Der Gitarrist MEHDI CHAMMA lebt seit rund 7 Jahren in Österreich, aufgewachsen ist er in Marokko: im Gespräch mit Jürgen Plank erzählt CHAMMA von den Musiktraditionen seines Geburtslandes und davon, wie er seine eigene musikalische Sprache gefunden hat. Sein eben erschienenes Debüt-Album „Layla wa Bahr“ ist ein bunter Mix aus Jazz, Pop, Rock und traditioneller Musik und lässt sich am besten als Ethno-Fusion beschreiben.
Wie und mit welchen Instrumenten hat dein Musikmachen als Kind begonnen?
Mehdi Chamma: Ich wurde in Marokko geboren und habe große Teile meines Lebens dort verbracht. Als ich etwa 15 Jahre alt war, habe ich zum ersten Mal eine Gitarre gesehen, dank eines Touristen aus Kanada, der am Strand gespielt hat. In meiner kleinen marokkanischen Heimatstadt gab es damals keine Gitarren, aber der Sound der Gitarre hat mir sofort gefallen.
Wie ist dein musikalischer Weg danach verlaufen?
Mehdi Chamma: Ich musste als allererstes eine eigene Gitarre bekommen. Ich habe von einem rund 50 Jahre alten Mann gehört, der drogenabhängig und Alkoholiker war und in seinem Auto gewohnt hat. Mit ihm wollte niemand etwas zu tun haben. Aber er hatte eine Gitarre und er war mein erster Lehrer. Ich habe ihm zwei Zigaretten gekauft und ihm beim Spielen zugeschaut. Er hat mir nie geantwortet, wenn ich ihn gefragt habe: „Wie spielst du das?“ Denn er hat immer nur mit sich selbst gesprochen. Ich habe mir also Notizen gemacht und die Akkorde gelernt. Bald danach hatte ich meine eigene Gitarre und das Abenteuer, das Gitarrespiel selbst zu erlernen, hat begonnen. Im Alter von 15 Jahren bin ich immer wieder zum Strand gegangen und habe nach Tourist:innen Ausschau gehalten, die mir etwas vorspielen und beibringen könnten.
Wie ging es dann weiter?
Mehdi Chamma: Die Gitarre zu spielen, habe ich als Autodidakt gelernt, auch durch das Hören von alten Bluesplatten, etwa von B.B. King oder von Eric Clapton. Aber ich wurde auch durch arabische Musik und durch die Musik der Hippies geprägt, die in den 1960er und 1970er-Jahren in Marokko unterwegs waren. Meine ersten eigenen Lieder habe ich dann einige Jahre später in englischer Sprache geschrieben und viele Konzerte als Singer-Songwriter gespielt. Dann kamen Anfragen, in anderen Bands zu spielen und wieder 6 oder 7 Jahre später, bin ich mit afrikanischen bzw. orientalischen Bands auf Tour gegangen. Ich habe mit Musiker:innen aus England und den U.S.A. gespielt, auch mit Musiker:innen aus der Sahelzone. Bei Festivals genauso wie in Clubs und Hotels. Auch während dieser Zeit des Tourens habe ich immer meine eigene Musik gemacht.
„Ich gehe musikalisch nicht nur in eine Richtung, ich spiele also nicht nur Pop, Jazz oder Fusion“
Damit kommen wir zu deinem Debüt-Album „Layla wa Bahr“, das eben erschienen ist. Wie würdest du deine musikalische Sprache selbst beschreiben, die du auf diesem Album gefunden hast?
Mehdi Chamma: Jedes Stück am Album hat seine eigene Identität. Ich gehe musikalisch nicht nur in eine Richtung, ich spiele also nicht nur Pop, Jazz oder Fusion. Auf dem Album hört man viele musikalische Farben. Ich versuche, in meiner Musik so ehrlich wie möglich zu sein. Die beste Beschreibung schafft man wahrscheinlich mit dem Begriff Ethno-Fusion. Ich verwende Einflüsse von Blues, Funk und Jazz bis hin zu nordafrikanischen Rhythmen und vermische sie miteinander, ohne dass man das merkt. Man bekommt einen einfachen Song. Das Album beinhaltet acht stilistisch unterschiedliche Stücke. Weltmusik möchte ich zu meiner Musik nicht sagen, ich glaube nicht an diesen Begriff. Ich singe in arabischer Sprache, weil das meine Muttersprache ist.
Du beziehst dich auch auf die Gnawa-Musiktradition, die in Marokko und weiter südlich gelebt und gespielt wird. Was hast du davon für dein Album verwendet?
Mehdi Chamma: Ich habe alles hergenommen, was diese Tradition ausmacht, denn ich bin mit Gnawa aufgewachsen: der Rhythmus ist in meiner DNA, den musste ich nicht erlernen. Ich habe auch Chaabi-Rhythmen verwendet, polyrhythmische Farben, die ebenfalls am Album sind. So wie ich die Rhythmen verwende, klingen sie für europäische Ohren wie Funk, aber das sind sie nicht. Ich habe also diese Rhythmen mit neuen Melodien und Harmonien kombiniert und auf diese Weise geöffnet und aus der Schachtel mit den Traditionen geholt.
Aber du spielst auch die Gimbri, ein traditionelles Saiteninstrument.
Mehdi Chamma: Genau. Die Gimbri hat drei Saiten, es ist aus Holz gefertigt und ist ein pentatonisches Instrument. Es ist schwierig, es rhythmisch zu spielen. Als Gitarrist war ich neugierig, wie ein Instrument mit drei Saiten zu spielen ist. Harmonisch gibt es da nicht so viele Möglichkeiten wie bei der Gitarre, aber rhythmisch sind die Möglichkeiten gleichsam unbeschränkt. Die Gimbri hat etwas Magisches, man kann ein Muster ständig wiederholen und man fällt dabei vielleicht sogar in Trance. So ist eben auch die Gnawa-Musik, in die ich hineingeboren wurde: da gibt es viel Rhythmus, Call und Response, Trance, repetitive Muster, bis etwas bei den Zuhörer:innen durch die Musik berührt wird.
Hier geht es, wie du sagst um Trance, und auch um Sufi-Traditionen und Musik ist ein Werkzeug zur Erweiterung der Spiritualität. Würdest du das für deine Musik ebenfalls anstreben?
Mehdi Chamma: Ja, sehr. Ich erzähle dir dazu eine sehr private Geschichte: unsere Nachbarin in meiner Heimatstadt in Marokko war eine Kartenlegerin. Sie hat ein Mal pro Monat eine Gnawa-Zeremonie gemacht und da wurde die ganze Nacht hindurch Gnawa-Musik gespielt. Die Musik blickt hinter den Spiegel, auf die andere Seite deiner Seele. Als Kind habe ich den Musiker:innen, den Koyos, zugeschaut, die auf dem Weg zu dieser weisen Frau waren, um zu spielen. Ein Lied auf meinem Album heißt „Walking with Koyos“. Bei diesem Stück habe ich mich am traditionellen Rhythmus orientiert und Call und Response verwendet. Ich habe versucht, das Stück einfach zu halten, aber Groove und Harmonien darüber gelegt. Damit bin ich aufgewachsen, ich habe diese Musik schon im Alter von zirka 4 Jahren gehört. Wie gesagt: ich bin ehrlich in meiner Musik. Ich mache nichts, was ich nicht auch fühle. Mir geht es nicht darum, die Musik zu verkaufen. Ich mache Stücke, die auch Mal sieben Minuten lang sind, ich kümmere mich nicht um Popformate oder Formate, die mit Radios kompatibel sind.
„Koyos sind sehr ehrenwerte, aufrichtige Menschen, die für die Kunst leben“
Welche Hierarchien gibt es in der Gnawa-Musik?
Mehdi Chamma: Nun, da gibt es den Meister, er spielt zum Beispiel die Gimbri. Bevor er Meister wird, ist er selbst ein Koyo. Der Koyo hilft dem Meister, er stimmt das Instrument für ihn. Seine Position ist die zwischen dem Meister und den Anfänger:innen. Der Meister gibt sein Wissen an die Koyos weiter, das ist wie im Jazz, da gibt es Standards. Und wenn der Koyo das musikalische Repertoire beherrscht, wird er selbst zum Meister. Koyos sind auch wie wandernde Musiker, sie lehnen materiellen Besitz eher ab. Sie kennen sich auch mit modernen Technologien nicht aus. Koyos sind sehr ehrenwerte, aufrichtige Menschen, die für die Kunst leben. Mit diesem Aspekt der Tradition bin ich aufgewachsen und er findet sich in meiner Musik wieder.
Es gibt ein Video von dir, in dem du „Fragile“ von Sting coverst und dabei wiederum die dreisaitige Gimbri spielst.
Mehdi Chamma: Das hat sich zufällig ergeben. Ich spiele „Fragile“ sonst mit der Gitarre, denn für mich spiele ich gerne Pop- und Rocksongs, auch von Pink Floyd etwa. Eines Tages habe ich mit meiner Gimbri gespielt und gemerkt, dass ich plötzlich sehr nahe an der Hauptmelodie von „Fragile“ war. Ich habe mich gefragt, wie ich mich dem Lied weiter annähern kann: ich habe also die Gimbri polyrhythmisch eingesetzt und diese Melodie umkreist. Meine Band fand die Version cool und deswegen habe ich ein Arrangement dazu geschrieben. Und so habe ich dieses Instrument auch auf eine neue Weise in Österreich präsentiert.
Hast du vor, dein neues Album mittels Konzerten auch in Marokko bzw. in Nordwest-Afrika vorzustellen?
Mehdi Chamma: Ja. Aktuell habe ich ehrlicherweise keine Kontakte diesbezüglich. Aber das Album ist eben erst erschienen und ich bin gerade dabei, Wege zu erkunden, um es unter die Leute zu bringen. Ich komme nur für eine oder zwei Wochen pro Jahr nach Marokko, um meine Familie zu besuchen, aber ich würde dort natürlich auch gerne live spielen.
Herzlichen Dank für das Interview.
Jürgen Plank
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