Eigentlich müsste es die Zielgruppe Neuer Musik schon seit Schönberg gewohnt sein, dass Hörerwartungen bewusst oder unbewusst gebrochen werden. Joanna Wozny scheint diesen Ansatz aber in einer Radikalität zu verfolgen, die dann doch noch Aufsehen erregt. In den Werken der in Polen geborenen Komponistin hat das Fehlen rhythmischer oder melodischer Nachvollziehbarkeit jedoch auch Methode: Es fokussiert unwillkürlich auf die Klänge, die sich nicht durch ihre Prozesshaftigkeit, sondern durch die Momenthaftigkeit auszeichnen. Dabei interessiert die Wahlgrazerin die Übertragung abstrakter Phänomene auf das musikalische Material. 17 Werke dieser reizend provozierenden Komponistin sind im music austria-Notenshop erhältlich und stellen ein breites Spektrum ihres Oeuvres dar.
Das Verklingen scheint in mehreren Werken Woznys programmatisch zu sein und wird im „Verschwinden einer Landschaft II“ nicht nur metaphorisch im Titel beschrieben, sondern ist auch hörbar. Die aus der klassisch-romantischen Tradition entlehnte Besetzung des Klavierquartetts wird klanglich in Woznys Werk verfremdet. Ihre Ästhetik erinnert teilweise an Lachenmann, der in seinen radikaleren Werken jegliche gewohnte Lautäußerung eines Instruments umgangen hat. Auch in dieser Kammermusik von Wozny hört man die Tradition satter Streicherflächen oder virtuoser Klavierläufe nicht mehr heraus. Das kompositorische Anliegen ist, eine klangliche Annäherung zwischen den beiden Instrumentengruppen zu schaffen. So fangen Violine, Viola und das Violoncello mit filigranen Flageoletttönen an, bevor das Klavier in der hohen Lage einsetzt und vor allem durch das Streichen und Zupfen der Saiten im Innenraum des Flügels mit der Zartheit der Streicher verschmilzt. Im Verlauf des 15-minütigen Werkes wird die Dominanz der Streicher abgelöst vom Klavier, dessen flüchtige Tonornamente sich am Ende buchstäblich in nichts auflösen.
Weniger das Vergängliche als das Punktuelle stehen in „as in a mirror, darkly“ für Ensemble im Vordergrund. Die Künstlerin interessierte sich hierbei für die Ästhetik von Unreinheiten, wie zum Beispiel auf alten Filmspuren, die durch Kratzer oder Staub entstehen oder die Verzerrung, wenn man durch zerkratztes Glas schaut. Im Gegensatz zu „Verschwinden einer Landschaft II“ ist die Tonsprache hier hektischer, lauter und bunter. Das Ensemble ist bezüglich der Instrumentengruppen wie ein Orchester strukturiert und kann daher aus einem reichhaltigen Klangarsenal schöpfen. Trotz wiederkehrender Elemente lebt dieses Stück doch im Moment und der Fokus wird nicht auf die Gesamtheit, sondern auf das Singuläre gerichtet.
Ihr erstes Orchesterstück „Archipel“ schrieb Joanna Wozny 2008 im Auftrag des Bayerischen Rundfunks und wurde vom Münchner Rundfunkorchester unter der Leitung von Ulf Schirmer uraufgeführt. Den vielseitigen Klangapparat nutzte die Komponistin, um mit Mikrotonalität zu experimentieren und so wirkt dieses fulminante Werk wie eine Wanderung einer mächtigen Klangmasse. In filigranen hohen Lagen der Streicher mit einigen Glissandi fängt das Stück sehr spannungsreich an, wobei sukzessive die Bläser mit vielen Tremolos und die akzentreichen Bongos einsetzen. Auch in „Archipel“ gibt es Repetitionen, die das Stück charakterisieren. So wirken die markanten 32stel-Figuren der Blechbläser wie aufrüttelnde Warnsignale, wohingegen ein dunkler Zusammenklang der tiefen Streicher, der abwechselnd von der Blech- oder Holzbläsergruppe imitiert wird, bedrohlich wirkt. Nach dem Höhepunkt, wenn das Orchester aus dem Vollen schöpft und alle an der mystischen akustischen Atmosphäre beteiligt sind, nimmt die Dichte der klanglichen Ereignisse ab und die schon zuvor eingesetzten Generalpausen werden dominanter. Die Einarbeitung von Stille in ihrem Werk kommentiert die Schöpferin von „Archipel“ ganz im Cageschen Sinne: „Pausen sind auch Geschehen. Sie erklingen genauso wie die Musik.“
Ein Blick auf die Partituren von Joanna Wozny verrät, dass nur wenige Noten mit herkömmlichen Notenkopf und -hals ausgestattet sind. Stattdessen gibt es vorab seitenweise Hinweise und Erklärungen zur Spielweise der verwendeten Symbole. Das deutet schon die Komplexität für den Interpretierenden an, der sich intensiv mit der Partitur und seinem Instrument auseinandersetzen muss. Doch gerade die Möglichkeit der Imperfektion, zum Beispiel beim Ausführen von Spaltklängen, macht Musik für Wozny so reizvoll. Ihre oft philosophisch anmutenden Werkbeschreibungen offenbaren, dass sie sich selbst beim Komponieren vor eine anspruchsvolle, innermusikalische Aufgabe stellt, an der sie sich abarbeitet. Dabei ist ihr als Künstlerin die Möglichkeit des Scheiterns gegenwärtig. Zahlreiche Auszeichnungen und Kompositionsaufträge in ununterbrochener Kontinuität beweisen aber, dass sie sich mit ihrer ästhetischen Herangehensweise durchsetzen kann und ihre Arbeit durchaus erfolgreich ist.
Margarete Buch
Foto: J. J. Kucek
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