Eben hat Simon Usaty mit seinem neuen Projekt COUNT OUT CEILI BAND das Album „Eating People Is Wrong“ veröffentlicht: Jürgen Plank hat mit dem Musiker über Humor im Zusammenhang mit Popmusik genauso gesprochen wie über THE HUMAN LEAGUE und andere popkulturelle Querverweise, die „Eating People Is Wrong“ andeuten könnte. Und Simon Usaty erzählt, dass er die Lockdowns der Corona-Pandemie im Jahr 2020 genutzt hat, um das neue Projekt zu starten. Welche Umsetzung live möglich wäre, ist ebenso Thema des Interviews.
Bei deinem Vorgänger-Projekt PROTESTANT WORK ETHIC hattest du Singer-Songwriting-Ansätze am Start, gemischt mit Elektronik. Beim neuen Projekt bist du sehr in Richtung Elektronik gegangen, wie war diese Entwicklung für dich?
Simon Usaty: Im Grunde hat es mich schon immer interessiert, andere Formen zu probieren und andere Werkzeuge. Ich mache aktuell nicht grundsätzlich etwas anderes als mit PROTESTANT WORK ETHIC. Es ist halt ein anderer Zugang, aber ich versuche das umzusetzen, was mich an Musik interessiert. Was ich schon länger im Kopf hatte, dann wirklich auch zu starten: dafür hat sich das Jahr 2020 angeboten und ich habe mich damals für ein paar Monate intensiver in neue Ideen eingearbeitet.
Hast du in der Folge vorhandene Instrumente verwendet oder hast du dir alte Synthies zugelegt? Welchen „Fuhrpark“ hast du eingesetzt?
Simon Usaty: In den Jahren davor habe ich mich schon dafür interessiert, wie die Instrumente funktionieren, und habe ein paar ältere Synths angekauft. Auch um herauszufinden, wie sie funktionieren und was man damit machen kann.
Sind das Moogs oder auch der DX7 von Yamaha?
Simon Usaty: Der DX7 tatsächlich. Der wurde damals in so großer Stückzahl produziert, dass er heute noch total erschwinglich ist. Ich glaube, ich habe einen für rund 300 Euro gekauft. Moog kann man sich als normaler Mensch kaum noch leisten. Aber ich habe auch einen amerikanischen Mono-Synth aus den frühen 1980er-Jahren dabei, der großartig klingt und total schräge Sounds machen kann. Man kann damit gut experimentieren.
Was war für dich der größte Spaß an der Arbeit mit den Sounds dieser Instrumente?
Simon Usaty: Die Auseinandersetzung mit den Sounds und den Instrumenten hat mir die Chance gegeben, zu verstehen, wie das alles funktioniert. Warum es anders klingt, je nachdem an welchem Knopf ich drehe. Ich finde es inzwischen total faszinierend, das nachvollziehen zu können. Ich will nicht studieren, wie man das Zeug baut, aber ich möchte es bewusster verwenden. Das hat schon viel Potenzial.
Ich habe mich gefragt, ob bei dieser Produktion auch Artificial Intelligence mit an Bord war?
Simon Usaty: Das nicht, nein. Mit AI habe ich mich noch nicht konkret auseinandergesetzt.Aber aleatorische Prozesse beim Musikmachen finde ich spannend: den Zufall entscheiden zu lassen, wie Melodien oder Rhythmen entstehen. Das finde ich spannend und da gibt es gerade im elektronischen Musikbereich coole Tools, mit denen man experimentieren kann.
„ES IST MEINE ERSTE PLATTE, DIE ICH GANZ ALLEINE GEMACHT HABE UND DAS WORT BAND IM NAMEN VORKOMMEN ZU LASSEN, FAND ICH LUSTIG“
Ich mag Humor in der Pop-Musik durchaus und finde du zeigst – allein schon mit dem Namen der Band – einen Sinn dafür: COUNT OUT CEILI BAND. Denn céilíist ein Begriff aus dem irisch-schottischen Raum für ein Zusammenkommen, bei dem auch Musik und Tanz passieren kann. Sehr analog im Vergleich zu deiner Musik. Wolltest du da einen Kontrapunkt setzen?
Simon Usaty: Genau. Es ist meine erste Platte, die ich ganz alleine gemacht habe, und das Wort Band im Namen vorkommen zu lassen, fand ich lustig. Mich fasziniert die Musik von diesen céilí-Bands, die würden eher den Blaskapellen bei uns entsprechen. Ich finde es cool, dass du Humor ansprichst, weil ich Humor tatsächlich wichtig finde und mir bei aktuelleren Musik-Projekten Humor eher abgeht. Da geht es oft zu ernst zu. Ich will nicht blödeln, aber etwas auf verschmitzte Art zu machen, finde ich schon sehr gut. Der Album-Titel verweist auch dorthin.
Du hast also wirklich alles selbst eingespielt? Auch alle Stimmen gesungen?
Simon Usaty: Bei der Platte habe ich alles selbst gespielt. Das Mastering hat wieder Martin Siewert gemacht, mit dem ich schon sehr lange zusammenarbeite. Die Stimmen sind auch alle von mir und ich habe zum ersten Mal selbst Schlagzeug gespielt.
Ein richtiges Schlagzeug-Set oder war das ein elektronisches Schlagzeug?
Simon Usaty: Es kommen am Album auch viele synthetische Drum-Sounds vor, aber bei ein paar Nummern habe ich ein echtes, normales Schlagzeug gespielt.
Du warst also formal nicht streng und hast beide Varianten zugelassen.
Simon Usaty: Genau, für mich sind die elektronischen Instrumente zum Großteil neue Werkzeuge, um das umzusetzen, was ich im Kopf habe. Aber ich bin da überhaupt nicht dogmatisch, es kommen auch Banjos vor, auch wenn man sie kaum hört. Oder akustische Gitarren.
Du singst auf dem Album relativ selten, ich vermute du hast genau überlegt, wann die Stimme zum Einsatz kommt – wie im Lied „King Moro“ – und wann eben nicht.
Simon Usaty: Ich wollte größtenteils instrumentale Musik machen, auch wenn Stimmen manchmal wie ein Instrument verwendet werden – ohne Text. Bei ein paar Stücken hat es sich aufgedrängt, einen Einzeiler zu singen, und bei einem Lied gibt es tatsächlich Strophen.
Wenn dann aber eben ein Einzeiler vorkommt, dann ist dieser genau gesetzt und wiegt sozusagen schwerer als Gesang mit mehreren Strophen bei jedem Lied.
Simon Usaty: Im ersten Lied „They are coming here to get what’s ours“ gibt es einen kurzen Text. Das ist natürlich eine bewusste Verdrehung, die hoffentlich als ironisch erkannt wird. Der Text lautet: don’t fear them, fear the history books. Text und Titel stammen von Demo-Plakaten, die ich mal irgendwo gesehen habe. Da ging es um Migration und das Illegalisieren von Migration. Don’t fear them, fear the history books ist, finde ich, eine ausdrucksstarke Verkürzung.
Migration und Flucht sind Themen, mit denen ich mich auch immer wieder beschäftige. Es gibt ein tolles Buch, in dem es um Abschiebungen geht und der Autor zieht den Vergleich, dass es irgendwann absurd sein wird, Leute mittels Abschiebung zwangsweise irgendwohin zu verfrachten. Ebenso ist es heute absurd, dass bis Ende des 19. Jahrhunderts Menschen nach einem Verbrechen von ihrem Wohnort verbannt wurden.
Du hast auf deinem YouTube-Kanal auch einen Hinweis zu Organisationen, die im Zusammenhang mit Flucht tätig sind.
Simon Usaty: Ich habe eine kleine Auswahl, Amnesty International bzw. Sea-Watchgenannt, das sind private Organisationen, die bei der Seenotrettung wichtig sind, die von Staaten zum großen Teil bewusst nicht mehr geleistet wird. Das führt dazu, dass Menschen beim Versuch sterben, ins reiche Europa zu kommen, das immer mehr abgeschottet wird.
„ES IST OFT SO, DASS ICH EINEN LIEDTITEL HABE, BEVOR ICH NOCH DIE MUSIK HABE.“
Ich hatte den Eindruck, dass du in die Titel der Lieder auch eine Erzählung verpackst, die man sich aber selbst vorstellen muss. War das die Idee hinter Songtiteln wie „I Distinctly Remember Forgetting Your Name“ oder „Next Stop Rocket Science“?
Simon Usaty: Deine Interpretation gefällt mir auf jeden Fall. Ich finde Songtitel zu schreiben, total anregend. Es ist oft so, dass ich einen Liedtitel habe, bevor ich noch die Musik habe. Oft sind das Zitate oder abgewandelte Zitate aus Büchern, die mir unterkommen und die ausdrucksstark sind oder die ich verdichte. Ein Titel macht also mitunter schon Raum für Interpretationen auf.
Insgesamt hast du aus meiner Sicht ein Album gemacht, dass du mitten in die Pop-Kultur hineingesetzt hast. War das ein Ansatz von dir oder hat sich das ergeben?
Simon Usaty: Teils, teils. Es war schon bei PROTESTANT WORK ETHIC so, dass mich halt viele Dinge an Büchern, an anderen Bands faszinieren, die ich dann für mich auswerte und umsetze. Ich würde mal sagen, dass ich das ohnehin immer so mache. Hier ist es vielleicht augenfälliger, was mich freut.
Um mit den für mich neuen Synthies umzugehen, habe ich natürlich auch YouTube als Informationsquelle verwendet und ich fand es faszinierend, welche Videos mir der Algorithmus dann vorgeschlagen hat. Ziemlich viele Kurse, wie man Techno-Songs schreibt und worauf man dabei achten muss. Ein Titel ist mir in Erinnerung geblieben, weil ich den Anspruch so schön finde: „how to make your bass-lines less boring“. Dieses Video habe ich mir aber nicht angeschaut.
Musikalisch musste ich mit deinem Album das Album „Dare“ von THE HUMAN LEAGUE aus dem Jahr 1981 querhören. Ist so ein Querverweis für dich als Bezugspunkt relevant?
Simon Usaty: Ich kenne das Album wahrscheinlich auszugsweise. Ich finde THE HUMAN LEAGUE oder Sachen aus einer ähnlichen Richtung total spannend. Deren Endergebnis waren ja oft Pop-Songs, auch wenn sie viele Überlegungen angestellt haben, unter welchen Bedingungen sie Musik machen. Es gibt da auch ein Manifest, es besagt, dass THE HUMAN LEAGUE elektronische Instrumente als Möglichkeit sehen, Musik zu machen, ohne ein Instrument gelernt zu haben. Musik zu machen und überhaupt ein Instrument zu erlernen, war lange Zeit oberen Gesellschaftsschichten vorbehalten, die sich die Freizeit dafür leisten konnten. Wenn der Synthesizer aber das spielt, was ich möchte, dann muss ich nicht jahrelang ein Instrument gelernt haben.
Das ist also eine Demokratisierung des Musikmachens.
Simon Usaty: Es gab dazu auf jeden Fall solche Ansätze. Zum Teil haben elektronische Musikinstrumente jedenfalls dieses Potenzial.
Über historische Synthesizer und THE HUMAN LEAGUE haben wir schon gesprochen, für mich hat auch dein Album-Titel „Eating People Is Wrong“ sofort zu einer popkulturellen Assoziation geführt, nämlich zum Film „Soylent Green“, in dem aus Menschenfleisch Nahrung hergestellt wird und in dem am Ende der folgende Satz fällt: soylent green is people.
Simon Usaty: Den Titel des Albums habe ich mir von einem Roman des Schriftstellers Malcolm Bradburyausgeborgt. Der Roman ist eine Satire und spielt in Großbritannien an einer kleinen Universität in den 1950er-Jahren. Der Inhalt des Buches hat nicht wirklich etwas mit meiner Musik zu tun, aber dieser überspitzte, ironische Titel hat mich total fasziniert. Deswegen habe ich ihn mir ausgeborgt.
Wie wirst du denn die Musik live umsetzen? Oder hast du das nicht vor?
Simon Usaty: Ich habe es schon vor, ich bin noch nicht ganz so weit, aber ich bin schon länger dabei an einem Set zu basteln, Modular-Synthesizer zu verwenden, um zumindest in die Nähe der Klänge auf der Platte zu kommen. Was ich sehr gerne machen würde, wäre eine Verbindung mit Projekten von Werner Kitzmüller, mit dem ich auch schon lange Musik mache. Er ist ein großartiger Sänger und Songwriter, der bei seinen Sachen auch immer wieder elektronische Instrumente und Einflüsse verwendet. Da gibt es Perspektiven, diese Ansätze zu verbinden. Werner und ich sind in der Startphase der Ausarbeitung der Live-Umsetzung.
Herzlichen Dank für das Interview.
Jürgen Plank
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