STEFAN DEISENBERGER ist seit vielen Jahren einer der gefragtesten Produzenten der heimischen Indie-Szene und hat mit Acts wie VOODOO JÜRGENS, GARISH oder SLEPP SLEEP zusammengearbeitet. Clemens Engert sprach mit dem ehemaligen NAKED LUNCH-Keyboarder über den Fluch der frühen Geburt, seine Aversion gegen zu viel „Getrickse“ und Chauvinismus in der Branche.
Du warst bis vor einigen Jahren festes Mitglied bei Naked Lunch, einer der größten und bekanntesten heimischen Bands. Welche Erkenntnisse hast du aus dieser Zeit mitgenommen, die dir jetzt bei der Arbeit als Produzent helfen?
Stefan Deisenberger: Im Grunde nur, dass der Song, das Arrangement und die eingefangene Stimmung über 90% des Resultats einer Produktion bestimmen. Die restlichen 10% kann man dann in Technik, Equipment und Sonstiges aufteilen. Darum ergehe ich mich mittlerweile kaum mehr in ausgiebige Gear-Diskussionen. Ich habe da als Equipment-Nerd zu einer gewissen Zeit auch völlig umdenken müssen, weil ja diese 10% schon rein optisch verhältnismäßig überpräsent sind im Studioalltag. Man kann da schon schnell den Sinn für‘s Wesentliche verlieren – nur, weil wo viele gute Maschinen rumstehen.
Immer mehr Künstlerinnen und Künstler setzen bekanntlich auf Home-Recording – wie siehst du diese Entwicklung?
Stefan Deisenberger: Ich sehe das sehr, sehr positiv und ich bin auch selbst ein bisschen neidisch, muss ich zugeben. Das ist so ein bisschen der Fluch der frühen Geburt, wenn man so will. Ich habe mir vor 25 Jahren die Möglichkeit herbeigesehnt, ohne viel Geld alles daheim machen zu können und dabei nicht auf Klang verzichten zu müssen – heutzutage geht das durchaus. Man sollte aber insgesamt die Kirche im Dorf lassen. Es heißt ja öfter, dass man mittlerweile ja eigentlich quasi nichts mehr braucht, um gute Produktionen machen zu können oder, dass etwa Billie Eilish im Schlafzimmer ihre Nr. 1- Hits aufgenommen hat. Das ist albernes Gequatsche. Was nämlich nie dazugesagt wird, ist, dass diese Künstlerinnen und Künstler dann hinterher zum Mischen trotzdem ins dicke Studio gehen, wo die daheim aufgenommenen Signale von den fähigsten Kapazundern der Industrie durch die teuersten Maschinen der Galaxis gepumpt werden.
Wird „klassische“ Produzenten-Arbeit bald überflüssig sein?
Stefan Deisenberger: Klassische Produzenten braucht es wahrscheinlich noch dort, wo Künstlerinnen und Künstler in Bereiche wollen, in denen es um Geld geht – sprich Format-Radios. Da gibt es durchaus Menschen, die durch ihr Know-How jemanden in diese Bereiche bringen können – vorausgesetzt, das Songmaterial passt. Das ist aber nicht meine Welt. Für mich als Betreiber eines Tonstudios hat sich die Arbeit jedenfalls mehr Richtung Mixing verlagert. Das Mixen selbst wird, glaub, ich als Dienstleistung nicht so leicht wegzurationalisieren sein, weil man das Know-How nicht von heute auf morgen erlernt. Es ist ein Handwerk und für alle Handwerke gilt: Üben, üben, üben. Noch dazu ist es ein sehr fieses Handwerk. Wann immer man denkt, man kann es halbwegs, kommt jemand und macht’s einfach viel besser.
Wie ist deine persönliche Herangehensweise in der Zusammenarbeit mit Künstlerinnen und Künstlern? Gibst du gerne kreative Inputs bezüglich Songwriting und Arrangements oder fungierst du vorrangig als Tontechniker?
Stefan Deisenberger: Beim Arrangement gebe ich sehr wohl Inputs, beim Songwriting nicht. Ich erkenne zwar einen guten Song sofort, kann aber weder selber einen schreiben, noch genauer definieren, warum ein Song gut ist. Ich tue mir außerdem sehr schwer damit, jemandem zu sagen, dass ein Song nicht so gut ist. Das ist ja doch immer eine sehr persönliche Geschichte, es ist viel Arbeit damit verbunden und das kann dann einfach weh tun. Die musikalische Inszenierung ist, wenn gewünscht, viel mehr mein Steckenpferd. Ich kann stundenlang am Arrangement „rumfuchsen“, wenn mich was gepackt hat. Hooklines fallen mir auch immer ein. Und der tontechnische Aspekt gehört natürlich immer dazu. Wobei hier zu sagen ist, dass ich ein erklärter Gegner von zu viel „Getrickse“ bin. Ich will gute Musik produzieren und nicht etwa bessere Sänger „faken“. Wenn der Gesangstake nur eine Phrase lang trägt, muss in erster Linie der Sänger nochmal daran arbeiten. Ich sehe hier auch den Mehrwert nicht, diese Schnipselei wirkt für mich immer gekünstelt. Zusammenfassend: Eine gute Aufnahme ist ein gut eingefangener Moment, wo man eine Stimmung spürt und die Technik nicht stört.
„Ein Produzent muss eine Snare stimmen können. So will es das Gesetz.
Was sind deiner Meinung nach die wichtigsten Eigenschaften, die man als Produzent mitbringen sollte?
Stefan Deisenberger: Snare stimmen. Ein Produzent muss eine Snare stimmen können. So will es das Gesetz. Man muss auch auf der menschlichen Ebene gut mit den Künstlerinnen und Künstlern können – das checkt man am besten im Vorgespräch ab. Selbiges gilt natürlich für die Musik. Wenn einem die Band nicht gefällt, sollte man es lassen – man wird ihr nicht weiterhelfen können, egal, ob man das Geld braucht oder nicht. Dann muss man sich natürlich darauf einlassen, was die Künstlerinnen und Künstler vorhaben bzw. im Gespräch ermitteln, wo es hingehen könnte und welches Aufnahmeverfahren man wählt. Das wirkt sich ja unmittelbar auf die Kosten einer Produktion aus und das muss von Anfang an transparent kommuniziert werden. Sehr wichtig ist auch, dass man ein Gefühl für Grundstimmungen oder Spannungen in einer Band entwickelt. Man ist ein Stück weit Mediator und Psychologe – ob man das nun will oder nicht.
Was sind die frustrierenden Momente, die im Zuge der Arbeit als Produzent auftauchen?
Stefan Deisenberger: Wenn man ein Arrangement hinstellt, von dem man völlig begeistert ist, und niemandem gefällt es. Das kommt vor, macht aber nichts. Dann heißt es, Krone richten und nochmal an den Start gehen. Dann gibt es manchmal Künstlerinnen und Künstler, die nicht so recht wissen, was sie genau wollen. Oft kann man es erraten, manchmal leider gar nicht. Hin und wieder passiert es auch, dass Künstlerinnen und Künstler Dinge wollen, die nicht machbar sind bzw. die Selbstwahrnehmung an der objektiven Realität zerschellt – meine eingeschlossen. Man hat ja hin und wieder Ideen, die man mangels Know-How und/oder Können nicht auf den Boden bringen kann. Da gibt es keinen Weg raus, ohne dass irgendein Ego kurz angeschlagen ist. Das gehört aber zum Prozess dazu und ist nicht weiter schlimm. Frustrierend ist auch, wenn man selber ansteht und aufgrund von Betriebsblindheit nicht mehr weiß, warum es nicht doch noch viel besser werden könnte. Da ist dann eine längere Pause indiziert.
Kommt es auch vor, dass du Zusammenarbeiten ablehnst, weil du überhaupt keinen Bezug zum jeweiligen Musikstil oder der Einstellung der KünstlerInnen herstellen kannst?
Stefan Deisenberger: Klar. Niemand hat etwas davon, wenn ich versuche, Metal aufnehmen – obwohl ich großer Slayer-Fan bin. Ich interessiere mich schlicht nicht genug dafür, wie man das gut inszeniert. Da bin ich lieber Konsument. Selbiges gilt für alle derzeit aufpoppenden, musikalisch völlig gleichgeschalteten Instagram-Popsternchen und für volkstümlichen Schlager – bis auf den Unterschied, dass ich sowas auch selbst nicht konsumiere. Die jeweiligen Künstlerinnen und Künstler riechen das aber eh und kommen dann nicht zu mir. Am wohlsten fühle ich mich in der hierzulande leider völlig überschaubaren Indie-Pop-Bubble. Hörbücher mache ich auch sehr gerne. Manchmal ist es einfach angenehm, wenn man einfach nur etwas vorgelesen bekommt – da gewinnt man wieder etwas Abstand zur Musikproduktion. Pausen sind sehr wichtig für den Fokus.
Die Produzenten-Szene ist nach wie vor sehr männerlastig. Wie erklärst du dir diesen „Gender-Gap“?
Stefan Deisenberger: Es ist in dieser Branche so, weil es leider einfach fast überall so ist, wo es eher technisch wird. Das ist die nicht sehr glorreiche Wahrheit. Ich habe gerade mein Covid-Bildungs-Sabbatical als C++-Developer abgeschlossen. Da waren auch nur zwei Frauen im Kurs. Gerade eben hat mir meine Frau erzählt, wie widerwärtig sexistisch in der IT, besonders in der Gamer-Industrie, gemobbt wird. Einerseits wird es wohl daran liegen, dass aufgrund unfassbar tief verankerter, althergebrachter Leitbilder noch relativ wenige Frauen eher technische Fachrichtungen ergreifen, andererseits werden die männlichen Kollegen schlichteren Verstandes – und davon gibt es leider mehr als genug – das Ihrige dazu tun, damit es auch so bleibt. Der Trend zum Reaktionären ist ja derzeit weltweit zu beobachten.
Gibt es irgendeine Produzentin, die du bewunderst?
Stefan Deisenberger: Ja, Sylvia Massy (Anm.: unter anderem Tool, System Of A Down, Johnny Cash und Red Hot Chili Peppers) finde ich derzeit richtig gut, wenn ich auch oft mit der Musik, die sie produziert, relativ wenig anfangen kann. Sie selbst ist allerdings eine echte Top-Produzentin und hat auch einen sehr lehrreichen YouTube-Channel.
Gibt es ein Album, bei dem du sagen würdest: Das ist tatsächlich perfekt produziert und gemischt?
Stefan Deisenberger: Oh, da gibt es zu viele. Im Pop-Bereich fand ich in den letzten Jahren eine Produktion besonders herausragend und zwar Tame Impalas „Currents“. Das hat mich echt umgehauen, aber in erster Linie vom Musikalischen her. Da stimmen eben auch die 90%, die nichts mit Technik oder Sound zu tun haben. Da beißt sich die Katze ja auch wieder in den Schwanz: Nahezu jede Schlagerplatte in den Regalen der österreichischen Autobahntankstellen ist perfekt gemischt. Bedeutet das etwas? Mir jedenfalls nicht. In absoluten Zahlen ist das aber wahrscheinlich trotzdem relevanter als alle Tame Impalas der Welt zusammen. Sebastian Kurz ist eben die objektive, ausgehöhlte Realität, in der wir uns hierzulande befinden und der volkstümliche Schlager ist sein Prophet. Das klingt jetzt alles sehr dystopisch, darum kurz noch was Schönes: Ich finde ja, dass man Slayers „Christ Illusion“ nicht besser hätte machen können.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
Clemens Engert