenzial. Vor allem, weil ich nichts mit der Vergebungs-Sache anfangen kann.
Warum nicht?
Mala Herba: Es ist eine toxische Erzählung, die aus dem Christentum kommt. Ich bin teilweise von dekolonialem Feminismus inspiriert, der sagt, dass es keine Vergebung geben könne.
Und du ergänzt es mit altem Wissen, das vom Christentum verfälscht wurde.
Mala Herba: Für mich geht es weniger um alte Glaubensvorstellungen von vor 1000 Jahren. Gerade weil es so wenige Quellen, Texte oder archäologische Funde gibt, die uns etwas darüber sagen könnten, wie der Glaube oder die Kultur aussahen. Vieles davon ist nur Wunschdenken und sehr kreative Interpretation. Ich interessiere mich also mehr für die Glaubensvorstellungen, die vor etwa 150 Jahren verbreitet waren. Es gibt einen Bericht aus dieser Zeit über Leute, die eine Leiche ausgruben, um sie zu verstümmeln. Nur weil sie dachten, dass der Geist dieser Person sie immer noch verfolgen würde. Stell dir das vor! Dieser Glaube hat die Jahrhunderte überdauert.
Apropos, erinnerst du dich an eine Legende, die man dir als Kind erzählt hat?
Mala Herba: Ja, sie handelt vom König der Seen und seiner Tochter, die eine Meerjungfrau ist. In der Legende kommen auch ein weiser Fischer und sein Neffe vor. Als sie eines Tages fischen gehen und den König des Sees in ihren Netzen fangen, bittet er sie um seine Freilassung und verspricht dem Neffen als Gegenleistung seine Tochter als Frau. So passiert es, die beiden heiraten – doch als die Königstochter den See verlässt, kann sie unter Androhung des Todes nicht mehr zurückkehren, weil sie die verschiedenen Welten nicht vermischen darf. Ihr Mann, der Neffe, wird später von einem Baum erschlagen. Sie schwimmt daraufhin zurück auf den Grund des Sees, um den Baum des Lebens als Heilmittel zu holen, um ihren Mann zu heilen. Abr sie wird für ihre Rückkehr bestraft und verwandelt sich in einen Fluss – den Hauptfluss in meiner Heimatstadt. Der Neffe wird in eine Weide verzaubert, die seither langsam über die Wasseroberfläche streicht.
Das ist typisch für Legenden, oder? Personen, die sich in Merkmale der Landschaft verwandeln.
Mala Herba: Ja, der Natur wird eine Subjektivität zugeschrieben. Das ist eines der besten Verhältnisse, das man zur Natur haben kann. Wenn man sich der Welt als Akteurin nähert, und nicht als passives Objekt, ist es wie eine Partnerschaft. Man benutzt die Natur nicht nur, sondern behandelt sie respektvoll!
Und auf eine wertschätzende Art.
Mala Herba: Genau … Oh wow, wie sind wir hierhin gekommen?
Es ist interessant, das alles zu hören. Es zeigt, woher deine Gedanken zu diesem Album kommen. Ich trau mich jetzt auch, dir diese Frage zu stellen: Glaubst du an Geister?
Mala Herba: Nicht auf die viktorianische Art und Weise, wo Leute herumzusitzen, sich an den Händen berühren und das Sprechen einer Person kanalisieren. Es gibt aber eine interessante Theorie über Geister, die mit afro-amerikanischen Erfahrungen zu tun hat. Die Vergangenheit als etwas zu betrachten, das noch nicht vorbei ist, finde ich nachvollziehbar. Wir leben immer noch mit den Folgen der Vergangenheit und werden von den Geistern heimgesucht, die nicht zur Ruhe kommen können. Besonders im Kontext der Geschichte ohne Archiv, Adressen oder Namen widerspiegelt es den Schmerz und das Elend, das weiterlebt.
In einer Art Hauntology, mit Gespenstern aus der Vergangenheit, die uns in der Gegenwart heimsuchen, oder? Das ist etwas ganz anderes als der Glaube an tatsächliche Geister, würde ich sagen.
Mala Herba: Ja, mich hat noch nie Geist kontaktiert, der eine definierte Individualität hätte. Wahrscheinlich passe ich einfach nicht auf …
Oder du bist nicht der richtige Kanal?
Mala Herba: Ich muss die Frequenz ändern und mich darauf einstimmen.
Es ist schwer, ernsthaft darüber zu sprechen, weil es in der Gesellschaft als etwas Negatives aufgefasst wird.
Mala Herba: Da schwingt so ein New-Age-Gedanke mit, nicht? Ich halte das nicht für schlecht, im Gegenteil. Ich bin an Spiritualität interessiert. Und ich schäme mich nicht dafür!
Wie setzt du dich mit Spiritualität auseinander?
Mala Herba: Ich verwende sie in der Art und Weise, wie ich meine Performances, Installationen oder experimentellere Musik konzipiere, die unter dem Label der zeitgenössischen elektronischen Musik laufen … mein Partner nennt es so etwas wie „Psych Jazz Noise“.
Also schräge Geräusche.
Mala Herba: Ja, hier kann man meine Spiritualität finden. Ich weiß allerdings nicht, wie viel ich darüber reden soll …
Oh, es ist OK, wenn du es nicht teilen willst.
Mala Herba: Ich glaube, dass man eine Intention für etwas setzen kann und dass diese Absicht eine Auswirkung auf die Realität haben kann – wenn man Liebe, Unterstützung oder Heilenergie kanalisiert, glaube ich fest daran, dass es eine Wirkung auf die Menschen hat.
Auf welche Art?
Mala Herba: Ich mache viele Dinge mit der Absicht, dass es Heilung oder eine Zuflucht für die Menschen bieten soll, für die es bestimmt ist. Aber es ist stark mit meinen Kunstprojekten verbunden.
Das Verzaubern passiert dir also nicht im Alltag?
Mala Herba: Nein, ich mache etwa zweimal im Jahr eine Reihe von größeren Performances. Für mehr kann ich keine Energie aufbringen. Letztes Jahr habe ich eine große Performance zum Thema Heilung gemacht. Dieses Jahr haben wir bereits einen Fluch auf die polnische Regierung gelegt.
„DIE SPIRITUELLE PRAXIS IST WIE EINE ANDERE ART VON KUNST.“
Hier kommt der aktivistische Teil deiner Kunst ins Spiel.
Mala Herba: Kunst ist für mich wie eine andere Art von Aktivismus. Auch die spirituelle Praxis ist wie eine andere Art von Aktivismus! Ich kann nicht immer psychologisch mit der Menge bei Demonstrationen umgehen oder manchmal fühle ich mich frustriert, also habe ich versucht, die Regierung zu verhexen.
Damit verbindest du die Kunst mit einem spirituellen Ansatz.
Mala Herba: In letzter Zeit spüre ich ein Wiederaufleben von queerer und feministischer Spiritualität. Sie bietet den Menschen eine andere Art von Handlungsfähigkeit und beeinflusst die Realität. Und man tut sich selbst etwas Gutes. Wie lange soll man sich noch frustriert, ignoriert und objektiviert fühlen? Man kann auch eine Intention setzen kann, alleine oder als kollektive Erfahrung.
Das bringt mich zu deiner Musik, die du als „witchcraft“, also Hexerei, bezeichnest – eine Art Reclaiming des Begriffs, oder?
Mala Herba: Auf jeden Fall. Ich muss aber ehrlich sagen, dass ich nicht immer die physische oder psychische Energie habe, das in vollem Umfang zu tun, wenn ich eine Show spiele. Es ist schon vorgekommen, dass sich die Bedingungen oder der Veranstaltungsort nicht gepasst und das Publikum oder ich nicht gefühlt haben. Wenn das passiert, geht es mehr darum, es zu performen, als es tatsächlich zu tun. Es ist trotzdem wichtig, dass dahinter eine Intention und Absicht steht. Um eine Botschaft zu senden und gleichzeitig etwas zu bieten, das mehr ist als nur Musik,
Wie würdest du den Unterschied zwischen dem Performen und der tatsächlichen Ausübung von sonic witchcraft beschreiben?
Mala Herba: Der Unterschied liegt darin, wie viel Energie ich projizieren kann. Ich kann mich nicht selbst auspowern, wenn ich mich nicht zu 100 Prozent wohl fühle. Ansonsten werde ich krank. Wenn ich die Mittel aber habe und ich mit dem Herz dabei bin, hat das eine körperliche Wirkung. Die Schwingungen bringen den Körper in Resonanz. Modulation ist Information.
Das ist schön gesagt.
Mala Herba: Herzliche Grüße an meinen Professor Peter Pabon. Aber im Ernst: Wenn Leute die Texte in meinen Liedern nicht verstehen – und das tun sie meistens nicht, weil sie entweder kein Polnisch sprechen oder es zu viel Hall und Delay gibt – geht es um die Intention und Energie des Liedes. Wenn man die Musik in den Körper hineinlässt, versteht man, was ich zu tun versuche – dass Menschen, die täglich Diskriminierung und Gewalt erleben, sich willkommen und gesehen fühlen. Meine Musik soll einen sichereren Weg schaffen, um zusammen und glücklich zu sein und mit Tränen in den Augen zu tanzen.
Die physische und emotionale Wirkung bringt mich zurück zu deiner Aussage, dass die Modulation die Botschaft sei. Ich möchte das noch weiter ausdehnen: Modulation ist die Massage. Sie hat eine körperliche Wirkung.
Mala Herba: Das ist lustigerweise auch der Kern der Funktionsweise des Radios. Peter Pabon hat das in seinem Kurs über Signaltheorie immer angesprochen.
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Die Körpermusik mit seinen Techno-getriebenen Beats und Bässen – verschmilzt mit deinem spirituellen Ansatz und verbindet beide Welten.
Mala Herba: Die Leute neigen dazu, verächtlich auf Tanzmusik herabzuschauen, weil sie keine hohe Kunst sei. Aber dieses Bedürfnis, zu ohrenbetäubender Musik zu tanzen, ist archaisch und kann so schön sein.
Deshalb sagst du, dass es einen heilenden Aspekt in der Musik gebe.
Mala Herba: Techno kann auf jeden Fall heilen. Im richtigen Raum ins Schwitzen zu kommen, ist eine befreiende Erfahrung.
Erinnerst du dich an einen besonders intensiven Auftritt?
Mala Herba: Anfang 2020 organisierte ich mit einer Kollegin ein Performance-Event namens „HEX: Witchcraft as Feminist Activism“. Wir spielten eine Noise-Show – und wow! – es war extrem viel Power im Raum. So viele Leute kamen und machten mit. Es war wunderschön! Außerdem habe ich 2019 eine coole Show in Leipzig gespielt, so eine richtige Punk-Birthday-Situation. Der Gig war in einem vollen Keller, ich bin während des Auftritts in die Menge gegangen und habe einen Moshpit gestartet. Jemand schubste mich zurück und ich fiel zu Boden.
Was ist dann passiert?
Ich lag auf dem Boden und dachte: „Ja!“ Wahrscheinlich bin ich nur gestolpert, weil ich ungeschickt bin, aber es hat mir richtig gefallen. Am nächsten Tag verriss ich mir den Rücken beim Tragen meiner Ausrüstung und landete im Krankenhaus. Das war das Ende meiner Tour und das letzte Mal, dass ich mit Hardware gespielt habe.
Das sind schöne und gleichzeitig schreckliche Erinnerungen ans Touren vor der Pandemie.
Mala Herba: In gewisser Weise … aber weißt du, womit ich mich wirklich beschäftigt habe, seit die Pandemie begonnen hat? Mit Radio! Ich werde demnächst zwei Radiosendungen aufnehmen. Letztes Jahr habe ich schon ein paar Beiträge gemacht – und es macht mir so viel Spaß.
Wie kam es dazu?
Mala Herba: Ich bin damit aufgewachsen, jeden Tag Radio zu hören. Ich mag es als Medium. Es hat etwas Magisches an sich und erlaubt dir, sich mehr auf die Musik zu konzentrieren. Vor dem Fernseher fühlt man sich nur abgestumpft. Das ist wie bei Streams. Die meisten mag ich überhaupt nicht.
Meinst du visuelle Streams, also DJs, die in die Kamera spielen?
Mala Herba: Ja, ich hasse das. Viele dieser Projekte berücksichtigen nicht, wie die Leute mit dem Kontext interagieren. Sie nehmen das gleiche Setting, das man in einem Club erleben würde und machen daraus einen Stream. Das funktioniert nicht.
„ICH IRRTE HERUM UND WUSSTE NICHT, WIE ICH DA WIDER HERAUSKOMME, ABER DANN TRAF ICH EINEN TEUFEL, DER AUS GEHIRNEN GEMACHT WAR, WÄHREND IM HINTERGRUND TAIWANESISCHER DOOM-METAL LIEF.“
Es ist lustig, dass du das sagst. Ich weiß nie, was ich mit DJs anfangen soll, die brutalen Peak-Time-Techno in einem leeren Club zum Abendessen spielen. Ich muss immer schnell wegklicken.
Mala Herba: Das Internet ist ein so interessantes Medium und bietet so viele Möglichkeiten – aber das ist es nicht! Mit Oramics haben wir letztes Jahr ein ganzes Internet-Festival veranstaltet, zu dem wir verschiedene visuelle Künstler eingeladen haben, die einen tollen Job gemacht haben. Was ich am meisten liebte, war die Virtual-Reality-Erfahrung. Ich habe mich in etwas verirrt, das wie Gedärme aussah. Ich irrte herum und wusste nicht, wie ich da wieder herauskomme, aber dann traf ich einen Teufel, der aus Gehirnen gemacht war, während im Hintergrund taiwanesischer Doom-Metal lief. Ich war so begeistert!
Das kann ich mir vorstellen! Interessant zu sehen, wie wir zu den Virtual-Reality-Sachen gekommen sind, obwohl wir mit beim Radio angefangen haben.
Mala Herba: Ach ja, das Radio … die Art und Weise, wie ich mich damit beschäftigen kann ist so entspannend. Selbst wenn ich Upbeat-Musik höre. Außerdem liebe ich Podcasts. Ich höre mir jeden Tag so viele davon an.
Welche Podcasts hörst du gerade?
Mala Herba: Physics World, ein Podcast über Quantenphysik. 99% Invisible, bei dem es um Design geht. Ich höre auch The History Hour, in dem sie die Geschichte des 20. Jahrhunderts mit Zeitzeugenberichten behandeln. Throughline auf NPR ist ein sehr guter Podcast! Es geht darum, die Vergangenheit Amerikas mit der aktuellen Situation zu verbinden. Ich liebe auch This American Life, das kleine Geschichten über ganz verschiedene Menschen bringt. Und Imaginary Worlds, da geht es um Science Fiction.
Das ist eine interessante Auswahl.
Mala Herba: Oh, Undisclosed habe ich vergessen! Das ist ein Podcast über Menschen, die zu Unrecht verurteilt wurden. Ich schäme mich zwar dafür, das zu sagen, aber: Ich höre mir das zum Einschlafen an. Es gibt so viele winzig-kleine Details! Irgendwelche Dokumente sind verloren gegangen oder sie haben die falsche Nummer, es geht so oft um Recht und die Leute haben so schöne Stimmen, dass ich fast sofort einschlafe.
Hört sich gut an.
Mala Herba: Und die produzieren den Podcast so gründlich! Jeder Fall ist etwa zehn Folgen lang, jeweils eine Stunde!
Eine Menge Möglichkeiten zum Einschlafen. Danke, dass du das geteilt hast. Möchtest du noch etwas zu deiner Platte sagen?
Mala Herba: Ich habe so viele Interviews gemacht, wo mir die Leute immer wieder die gleichen Fragen stellen.
Und dann komm ich mit Dämonen und Geistern daher, sorry!
Mala Herba: Nein, ist schon okay!
Es gibt eine Frage, die ich nicht oft stelle, weil es sie nicht immer passend erscheint, aber ich würde sie dir gerne stellen: Was magst du an dir selbst?
Mala Herba: Als Person oder als Künstlerin?
Wie du magst.
Mala Herba: Ich bin sehr belastbar, aber auch extrem stur. Das habe ich von der väterlichen Seite der Familie übernommen, was für andere Personen manchmal schwer zu ertragen ist. Aber die Tatsache, dass ich noch nicht aufgegeben habe, das mag ich an mir. Vor einem Jahr hatte ich keine Monitore. Meine Kopfhörer gingen kaputt. Ich hatte keine Möglichkeit die Platte fertigzumachen, weil ich mir keine neuen Kopfhörer leisten konnte. Ich habe also Airbnb-Wohnungen geputzt, mir aber trotzdem keinen normalen Bürojob gesucht, weil ich wirklich an das glaube, was ich mache. Jetzt arbeite ich hauptberuflich als Sound Artist, habe eine Versicherung und sogar Möbel in meinem Zimmer! Bitte schreib das. Ich hab einen Kleiderschrank und ein Bücherregal!
Alles, was man braucht.
Mala Herba: Ja, endlich. Also, Resilienz ist das, was ich an mir mag. Stell dir mal vor: 15 Kilo Ausrüstung drei Wochen lang in einem Flixbus rumzuschleppen, um eine Tour zu machen! Dafür muss man wirklich durchgeknallt sein!
Vielen Dank, dass du dir die Zeit genommen hast!
Christoph Benkeser
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