INES WURST ist keine, die sich versteckt. Ihr Style: auffällig. Ihre Musik: tiefgründig und manchmal düster. Zwischen diesen zwei Ebenen mäandert die österreichische Schauspielerin und Sängerin, deren Debüt-EP “Zufällig” am 20. September 2024 auf Feber Wolle Records erschienen ist. Zufällig oder nicht zeigt die Wahlwienerin damit, wie Herzschmerz ein guter Songwriter ist und warum man sich vor den großen Gefühlen nicht fürchten sollte. Im Gespräch mit Ania Gleich hat WURST über den Moment gesprochen, in dem man plötzlich alles fühlen muss, über Begegnungen, die dich nicht mehr loslassen – und darüber, wie Social Media manchmal das Wundervolle an Kunst in Unsinn verwandelt. Bei einem Tee im Café Eiles spricht die Einundzwanzigjährige vom Loslassen – und man kauft es ihr ab. Am Ende des Interviews rollt man nicht als der emotionale Stein heraus, als der man vielleicht hergekommen ist.
Pfefferminztee ist dein Comfort-Drink?
Ines Wurst: Ich vertrage keinen Kaffee. Matcha fand ich auch immer toll, aber vermutlich nur wegen der Farbe!
Es würde zu deinem Style passen. Ist dir wichtig, wie du dich präsentierst?
Ines Wurst: Es ist wichtig für mich, wie ich auf Leute wirke. Ich glaube, ich möchte strahlen, wenn ich durch die Straßen gehe. Es geht mir weniger darum aufzufallen, sondern eher, mich auszudrücken.
Deine Musik wirkt eher zurückgezogen, fast düster. Wie erklärst du dir diese zwei Pole?
Ines Wurst: Darüber habe ich viel nachgedacht. Meine Texte kommen aus dem Innersten. Nach dem Schreiben kommen oft Gedanken, wie: Wow, das ist jetzt schon ziemlich heavy! Es gibt in mir eine Dunkelheit, aus der ich schöpfe. Aber in Wirklichkeit ist es so, dass ich auch schon komplette Nonsens-Texte geschrieben habe, in Zeiten, in denen es mir echt gut ging. Trotzdem gibt es aber eben auch die Momente um vier Uhr früh, wo ich verheult bei einer Busstation sitze und etwas verarbeiten muss. Dann kommt es schon aus einem sehr dunklen Ort.
„EINE ZEIT LANG WOLLTE ICH BEWUSST GEGEN MEINE GEFÜHLE ARBEITEN UND ZEIGEN, DASS ICH TAFF BIN.”
Siehst du das jetzt auch noch so, nach der Veröffentlichung deiner EP?
Ines Wurst: Die EP zeigt, dass ich gelernt habe, loszulassen und einfach nur zu fühlen. Als ich vor drei Jahren mit meiner Schauspielausbildung angefangen habe, ist mir das sehr schwergefallen. Da habe ich meine ganze Energie ins Schauspiel gesteckt und nicht in meine eigenen Gefühle. Als Frau wird fast von einem erwartet, dass man emotional ist. Eine Zeit lang wollte ich bewusst gegen meine Gefühle arbeiten und zeigen, dass ich taff bin. Deswegen war ich lange Zeit ein emotionaler Stein. Später musste ich aber bemerken, dass es für die Kunst und für mich wichtig ist, alles herauszulassen. Es ist ein Zeichen von Stärke, wenn man Gefühle zeigen kann.
Was hat bei dir das Umdenken angeregt?
Ines Wurst: Es ist eine Reise. Und bei mir gab es viele Schlüsselmomente. Dadurch, dass ich lange Zeit viel unterdrückt habe, ist bei mir dann aber durch einen kleinen Trigger etwas in mir implodiert. Das war eine absurde Situation. Ich bin komplett durchgedreht. Ein völliger Wahnsinn! Diesen Herzschmerz musste ich sofort aufschreiben.
Was war das für eine absurde Situation?
Ines Wurst: Ich habe von einem Moment an auf den anderen, diese unheimlich starken Gefühle für eine Person gehabt. Eigentlich habe ich aber kaum Zeit mit dieser Person verbracht. Es waren nur einige wenige Momente, die schicksalhaft gewirkt und dadurch etwas mit mir gemacht haben.
Was ist es, das sie mit dir gemacht haben?
Ines Wurst: Das war eine Explosion mit so viel Adrenalin dahinter. Das ist es auch, was es so interessant macht: Es ist pures Herzrasen, ein im Moment-sein. Man denkt an nichts anderes und hat plötzlich einen Fokus. Ich bin sonst eine Chaotin. Aber wenn ich von etwas gebannt bin, dann kann ich einfach im Moment sein. Das war schön. Aber das danach war eine Achterbahnfahrt bergab.
Ich glaube, zu dem Gefühl können viele relaten.
Ines Wurst: Irgendwann dachte ich mir einfach: Fuck it, ich muss ehrlich mit meinen Gefühlen sein und sie zeigen. Das Akzeptieren, dass etwas echt war, fällt mir aber auch heute noch schwer.
Als Frau lernen wir einerseits, dass wir emotional sein dürfen. Andererseits, dass wir dadurch auch weniger ernst genommen werden.
Ines Wurst: Es ist ein Gefühl, dass man als Frau, egal was man macht, durchschaut wird.
Du bist ja auch Schauspielerin. Im Schauspiel geht es meistens um große Emotionen. Wie ist dort das Verhältnis zu deinen Gefühlen?
Ines Wurst: Jetzt ist es viel mehr in Balance. Privat lasse ich meinen Gefühlen freien Lauf. Für mich geht es beim Schauspiel viel mehr darum, dass ich einen Fokus und Ruhe habe. Wenn ich vor der Kamera oder auf der Bühne stehe, dann habe ich viele Gedanken, aber sie sind viel klarer und blenden alles andere aus. Dadurch bin ich da, im Moment. Natürlich gebe ich einer Rolle auch etwas von mir persönlich, aber wirklich nur das, was es braucht und nicht mehr. Dieses Im-Moment-Sein ist aber sowohl fürs Schauspiel als auch für die Musik wichtig.
Hast du auch das Gefühl, dass die Welt um dich herum schneller geworden ist?
Ines Wurst: Ich habe das Gefühl, die Zeit rennt mir davon. Und ich finde das sehr schade. Seit ich fünfzehn bin, habe ich Zukunftsängste, aber es hat mich nicht dazu gebracht, mehr zu tun. Eher weniger. Meine Ziele waren mir nie klar. Ich wollte immer etwas im Kunstbereich machen, aber habe nie viel dafür getan, weil ich so eine Blockade hatte. Jetzt fühle ich mich nach der Schauspielausbildung wieder genauso. Denn ich hätte das und das machen, und dort und dort sein können. Es ist das Gefühl, dass es nie genug ist, was man macht. Das ist ein riesiger Gedankenstrudel. Im Endeffekt will ich einfach nur gesehen werden.
Welchen Tipp würdest du einer Freundin geben, die in demselben Strudel ist wie du?
Ines Wurst: Ich würde ihr raten, den Moment mehr zu genießen und die Leute wertzuschätzen, die gerne bei ihr sind. Ich glaube, wir wollen alle auf eine gewisse Art gesehen und gehört werden. Man ist immer wahnsinnig gut darin, Leuten solche Ratschläge zu geben, während man schlecht darin ist, sich das selbst zu geben. Man sollte einfach alles genießen lernen! Nur das bringt dich weiter: Eins nach dem anderen.
„ICH BEKOMME AUFRUFE FÜR BLÖDSINN, ABER NICHT FÜR MEINE MUSIK. DA FRAGE ICH MICH: WOFÜR UND FÜR WEN MACHE ICH DAS ÜBERHAUPT?”
Durch Social Media wirst du aber ständig in das Jetzt von jemand anderem geworfen. Wie gehst du damit um?
Ines Wurst: Einige Zeit habe ich versucht, Reels für meine Musik zu machen. Das war sehr skurril und das hat gar nicht so schlecht funktioniert! Aber ob es wirklich etwas gebracht hat?
Was ich merke, ist: Auf Social Media geht es immer darum, aufzufallen. Aber teilweise musst du dafür Dinge machen, die dir gar keinen Spaß machen. Ich bekomme Aufrufe für Blödsinn, aber nicht für meine Musik. Da frage ich mich: Wofür und für wen mache ich das überhaupt? Außerdem zwingen einen die Algorithmen dazu, dranzubleiben. Deswegen ist es ganz schön viel Arbeit und inzwischen ein eigener Beruf!
Was die Leute auf Social Media wirklich interessiert, ist nicht, was du arbeitest, sondern was du persönlich machst.
Ines Wurst: Ich würde lieber mysteriös auf Leute wirken und nicht alles teilen. Aber ich glaube, dass es mir schnell passieren könnte, dass ich zu viel von mir preisgebe. Denn ich merke, wenn ich mit Leuten vibe, dass ich mich fast nicht aufhalten kann. Ich hasse das Gefühl, wenn man zu viel von sich erzählt hat, und danach bemerkt, dass es keine guten Leute waren, mit denen du geredet hast. Dasselbe kann auch auf Social Media passieren. Das ist die größte Gefahr! Ich glaube deswegen, dass Social Media für Music Promotion schlecht funktioniert.
Es ist schwierig, einen Mittelweg zu finden.
Ines Wurst: Ich habe aber auch schon über Social Media Künstler:innen entdeckt. Und die haben eigentlich sehr simplen Content gemacht. Es war einfach relatable. Wenn die Texte sofort eindringlich sind, können Leute sicher auch genau dadurch Reichweite erreichen.
Was sind Künstler:innen, die dich für deine Musik inspiriert haben?
Ines Wurst: Cigarettes After Sex war immer sehr wichtig für mich. Genauso wie Element of Crime. Ich habe ja ursprünglich auf Englisch geschrieben. Aber durch das Schauspiel habe ich meine Liebe zum Deutsch wieder gefunden.
Hast du Englisch inzwischen abgeschworen?
Ines Wurst: Das Ding ist: Ich finde es viel spannender, Deutsch und Englisch zu mixen. Ich habe die Angewohnheit, auf Englisch viel zu komplex zu schreiben. Auf Deutsch kommen die Dinge simpler. Andererseits mag ich es, wenn ich selber Sachen höre, dass Texte zweideutig sind. Ich habe früher aber auch viel weniger deutsche Musik gehört. Jetzt höre ich fast ausschließlich deutsche Künstler:innen! Das hat auch was mit mir gemacht. Es gibt ja auch verschiedene Seasons für Musik!
Ist „Zufällig“ zufällig in den Herbst reingefallen?
Ines Wurst: Ja, eigentlich schon. Das war wirklich nicht geplant!
Macht das den Albumtitel ironisch?
Ines Wurst: In „Zufällig“ geht es um zufällige Begegnungen und ob es ein Schicksal gibt. Also ja, vielleicht?
Sind nicht alles zufällige Begegnungen?
Ines Wurst: Ja, auf jeden Fall! Ich bin fasziniert davon, was solche Begegnungen hinterlassen und wie sie mich nach Jahren noch beschäftigen.
So in etwa: Ich hätte dich nie kennengelernt, wäre ich damals nicht auf die eine Party hingegangen, obwohl ich ursprünglich gar nicht hingehen wollte … ?
Ines Wurst: Ja, genau so! Deswegen wirken diese Begegnungen auch so intensiv. Der Hauptgrund, warum mein jetziger Partner und ich so gut zusammenpassen, ist, weil wir beide, was das betrifft, ein bisschen delusional sind! Wenn man einmal Herzschmerz durchgemacht hat, sieht man vieles anders: Man sieht, welche Macht man hat, wenn jemand einen selbst interessant findet. Deswegen geht es dann auch darum, jemandem bewusst die Chance zu geben, einen kennenzulernen!
Ist das auch Teil deines Loslassens?
Ines Wurst: Loslassen ist etwas sehr Schwieriges. Das sind lange Prozesse. Ich habe gelernt, damit OK zu sein, dass man nicht immer ganz geheilt ist.
„IRGENDWANN KOMMEN DIE SACHEN HOCH UND ICH HABE GEMERKT, DASS ES SICH, MIT DER RICHTIGEN PERSON BEFREIEND ANFÜHLT, DARÜBER ZU REDEN UND SICH ZU ÖFFNEN.”
Wenn man sich eingesteht, dass man noch ein bisschen daran hängt, verliert es leichter die Schwere, als wenn man es versucht zu verdrängen.
Ines Wurst: Deswegen bin ich lieber ehrlich. In meiner jetzigen Beziehung dachte ich am Anfang auch, ich kann diesen vergangenen Schmerz niemals ansprechen. Aber irgendwann kommen die Sachen hoch und ich habe gemerkt, dass es sich, mit der richtigen Person befreiend anfühlt, darüber zu reden und sich zu öffnen. Für mich war es ein so schönes Erlebnis, mit jemandem zusammen zu sein, der so viel Verständnis dafür hat, dass ich noch Platz für jemanden in meinem Herzen habe, der nicht mehr Teil meines Lebens ist. Du musst nicht immer alles ganz vergessen! Mein Partner war auch sehr dankbar darüber, dass ich das geteilt habe. Man versucht schlussendlich immer alles über die Person zu wissen, die man mag.
Das ist das Schöne: Man will, aber es geht nie ganz.
Ines Wurst: Darüber bin ich eigentlich auch ganz froh!
Du bist ursprünglich nicht aus Wien?
Ines Wurst: Ja, ich bin erst durch das Studium hergekommen.
Also hattest du hier auch noch gar keine soziale Homebase?
Ines Wurst: Doch, doch. Zu mir nach Niederösterreich ist nie jemand gekommen. Also war ich immer in Wien! Ich glaube, ich habe aus meinem Heimatort mit niemandem mehr Kontakt.
Sind bei dir viele auch aus einer Künstler:innen-Bubble?
Ines Wurst: Ja! Meine beste Freundin ist die einzige, die keine Künstlerin ist. Und ich brauche das manchmal dann auch. Sie hat einen ganz anderen Zugang zu diesen Dingen.
Es gibt im Schauspiel ja auch eine Ellenbogenmentalität, die anstrengend ist, oder?
Ines Wurst: Ja, obwohl es in Wirklichkeit besser wäre, als Team zu arbeiten und einander zu unterstützen und zu vernetzen.
Ist die Musik bei dir deshalb auch eine zweite Schiene, die du dir aufbaust?
Ines Wurst: Ich weiß noch nicht so ganz. Wie ich die ersten Sachen aufgenommen habe, war es nur wichtig, Dinge für mich zu verarbeiten. Ich habe damals nicht wirklich darüber nachgedacht. Im letzten Jahr habe ich mich dann sehr auf die Musik fokussiert und auch für unser Abschlussstück die Musik geschrieben.
Wie schreibst du eigentlich Musik?
Ines Wurst: Die Texte kommen einfach. Plötzlich kommen mir Texte in den Kopf und ich versinke in meiner Welt.
Und wie schreibst du die Melodien?
Ines Wurst: Früher habe ich immer zuerst die Texte geschrieben und dann mit der Gitarre herum improvisiert. Mittlerweile mache ich es oft gleichzeitig. Ich würde mich aber eher als Poetin bezeichnen, denn als Musikerin.
Also ist viel der Arrangements in der Produktion passiert?
Ines Wurst: Ja, das war am Anfang auch schwierig, weil man nicht genau weiß, wie man das, was man will, auch in Sprache übersetzen kann. Die Texte und Akkorde sind schon von mir, aber daraus dann zu erklären, wie es zusammen klingen soll, war zunächst gar nicht so leicht. Das ist eben auch ein Prozess!
Was sind die nächsten Steps, die du mit deiner Musik vorhast?
Ines Wurst: Im Moment ist alles ein bisschen auf Eis, weil ich mir doch wieder dachte, dass ich gerne auch unbedingt mehr schauspielern will. Ich will Musik und Schauspiel zusammen denken und damit selber Projekte machen. Wenn es sich ergibt, trete ich trotzdem gerne auf. Nur weiß ich noch nicht, wie ich mich selbst organisieren soll. Musik ist superwichtig für mich, aber sie ist auch neu. Ich bin mehr von Schauspieler:innen umgeben, als von Musiker:innen.
Das kann sich noch ändern!
Ines Wurst: Ich glaube, mir fällt es inzwischen leichter, etwas zu schreiben, und ich habe weniger den Zwang, dass ich damit Kunst bewirken müsste. Das ist auch eine Form des Loslassens für mich. Zurzeit versuche ich zu verstehen, wie ich zu meinen eigenen Songs stehe.
Das kann sich ja auch noch völlig verändern!
Ines Wurst: Ja, das habe ich auch bemerkt. „Abschiedstschick“ ist ja auch erst vor einem Monat herausgekommen. Der Song war aber schon im Dezember fertig. Jetzt hat der Song für mich eine ganz andere Bedeutung als vor einem Jahr.
Gibt es auch etwas, das fix ist?
Ines Wurst: Egal ob Schauspiel oder Musik – Ich bin gerne auf der Bühne. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, irgendwas anderes zu machen!
Danke für das Gespräch!
Ines Wurst: Danke dir!
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