2019 veröffentlichte die Wiener Musikerin und Schauspielerin PIPPA GALLI alias PIPPA ihr Debütalbum „Superland“. Ein deutschsprachiges Pop-Album, das in klarer Sprache über unsere weniger klare Welt berichtet. Am 28. August wird ihr zweites Album „Idiotenparadies“ (Las Vegas Records) erscheinen. Zwei Singles wurden bereits veröffentlicht, in denen augenzwinkernd Gesellschaftsphänomene, aber auch eine Dystopie besungen werden. Dass wir uns nur zwei Monate nach dem Release der Nummer tatsächlich in einer dystopischen Welt befinden würden, hätte bis vor Kurzem kaum jemand für möglich gehalten. Mit Julia Philomena sprach die Künstlerin von ihrem neuen Album als ungeplantem „Soundtrack zur Krise“, über die Bühne als eine Art Zuhause und über die Intimität einer Konzert-Performance ohne den Schutz, den eine Theaterfigur bietet.
„Egal“ heißt deine neue Single. Eine Hommage an die Gleichgültigkeit oder doch eher eine Kampfansage?
Pippa Galli: Egal ist beides. Egal heißt ja auch „ausgewogen“ bzw. „weder Plus noch Minus“. Genauso kann man den Text verstehen. Die Gleichgültigkeit macht mir wirklich Angst. Sie kommt vielleicht aus einer Überforderung oder Reizüberflutung, vielleicht weil es unserer Überflussgesellschaft an nichts mangelt und es dadurch schwer ist, Empathie aufzubringen? Ich weiß es nicht. Gleichzeitig stelle ich mir in „Egal“ auch die Frage, wie wichtig manche Dinge wirklich sind und ob es für die eigene Flexibilität nicht manchmal besser wäre, die Pläne über Bord zu werfen und auf den Augenblick zu vertrauen. Raum für Zufälle muss man schaffen.
Im Video spielst du stark mit Stigmen aus der Hipster-Popkultur: Es gibt einen Einhorn-Luftballon, das Chips-Sackerl, aus dem du mit Sushi-Stäbchen isst, und als Sinnbild für den perfect beachbody einen Hometrainer, auf dem aber lust- und antriebslos gesessen wird. Der Overall, den du trägst, erinnert an eine Uniform und die weite Kulisse an eine tiefe, aber doch leere Seele. Ein Zeitgeist, der inspiriert oder mehr irritiert?
Pippa Galli: Der Zeitgeist ist spannend für mich. Trends werden ja vorwiegend im Untergrund, in einer Subkultur und auf der Straße geboren und wirken von dort aus in den Mainstream hinein. Ursprünglich, glaube ich, ist das ein jeweils sehr individueller Ausdruck, der dann, hat er sich erst mal in der Masse breitgemacht, zum Konformismus wird. Man will irgendwie wo dazugehören, ist ja auch nachvollziehbar. Ich finde da oft auch Sachen für mich, die mich sehr ansprechen und die ich in meine Ästhetik integrieren mag. Solange man sich dessen bewusst ist, finde ich das voll okay. Merkwürdig wird es für mich dann, wenn plötzlich alle mit denselben Schlapfen, derselben Brille und derselben Mütze rumlaufen – in dem Glauben, es wäre originär.
Ist das eine Kunstfigur, die du als PIPPA kreierst? Eine Rolle, die du als Schauspielerin verkörperst? Oder ist PIPPA vor allem Pippa Galli?
Pippa Galli: Nein, keine Figur. Das bin ich. Aber ich kann viel sein, so wie jede bzw. jeder viel sein kann. Ich fände es voll fad, wenn ich das, was vielleicht mal funktioniert hat, bis zum Ende durchziehen müsste. Da würde ich mich sehr eingeschränkt fühlen, glaube ich. Ich will mir auch, so gut es geht, keine Vorbilder nehmen, weil ich ja auf der Suche nach meinem eigenen Ausdruck bin. Aber unweigerlich fließen sicher Impulse von außen mit rein. Das ist ja auch schön. Ich liebe Amanda Palmer, Billie Eilish, Fiona Apple, Kate Bush, Lady Gaga, Tommy Cash, aber auch Bands wie die Beatles, Nirvana und Element oft Crime. Also sehr breit gefächert!
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Für „Egal“ hast du mit der Rapperin Nora Mazu zusammengearbeitet. Wie kam es dazu? Und spielen Feminismus und Empowerment für dich eine Rolle?
Pippa Galli: Feminismus spielt immer eine Rolle. Ich bin von meiner Mutter in einem starken frauenrechtlichen Bewusstsein erzogen worden und so lebe ich auch mein Leben. Die Entscheidung zur Collab mit Nora war aber einfach eine für sie als Künstlerin, weil sie mir taugt und nicht weil sie eine Frau ist.
Deine letzte Single „Dystopia“ ist im Februar erschienen und hat kritisch schmunzelnd einen Blick auf unsere Gesellschaft geworfen. „Wo ist die schöne neue Welt, wo ist die Antwort ohne Geld?“, fragst du dich. Hast du für dich eine Antwort gefunden?
Pippa Galli: Ich glaube, für eine Antwort braucht es Umbrüche im großen Stil. Die aktuelle Corona-Krise wäre da sicher eine Chance, aber vielleicht braucht es noch mehr. Ich denke, der Mensch muss den Glauben an sich finden, damit so Dinge wie das bedingungslose Grundeinkommen möglich werden. Im Moment traut sich unsere Gesellschaft das nicht zu, wir sind so in diesem Leistungstrott gefangen, dass wir nicht zu träumen wagen. Wir knüpfen unsere Existenzberechtigung an Arbeit und Leistung. Aber was ist Arbeit? Wer definiert sie und ihren Wert? Kunst zum Beispiel wird von vielen Menschen nicht als Arbeit anerkannt und ist es dennoch. Ohne Kunst gäbe es keine Kultur und somit keine Gesellschaft. Denken ist auch Arbeit und braucht Ruhe.
„Pläne muss man aber manchmal umschmeißen können […]“
Zur Dystopie ist die Welt in den letzten Wochen in der erzwungenen Corona-Isolation ja leider tatsächlich geworden. Wie gehst du als Künstlerin, aber auch als Mensch damit um? Haben sich für dich gewisse Ansichten, Denkweisen, Lebenseinstellungen verändert?
Pippa Galli: Ja, so Ereignisse, die alles aushebeln, sind immer wertvoll. Denn ich glaube, ein großes Problem, das viele – mich eingeschlossen – betrifft, ist mangelnde Flexibilität. Ich plane gerne alles durch: meine Arbeit und Freizeit. Es wirft mich schnell aus der Bahn, wenn ich diesen Plan dann nicht so durchziehen kann. Pläne muss man aber manchmal umschmeißen können, sonst nimmt man sich selber die Chance, auf neue Möglichkeiten und neue Wege zu stoßen. Da war und ist diese Krise eine wunderbare Lehrmeisterin. Abgesehen davon verlagern sich natürlich die Prioritäten. Erfolgsstreben rückt in den Hintergrund. Familie ist wichtiger als je zuvor und die Musik und das Songschreiben – nur mit mir, ganz allein – sind auch total wichtig. Das ist so schön zu sehen. Kreativität ist immer wichtig und es ist völlig egal, ob das gerade viele mitbekommen. Es geht um den Prozess.
Auch dein Album-Release hat sich aufgrund der Krise verschoben. „Idiotenparadies“ wird nun erst am 28. August erscheinen. Was denkst du über diese Verzögerung?
Pippa Galli: Zuerst hat es wehgetan, den alten Plan loszulassen und nicht zu wissen, ob es überhaupt Sinn macht, das Album herauszubringen. Ob es hineinpasst in eine pandemische Zeit. Aber jetzt fühlt sich das alles sehr gut an so. Der neue Plan sozusagen. Die Verschiebung war, denke ich, die richtige Entscheidung, auch wenn die Krise Ende August ja sicher noch nicht vorbei sein wird. Ich bekomme öfter das Feedback, dass die Songs gerade thematisch gut passen. Wie so eine Art Soundtrack zur Lage. Die Leute wollen ja Musik hören. Ich glaube, „Idiotenparadies“ wird dann jedenfalls gut zum Frühherbst passen. Das große Fragezeichen um die Live-Gigs und mein Release-Konzert bleibt aber bestehen.
„Momentan bin ich wirklich sehr positiv überrascht von dem gegenseitigen Support.“
Es gibt momentan zahllose Online-Konzerte, Initiativen und Kooperationen, um die derzeit geschlossenen Bühnen zumindest virtuell zu ersetzten. Zusammenhalt spielt momentan eine wesentliche Rolle in der Gesellschaft und in der Kunst. Ist dieser Zusammenhalt aber tatsächlich da? Oder doch eher Narzissmus?
Pippa Galli: Hm, schwierig zu sagen. Ich denke, in einer Krisensituation kann schnell mal ein Gefühl des Zusammenhalts entstehen, sie verbindet ja irgendwie. Da merkt man erst, wie viel das wert ist. Die Frage ist, ob das auch nachhaltig ist bzw. ob es einem dabei wirklich um die Community geht oder letztendlich eh nur darum, seinen eigenen Arsch zu retten. Aber ich will nichts unterstellen. Momentan bin ich wirklich sehr positiv überrascht von dem gegenseitigen Support.
Deine Musik zeichnet eine Leichtigkeit aus, mit der du aber tendenziell schwere Themen transportierst. Fühlst du dich in der Popmusik damit gut aufgehoben oder möchtest du dich auch zukünftig lieber in keinen klaren Genre-Kategorien niederlassen?
Pippa Galli: Popmusik ist für mich in gewisser Weise schon ideal, weil sie ein Überbegriff für sehr viele Stile sein kann, also ein weites Feld. Ich liebe Pop, außerdem fühle ich mich da einfach zu Hause, solange er nicht banal ist bzw. hochproduziert und glattgebügelt. Popkunst umfasst ja auch noch sehr stark das Drumherum. Also die Ästhetik, die Videobildsprache, eben ein Gesamtkonzept. Und das alles macht mir voll Spaß. Aber es stimmt schon, ich mag es an sich nicht, mich auf etwas festlegen zu müssen. Ich will einfach Musik machen, etwas ausdrücken und nicht währenddessen darüber nachdenken, für welches Genre ich jetzt schreibe. Wenn sich also mal ein Blues-Album aufdrängen sollte, dann werde ich das sicher machen!
Du arbeitest seit deiner Kindheit als Schauspielerin, die Bühne ist für dich vertrauter Boden. Fällt es dir dadurch leicht bzw. leichter, dich als Musikerin bewusst zu stilisieren und Präsenz zu haben?
Pippa Galli: Ja, das stimmt, die Bühne ist für mich ein vertrauter Ort und fühlt sich wie ein Zuhause an. Manchmal habe ich sogar das Gefühl, ich kann auf der Bühne mehr ich sein als im „echten“ Leben. Aber es ist nicht immer nur ein Spaziergang. Manchmal ist die Bühne beinhart. Sie verdeutlicht alles, was ist und was die, die oben stehen, gerade fühlen – wie unter einem Brennglas. Das ist meiner Meinung nach eines der großen Geheimnisse der Bühne. Man kann nichts verstecken. Egal wie sehr man auch professionell versucht, es zu überspielen. Man wird immer gesehen. Fluch und Segen zugleich. Als PIPPA meine Songs zu performen ist da nochmal ein Stück intimer, weil ja der Schutz einer Figur eines Theaterstücks wegfällt. Aber das ist gleichzeitig auch so reizvoll. Live zu performen kann starke Gefühle auslösen. Manchmal bin ich traurig nachher, oft total aufgekratzt. Und dann gibt es diese magischen Momente, die mit nichts zu vergleichen sind und einfach nur glücklich machen.
Sei es als Musikerin oder auch als Schauspielerin: Gibt es eine Bühne, vielleicht auch ein Publikum, das für dich als Künstlerin ideal ist?
Pippa Galli: Es müssen gar nicht viele Leute sein. Gut, okay, wenn du vor einer Masse von Menschen stehst, dann hat das eine ganz eigene Kraft und ist natürlich geil. Aber auch mit wenigen Menschen, wenn ich merke, die sind dabei, denen kann ich grad was geben in diesem Moment, kann es echt toll sein. Das ist dann wie gemeinsam eine großartige Party zu feiern.
Was wünscht du dir für die Zukunft?
Pippa Galli: Ich wünsche mir, dass Kunst und Kultur noch mehr als wichtige Säulen unserer Gesellschaft verstanden werden und nicht als Hobbys, als Freizeitbeschäftigung oder Entertainment. Ich wünsche mir auch, dass ich das, was ich mache und so liebe, weiterhin machen kann. Ohne immer wieder diese existenziellen Ängste haben zu müssen. Dafür wäre das bedingungslose Grundeinkommen ganz wunderbar. Und wenn ich mir noch was Drittes wünschen dürfte, wäre das, dass sich der Erfolg der jeweiligen Acts nicht mehr nur nach Klicks und Followern richtet. Es gibt Projekte, die ihr Publikum gar nicht über die gängigen Streamingdienste erreichen, aber auch ein potenziell großes Publikum hätten. Die Anzahl der Streams entscheidet aber mittlerweile über die Reichweite, ist die neue Visitenkarte und diese anderen Projekte werden gar nicht wahrgenommen. Ich weiß leider auch keine Lösung für dieses Problem. Die Berliner Sängerin Balbina hat mal in einem Interview eine interessante These aufgestellt zum sogenannten Verteilungsschlüssel der Streamingportale wie Spotify. Aber es bleibt eine sehr komplexe Materie. Ich glaube auf jeden Fall, dass es beim Publikum ein Interesse für Vielfalt gibt und dass diese Vielfalt existiert. Gerade auch hier, in der österreichischen Musiklandschaft.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
Julia Philomena
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