„Ich sehe meine Arbeit als Bandleader irgendwie als die eines Regisseurs“ – SEBASTIAN SIMSA (SIMSA FÜNF) im mica-Interview

Nach eigener Definition betreibt der Wiener Schlagzeuger und Komponist SEBASTIAN SIMSA mit seiner Band SIMSA FÜNF in seinen Stücken „Instrumental Story Telling“. Was das genau bedeutet, war erstmals auf seinem 2018 veröffentlichten Debüt „The Time We Need“ zu hören: Kammermusikalisch geprägter Jazz mit Einflüssen aus allen möglichen musikalischen Richtungen, dargebracht in einer ungemein stimmigen, verspielten und zugänglichen Art, die sich über eine sehr bildhafte Note erzählt. Mit „Perpetuum Mobile“ ist eben das zweite Album von SIMSA FÜNF erschienen. Im Interview mit Michael Ternai erzählt SEBASTIAN SIMSA darüber, wie sehr seine Mitmusiker und er zu einer echten Band zusammengewachsen sind und was es mit der außergewöhnlichen stilistischen Vielfalt seiner Musik auf sich hat.

Hört man sich euer neues Album an, kann man den Eindruck gewinnen, dass ihr fünf jetzt wirklich zu einer Band zusammengewachsen seid. Kann man das so sagen?

Sebastian Simsa: Das kann man auf jeden Fall sagen. Bei den Aufnahmen unseres Debütalbums war es ja so, dass wir im Studio eigentlich fast zu ersten Mal wirklich als Band zusammengespielt haben. Davor hatten wir vielleicht ein paar Mal geprobt und als Test, ein Konzert gespielt. Und dann ist es auch schon ins Studio gegangen. Zudem kamen in der Band Leute zusammen, die sich musikalisch eigentlich noch nicht so gut bzw. noch gar nicht kannten. Außer Florian [Sighartner, Violine; Anm.] und Carles [Munoz Camarero, Violoncello; Anm.] , die davor schon in diversen Projekten miteinander gespielt haben. Und auch ich kannte einige nicht so gut. Und ich finde, dass sich in unserem Zusammenspiel mittlerweile einiges getan hat und wir zueinander gefunden haben. Das merkt man jetzt auf dem neuen Album. Das Verständnis füreinander und auch für die Musik, die wir machen wollen, ist auf jeden Fall nochmals viel stärker geworden. Wenn ich jetzt Stücke zu den Proben mitnehme, geht es viel schneller. Wir wissen viel schneller, was wir machen wollen, wohin es gehen soll, und sind viel schneller dort, wo wir beginnen, an Details zu tüfteln.

Was war eigentlich deine Grundidee für die Band? Die Musiker an deiner Seite kommen ja alle aus sehr unterschiedlichen Richtungen.

Sebastian Simsa: Ja, das stimmt. Das schaut schon sehr nach einer wild zusammengewürfelten Truppe aus. Auf jeden Fall am Anfang. Bei der Auswahl meiner Kollegen war es einfach so, dass ich auf der einen Seite überlegt habe, welche Instrumente mich besonders reizen. Auf der anderen Seite wollte ich vor allem mit Leuten zusammenspielen, mit denen ich davor noch nicht viel bzw. noch nichts zusammen gemacht habe. Ich dachte mir, das wäre eine gute Gelegenheit, meinen musikalischen Horizont nochmals ein wenig zu erweitern.
Und ich habe sie auch alle über ganz verschiedene Wege kennengelernt. Florian über einen gemeinsamen Freundeskreis, Andrej [Prozorov, Sopransaxofon; Anm.] bei einem Impro-Konzert, Heimo [Trixner, Gitarre; Anm.] über die Uni und Carles hat wiederum Florian mitgebracht. Wenn Musiker einer Band aus so unterschiedlichen Richtungen kommen und davor auch nicht zusammengespielt haben, kann man am Beginn nicht unbedingt davon ausgehen, dass es auch wirklich klappt. Daher haben wir vor den ersten Proben auch abgesprochen, dass wir es erst einmal probieren und schauen, ob das was werden kann. Und nach den ersten zwei Proben haben wir dann nie wieder über diese Frage gesprochen.

Hattest du schon eine konkrete Vorstellung von der musikalischen Richtung, die du mit dieser Band einschlagen wolltest?

Sebastian Simsa: Eine konkrete Vorstellung darüber, wie das Ganze klingen soll, hatte ich zunächst nicht. Was es werden sollte, wusste ich eher. Mir war von Anfang an klar, dass ich diese stilistische Bandbreite für mich nutzen will, weil sie in gewisser Weise auch das darstellt, wo ich herkomme. Bei uns zu Hause gab es immer schon ganz viel verschiedene Musik. Mein Vater arbeitet aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit sehr viel mit klassischer Musik, deswegen war Klassik für mich immer präsent. Meine Mutter bewegt sich mit ihrer Agentur vorwiegend im Bereich der Worldmusic, was natürlich auch Einfluss auf mich hat. Aber genauso war Pop- und Rockmusik Teil meiner musikalischen Sozialisation.
Es gab kurz die Überlegung, ob ich nicht klassisches Schlagwerk studieren soll. Ich hatte mit 17 oder 18 eine Phase, in der ich sehr hin und her gerissen war. Es war für mich immer schon schwierig, hier eine Entscheidung zu treffen. Irgendwann habe ich festgestellt, dass ich mich eigentlich gar nicht entscheiden will, sondern alles gerne machen würde. Dieser Gedanke strahlt auch auf dieses Projekt.

Bild Simsa 5
Simsa 5 (c) Georg Buxhofer

In euren Stücken wird auch viel improvisiert, auf eine sehr musikalische und zugängliche Art.

Sebastian Simsa: Das war mir von Anfang an ein großes Bedürfnis. Die Musik dieser Band soll ebenso anspruchsvoll wie auch zugänglich sein. Die schönsten Momente nach einem Konzert sind für mich, wenn Leute, die mit ihren musikaffinen Freunden mitgekommen sind, aber mit improvisierter Musik nicht unbedingt viel zu tun haben, sagen, dass sie die Musik berührt und sie etwas mit ihnen gemacht hat. Und dass gleichzeitig Musikerkolleginnen und -kollegen die Musik ebenso zu schätzen wissen und nicht meinen, sie wäre vielleicht etwas zu seicht. Ich finde, die große Kunst ist, gleichzeitig die Leute vom Fach abzuholen, wie auch jene, die eigentlich nichts mit der Musik am Hut haben. Und das habe ich beim Schreiben meiner Musik immer im Hinterkopf.
Ich finde es schön, dass meine Kollegen in der Band diesen starken Sinn für das melodiöse Erzählen haben. Sie können es in anderen Projekten alle auch ganz anders, sie können wild improvisieren und total frei spielen, aber in dieser Band herrscht das Verständnis, dass andere Akzente gesetzt werden und es in diese Richtung geht.

„Je weniger ich den Vieren sage und desto mehr sie ihrer Intuition nachgehen können […]

War es schwer dieses Verständnis herzustellen? Oder musstest du deine Kollegen manchmal auch zügeln?

Sebastian Simsa: Nein, zügeln musste ich sie nie. Der Grundkontext war von Anfang an relativ klar definiert. Einerseits war klar, dass das gemeinsame Erzählen im Vordergrund stehen sollte. Andererseits sollten aber auch die Stärken eines jeden, die jeder von woanders her mitbringt, in diesen Kontext eingebettet sein und in verschiedenen Kombinationen zu Gehör gebracht werden. Ich sehe meine Arbeit als Bandleader irgendwie als die eines Regisseurs, der vier großartige Schauspieler vor sich hat und versucht, mit so wenig Anweisungen wie möglich einen Rahmen vorzugeben. Je weniger ich den Vieren sage und desto mehr sie ihrer Intuition nachgehen können, umso besser und spannender ist auch das Ergebnis.

Woher beziehst du die Inspiration für deine Musik?

Sebastian Simsa: Im Großteil der Fälle behandeln meine Stücke Geschichten, die ich erlebt habe. Manchmal dichte ich ihnen dann noch ein wenig etwas an. Und ich glaube, dass ist auch der Grund dafür, dass die Musik von vielen als sehr erzählerisch empfunden wird. Irgendwann habe ich mir dann den Begriff „Instrumental Story Telling“ zu Eigen gemacht, weil der, wie ich finde, sehr gut beschreibt, was wir probieren.

Ungewöhnlich ist an der Band auch, dass sie keinen Bassisten hat.

Sebastian Simsa: Das ist mehr passiert, als es wirklich Plan war. Ich hatte es mir auch überlegt. Aber dann waren wir schon zu fünft und irgendwie fand ich die Idee auch spannend, es ohne eine/n Bassist*in zu versuchen. Wir haben es einfach ausprobiert, wobei wir bei der allerersten Probe beim Cello noch mit einem Octaver gearbeitet haben, den haben wir aber dann relativ schnell wieder weggelassen.
Das Ganze hat auch deswegen so gut funktioniert, weil ich in dieser Band mit einer sehr speziellen Bassdrum-Stimmung arbeite, die sehr tief und sehr lang klingt. Die kommt in dieser Besetzung und bei dieser Art von Musik besonders zur Geltung. Ich habe diese Bassdrum vor vielen Jahren bei einem Konzert von Jim Black im Porgy & Bess gehört und war eigentlich sofort von den Socken. Sie hat in dieses Trio, das damals gespielt hat, einfach so eine Stärke hineinbracht. Das hat mich seither nicht mehr losgelassen.
Ich habe die Bassdrum auch schon in Kombination mit einem Kontrabass ausprobiert, nur habe ich bei Aufnahmen und beim Mischen gemerkt, dass sich die beiden frequenztechnisch oftmals in die Quere kommen.

„Ich empfand es so, als würde mir jemand eine Geschichte erzählen und ich finde die Stimme des Erzählers nervig.“

Weil du gerade vom Schlagzeug gesprochen hast. Was dein Spiel auszeichnet, ist, dass du sehr wohl sehr komplex spielen kannst, dies aber nicht wirklich ausreizt. Du lässt es auch gerne etwas geradliniger laufen. Auf der anderen Seite setzt du dich offenbar sehr mit deinem Instrument und dessen Klang auseinander. Wie sehr bist du ein Tüftler?

Sebastian Simsa: Für mich war schon als Student, als ich in Konzerten war, der Sound der Instrumente entscheidend dafür, ob mich die Musik anspricht oder nicht. Da konnten die größten Stars spielen, nur wenn mir ihr Touch oder Sound nicht gefallen haben, dann hat mich auch die Musik nicht abgeholt. Ich empfand es so, als würde mir jemand eine Geschichte erzählen und ich finde die Stimme des Erzählers nervig. Da ist es schwierig, sich auf die Geschichte einzulassen. Das Gegenteil ist der Fall, wenn man Leute sprechen hört, wie Michael Köhlmeier, bei dem es fast schon egal ist, was er erzählt, weil seine Stimme und seine Art zu erzählen etwas Besonderes haben.
Das war für mich die Schwelle. Wenn der Sound der Instrumente – und da speziell jener des Schlagzeugs – mir getaugt hat, konnte ich mich auch auf die Musik einlassen. Erst wenn das erfüllt war, ging es mir darum, was gespielt wurde. Und das ist auch heute noch so.
Ein Tüftler bin ich vielleicht in dem Sinne, dass ich zum Beispiel mir meinen Beckensatz schon vor langer Zeit zusammengesetzt habe und eigentlich immer wieder – besonders bei dieser Band – auf diesen zurückkomme. Ich komme von diesem einfach nicht weg. Beim neuen Album habe ich ziemlich genau das gleiche Setup gespielt wie auf dem Debüt, weil das Instrument für mich einfach Teil des Ensemble-Klangs ist.

Wie sieht eigentlich dein Werdegang als Schlagzeuger aus?

Sebastian Simsa: Ich habe am Konservatorium in Wien, das heute die MUK ist, studiert. Dort habe ich meinen Konzertfach-Bachelor gemacht. Dann war ich noch an der mdw, wo ich den EDP gemacht und ebenfalls mit dem Bachelor abgeschlossen habe. Das habe ich sehr genossen, weil das nach einem Konzertfach-Studium fast schon wie ein Masterstudium ist. Da hatte ich schon sehr viele Freiheiten in der Arbeit. Das war sehr angenehm.
Was ich aber ebenfalls immer zu meiner Ausbildung hinzuzähle ist das Jahr vor dem Studium am Konservatorium, das ich als Au Pair in Paris verbrachte. Nachdem ich wusste, dass ich nach meiner Rückkehr eine Aufnahmeprüfung spielen werde müssen, habe ich nach einer Möglichkeit gesucht, mich vorzubereiten. Das Problem war nur, dass es keine gab. Ich kannte dort niemanden. Daher habe ich mich gezwungen, zwei Mal in der Woche zu einer Session zu gehen, was ich mich in Wien nie getraut habe. Das stellte für mich damals als jungen Musiker einfach eine zu große Überwindung dar. Aber es war für mich dort die einzige Möglichkeit, live Musik zu machen. Rückblickend war das die beste Schule, die ich zu dieser Zeit hätte haben können, weil ich gefühlt zweimal die Woche eine Aufnahmeprüfung spielen musste.
Es ist ja so, dass wenn man in ein Lokal kommt, wo niemand einen kennt, man nur einer von vielen ist, die eine Nummer spielen dürfen. Dann spielst du als mittelmäßiger zwanzigjähriger Schlagzeuger am Abend eben diese eine Nummer und setzt dich danach wieder alleine an einen Tisch, schaust den anderen zu und sprichst mit niemandem, weil du eben niemanden kennst. Und das machst du ein-, zweimal die Woche bis du zwei Monate später mal einen guten Tag hast und besser spielst, als es alle anderen von dir erwartet haben. So kommt man dann ins Gespräch. Dass ich dann nach einem Jahr einige Leute gefunden habe, mit den ich mich dann öfter getroffen habe, um gemeinsam zu spielen, hat mir für die Aufnahmeprüfung sehr geholfen. Das war eine sehr harte, aber auch sehr lehrreiche Zeit.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Michael Ternai

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