„Ich will sowieso nie picken bleiben“ – ALEX DEUTSCH im mica-Interview

Der Schlagzeuger, Produzent und Labelbesitzer ALEX DEUTSCH feiert Anfang März drei Abende lang „40 Years of Smoking Drums“ im Wiener PORGY & BESS. Petra Ortner sprach mit ALEX DEUTSCH über sein vierzigjähriges Jubiläum als Schlagzeuger, seine großartigen Gäste und vieles mehr.

Vierzig Jahre auf der Bühne. Können Sie diese Zeit in drei Sätzen zusammenfassen?

Alex Deutsch: Jetzt haben Sie gleich etwas Arges gefragt. Sie sagten vierzig Jahre auf der Bühne. Wenn es darum ginge, dann könnte ich schon mein fünfzigjähriges Jubiläum feiern. Denn mein erstes Instrument war das Akkordeon. Das zu spielen hat mir mein Papa beigebracht. Und damit hatte ich als kleiner Bub gemeinsam mit meinem Papa, der dazu Zither gespielt hat, Auftritte bei Muttertagsfeiern und so Sachen [lacht]. Ich bin also schon länger auf der Bühne. Am Schlagzeug sind es vierzig Jahre. Die Zeit in drei Sätzen: Immer noch gleich aufgeregt und aufregend wie beim ersten Mal. Immer noch ein Gefühl wie das eines vierjährigen Buben in der Sandkiste, der mit dem roten Traktor seines Freundes spielen darf. Und es ist immer noch ein wunderschönes kollektives Erlebnis mit Publikum. Wo es eigentlich um Energie und Magie geht. In Wahrheit. Um nichts sonst. Nicht um richtige oder falsche Noten.

Leidenschaft und Begeisterung gibt es also beim Livespielen.

Alex Deutsch: Ja, dort ist das am unmittelbarsten spürbar. Ich bin aber ein Freak, wenn ich im Studio arbeite. Ich finde die Situation in einem Studio völlig pervers. Da gehen Musikerinnen und Musiker, die ja eigentlich Musik für die Menschen machen, in irgendein Loch, sperren sich dort ein und außer irgendeinem völlig gestörten Typen, der permanent in diesem Loch sitzt [lacht], ist sonst keiner dort. Und die wollen dann vielleicht einen Sound machen, den sie nur für das „Publikum“ machen. Ich liebe es, wenn ich in ein Studio gehe – egal ob mit meinen eigenen Sachen oder mit wem auch immer –, mir ein Publikum dorthin einzuladen. Ich habe schon Recording-Sessions gemacht, da habe ich das Publikum in den Recording-Raum gesetzt. Das macht einen Unterschied. Beim Aufnehmen vergisst man manchmal etwas. Man wird ganz komisch, hört schon das Gras wachsen und versteift sich auf Sachen, die keine Sau mehr hört und kein Schwein interessieren. Wenn Publikum da ist, und wenn es nur einige der besten Freundinnen und Freunde von irgendwem sind, dann hat alles eine ganz andere Ebene. Dann ist meiner Meinung nach alles wieder dort, wo es gesund ist.

Sie haben drei Tage mit fünfzehn kleinen Konzerten und drei Sessions im Porgy & Bess geplant. Wie lange haben Sie an dem Programm gearbeitet?

Alex Deutsch:
Daran arbeite ich seit einem Jahr. Es ist nämlich unglaublich schwierig, so eine Menge an Musikerinnen und Musikern zur selben Zeit an denselben Platz zu bringen. Die sind alle extrem gut und immer beschäftigt [lacht] und da geht sich eine Planung von nur einigen Wochen nicht aus. Ich habe wirklich vor einem Jahr damit begonnen und trotzdem hat Jamaaladeen [Tacuma; Anm.] den Termin „versumpert“ [lacht].

„Ich spiele mit ein paar Künstlerinnen und Künstlern, mit denen ich schon immer mal etwas machen wollte.“

Wie oft wird dafür geprobt beziehungsweise wie oft kann geprobt werden?

Alex Deutsch: Das ist von Künstler zu Künstler und von Projekt zu Projekt verschieden. Mit Café Drechsler haben wir nun zehn Jahre nicht mehr gemeinsam gespielt. Und da freue ich mich darauf, dass wir das genauso wie immer machen werden. Keinen Ton üben, sondern nach den zehn Jahren einfach „nackt“ raus auf die Bühne und los, bam! Da gibt es ein paar solche. Ich spiele mit ein paar Künstlerinnen und Künstlern, mit denen ich schon immer mal etwas machen wollte. Ich kenne sie zwar, aber bisher hat sich noch keine Zusammenarbeit ergeben. Jetzt verwende ich meine Konzertreihe natürlich auch als guten Grund dafür, endlich auch mal was gemeinsam zu machen. Dazu gehören zum Beispiel Kama Kamila aus Tel Aviv, Lilith und so weiter. Da werden wir eher eine Art verlängerten Soundcheck machen. Sie haben schon mal die Songs geschickt, die sie machen wollen. Mit Kama wird es in Richtung Improvisation gehen. Dann gibt es Gäste wie Harry Sokal, Wolfgang Muthspiel, Peter Herbert oder Raphael Wressnig, mit dem ich schon seit einigen Jahren in der Besetzung, die auf der Bühne sein wird, spiele. Da müssen wir nicht mehr wirklich proben. Mit meiner neuen Band Alex & The Candy Killers probe ich schon seit Monaten, weil mir wichtig ist, dass der Auftritt richtig gut wird.

Was war die größte Herausforderung beim Zusammenstellen des Programms?

Alex Deutsch: Die größte Herausforderung war, möglichst viele der tollen Musikerinnen und Musiker und lieben Menschen, mit denen ich in den letzten vierzig Jahren arbeiten durfte, an drei Tagen gebündelt an einen Platz zu bringen. Da geht es nicht nur um fünf, sechs Leute, da geht es um zig Menschen [lacht]. Und dann war es herausfordernd, ein Programm zusammenzustellen, das auch ein wenig stimmig ist. Wo es jeden Abend ein paar Schwerpunkte gibt.

„Es gibt Dinge, die machen dann auch etwas mit einem.“

Woher kommt der Groove in Ihrem Spiel? Ich traue mich wetten, Ihr Schlagzeugspiel aus tausend anderen herauszukennen. Sie haben da etwas ganz Spezielles, Eigenes.

Bild Alex Deutsch
Alex Deutsch (c) Mirjam Koch

Alex Deutsch: Danke, Sie sind ein Schatz [lacht]. Ganz ehrlich, das ist das, was mich schon immer beschäftigt und bewegt hat. In meinen jungen Jahren habe ich ja sehr viel Jazz gespielt und war mit ganz berühmten Jazzmusikern in ganz Europa unterwegs. Ich habe viele amerikanische Bands – nicht nur Jazzbands, sondern auch Soul-, Funk-, R‘-n‘-B- und Hip-Hop-Bands – gehört. Da dachte ich immer: „Bist du deppert, wie geil grooven die eigentlich!? Das gibt es doch gar nicht!“ Ich ging dann nach Amerika, um dem Geheimnis dieses Grooves auf die Spur zu kommen – und blieb acht Jahre dort. Ich habe lange gebraucht, um zu kapieren, was man da tut und was da so alles geht. Ich spielte mit so vielen Menschen wie möglich. Ich hatte das Glück, dass ich zum Beispiel den Keyboarder meiner amerikanischen Band Pink Inc., Thelma Brown, der bei Jaco Pastorius, Peter Gabriel, Sting und Tracy Chapman gespielt hat, dabeihatte. Der war so lieb und hat sich mit mir in meinen Proberaum in New York stunden-, tage- und wochenlang eingesperrt. Nur ich am Schlagzeug und er am Keyboard, um den Groove zu üben. Das geschieht natürlich nicht alle Tage. Es gibt Dinge, die machen dann auch etwas mit einem. Wichtig ist auch die Liebe. Also ich liebe es einfach, Menschen zum Tanzen zu bringen. Das Bild vor mir zu sehen, dass die Leute Spaß haben, tanzen, sich bewegen. Das ist für mich wunderschön.

Und beim Jazz wollten Sie nie picken bleiben?

Alex Deutsch: Nein. Ich will sowieso nie picken bleiben [lacht].

Sie finanzieren die Abende im Porgy & Bess durch Crowdfunding. Wie sind sie darauf gekommen?

Alex Deutsch: Ich habe einen lieben Freund getroffen, der sich PR- und marketingmäßig ziemlich gut auskennt. Ich sage jetzt nicht, dass ich mich nicht gut auskenne, aber er tut das auch. Ich sagte zu ihm: „Du, ich brauche noch zur Sicherheit einen Sponsor für fünftausend Euro.“ Er meinte darauf: „Vergiss es. Es gibt etwas, da bekommst du hunderttausend Euro leichter als fünftausend. Eine wirklich gute Crowdfunding-Plattform, kulturell ausgerichtet. Vielleicht ist das was für dich.“ So habe ich mich schließlich darauf eingelassen. Hier geht es für mich nicht nur um eine Absicherung finanzieller Art, mit dem Crowdfunding kann man zusätzlich noch klasse Wirbel um die Geschichte machen. Mein größtes Anliegen ist, dass die Bude an allen drei Tagen voll ist.

Sie bieten auf der Crowdfunding-Seite unter anderem auch Wohnzimmerkonzerte an. Würden Sie solche Konzerte auch so mal geben? Eine Wohnzimmerkonzerttour machen, vielleicht?

Alex Deutsch: Klar! Habe ich auch schon oft gemacht. Natürlich.

Was ist daran besonders spannend?

Alex Deutsch: Ich spiele gerne auf Festivals, auf großen Bühnen. Das ist super. Vor allem liebe ich den Sound auf so großen Bühnen. Was ich aber an so kleinen Sachen und speziell an Wohnzimmer-Settings mag, ist die Intimität. Dass man an den Menschen so nahe dran ist. Oft sind das Menschen, die man auch etwas besser kennt, und das hat dann eine ganz spezielle Energie. Das mag ich irrsinnig gerne.

„Als ich jung war, hatte ich niemanden, der mir geholfen hätte, meine Energien und Talente ein wenig zu bündeln, und mir gezeigt hätte, wo die Fenster und Türen sind.“

Sie sind nicht nur Musiker, sondern auch Produzent und Labelbesitzer. War es Ihr Anliegen, selbst zu produzieren und ein eigenes Label zu haben, oder hat sich das im Laufe der Zeit so ergeben?

Alex Deutsch: Ich habe ja mal Fagott studiert, bin also tief in die Klassik eingetaucht. Irgendwann in den Neunzigerjahren bin ich in New York in meinem Garten gesessen. Mir hatte jemand zehn Tage zuvor eine dreimonatige Tour abgesagt und ich saß da plötzlich vor einem Loch und dachte: „Ich will nie mehr von diesem Scheißtelefon abhängig sein. Ob jetzt wer anruft und mich braucht oder nicht.“ Ich habe zwar auch immer meine eigenen Bands betrieben, aber die Situation hat mir so nicht gefallen. Also habe ich all die Visitenkarten, die ich so hatte, rausgekramt, vor mir auf den Tisch gelegt, sie angesehen und gedacht: „Eigentlich könnte ich auch Musikproduzent sein. Ich kenne mich in verschiedensten Musikstilen aus, mich interessiert der musikalische Gestaltungsprozess, ich kann Leute gut motivieren und in eine Welt hineinholen.“ Ich habe mich dann dazu entschlossen, das zu machen. Das war das eine. Ich mache aber auch Musikmanagement beziehungsweise Artist-Development, denn das finde ich wichtig. Als ich jung war, hatte ich niemanden, der mir geholfen hätte, meine Energien und Talente ein wenig zu bündeln, und mir gezeigt hätte, wo die Fenster und Türen sind. Wo es draußen tausend Meter runtergeht oder wo es drei Meter hinaufgeht [lacht]. Ich musste mir selbst gehörig oft die Birne anhauen, was nicht schlecht war. Aber ich glaube, dass man es heutzutage als Künstlerin beziehungsweise Künstler fast nicht schaffen kann, wenn man nicht jemanden hat, der einem hilft, der nicht nur Know-how zur Verfügung stellt, sondern vor allem auch Netzwerke. Die ganze Maschine rundherum. Und das auf dem höchsten Level, auf dem es irgendwie geht. Nur dann hat man überhaupt noch eine Chance, dass man es schafft. Ich gebe jungen Talenten ein wenig von dem zurück, was ich selbst nie hatte.

Eine allerletzte Frage noch: Beatles oder Stones?

Alex Deutsch: Rolling Stones! With my most favorite guitar freak Keith!

Herzlichen Dank für das Gespräch.

Petra Ortner

Termin:
Alex Deutsch – 40 Years of Smoking Drums: 4.–6. März 2016, Wien, Porgy & Bess

Link:
Alex Deutsch