„Drum’n’Bass ist meine Liebe“, sagt KATJA DÜRRER und lächelt. Als DJ PANDORA legt sie seit Ende der 1990er Jahren auf. Mit Switch! veranstaltet sie eine der wichtigsten Partyreihen der Stadt. Zwischendurch hat DÜRRER immer wieder große Events umgesetzt – entweder auf dem Frequency, einem der bekanntesten Festivals Österreichs, beim Marx Project oder mit gecharterten Booten auf der Donau.
An diesem Februarnachmittag sitzen wir im Café Frame im 20. Bezirk. Nach zwei Minuten sagt DÜRRER: „Ich hab letzthin eine große Erkenntnis gehabt.” Dann sprechen wir über die Raucherdynamik am Dancefloor, aber auch über schlechte Veranstaltungen und die Kids im Flex. Als ich ihr erzähle, dass ich gerade mit einem anderen Veranstalter aus der Drum’n’Bass-Szene gesprochen habe, weiß KATJA DÜRRER sofort Bescheid.
Katja Dürrer: Daniel [Fürst Zoffel alias Disaszt, Anm.] und sein Ego haben die Wiener Drum’n’Bass-Szene mitgeformt. Er hat das Level gesetzt. Alle Veranstalter:innen haben sich daran orientiert. Auch wenn er schlechte Zeiten gehabt hat, konnte er sich neu erfinden.
Du hast dich auch oft neu erfunden, heißt es.
Katja Dürrer: Das musste ich, sonst hätte ich nicht 16 Jahre als Veranstalterin durchgehalten. Trotzdem können manche Dinge bleiben. Meine Oma wollte sich den Pürierstab nicht angewöhnen und hat weiter gestampft. Ich stampfe bis heute …
Auf dem Dancefloor.
Katja Dürrer: Meiner Oma zuliebe! Das ist in Ordnung – man muss nicht alles neu lernen. Gerade als Junge hab ich aber viele ältere getroffen, die immer gesagt haben, dass früher alles besser gewesen sei. Ich hab mir immer gedacht: So werd ich nie!
Wie denkst du heute drüber?
Katja Dürrer: Früher war ganz cool, aber es kommt immer wieder Neues.
Vor allem durch ein Publikum, das sich permanent ändert, oder?
Katja Dürrer: Als Drum’n’Bass in den 90ern nach Wien angefangen hat, bestand die Szene aus einem alternativ-intellektuellen Publikum. Heute ist die Szene wesentlich weniger studentisch. Auf den Raves sieht man weiße Mittelschicht-Kids, die im Flex an die Brückengestalten geraten. Da kann es schon mal übel abgehen …
Lass uns auf dich konzentrieren. Du formst die Wiener Drum’n’Bass-Szene seit über 15 Jahren mit.
Katja Dürrer: Ich halte es bei mir wie bei anderen: Wir sind alle ersetzbar. Wäre ich nicht gewesen, hätte es jemand anderes gemacht – das hätte genauso gut oder ganz anders werden können. Trotzdem weiß ich, dass ich mit dem Sound in Wien Einfluss genommen hab. Allerdings war dafür auch Coda verantwortlich, mit dem ich zu Beginn veranstaltet hab.
Wie bist du zu Drum’n’Bass gekommen?
Katja Dürrer: Über die Wicked-Events im Flex. Bei einem 12-Stunden-Event im Flex hab ich das erste Mal Jungle gehört – das war 1996 und ich hab die ganze Nacht durchgetanzt. Musikalisch war das etwas ganz anderes, als man später in Europa hörte. Mir hat der UK-Sound aber sofort getaugt. Dierk Rossiwall vom ehemaligen Plattenladen Bounce hat dann nach einer Partyreihe im Fluc gesucht. Er kam auf uns zu und fragte, ob wir einen Termin am Freitag machen wollen. Ich hab mit Coda telefoniert, der zu der Zeit schon im UK lebte. Am 21. September 2007 haben wir mit 80 Leuten angefangen.
Und dann lief es von Anfang an?
Katja Dürrer: Nein, das Fluc hat uns nach ein paar Events wieder rausgeworfen. Dass Clubs keine Aufbauarbeit erlauben, war damals schon schade, gilt aber immer noch. Lustige Anekdote: 2016 hat mir Martin Wagner vom Fluc geschrieben, ob ich das Switch! nicht wieder dort veranstalten möchte. Haben wir auch ein paar Mal getan – als die Entscheidung zwischen Fluc oder Flex anstand, musste ich aber nicht lange überlegen.
Zu Beginn haben die Veranstaltungen aber nicht funktioniert?
Katja Dürrer: In Wien waren die Jump-Up-Acts, die wir gut fanden, kaum bekannt. Außerdem mussten wir tiefer in die Tasche greifen. Das war immer high risk, dabei war ich nie ein Risiko-Mensch.
Ihr habt also Minus gemacht.
Katja Dürrer: Wir haben Kleinscheiß-Kohle verloren, uns das aber schöngeredet, indem wir gesagt haben: Andere Leute kaufen sich Designer-Jeans oder tunen ihre Autos, wir haben die Veranstaltungen als Hobby. Vom Fluc ging es jedenfalls in The Zoo, irgendwann kamen wir zum Badeschiff. Dort hat die Stimmung gepasst, selbst wenn mal nur 100 Leute da waren. Vielleicht sag ich deshalb bis heute: Jedes Event hat zwei Levels an Erfolg.
Die da wären?
Katja Dürrer: Die Party muss gut sein, das ist der erste Level. Dass es sich finanziell gut ausgeht, ist der zweite. Das heißt nicht, dass die Kohle nicht wichtig ist. Um den Drive zu behalten, sollte man aber den ersten Level cracken, weil: nothing isworse than a dead party! Deshalb haben wir von Anfang an auf MC-Culture gesetzt – das war ein UK-Ding, das für einen interaktiven Vibe auf unseren Events gesorgt hat.
„DARAUS HAT SICH EIN MOVEMENT ENTWICKELT.“
Deine Veranstaltungsreihe Switch! wurde bald zu einem Namen in Wien.
Katja Dürrer: Ich hab eine Zeitlang in einer Medienbeobachtungsfirma gearbeitet und meinen damaligen Chef nach Tipps gefragt. Er meinte: Finde heraus, was du machst, das sonst niemand macht – und bewirb genau das! Wir haben zwar nie gesagt, dass wir Jump-Up-Events hosten, aber gemerkt, dass wir damit in Wien eine Lücke füllen könnten. Damit war klar: Das muss in den Subtitel. Daraus hat sich ein Movement entwickelt.
Weil die Leute plötzlich den Sound benennen konnten, für den sie davor keinen Begriff hatten?
Katja Dürrer: Gerade als Teenager!
Gleichzeitig schränkt das die eigene Bewegungsfreiheit ein, weil die Leute einen Sound erwarten.
Katja Dürrer: Das ist unser heutiges Problem, deshalb steht inzwischen auf keinem der Artworks „Jump Up“. Wer bei uns spielen will, sollte das wissen – und ich selektier meine Crew gut. Alle, die mir ein Banger- und Jump-Up-Set schicken, werden nicht bei Switch! auflegen. Ich will nicht mehr in diese Ecke gestellt werden, auch wenn ich mich selbst dorthin gestellt habe.
Man könnte sagen: Du bist selbst schuld.
Katja Dürrer: Natürlich, ich hab einen Nutzen daraus gezogen. Irgendwann sind wir vom Badeschiff in den Camera Club, später weiter in die Auslage. Spätestens dort hat sich abgezeichnet, dass was geht. Wir waren stabil in der Mittelklasse. Das fehlt heute vor allem post-pandemisch: Klein- und Mittelklasse-Promoter.
Weil niemand mehr deinen Biss hat, sich über eine lange Zeit aufzubauen?
Katja Dürrer: Wir wussten damals nicht, dass wir es bis dorthin schaffen, deshalb würd ich es nicht Biss nennen – eher Blödheit.
Die Blödheit dranzubleiben!
Katja Dürrer: Weißt du, wie oft wir uns gedacht haben, dass es niemanden interessiert und wir nur unsere Zeit verscheißen? Trotzdem haben wir nicht aufgehört. Warum? Weil plötzlich doch ein geiles Event kam und es trotz aller Existenzkrisen weiterging.
„EINE SCHLECHTE VERANSTALTUNG IST GRAUSAM ZUM EGO.“
Was braucht es, um die Krisen zu überstehen?
Katja Dürrer: Wir haben vorhin über Drive gesprochen – die liebe Umschreibung für Ego und den Drang zur Selbstdarstellung. Menschen, die sich auf eine Bühne stellen, haben einen Knacks. Weil: Warum braucht man die Bestätigung von so vielen Menschen? Gleichzeitig ist Wien deshalb so wichtig für den Drum’n’Bass. Hier gab es immer genügend Egos.
Die sich auf der Suche nach der nächsten Bestätigung über die Existenzkrise retteten?
Katja Dürrer: Weißt du, wie schwierig es ist, eine schlechte Veranstaltung mental zu überstehen? Es zermürbt mich nach all der Zeit noch immer. Deshalb hören so viele auch wieder auf. Eine schlechte Veranstaltung ist grausam zum Ego.
Bei dir kam 2016 der Switch.
Katja Dürrer: Pauli [Norbert Bauer, Anm.] hat in der Marxhalle das Marx Project gemacht und suchte nach Leuten, die ihm das Ding vollmachen. Ich kannte ihn damals noch nicht, bekam aber einen Link gelegt. Daraufhin bin ich ihm nachgerannt, bis es geklappt hat. Das Poster des Events hängt bei mir bis heute im Vorzimmer. Letzthin ist mir erst das kleine Detail aufgefallen: Als Subtitel haben wir es als „Österreichs erstes Jump-Up-Festival“ bezeichnet.
Da schau!
Katja Dürrer: Genau, das war unser Ding! Bis zu diesem Moment gab es in Wien nicht so viele Menschen, die die ganze Nacht zu Jump Up geraved haben. Danach war klar: Wir konnten ins Flex.
Es war der …
Katja Dürrer: Beginn des Hypes.
Gerade bei den Jüngeren.
Katja Dürrer: Zu Beginn war der Altersdurchschnitt bei Switch!-Events höher, ja. Wir hatten Jungleists und mittelalterliche Hip-Hop-Dudes – völlig anders als jetzt.
Mittlerweile ist das Publikum bei deinen Events sehr jung.
Katja Dürrer: Wir haben sicher die jüngsten von allen.
Die meisten könnten deine Kinder sein.
Katja Dürrer: Ich werde im Flex gesiezt. Das find ich fürchterlich! Ich wär mit 16 nie auf die Idee gekommen, jemanden im Club zu siezen. Trotzdem: Ich liebe die Energie der Kids. Oh Gott, sie zucken so aus. Dieses Feedback gibt es sonst nirgends!
Die Drum’n’Bass-Szene erscheint mir weit weniger elitär als zum Beispiel die des Techno. Es gibt nicht so viele Codes, die man kennen muss.
Katja Dürrer: Es gibt keine Codes, es geht alles!
Wolltest du musikalisch nie was anderes machen?
Katja Dürrer: Drum’n’Bass is my love! Es catcht mich wie am Anfang. Vielleicht steh ich nicht mehr so oft ravend am Dancefloor, weil sich die Leute dann fragen, was die Omi da macht. Mit TUN UP in der Camera host ich aber sowieso ein Reggae- und Dancehall-Event, das für mich die Szenenbalance ausmacht. Dort feier ich unter Gleichaltrigen, weil Leute kommen, die früher auf dem Switch! waren … Na ja, manchmal denk ich mir trotzdem: Vielleicht wär es Zeit Platz zu machen, es gibt genügend junge, motivierte Leute. Aber ja, sollen sie ihre Motivation zeigen und mich wegstoßen!
Gleichzeitig förderst du junge Künstler:innen. Bei Switch! spielen nicht nur OGs.
Katja Dürrer: Überhaupt nicht! Ich schau gezielt drauf, die Jungen reinzuholen. In Wien gibt es wenige OG-Events. Und selbst die sind gut, weil sie ein Zeichen für eine lebendige Szene sind.
Hat Wien eine lebendige Szene?
Katja Dürrer: Mir passiert post-pandemisch zu wenig im Drum’n’Bass. Deshalb wär ich froh, wenn Daniel wieder Mainframe-Partys macht. Allein wie er die Stadt mit Plakaten zugepflastert hat … Das hat Leute erreicht, die damit nichts anfangen konnten und trotzdem wussten, dass da irgendwas mit Rave abgeht. Außerdem hab ich oft auf seinen Partys geflyert, um mit unserer Info durchzukommen.
Flyerst du immer noch?
Katja Dürrer: Ja, ich mag es, man kann sie in der Hand halten – und die Kids stehen gerade auf das analoge 90er-Ding. Außerdem sehen die Leute die Flyer im Club, man hat direkt ein Gespräch darüber. Das hast du nicht, wenn du allein durch deine Timeline scrollst.
In der Timeline scroll ich durch zig Drum’n’Bass-Veranstaltungen, weil: In Wien könnte ich fast jeden Tag auf eine gehen.
Katja Dürrer: Nein, du kannst quasi an keinem einzigen Freitag auf ein Drum’n’Bass-Fest gehen.
Na geh, jetzt übertreibst du!
Katja Dürrer: Ja, eh … Trotzdem: Die Samstage im Flex sind für Drum’n’Bass vergeben. Das Contrast in der Forelle findet auch an Samstagen statt. Dazu kommen ein paar kleinere Events an Freitagen, weil Drum’n’Bass so vielseitig ist. Das führt dazu, dass Menschen aktiv sind, die ich nicht kenne, weil die zum Beispiel Liquid-Events hosten.
Weil …
Katja Dürrer: Es in den Subgenres von Drum’nBass keine Berührungspunkte gibt. Trotzdem befruchtet man sich unwissentlich gegenseitig, weil diese Vielseitigkeit die Szene belebt.
„WIEN LÄSST WENIG MUSIKALISCHE BEWEGUNG AUF EINEM EVENT ZU.“
Wieso gibt es keine Berührungspunkte?
Katja Dürrer: Wien ist spezifisch. Es lässt wenig musikalische Bewegung auf einem Event zu. Es bräuchte öfter DJs wie Andy C, die in ihren Sets Drum’n’Bass showcasen.
Der Showcase bringt auch Tracks, die nicht nur im nächsten Drop abreißen. Das verlangt nach Geduld am Dancefloor, statt permanenter Ekstase zu Bängern.
Katja Dürrer: Ich hab mir letzthin die Frage gestellt, warum in der Clubmusik alles härter, schneller, mehr geworden ist. Meine Erkenntnis: Wenn früher ein chilliger Tune gespielt wurde, hast du dir im Club eine Tschick angeraucht. Heute denkt man sich: Ist cool, aber sorry, ich geh bis zum nächsten Rave-Tune eine rauchen. Dadurch weiß jeder DJ: Wenn man mit dem Tempo runtergeht, muss man schnell wieder hoch, sonst sind alle draußen. Das führt wiederum dazu, dass die Produzenten schnellere Musik produzieren, weil sie sonst nicht auf den großen Raves gespielt werden. Du merkst: Die Rauchengeh-Dynamik ist fatal. Niemand geht allein raus – die Leute gehen zusammen. Wer weiß, wann sie wiederkommen?
Das ist ein interessanter Punkt.
Katja Dürrer: Das Rauchverbot hat was mit der Clubmusik gemacht. Früher ist man rausgegangen, um sich zu unterhalten. Mittlerweile geht man die ganze Zeit raus.
Das Rauchverbot ist für die Härter-Schneller-Mehr-Clubmusik verantwortlich?
Katja Dürrer: Ja!
Starke These!
Katja Dürrer: Man müsste ausprobieren, ob man musikalisch anders fahren könnte, wenn die Kids drinnen rauchen dürften.
Dann gehen wir jetzt eine rauchen!
Christoph Benkeser
++++
Links:
DJ Pandora (Facebook)
Switch! (Facebook)
Switch! (Instagram)