„ICH WOLLTE AUF KEINEN FALL EIN GITARRENALBUM MACHEN” – PALE MALE IM MICA-INTERVIEW

Die Wiener Band PALE MALE formierte sich im Jahr 2019 rund um PAUL MALE. Der Gitarrist und Produzent bildet gemeinsam mit dem Drummer JULIAN BERANN (ALICE PHOEBE LOU), dem Bassisten FLORIAN FALTNER (SOIA), dem Gitarristen SEBASTIAN ANTOSCH (MASHIKO) und dem DJ OLINCLUSIVE (SCOOBY DUO) eine Einheit, die es versteht, die sphärischen Welten des Fusion-Sounds mit der Direktheit des HipHop in Einklang zu bringen. Vor kurzem haben PALE MALE ihr Debütalbum „I’ve been away“ veröffentlicht. Clemens Engert sprach mit PAUL MALE über „Picasso-Gesichter“, Improvisation und die Kunst der Zurückhaltung.

Auf eurem Album vermischt ihr gekonnt Digitales mit Analogem. Wie entsteht ein typischer Pale Male-Song?

Paul Male: Im Grunde genommen arbeite ich zuerst eine Zeit lang an Ideen und lasse diese ein bisschen wachsen. Wenn ich dann zu dem Punkt komme, an dem ich ein Gefühl dafür habe, wo die Reise hingehen soll, bringe ich die Band ins Spiel. Ich versuche, das so ökonomisch wie möglich anzugehen, um die Zeit der anderen nicht zu vergeuden. Natürlich ist die Band auch oft schon früher involviert – sie geben mir Feedback und sagen mir, was sie gut oder auch nicht gut finden und in welche Richtung es gehen könnte. Ich höre mir das immer gerne an und versuche, da dann auch mein Ego aus dem Spiel zu lassen, was nicht immer einfach ist [lacht]. Aber im Endeffekt profitieren die Songs eigentlich immer davon.

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Du hast in der Vergangenheit betont, dass Pale Male kein Solo-Projekt mit Auftragsmusikern ist, sondern alle gemeinsam an einer Vision arbeiten. Wie sieht diese Vision aus?

Paul Male: Die Vision sieht, glaub ich, so aus, dass wir nach wie vor versuchen, eine Handschrift zu entwickeln, die fast alles zulässt. Natürlich bewegen wir uns in einem gewissen Genre, aber wir wollen trotzdem sozusagen ein bisschen „aufmischen“ und Grenzen sprengen. Ich bin auch nach wie vor oft über die Rückmeldungen verwundert, die gewisse Songs oder überhaupt das ganze Album auslösen, weil ich doch große Unterschiede zu anderen Acts sehe. Wir sind, so glaube ich, nicht so leicht einzuordnen und darauf sind wir durchaus stolz. Die Vision besteht jetzt aber nicht nur darin, einen „Crossover“ hinzukriegen, sondern auch darin, unseren musikalischen Launen treu zu bleiben und die musikalische Persönlichkeit von jedem Einzelnen so ehrlich wie möglich in unsere Songs einfließen zu lassen. Die Musik soll halt so eine Art Utopie sein, wo alles passt. Auch Fehler sollen ihren Platz haben, aber das geht nur, wenn die Songs es auch zulassen. In diesem Zusammenhang den richtigen Ton zu finden – das ist unsere Vision und unser Credo.

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Was ist genau damit gemeint, wenn du das Album als „Gefühlsporträt“ bezeichnest?

Paul Male: Es geht da um den Versuch, einer Vielfalt von Gefühlen ein Gesicht zu geben – so wie es zum Beispiel meiner Meinung nach die „Picasso-Gesichter“ vermitteln. Mir kommt vor, dass viele Menschen heute dazu tendieren, in sehr einfachen Schemen zu denken. Ich beobachte das auch an mir selbst. Aber so einfach ist es halt nicht. Wir haben alle eine Riesen-Palette an Gefühlen in uns und diese Gefühle verdienen eigentlich alle einen Song – zumindest dann, wenn man ein authentisches „Gefühlsporträt“ malen will.

Die Single „Movin Fast“ ist eine Kollaboration mit Soia, für die du ja auch als Gitarrist tätig bist. Auf „Shortcuts“ ist unter anderem der Londoner Rapper Jahson The Scientist zu hören. Nach welchem Gesichtspunkt wählst du die jeweiligen Gast-Sängerinnen und -sänger bzw. -Rapperinnen und Rapper aus?

Paul Male: Also zuerst muss der Song nach einem Feature schreien. Das heißt, ich muss das Gefühl haben, dass da eine Stimme als Instrument hinmuss, weil alles andere komisch wäre. Alles Weitere ist dann eine Mischung aus Intuition und Möglichkeit. Meistens fällt mir irgendwann jemand ein, der oder die auf den Track passen würde. Wirklich suchen musste ich bis jetzt noch nicht – es gibt Gott sei Dank sehr viel tolle Künstlerinnen und Künstler in meinem Umfeld.

Hast du vorher schon eine genaue Vision, wie ein Feature für den jeweiligen Song aussehen sollte, oder entsteht da auch viel spontan in der gemeinsamen Interaktion?

Paul Male: Da entsteht viel in gemeinsamer Interaktion. Ich liebe die Arbeit mit Sängerinnen und Sängern und ich liebe es, an Chören zu basteln und Melodien zu finden. Natürlich hab ich oft schon einen Grundriss im Kopf – das ist aber oft auch nur ein gewisser Vibe, der meistens vom Beat übermittelt wird. Beim Song „Fruity“ habe ich zum Beispiel zu Fabian (Anm.: Fabian Bachleitner von der Band Belle Fin) gesagt, er soll sein Gedicht so vortragen und aufnehmen, als ob es keine Musik dazu gäbe. Damit wollte ich eine Art „Sample“-Effekt erschaffen – das war wieder ein ganz neuer Zugang.

„Mir war es wichtig, Musik zu machen, die ausgeglichen ist. Ohne große Eitelkeiten.“

Du hast Jazz-Gitarre studiert. Welche Rolle spielt Improvisation in der Musik von Pale Male?

Paul Male: Die spielt schon eine große Rolle, auch wenn es mittlerweile Rahmenbedingungen dafür gibt. Viele Ideen entstehen durchs Jammen und auch im Live-Set gibt es viele Improvisationsparts. Aber es sind jetzt halt doch Songs mit gewissen Strukturen und dynamischen Abläufen geworden. Improvisation ist für mich ein Teil eines großen Ganzen – ein Teil, der nicht fehlen darf, aber auch nicht die ganze Zeit im Mittelpunkt steht. Ich finde, wenn ein dynamischer Kniff aufgeht, ist das genauso geil wie ein brillantes Solo. Im besten Fall fühlt es sich immer so an, als könnte es gar nicht anders sein – egal ob improvisiert oder nicht.

Man hat bei den einzelnen Songs nie das Gefühl, dass die Gitarre als „Mittel zum Zweck“ eingesetzt wird, sondern sie fügt sich immer sehr gut in das jeweilige Klangbild ein und setzt zur richtigen Zeit Akzente. Muss man als guter Musiker auch wissen, wann man sich zurückhalten sollte?

Paul Male: Danke, das freut mich zu hören. Ja, das finde ich ganz wichtig. Vor allem wollte ich auf keinen Fall ein Gitarrenalbum machen. Mir war es wichtig, Musik zu machen, die ausgeglichen ist. Ohne große Eitelkeiten. Wenn ich in einem Song ein Bombensolo einspiele, kann ich zwar nicht leugnen, dass sich meine eitle Seite meldet, aber das ist kein Charakterzug, dem ich ein ganzes Album widmen will. Niemand mag Abende, an denen eine einzelne Person nur von sich redet. Da braucht es dann halt die richtigen Gegenparts, die ebenfalls etwas zu erzählen haben oder auch mal sagen: „Nix für ungut, aber bitte halt die Pappn!“ [lacht]

Welche Gitarristen bewunderst du besonders?

Paul Male: Da fallen mir vor allem Pat Metheney, Isahia Sharkey, John Scofield und auch mein andkollege Sebastian Antosch ein.

Steht für dich persönlich in nächster Zeit auch wieder Arbeit für andere Projekte an oder wirst du dich vor allem auf Pale Male konzentrieren?

Paul Male: Beides! Ich arbeite derzeit so gerne und es läuft so gut, dass ich versuche, nichts auszusparen. Aber natürlich wird es immer einen speziellen Fokus auf Pale Male geben.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Clemens Engert

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