CHRISTL ist gerne für sich, doch schreibt am liebsten in der Straßenbahn. Prinzipiell hat sie aber immer und überall etwas zum Schreiben dabei. Und vor kurzem hat sie so auch ihr Debütalbum „Grün, Blau, Violett“ (VÖ 23.02.24) fertiggestellt, dem Vorausgehend nicht nur ein Buch („Ich glaube ich hasse mich“ – Haymon Verlag), sondern auch zahlreiche Bilder entstanden sind. Die österreichische Künstlerin macht da aber ungern Differenzierungen: Ihre stärkste Kraft ist die Intuition. Und für ihr Album bei Ink Music will CHRISTL eine Geschichte erzählen, mit der sie radikal der allgemeinen Scham, über Gewalt zu sprechen, etwas entgegensetzen will. Zusammen mit Produzent Andreas Lettner, sowie Eva Klampfer als Co-Writerin übersetzt CHRISTL damit ihre Gefühle in Musik und transponiert ihre Narben in Oktaven, die „meine, ihre, deren auch sind“. Im Gespräch mit Ania Gleich erzählt CHRISTL darüber, wie es ist, Vertrauen in seine Arbeit zu gewinnen und wie sie ihre Hörer:innen bewusst auffordert, sich auseinanderzusetzen.
Wie geht es dir?
CHRISTL: Echt gut, irgendwie. Ich bin unerwartet entspannt. Eigentlich dachte ich mir, die Wochen vor dem Album Release werden der permanente Breakdown.
Vielleicht die Ruhe vor dem Sturm?
CHRISTL: Es ist schon auch ein bisschen Sturm! Aber jetzt, wo die letzte Single vom Album draußen ist, bin ich sehr beruhigt. Da habe ich so krassen Zuspruch bekommen. Und ich bin jemand, der generell immer erst mal mit etwas Negativem rechnet, deswegen war ich überrascht. So kann ich mich jetzt ganz ruhig einfach aufs Album freuen!
Sind nicht ganz kurz vor der Prüfung, viele plötzlich tiefenentspannt?
CHRISTL: Stimmt, aber so bin ich eigentlich nicht! Die letzten zwei Jahre war das Album einfach immer das Ding, an dem ich gearbeitet habe und jetzt ist es … fertig?
Wo war denn Christl vor drei Jahren, wo ist sie heute?
CHRISTL: Boah, ganz woanders! Es ist krass, wie viel passiert ist. Einerseits in mir, andererseits um mich herum. Das war voll die kreative und intensive Schaffenszeit. Und zum anderen war es aber auch so ein Ankommen in meiner Arbeit.
Wie kommst du denn an in deiner Arbeit?
CHRISTL: Ich spüre das erst jetzt, wo “Grün, Blau, Violett” fertig ist. Dieses Gefühl, dass eine Ruhe in mir einkehren darf. Das ist völlig neu für mich! Sonst habe ich immer gedacht: Was kommt als Nächstes? Was ist der Plan? Jetzt habe ich das erste Mal das Gefühl: Wow, was ich geschaffen habe, bin halt einfach ich! Das empfinde ich als richtig großes achievement für mich persönlich. Aber auch was mein künstlerisches Schaffen betrifft: Dieses “etwas” einfach zuzulassen. Ich lerne immer mehr, darauf zu vertrauen, was ich mache.
„WAS ICH AM MEISTEN SPÜRE IST DIESES RADIKALE ZULASSEN!”
Man will ja weg vom Klischee, dass man leiden muss, um künstlerisch zu arbeiten …
CHRISTL: Ja ja, genau: Kunst ist Schmerz!
Die Themen können schmerzhaft sein, aber der Prozess, das zu bearbeiten, sollte im besten Fall heilend sein. Oder?
CHRISTL: Es war jetzt kein Leid, das Album zu machen. Aber trotzdem sehr intensiv: So sehr es manchmal geschmerzt hat, so sehr hat es gut getan. Was ich am meisten spüre, ist dieses radikale Zulassen. Diese Intensität hat es voll gebraucht. Aber sie ist auch anstrengend! Jetzt, wo das Album da ist, merke ich erst, wie viel Arbeit da drinnen ist. Im Prozess habe ich das gar nicht gesehen. Als ich neulich das erste Mal die Platte in der Hand hatte, habe ich nur gedacht: Krass, du hast das einfach alles gemacht! In dieser Zeit ist auf so vielen Ebenen so viel Kreatives passiert. Ich habe ja parallel auch das Buch gemacht, ausgestellt und war viel live unterwegs.
Du machst bildende Kunst, Literatur und Musik! Was ist für dich die am meisten direkte Ausdrucksform?
CHRISTL: Es ist unfair, so eine Disziplin zu picken. Es ist fast wie zu fragen: Was ist dein Lieblingskind?
Ok: Was kommt für dich am meisten intuitiv?
CHRISTL: Das entscheidet sich im Moment. Da spielt auch das Unbewusste mit. Und das bestimmt auch, was die direkteste Ausdrucksweise ist! Durch das Album habe ich mich sehr auf Musik konzentriert. Dadurch ist mir aber auch aufgefallen: Das Unbewusste changiert zwischen Sprachen und auch zwischen Stimmungen: Es ist immer unterschiedlich! Aber um deine Frage zu beantworten: Die direkteste Ausdrucksweise ist die Intuition. Gar nicht so, was dabei herauskommt.
Und im Nachhinein: Gibt es eine Art deiner Kunst, die dich am besten verkörpert?
CHRISTL: Ich habe nicht das Gefühl, dass ich so dazwischen stehe, sondern eher, dass alle Ausdrucksformen in mir drinnen und eins sind. Manche Leute sagen immer wieder: Boah, du machst so viele verschiedene Dinge! Dann habe ich immer das Gefühl, ich müsste irgendwie dazwischen stehen. Aber in mir ist das alles eins. Auch die Platte. Die Musik bedingt das Cover. Und auch, dass da Dinge zum Buch drinnen sind: Das ist einfach organisch passiert. Deswegen sehe ich das gar nicht als verschiedene Disziplinen. Als ich begonnen habe, künstlerisch zu arbeiten, haben alle immer gesagt: Es kommt der Punkt, an dem du dich entscheiden musst. Manchmal muss man sich schon kurzfristig auf etwas fokussieren. Aber dass ich etwas außen vor lasse? Das kann ich nicht machen! Dann fehlt ja ein riesiger Teil von mir. Ich will mich nicht entscheiden, weil es keine Entscheidung gibt!
Dein Buch „Ich glaube, ich hasse mich“ ist im September erschienen. Wie ist das entstanden?
CHRISTL: Das Album und das Buch haben sich gegenseitig bedingt! Das Buch ist komplett parallel entstanden. Ich habe oft Texte auf Deutsch fürs Buch geschrieben und mich dann gefragt: Wie würde das jetzt klingen, wenn man mit dem Gedanken von dem Text einen Song schreibt? Oder ich bin vom Studio gekommen und hatte ein Gefühl, dass ich dann in einen Text verpackt habe. Und das Buch war gar nicht als Buch gedacht. Sondern eher als Gedankensammlung von mir, die ich am Album erzählen will. Dann ist aber ein Buch daraus geworden. Das war eine glückliche Fügung!
Im Buch schreibst du auf Deutsch, am Album ist es vorwiegend Englisch. Was bedeuten dir die beiden Sprachen?
CHRISTL: Also, es war für mich früher immer klar: Ich schreibe nicht auf Deutsch. Und dann war bei der Albumproduktion aber das Arbeitsethos: OK, wir folgen immer dem, was passiert. Alles, was passiert, hat eine Berechtigung und sagt unbewusst etwas aus. Dann habe ich das Buch fertig geschrieben und plötzlich stark daran gezweifelt. Und so habe ich dann mit dem Skript eine Pause gemacht. Allerdings habe ich dann mit dem Gefühl des Buchs begonnen, Songs zu schreiben. So kam der erste deutsche Song „Tod“. Ich habe das dann einfach passieren lassen und bin damit dann auch ins Studio gegangen, anstatt es auf einer Handymemo versumpern zu lassen.
Wie ist dein Prozess des Songschreibens?
CHRISTL: Boah, das ist richtig unterschiedlich. Was die Songs betrifft, kamen die Grundideen immer von mir alleine. Ich gehe also schon mit einer Struktur ins Studio. Das Alleinsein mit mir lässt auch zu, dass Sachen fließen können. Für mich bedeutet Songschreiben viel Ruhe und mit mir alleine zu sein. Fürs Schreiben ist es mir voll wichtig, in Bewegung zu kommen und spazieren zu gehen. Viel habe ich auch in der Straßenbahn geschrieben. Am Weg zum Studio. Es hat sich dadurch eine Sensibilität entwickelt: Welches Wort kommt gerade und warum kommt das?
„ICH HÄTTE GERNE FRÜHER ERZÄHLT WAS PASSIERT IST, ABER ES WAR KEINE MÖGLICHKEIT DA..”
Du schreibst also immer mit?
CHRISTL: Ja, aber kann auch extrem anstrengend sein, denn ich nehme sehr viel wahr. Aber es ist auch cool, weil man so viel aufnimmt, was verloren gehen würde. Deswegen brauche ich dazwischen diese Zeit alleine, um das zu verarbeiten. Für mich war das oft so wie eine Recherche.
Also bist du generell lieber alleine oder unter Menschen?
CHRISTL: In letzter Zeit habe ich zum einen zwar eine krasse FOMO, gleichzeitig ist das good life in unserer Gesellschaft immer dadurch definiert, dass man ständig unter Menschen ist. Und das bin ich nicht. Ich habe einfach eine gute Zeit mit mir selbst!
Wie bist du zum Ink Music gekommen?
CHRISTL: Das war schon vor Corona! Und das fühlt sich so weit weg an. Für mich hat es allerdings eine Zeit angestoßen, die wirklich wichtig war. Da war ich krass mit mir selbst konfrontiert. Dafür hatte ich vor Corona nie Zeit.
Wie war das für dich, so total intime und persönliche Themen zu teilen?
CHRISTL: Das Ding ist halt: Ich habe nie an ein Endprodukt gedacht. Ich musste einfach darüber schreiben. Es musste raus und ich wollte mir Zeit dafür nehmen, Worte zu finden und mich zu fragen: Was ist diese Geschichte, die in mir ist? Ich hatte nie die Unterstützung, darüber zu sprechen. Das war immer bedeckt von großer Scham. Nach der EP war klar, dass ich ein Album machen will. Und meine Geschichte war da sofort der erste Impuls. Das war eine große Probe und das erste Mal, dass ich über gewisse Dinge erzählt habe. Ich habe viele Sachen alleine geschrieben und der Weg ins Studio war jedes Mal krass. Natürlich sind viele Songs selbsterklärend, doch bei anderen kam oft die Frage auf, was es genau ist, was ich hier beschreiben will. Das war der auslaugende und anstrengende Part.
Wenn du dem Album eine Überschrift geben würdest, die nicht der Titel ist, was wäre das?
CHRISTL: Das ist eine krasse Frage. Als du gerade geredet hast, ist das Wort Überleben in meinen Kopf gekommen. Und der Fakt, dass ich das Wort für mich auch als Selbstbeschreibung benutze. Menschen, die Gewalt erlebt haben, wollen eher als Überlebende gesehen, denn als Opfer beschrieben werden. Es ist für mich wichtig, dass es das Wort gibt.
Du hast das “Blutbuch” von Kim de l’Horizon mit hereingebracht. Wie kam das?
CHRISTL: Ich weiß gar nicht genau, wie ich auf das Buch gekommen bin. Natürlich war es einfach überall. Aber ich wusste von Anfang an, dass ich viele verschiedene Perspektiven einbringen möchte. Ich habe sowohl Texte von mir, als auch von Kim einlesen lassen. Und der Gedanke dabei war: Ich möchte, dass ganz viele Menschen die Geschichte miteinander erzählen, um zu zeigen, dass es nicht nur meine Geschichte ist, sondern von ganz vielen. Es gibt eine Zeile „Meine Narben sind seine, ihre, deren auch“ – That’s the point. Im Blutbuch steht im Vorwort ja auch „Ich hätte dir gerne erzählt, dass…“ und da dachte ich sofort: Ich hätte gerne früher erzählt, was passiert ist, aber es war keine Möglichkeit da. Da haben wir über das Label mit Kim Kontakt aufgenommen und ich fand es so krass, dass mir die Benutzung der Textstellen erlaubt worden ist. Das haben wir ja schon davor mal mit Elfriede Jelinek gemacht. Ich finde es einfach schön, dass solche Texte wieder in einem anderen Kontext stehen dürfen. Diese verschiedenen Perspektiven waren mir wichtig.
Du meinst in deinem Video-Porträt zum Album, dass du dich viel mit Lyrik beschäftigst. Was bedeutet sie für dich als sprachlicher Ausdruck?
CHRISTL: Ich finde das lustig: Lyrik ist ein Wort, das sehr behaftet ist. Da muss man so viel verstehen und es ist hochgestochen. Etwas, dass ich mir bei Kunst generell so denke: Leute heben ihr Schaffen auf eine Ebene so hoher Intellektualität, dass es am Ende eh niemand mehr versteht. Dadurch werden Zugänge versperrt. Für mich ist Kunst das, was es halt ist. Ich habe oft das Gefühl, dass es vielen darum geht, wie man nach außen wirkt. Für viele ist es etwa ein Repräsentationstool, Lyrik zu lesen. Aber für mich ist es einfach so. Ich mache mir keine Gedanken, wie das nach außen wirkt. Beim Sprechen über Kunst wird alles immer so verkompliziert. Kunst ist für alle da und wenn man Künstler:in ist, sollte man eher überlegen, wie man sie niederschwellig vermitteln kann. Ich habe ja Kunstgeschichte im Bachelor studiert und das war für mich eine arge Erfahrung. Dort habe ich gelernt, Worte für meine Kunst zu finden. Wie beschreibe ich, was ich mache, dass es verständlich ist? Die Grunddynamik der Kunst ist ja immer die Künstler:in und das Publikum. Für mich ist es deshalb ein kleines Mysterium, wie Kunst nur der Kunst wegen existieren kann. Es geht ja darum, was es transportiert. Deswegen mache ich so gerne visuelle Kunst. Das ist so direkt. Ich will, dass es ankommt. Natürlich fordere ich die Leute auch bewusst auf, sich auseinanderzusetzen.
„ICH WILL DER ALLGEMEINEN SCHAM ETWAS ENTGEGENSETZEN!”
Apropos visuelle Kunst. Wie bist du zu dem Albumcover gekommen?
CHRISTL: Das Cover selbst ist inspiriert von einer Porträtfotografie von Judy Chicago. Das ist eine feministische Künstlerin. Ich hatte während des Schreibens vom Album immer viel Angst davor, das zu teilen und zu erzählen. Deswegen habe ich recherchiert, welche Kunst zu dem Thema schon gemacht worden ist. So habe ich mir Mut und den Zuspruch geholt. Diese Künstler:innen waren dann so um mich herum geschart und haben mir geholfen, das Album fertig zu machen. Ich will die Menschen dazu einladen, einen Spaziergang in mein Hirn zu machen. Deswegen war mir klar, dass ich das Cover selbst machen möchte. Weil die Musik so nahe ist, wollte ich, dass alles andere auch so nahe ist wie möglich.
Was hast du bisher für Feedback bekommen?
CHRISTL: Also ich spüre es vor allem nach der letzten Single „Green Blue Violet (Love is Pain)“. Ich habe nicht erwartet, was da zurückkommt. Und ich wollte, dass das ein Banger ist. Also, dass der Text auch begleitet von anderen Gefühlen ist. Es gibt viele Songs vom Album, die zuschnüren und die man vielleicht nicht immer hören kann. Aber ich wollte, dass meine Erfahrungen auch anders verpackt werden können. Und ich merke in der response auf die Single, dass das nicht nur meine Geschichte ist. Das gibt mir so den Zuspruch und lässt mich zuversichtlicher fühlen. Ich will der allgemeinen Scham etwas entgegensetzen.
Dieser Zuspruch wird sicher im Zuge der Performance eine große Rolle spielen, oder?
CHRISTL: Das war auch ein großer Gedankengang, während ich das Album recorded habe. Ich habe ja einfach gemacht, was passiert. Und am Schluss kamen erst die Zweifel: Fuck, wie soll ich das performen? Erst jetzt, im Zuge der Vorbereitungen für die Radiokulturhausshow, denke ich mir: Ich mach’s halt einfach. Ich merke jetzt erst, was ich da geschrieben habe und wie true das ist. Und ich hoffe, dass es immer so krass bleiben wird!
Danke für das Gespräch!
CHRISTL: Danke dir!
Ania Gleich
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CHRISTL live:
29.02. Album-Präsentation, Radiokulturhaus, Wien
24.05. Dynamo Festival, Dornbirn
30.06. LIDO SOUNDS Festival 2024, Linz
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