IM ERNIEDRIGUNGSKARUSSELL: THOMAS DANIEL SCHLEE IM MICA-INTERVIEW

Für den Durchschnittsmann ist 65 ein einschneidendes Alter, verbindet sich damit doch in der Regel der Eintritt in den Ruhestand – eine Zäsur, die je nach persönlicher Verfasstheit mehr oder weniger gut „verdaut“ wird. Für einen Künstler ist es da schon etwas anders, weil er in der Regel nicht per Ablaufdatum in die Pension geschickt wird. Bei THOMAS DANIEL SCHLEE, ehemals Intendant, weiterhin Komponist, verbinden sich die Bereiche. Christian Heindl sprach mit ihm anlässlich des markanten Geburtstages am 26. Oktober.

„[…] es gab aber auch würdige Varianten, etwa von Thomas Daniel Schlee, der mit kürzesten Bemerkungen umfassende Werkkenntnis andeutete“, schreibt Armin Thurnher dieser Tage in der Zeitschrift Falter und spricht damit Ihren jüngsten öffentlichen Auftritt im Rahmen der gewissermaßen als Performance angesetzten Lesung des Köchel-Verzeichnisses im Wiener Volkstheater am 16. Oktober an. Eine große Zahl an Persönlichkeiten aus der Musik-, Theater- und Medienwelt reagierte damit auf befremdliche Aussagen von ORF-Radiodirektorin Ingrid Thurnher zu Vorhaben in ihrem Aufgabenbereich. – Man ist fast ein bisschen überrascht, dass auch Sie – würdig – in so einer bunten Runde in Erscheinung treten.

Thomas Daniel Schlee: Als Kurt Schwertsik mich gesehen hat, meinte er: „Schaust du traurig drein!“ – Wenn man angefragt wird, natürlich sagt man nicht nein. Aber andererseits, warum soll ich den Clown machen? Ich habe schon vor sehr langer Zeit in Hinblick auf den ORF gesagt: Das geht nicht in die richtige Richtung. Das schließt nun auch aktuell die Verhandlungen zwischen dem ORF und der AKM zur Abgeltung der Senderechte ein, bei denen der ORF eine 30-prozentige Reduktion des Entgelts fordert. Das ist ein einziges großes Erniedrigungskarussell für die Künstlerinnen und Künstler.

Sehen Sie ganz persönlich sich als von diesem Karussell unmittelbar betroffen an?

Thomas Daniel Schlee: Es gibt immer eine gewisse Angst, nicht geschätzt zu werden. Wenn man gerade keine Aufträge und kaum Aufführungen hat, spricht man nicht darüber. Das geht sehr vielen so. Manchmal denke ich mir aber doch: Ich gehöre nicht mehr dazu.

Da spielt doch sicher gerade dieses „fatale“ Alter eine Rolle: Mit 65 ist man kein Jungstar mehr, aber eben auch noch nicht dort, wo man groß gewürdigt wird.

Thomas Daniel Schlee: Das mag durchaus sein. Seit zwei Jahren treibt mich die Frage: Was passiert, wenn man plötzlich aus dem Betrieb herausgenommen wird. Wozu wird man gebraucht? Welchen Platz hat die Kunst der Art, wie ich sie mache?

Sie hatten in der Vergangenheit mit vielen Ihrer Werke große Erfolge. Es ist doch sicherlich generell ein großes Problem, dass neue Werke heutzutage kaum nachgespielt werden und sich dadurch nicht im Repertoire behaupten können?

Thomas Daniel Schlee: Auf jeden Fall. Ich habe vor vielen Jahren einmal bei einer Laudatio angesprochen, dass es zwar erfreulich ist, wenn man da und dort Aufführungen hat. Das sind aber oft lauter Einzelfälle. Nirgends wird wirklich „ein Haus“ daraus, dem man sich zugehörig fühlen darf. Mein Vater kam 1927 zur Universal Edition, die im Gebäude der Gesellschaft der Musikfreunde ihren Sitz hat. Seither war meine Familie – er als Verleger, ich als Komponist – diesem Haus innig verbunden. Meine erste Symphonie wurde vor zwanzig Jahren dort von Bertrand de Billy erstaufgeführt, die Zweite vor zehn Jahren von Manfred Honeck – das waren glücklichste Momente! – Derzeit, nach 95 Jahren, besteht schlicht kein Kontakt mehr zu dem Haus, in dem ich auch gerne gearbeitet, für das ich gerne eine dritte und vielleicht vierte Symphonie geschrieben hätte. Heute finden Randbereiche von Kunst viel mehr Beachtung als diejenigen, die einfach „Musik“ machen.

Liegt es nur an den Häusern? Es besteht vielerorts aktuell eine gewisse „Trägheit“ in Hinblick auf das zeitgenössische österreichische Musikschaffen. Die Tendenz zur Repertoireverarmung ist schwerlich zu übersehen. Oft müssen Interpretinnen und Interpreten darum kämpfen, dass sie ein neues Stück zur Aufführung bringen dürfen.

Thomas Daniel Schlee: Das ist schon richtig. Bei mir ist es sicher auch so, dass etliche der treuesten Interpreten verstorben oder langsam in einem Alter sind, in dem sie aufhören. Es fehlt an Stimulation – durch Freunde, durch junge Menschen. Ich denke oft an einen Satz von Malipiero, der doch wirklich ein Großer, so genannter Arrivierter war: „Ich sitz‘ da in Asolo und kein Mensch will etwas von mir!“

Muss es immer einen konkreten Wunsch, einen Auftrag geben? Reicht es nicht manchmal, eine Inspiration zu einem Stück zu haben und wenn es fertig ist, zu sehen, wer es aufführen könnte?

Thomas Daniel Schlee: Das ins Dunkle schreiben will ich nicht. Ich will die Enttäuschung vermeiden, dass es am Ende vielleicht niemand haben möchte. Es gäbe durchaus solche inspirierenden Gedanken. Jedes Mal wenn wir mit meinen Eltern nach Italien fuhren und wir im Süden Wiens an der Säule der „Spinnerin am Kreuz“ vorbeikamen, gab es mir einen Stich wegen dieser unglaublichen Geschichte; einer Geschichte vom Warten, von der Treue, von der Geduld. Ich hätte da durchaus Gedanken für ein Musiktheater. Aber bisher hat sich dafür leider kein Veranstalter eine Zusage abringen lassen.

Sie waren lange Zeit durchaus auch als Interpret aktiv und beliebt, haben als Organist die Musik vieler Kollegen ebenso wie eigene Kompositionen aufgeführt, das aber vor einigen Jahren beendet. Bedauern Sie manchmal, dass Sie nicht mehr selbst spielen? 

Thomas Daniel Schlee: Nein. Ich habe aufgehört, weil ich nicht anders konnte. Da ich keinen festen Organistenposten hatte, gab es nicht die da übliche Möglichkeit des Austausches mit Kolleginnen und Kollegen – man lädt einander gegenseitig an die jeweilige Kirche, die jeweilige Orgel ein. Der Aufwand, da und dort einzelne Konzerte zu organisieren, wäre auf Dauer zu groß gewesen. Ich hatte vor Jahren ein Konzert in Tallinn vor mir. Damals war ich vieler Dinge überdrüssig und sagte zu meiner Frau, die mit mir dort war: Wenn dieses Konzert gut geht, höre ich danach einfach auf. Und ich habe aufgehört.   

Nichtsdestotrotz werden Sie als Orgel-Komponist geschätzt. Ihre Stück werden international gespielt.

Thomas Daniel Schlee: Das stimmt. Ich habe lange versucht, mich zu wehren, wieder für Orgel zu schreiben. Und gerade da entstehen jetzt Kraftfelder, die sehr beglückend sind. So ist „Bild und Gleichnis – Sechs Betrachtungen der Heilsgeschichte für Orgel op. 92“ entstanden, das Pier Damiano Peretti, Joachim Neugart und Armin Lamar im Mai in Saarlouis im Rahmen einer Hommage an den Saarbrücker Maler, Bildhauer und Künstler Ernst Alt uraufgeführt haben. Peretti und seine Schüler sind wunderbare Interpreten meiner Orgelstücke. Dann ist da die Kammermusik, die Streichquartette, das Streichtrio, derer sich u. a. das Merlin Ensemble Wien, das Oberösterreichische David-Trio und das Koehne Quartett annehmen. Das ist sehr erfreulich. – Hingegen Sendungen zumindest zum Geburtstag? – Keine. Das knüpft am Beginn an.

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Ich würde Sie zum Schluss gerne einfach fragen, „Wie geht es Ihnen?“. Ich verknüpfe das aber mit einer vorangehenden Einleitung der Frage: die Corona-Pandemie, eine Inflation, die Teuerungen auf allen Ebenen bringt, wie sie für unsere Generation bisher unvorstellbar waren, und schließlich ein brutaler Krieg in unserer Nähe – Herr Dr. Schlee, wie geht es Ihnen?

Thomas Daniel Schlee: Insofern ganz unverschämt gut, als ich in einer ganz unspektakulären, aber ruhigen Weise mein Leben während der Pandemie fortsetzen konnte und uns abgesehen von moralischen Aufwallungen der Krieg noch nicht persönlich erreicht hat. – Ansonsten: Sie kennen die Beethoven-Worte „Muss es sein?“ und „Es muss sein!“. Dem möchte ich hinzufügen: „Aber man muss es können!“  

Vielen Dank für das Gespräch!

Christian Heindl

Links:
Thomas Daniel Schlee (music austria Datenbank)
Porträt: Thomas Daniel Schlee