„Ich stellte mir BEI jedem Stück eine Art Rätselaufgabe, die ich dann versucht habe, zu lösen.“ – MARTIN LISTABARTH im mica-Interview

Jazz und Klassik auf ausgesprochen stimmige Art miteinander verbunden: Der Wiener Pianist und Komponist MARTIN LISTABARTH pflegt auf seinem zweiten Soloalbum „Dedicated“ (VÖ: 4.3.2022) einen Sound, in dem klangliche Eleganz, instrumentale Verspieltheit und musikalische Raffinesse in packender Weise zueinanderfinden. LISTABARTH knüpft auf „Dedicated“ quasi genau dort an, wo er auf seinem 2019er-Debüt „Short Stories“ aufgehört hat. Musik, die zum Träumen und Wegschweben in andere Dimensionen einlädt, ein wohlig warmer und gediegener Klang, der einen mit sanfter Hand packt und unweigerlich in den Bann zieht, Melodien, die – mal leichtfüßig tänzelnd und schwungvoll, mal melancholisch im Ton – abwechslungsreiche Geschichten erzählen, und das ohne ein gesprochenes Wort. Eine weitere Besonderheit des Albums ist zudem, dass der Wiener Pianist jedes Stück einer konkreten Person, deren Leidenschaft für ein bestimmtes Gebiet ihn besonders fasziniert, widmet. Im Gespräch mit Michael Ternai erzählte MARTIN LISTABARTH über die Idee, die hinter dem Album steckt, über den immer anderen Weg, den er beim Schreiben der Stücke gewählt hat, und über seine musikalischen Einflüsse.

„Dedicated“ ist nach „Short Stories“ dein zweites Soloalbum. Das Interessante an deinem neuen Album ist die thematische Schwerpunktsetzung. Du widmest jedes Stück einer anderen prominenten Persönlichkeit. Was hat dich dazu bewogen, dieses Thema zu wählen?

Martin Listabarth: Mein erstes Album „Short Stories“ ging noch mehr in eine autobiografische Richtung. Als Inspiration für dieses Album dienten vor allem Dinge, die ich erlebt habe, Personen, die mir in irgendeiner Art und Weise nahegestanden sind, und Orte, an denen ich viel Zeit verbracht habe. An diesem Album zu arbeiten hat mir sehr viel Spaß gemacht, aber gleichzeitig war mir klar, dass es langweilig wäre, noch einmal dasselbe zu machen. Das wäre dasselbe, nur wieder aufgewärmt. Da kam mir der Gedanke, dass es ja viele Personen gibt, die ich persönlich zwar nicht kenne, die aber trotzdem eine wichtige Rolle in meinem Leben spielen bzw. gespielt haben. Ich dachte mir, dass es spannend wäre, aus unterschiedlichen Bereichen Personen rauszusuchen und zu schauen, wie man bestimmte Aspekte aus deren Leben hernehmen und musikalisch umsetzen kann. Dabei habe ich mir selber die Eingrenzung gesetzt, dass ich Personen auswähle, die keine Musikerinnen und Musiker sind, weil die in meiner Musik als Vorbilder und Inspiration sowieso immer mitschwingen. Daher wählte ich Personen aus ganz anderen Bereichen. Aus der Literatur und Malerei, aus dem Sport, der Wissenschaft.

Wie hast du die Auswahl getroffen? Und wie bist du es musikalisch angegangen?

Martin Listabarth: Angefangen habe ich damit, dass ich mich vor ein leeres Blatt Papier gesetzt und ein erst einmal Brainstorming betrieben habe. Ich habe Bereiche und Personen aufgeschrieben, die mich inspirieren, und gleichzeitig auch schon darüber nachgedacht, was die für mich musikalisch bedeuten. Zum Beispiel hat mich immer schon der Mathematiker Alan Turing fasziniert. Er war unter anderem einst maßgeblich daran beteiligt, die mit der Chiffriermaschine Enigma verschlüsselten Funksprüche der Nazis zu decodieren. Ich habe es mir spannend vorgestellt, dieses Thema von Codes irgendwie in Musik zu verpacken. Deswegen habe ich bei dem Stück „Turing’s Pattern“ konkret sein Sterbedatum hergenommen, also den 7. Juni 1954, und aus dieser Zahlenreihe 761954 versucht, die Tonfolge für das Stück zu bauen. Bei diesem Stück bin ich sehr vom Theoretischen ausgegangen bzw. von der Idee, Codes über Musik auszudrücken.

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Auf der anderen Seite gab es wiederum Stücke, bei denen ich intuitiver an die Sache herangegangen bin und mehr aus dem Improvisieren heraus entstanden ist. Wie etwa bei dem Stück „The Hand of God“, welches ich Diego Maradona gewidmet habe. Ich habe von Beginn an gewusst, dass ich unbedingt ein Stück für ihn schreiben will, weil ich ein sehr großer Fußballfan bin und selber auch gern Fußball spiele. Ich habe mir viele Videos von Maradona angeschaut. Er hatte einen sehr starken linken Fuß. Er war mit links extrem wendig und flexibel, das war einer seiner Stärken. Ich habe mir überlegt, was das auf das Klavierspielen umgemünzt bedeuten kann. Klar war, dass ich mit meiner linken Hand so beschäftigt wie möglich sein muss. Und dann habe ich viel herumprobiert, bis ich auf ein Pattern gestoßen bin, mit dem ich mich dann weitergespielt und -experimentiert habe.
Man kann sagen, dass der Entstehungsprozess eines jeden Stücks immer ein anderer war.  Ich stellte mir bei jedem Stück eine Art Rätselaufgabe, die ich dann versucht habe zu lösen.

„Die Leute sollen einfach nur angesprochen sein, sie sollen die Möglichkeit haben, in meine Welt einzutauchen.“

Das Schöne an dem Album ist, dass es sich wunderbar rund anhört und so rein gar nicht nach Theorie klingt, obwohl sehr viele Überlegungen dahinterstecken und du auf viele verschiedene Techniken zurückgegriffen hast.  

Martin Listabarth: Das ist auch etwas, was mir sehr wichtig ist. Mein Ziel ist es, dass meine Musik – auch wenn ich mir viele Gedanken über sie mache – immer unmittelbar und zugänglich bleibt. Ich möchte nicht, dass jemand, der meine Musik anhört, denkt: „Puh, der hat sich aber viele Gedanken gemacht.“ Die Leute sollen einfach nur angesprochen sein, sie sollen die Möglichkeit haben, in meine Welt einzutauchen.

Hinter deinen Stücken stehen ausgefeilte Überlegungen. Inwieweit spielt Perfektionismus bei dir eine Rolle? Wann sagst du dir: „Okay, dieses Stück ist jetzt fertig!“?

Martin Listabarth: Da ich in meinen Stücken immer auch Improvisationsparts habe, ist es schwierig, wirklich einen Schlusspunkt zu definieren. Eine endgültige Version eines Stückes wird es vermutlich nie geben. Es entwickelt sich einfach permanent weiter. Und jedes Mal, wenn ich diese Stücke spiele, entdecke ich hoffentlich auch immer etwas Neues. Als ich die Stücke für eine Aufnahme übte, versuchte ich immer, alle Möglichkeiten auszuloten. Bei den Aufnahmen dagegen versuchte ich, einfach loszulassen. Ich dachte mir einfach: „So, wie es jetzt rauskommt, passt es schon.“Für mich stellt die Studioaufnahme nur eine Momentaufnahme dar. Ich hoffe doch, dass meine Stücke bei den Konzerten anders klingen werden, weil sich in der Zwischenzeit etwas getan hat und neue Ideen hinzugekommen sind.

Wo kommst du musikalisch eigentlich her? Wie wurdest du musikalisch sozialisiert?

Martin Listabarth (c) Theresa Pewal

Martin Listabarth: Ich habe schon als Kind viel klassische Musik gehört. Die hat mich sehr fasziniert. Als Jugendlicher bin ich dann auf den Jazz gestoßen, der mir vor allem wegen der Energie und der Spontaneität gefiel. Auch der Umstand, dass man sich im Jazz viel individueller ausdrücken und man die eigene Gefühlswelt musikalisch umsetzen kann, hat mich sehr angesprochen. Das waren letztlich die Gründe, die mich von der Klassik weg hin zum Jazz geführt haben, wobei klassische Musik weiterhin ein wichtiger Einfluss ist. Genauso wie Modern Jazz von aktuellen Pianistinnen und Pianisten oder auch Rock und Popmusik. Ich habe unter anderem sehr viel Radiohead gehört. Wie sehr diese Dinge tatsächlich in meine Musik einfließen, kann man nur schwer beurteilen, aber ich glaube, dass sie schon irgendwie mitschwingen.

Dein letztes Album ist sehr gut aufgenommen worden und hat dich – auch international – viel herumgebracht. Unter anderem hast du in China gespielt. Inwieweit sind die Erfahrungen, die du bei diesen Konzertreisen gemacht hast, ebenfalls in deine Musik eingeflossen?

Martin Listabarth: Das war spannend, denn ich hatte nach dem letzten Album nicht unbedingt damit gerechnet, dass ich so viel live spielen kann. Es hat mich sehr gefreut, dass ich zu Festivals in Österreich, Deutschland und Polen eingeladen wurde. Was ich auf meinen Konzertreisen auf jeden Fall neu entdeckt habe – und das habe ich schon vorher erwähnt – war, dass sich diese Stücke immer weiterentwickeln. Sie sind nicht etwas, was in Stein gemeißelt ist. Nicht jedes Konzert wird gleich abgespult. Man gewinnt durch diese Auftritte Selbstbewusstsein und traut sich mehr aus der Komfortzone raus. Und dieser Ansatz ist natürlich auch in mein neues Album eingeflossen.

Du bist nicht nur solo unterwegs, sondern auch in diversen anderen Projekten. Inwieweit unterscheidet sich die Arbeit an deinem Soloprojekt von der in anderen Bands?     

Martin Listabarth: Die Arbeit ist natürlich sehr unterschiedlich. Ich habe jetzt verstärkt auch mit meinem Trio zu arbeiten begonnen. Ein Klaviertrio mit Kontrabass und Schlagzeug.Und ich liebe es, mit anderen Leuten Musik zu machen. Ich finde den Austausch wahnsinnig spannend, alle bringen Ideen ein und man beschreitet gemeinsam neue Wege. Das ist natürlich anders, wenn man solo unterwegs ist. Man ist für jeden einzelnen Ton verantwortlich und es gibt niemand anderen, auf den man sich ausreden kann. Und man muss keine Kompromisse eingehen. Generell bin ich eher ein Teamplayer, einer, der sich in einer größeren Gruppe oder einem größeren Ensemble vielleicht ein wenig zu leicht davon überzeugen lässt, in welche Richtung es geht. Deswegen war mir dieser Schritt, mich einfach nur auf mein Instrument zu beschränken und so meine eigene Sprache zu finden, sehr wichtig. Und ich glaube, dass ich jetzt an einem Punkt bin, wo ich im Zusammenspiel mit anderen Kolleginnen und Kollegen meine Ideen so weit einbringen kann, dass da auch mein eigener Stempel erkennbar ist.

Was macht dir eigentlich mehr Spaß: deine Musik zu schreiben und zu entwickeln oder live auf der Bühne zu spielen?

Martin Listabarth: Am meisten Spaß macht mir der kreative Prozess. Wenn man überlegen kann, was man im nächsten Projekt macht und wohin es gehen soll. Wenn man Ideen entwickelt und wieder verwirft oder adaptiert. Dieses kreative Spiel macht mir sehr viel Spaß. Aber natürlich ist das Livespielen auch sehr befriedigend. Vor allem auch solo. Man steht zwar allein auf der Bühne, nur fühlt es sich nicht so an. Man steht in einem Dialog mit dem Publikum. Und das ist ganz besonders. Man gibt etwas her und bekommt auch etwas zurück. Das ist das Schöne am Livespielen.

Herzlichen Dank für das Interview.

Michael Ternai

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Martin Listabarth live
16.3. Musikverein, Wien
2.4. Kunstbox, Seekirchen
7.4. Kunsthaus Hafenstraße, Linz
13.5. Kulturkraftwerk oh456, Thalgau
16.5. Porgy & Bess, Strenge Kammer, Wien

4.6. Atelier 29, Hainfeld (DE)
11.6. Kunsthaus Salzwedel, Salzwedel (DE)
12.6. Piano Salon Christophori, Berlin (DE)
28.8. Klavierfestival Hainfeld, Hainfeld (DE)
29.10. Saalfelder Jazztage, Saalfeld / Saale (DE)

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