„Ich wünschte mir manchmal, dass ich zu dem, was ich tue, etwas mehr Abstand haben und wirklich hören könnte, was es ist.“ – VINCENT PONGRACZ (SYNESTHETIC OCTET) im mica-Interview

Das SYNESTHETIC OCTET – das Ensembleprojekt des österreichischen Musikers und Komponisten VINCENT PONGRACZ – steht musikalisch wahrscheinlich für vieles, nur definitiv nicht für das Gewöhnliche. VINCENT PONGRACZ hat sich mit seinen beiden SYNESTHETIC-Projekten – dem Quartett und dem Octet – seine ganz eigene musikalische Spielwiese definiert, aus der sich nur schwer eine exakte Kategorie herleiten lässt. Das, was er und sein Ensemble zu Gehör bringen, ist eine Mischung aus zeitgenössischer klassischer Musik, Hip-Hop und Jazz, dazu rhythmisch vertrackt, aber dennoch hochgradig groovig. Mit „Plehak” erscheint nun auf Jazzwerkstatt Records das neue Album des SYNESTHETIC OCTETs. Im Interview mit Michael Ternai erzählt VINCENT PONGRACZ über den neu gewählten Zugang bei der Aufnahme des neuen Albums, sein Experiment mit Schlafentzug und seinen großen Wunsch, die Dinge noch mehr auf ihre Essenz herunterzubrechen.

Seit der Veröffentlichung des letzten Albums des Synesthetic Octets sind mittlerweile einige Jahre vergangen. Was hat dich bewogen, nach den Quartet-Veröffentlichungen wieder etwas mit der größeren Formation etwas zu machen?

Vincent Pongracz: Die Idee, wieder etwas mit einer großen Formation zu machen, ist aus der Synesthetic Wednesday Konzertreihe, die wir im rhiz monatlich veranstaltet haben, entsprungen. Sie diente zunächst als eine Plattform für das Quartett. Mit der Zeit aber fanden wir, dass es dann doch zu viel ist, jeden Monat einmal in Wien ein Konzert zu spielen. Letztlich war es dann so, dass ich die Reihe alleine weitergeführt habe, mit einer Mischung aus Synesthetic Projekten und geladenen Gästen. Schließlich kam mir irgendwann der Gedanke, dass ich Programm für das Oktett schreiben könnte, was ich dann auch tat. Es war ein in sich sehr schlüssiges Programm, das wir auch einmal aufführten. Das war 2022. Ein Jahr drauf hatten wir das Glück, dass wir Wiener Konzerthaus ein Konzert spielen durften. Im Zuge der Vorbereitungen auf dieses Konzert hatten wir zwei Tage Proben, die wir dann auch gleich aufgenommen haben.

Das Album ist tatsächlich in diesen zwei Tagen entstanden?

Vincent Pongracz: Ja. Die Dinge sich einfach gut ergeben. Ich wollte ein Album ohne großen technischen Aufwand machen. Da wir alle zu diesem Zeitpunkt ohnehin schon tief in der Materie drin waren, hat sich das auch gut angeboten. Zudem hatte ich die Idee, ein neues Aufnahmeverfahren für uns zu finden und nur mit einem Mikrofon aufzunehmen. Die vorigen Alben waren ja alle sehr ausproduziert und bei den Aufnahmen befanden sich auch nie alle Musikerinnen und Musiker gleichzeitig in einem Raum. Das war jetzt eben nicht der Fall. Alle waren am selben Ort, niemand trug Kopfhörer. Jede und jeder war in die Situation hineingeworfen und musste auf die Musik reagieren. Das war für alle eine schöne Herausforderung. Und es hat auch super funktioniert. Das Album besteht zum großen Teil aus fast ganzen Takes. Allzu viel verbessern musste ich im Nachhinein eigentlich nicht.

Die Musik vermittelt auf jeden Fall einen sehr spontanen Charakter. Auch weil der Sound alles andere als irgendwie glattpoliert wirkt.

Vincent Pongracz: Ich glaube, ich höre solche Unterschiede gar nicht mehr so sehr. Ich wünschte mir manchmal, dass ich zu dem, was ich tue, etwas mehr Abstand haben und wirklich hören könnte, was es ist. Aber leider habe ich diesen Abstand nicht. Aber auch wenn ich diesen Aspekt jetzt nicht beurteilen kann, denke ich, dass diese kompromisslose Art, mit der wir an den gesamten Prozess herangegangen sind, in gewisser Weise doch merkbar ist. Auch jeden Fall hat mir diese Arbeitsmethode sehr viel Spaß gemacht.

Dieses Video auf YouTube ansehen.
Hinweis: Mit dem Abspielen des Videos laden sich sämtliche Cookies von YouTube.

Was bei diesem Album aber im Gegensatz zur Art der Produktion gleichgeblieben ist, ist die Eigenheit deiner Sprache. Die ist nämlich weiterhin sehr unvergleichbar und schwer in eine Kategorie einordenbar. Was ist aber aus musikalischer Sicht dennoch neu?

Vincent Pongracz: Meine Intention bei diesem Album war, einmal aufzuräumen und Ideen auszumisten, die für mich einfach nicht mehr passen. Ich habe relativ viel Zeit damit verbracht, zu schauen, was für mich inhaltlich wirklich überhaupt noch funktioniert. Viel Zeit ist vor allem in die Entwicklung neuer Konzepte auf technischer Ebene hineingeflossen. Besonders in Bezug auf Harmonik ist einiges anders. Und ich habe ein paar Sachen anders bzw. genauer geschrieben, wie etwa die Gitarre. Da gibt es zum Beispiel jetzt Passagen, die im Vergleich zu früher besser zu spielen sind. Auch vom Einsatz von Rap ist es rhythmisch noch einmal extremer als davor. Zu experimentieren und Neues zu versuchen, hat wirklich Spaß gemacht.

Als ich vor ein paar Jahren mit deiner Musik in Berührung gekommen bin, war es schon so, dass sie etwas war, was ich davor in der Form noch nicht so gehört habe. Ich musste mich auf jeden Fall in die Musik hineinarbeiten. Jetzt habe ich das Gefühl, dass das Ganze trotz aller vertrackten rhythmischen Spielereien sehr groovt.

Vincent Pongracz: Das war auch ein bisschen die Herausforderung. Auch weil wir dieses Mal ganz ohne Klick gearbeitet haben. Das war sicher auch noch eine Ebene, die dazugekommen ist. Diesbezüglich war es sicher eine Herausforderung da einen Flow hineinzubekommen. Und das ist, glaube ich, ganz gut gelungen, auch wenn die Vocals jetzt nicht immer wirklich tight drauf sind, sondern eher irgendwie so rüber schwingen. Die Stimme hat so eine eigene Rhythmik, die in Relation zum Geschriebenen aber eine eigene Ebene bildet. Da war die Herausforderung, etwas zu finden, das einen Fluss hat.

Du hast dir für das Album ja wieder einmal eine wirklich außergewöhnliche Band zusammengestellt. Wie ist es, wenn du den Musikerinnen und Musikern deine Ideen präsentierst, ist dann schon so festgeschrieben, was sie zu tun haben, ober bietest du ihnen den Raum zur Entfaltung?

Vincent Pongracz: Es gibt natürlich schon auch improvisierte und freie Teile. Aber es spielt natürlich der zeitliche Aspekt eine Rolle. Wir sehen uns ja alle nicht so oft, daher kommt dem Geschriebenen zunächst eine besondere Rolle zu, weil dieses erst verinnerlicht werden müssen. Aber nachdem wir die Sachen dann länger gespielt haben, merkt man schon, dass dann auf ganz organische Weise mehr und mehr Details hinzukommen. Und ich denke, dass die Freiheit hier wirklich in den kleinen Details liegt. In der Mikrorhythmik etwa oder im Klang.

Auf jeden Fall folgen die Stücke auch auf diesem Album alle ihren eigenen Regeln, im Klang, rhythmisch … Wie entstehen Stücke bei dir? Hast du beim Schreiben immer eine konkrete Idee vor den Augen?

Bild Synesthetic Octet
Synesthetic Octet (c) Astrid Knie

Vincent Pongracz: Das ist verschieden. Manchmal entsteht eine Idee oder eine Skizze, die dann nach einem gewissen Bauplan zu einem Stück ausgearbeitet wird. Andere Stücke wiederum entwickeln sich während des Prozesses. Beim Konzert werde ich ja auch Bilder von mir ausstellen. Und irgendwie ist es bei mir in Bezug auf die Musik ähnlich wie beim Malen von Bildern. Bei der Ausstellung werden Bilder zu sehen sein, von denen ich manche einfach gemalt habe. Bei anderen wiederum orientierte ich mich nach einem Bauplan, und eines ist quasi aus einer visionsartigen Erscheinung entstanden. Je tiefer ich mich in eine bestimmte Materie vertiefe, desto stärker entstehen Bilder in meinem Kopf. Inspirieren können mich dabei verschiedenste Dinge, bestimmte Klänge oder Farben. Und so ähnlich verhält es sich bei mir beim Musikschreiben.

Während dem Schreibprozess von diesem Programm habe ich ein wenig mit selbst auferlegten Schlafentzug experimentiert. Ich habe bewusst weniger geschlafen, um zu schauen, welchen Effekt dieser Zustand auf mich hat. Wobei ich glaube, dass ich es nicht wirklich richtig gemacht habe (lacht). Normalerweise achte ich schon sehr darauf, dass ich einen regelmäßigen Schlafrhythmus habe. Ich war aber vor kurzem auf der jazzahead in Bremen. Und dort war ich wesentlich länger wach als normal und viel, viel mehr als sonst Musik ausgesetzt. Und es war wirklich so, dass ich in diesen Tagen ganz starke Zustände von Inspiration und ganz starke Gefühle für Musik hatte. Das war ein richtiges Aha-Erlebnis.

Inwieweit spielt das Malen in deine Musik hinein?

Vincent Pongracz: Ich glaube eigentlich nicht, dass sich diese Dinge bei mir gegenseitig wirklich bedingen. Arbeite ich graphisch, bin ich auch meistens vom Graphischen inspiriert. Ähnlich ist es bei der Musik. Ich gehe irrsinnig gerne in Museum und schaue mir dort gerne auch alles an. Ich möchte dabei so gut wie möglich ein Gefühl für die Künstlerin oder den Künstler bekommen. Es geht mir dabei auch weniger darum, Inspiration zu bekommen. Vielmehr möchte ich mir ein Bild von deren oder dessen Lebenswerk machen, von dem, was hinter diesem steckt, von dessen Bedeutung, mit welcher Kompromisslosigkeit, sie in ihrem Leben, in ihrer Kunst zu Werke gegangen sind. Das Große, das dahintersteckt, das kann Inspiration sein. Und das spartenübergreifend.

Welche Kompromisslosigkeit wünscht du dir in Bezug auf deine Musik?

Vincent Pongracz: Ich wünsche mir immer mehr, dass alles noch etwas weniger wird, direkter, dass die Dinge noch mehr auf ihre Essenz reduziert sind. Das Meiste ist irgendwie doch konstruiert und folgt einer Gewohnheit. Da vielleicht etwas mehr Tiefe zu gewinnen, ist schon ein Wunsch von mir.
Das Programm ist ja auch schon vor zwei Jahren entstanden und wirkt daher heute teilweise schon etwas konstruiert auf mich. Ich würde es heute vermutlich noch reduzierter gestalten und rhythmisch vielleicht einfacher machen. Aber es ist gerade das neue Quartett-Album entstanden und auf diesem geht es genau in diese Richtung.

Ein markantes Merkmal deiner Musik ist ja auch dein Rap-Stil. Du hast auch keine Texte, sondern rappst in einer Kunstsprache. Wie bis du auf dieses Element in deiner Musik gekommen?

Vincent Pongracz: Ich schreibe ja keine Texte. Wenn jemand gute Texte schreibt und gut rappen kann, dann würde ich auch die- oder denjenigen fragen, ob sie oder er es machen könnte. Es war einfach so, dass ich wissen wollte, wie meine Musik mit Rap klingt, wie Rap auch in 5/8 oder 7/8 Grooves funktioniert, wie er sich verhält. Ich sehe, die Art, wie ich rappe, irgendwie ein wenig auch als Anstoß, wie man rappen kann.

Wie schon angesprochen, passiert in deiner Musik was Rhythmik und stilistische Vielfalt betrifft sehr viel. Gibt es für dich eigentlich irgendeine Grenze, gibt es Dinge, bei denen du sagst, das geht sich aber nicht mehr aus?

Vincent Pongracz: In solchen Fällen schummelt man sich dann einfach irgendwie rüber (lacht) Die Grenze ist wahrscheinlich der Punkt, an dem man das Gefühl hat, dass alles irgendwie out ist und man einen Schritt zurück machen sollte, um die Sache wieder etwas interessanter zu machen. Bei mir ist es so, dass ich musikalisch gerade dort anknüpfen will, was ich selber gerne hören würde, an eine Art Stimmungsmusik, die wirklich eine bestimmte Stimmung transportiert. Also an Musik, die ich auch beim Autofahren hören würde.

Herzlichen Dank für das Gespräch.

Michael Ternai

++++

Synesthetic Octet live
13.05.2024 Porgy & Bess, Wien, Albumrelease

++++

Links:
Synesthetic Octet
Synesthetic Octet (Facebook)
Vincent Pongracz (Instagram)
Jazzwerkstatt Records