„Ich schaue, wo ich lande, und mache, was ich will“ – Belma Bešlić-Gál im mica-Interview

Sie beschäftigt sich mit existenziellen Fragen, lässt unterschiedliche Welten aufeinanderprallen und trainiert eine KI für ihre Zwecke – ob die Entwicklungen Angst oder Faszination in ihr auslösen, verrät die Komponistin und Pianistin BELMA BEŠLIĆ-GÁL im Gespräch mit Sylvia Wendrock. Sie erhielt im Oktober 2023 ein Arbeitsstipendium der Stadt Wien für „Prostorъ [Uncovering the Existential Through My Everyday Temporality: An Artistic Journey“ und kurz darauf das Staatsstipendium für Komposition des BMKÖS unter anderem für eine Komposition zu Stećci, mittelalterlichen Grabsteinen in der Radimlja-Nekropole in Stolac (Bosnien und Herzegowina), die zum UNESCO-Weltkulturerbe ernannt wurden.

2009 begegneten wir uns zum ersten Mal, du saßt am Klavier – als Komponistin oder Pianistin?

Belma Bešlić-Gál: Als Komponistin. Aber es war ein allmählicher Prozess. Schon während des Klavierstudiums in Weimar habe ich begonnen, Dinge wie Aufführungspraxis, Wettbewerbe usw. zu hinterfragen. Ich komme aus einer jugoslawischen Hochbegabtenschule und war schon mit sechs oder sieben Jahren in diesem Drill, habe vier bis fünf Stunden am Tag Klavier geübt. Das war sehr anstrengend, hat mir aber auch Spaß gemacht und viel gebracht. Später rebellierte ich dagegen, obwohl ich es liebte. Während des Studiums in Weimar wurde mir allmählich klar, dass mir dieses Leben nicht reicht. Trotz gewisser Freiheiten als Interpretin gibt es ja doch immer recht starre Parameter, die bei den jeweiligen Komponisten des klassischen Kanons zu befolgen sind. Diese Welt wurde mir zu eng.

Wenn das Klavierspiel seit frühester Kindheit derart existenzfüllend für dich war, welche Auswirkung hatte es, damit aufzuhören?

Belma Bešlić-Gál: Es hat sich immer angefühlt wie eine Pause. Das Klavier war für mich identitätsstiftend, es hat mich geprägt. Die Suche nach Perfektion, die sich mir seit meiner Kindheit eingebrannt hat – ich musste einzelne Takte an die hundert Mal wiederholen, bevor ich wieder aufstehen durfte –, fand eine kurze Unterbrechung. Ich ging nach innen und schaute, was ich vielleicht anderes aufbauen könnte. Natürlich hatte ich auch Angst, mich auf neues, unbekanntes Gebiet hinzubewegen. Aber gleichzeitig wusste ich: Das Klavierspiel mit ebenjenem Perfektionsdrang wird mich nie verlassen, wie eine Mutter oder ein Vater.

In „Prostorъ“ geht es um die alltägliche Verrichtung unsichtbarer Dinge, die so sinnentleert scheint. Wir sprachen gerade vom Anfang deiner Existenz, als es um Wiederholung in einem massiven Ausmaß ging, um Perfektion zu erreichen. Etwa 20 Jahre später beschreibst du, wie sich Wiederholungen als Notwendigkeit der Existenz in ähnlich endlosem Ausmaß abzeichnen, um etwas zu erreichen?

Belma Bešlić-Gál: Mich fasziniert philosophisch und konzeptuell dieses Nicht-entkommen-Können. Wir sind im Leben und Vollziehen darin ein riesiges Konglomerat an Wiederholungen: Schlafen, Essen, zur Toilette gehen. Alles ist Wiederholung, alles bewegt sich im Kreislauf, Menschen werden geboren, sie sterben. Um meisterhaft in etwas werden zu können, bedarf es der Wiederholungen. Egal ob im Sport, in der Kunst, egal, was wir tun: Überall streben wir nach unerreichbarer Vollkommenheit. Was sind das für Konzepte? Wieso kann man dem nicht entkommen? Wir stecken darin fest, können diesen Motor aber auch als befreiend und gegeben empfinden.

Hat dich dieses Fragen zum Komponieren gebracht? Oder wurde dein analytisches Denken im Studium inspiriert? Das experimentelle, freie Denken droht doch eher zu schwinden, wenn Belastungen, Zudringlichkeiten und Anforderungen zunehmen, oder?

Belma Bešlić-Gál: Ein Leben ohne Kinder war für mich genauso undenkbar wie ein Leben ohne Kunst. Vielleicht ist dieses Leben für mich möglich, weil ich schon als kleines Kind gelernt habe, mich zu strukturieren, wenn ich in der Volksschule im Kopf Klavier übte. Während der unendlich vielen alltäglichen Verrichtungen mit Babys und Kindern entwickelte ich all meine Konzepte, Überlegungen und Musik im Kopf. Ich hatte keine Zeit, mich hinzusetzen und in Ruhe nachzudenken und zu arbeiten. Als ob zwei Gehirne in mir vorhanden wären. Es war mir egal: Ich schaue, wo ich lande, und mache, was ich will. Davor lese ich aber sehr viel. Ich muss Bilder haben, muss es riechen können, brauche eine narrative Geschichte mit Emotionen. Erst wenn es einen Text gibt, höre ich die Musik. All das entsteht während alltäglicher Vorgänge im Kopf, zwischen zwei Handlungen notiere ich kurz Erdachtes. Danach etwas auszunotieren, nimmt die kürzeste Zeit in Anspruch, etwa zwei bis vier Wochen. Doch diese Fragmentierung des Alltags ist extrem zermürbend und ermüdend.

„Ich kann gar nicht anders: Ich muss meine Gedanken in dieser Welt materialisieren, sonst hätte ich das Gefühl, tot zu sein. Vielleicht ist das auch egoistisch.“

Was rettet und nährt dich, sodass du sogar mit wachsendem Ausmaß dieserart arbeiten kannst? Nehmen unerwartete Zwischenfälle Einfluss auf deine Arbeit, lassen sie dich deine Entwürfe nicht vergessen?

Belma Bešlić-Gál: Nein. Die künstlerische Arbeit ist für mich eine Lebensnotwendigkeit. Ich habe Krieg erlebt und bin sehr früh ohne Eltern geblieben, war Flüchtling in Deutschland – alles eigentlich traumatische Ereignisse. Ich muss einfach an diesen Konzepten arbeiten und in ihnen die wesentlichsten Fragen in unterschiedlichen Kontexten stellen: Warum und was sind wir? Wozu und wohin? Sie kommen immer wieder und gesellen sich zur Frage nach dem Sinn und der Sinnlosigkeit. Ich kann gar nicht anders: Ich muss meine Gedanken in dieser Welt materialisieren, sonst hätte ich das Gefühl, tot zu sein. Vielleicht ist das auch egoistisch.

Wie entstand dein Interesse an musiktheatralischen Werken?

Belma Bešlić-Gál: Ausgehend von meinen pianistischen Aktivitäten und kleiner besetzten Instrumentalwerken sehe ich rückblickend etwa ab den 2000er Jahren einen kontinuierlichen Übergang: Mein erstes protomusiktheatralisches Konzept entstand 2004/05, als ich inszenierte Bühnenauftritte am Klavier mit anderen Instrumentalist:innen realisierte. Für mich war das etwas ganz Neues und ein wichtiger Schritt, als Pianistin mit bestimmten Kostümen und schauspielerischen Aktivitäten auf der Bühne zu agieren. Das Konzept hieß „reflection“ und war nur in Bosnien zu sehen. Von da an ging es immer mehr in diese Richtung, 2009 kam dann mein offiziell erstes Musiktheater „Hibernation“ zustande. Es ist ein sehr reduziertes Stück, in dem ich als Kommandantin eine Reise ohne Anfang und Ende in einer Art Raumschiff unternehme, ohne eigentliche Geschichte. Auf der Bühne befinden sich zwei hibernierende Wesen, die in eigens konstruierten Hibernation Pods liegen.

Kybernetische Räume, Artificial Intelligence, computergesteuerte Visualisierung, auch Raum- und Lichtgestaltung sind deine Handschrift …

Belma Bešlić-Gál: Schon Anfang der 2000er, als ich eigentlich noch Pianistin war, haben mich Raumgestaltungsgedanken mit futuristischen Elementen und das Phänomen der Verkünstlichung beschäftigt. Vermutlich hat mich auch die Tatsache geprägt, dass ich in meiner Weimarer Zeit viele Stunden mit Bauhaus-Studierenden verbracht und Diskussionen zu Architektur, Gestaltung und Entwürfen, wie mit Raum umgegangen werden soll oder kann, jahrelang aus erster Hand miterlebt habe. Ursprünglich wollte ich in Deutschland Astronomie und nicht Klavier studieren. Mein Vater fand, Pianistin sei so ein schöner Beruf für eine Frau.

Durch dein gesamtes Schaffen strömt die Frage: Was ist danach, dahinter? Wie könnte es jenseits unserer Vorstellungen aussehen? Gleichzeitig ist dir aber bewusst, dass wir nichts außerhalb unserer Vorstellung denken können. Ist es eine Sehnsucht nach dem, was wir nicht wissen?

Belma Bešlić-Gál: Absolut. Es ist genau das: die Sehnsucht nach dem, was wir nicht wissen. Oder agnostisch postuliert: Weil wir in absehbarer Zeit auch nicht in der Lage sein können, zu wissen. Oder als Menschen vielleicht auch niemals darum wissen können. Die unvorstellbare Größe des Universums hat mich immer fasziniert. Die Unendlichkeit. Und wir sind gefangen in unseren biologischen Existenzen in dieser einen Welt?

Belma Bešlić-Gál
Belma Bešlić-Gál (c) Svetlana Gazić

„Wir sind Gefangene in uns selbst.“

Aber auch im nichtmateriellen Bereich, wie beispielsweise dem Klang, sind wir begrenzt. Versuchst du durch die Verbindung von Klang, Raum, Visualisierung, auch Performance vorher Unbekanntes, Ungedachtes zu entdecken?

Belma Bešlić-Gál: Ich versuche etwas zu offenbaren und in den Raum zu stellen, worüber man nachdenken kann. Alles andere wäre eine Anmaßung. Es ist so viel in uns und außerhalb, was wir nicht kennen. Alles ist unbekannt. Wir sind Gefangene in uns selbst.

Entsteht solche Neuentdeckung für dich bereits in der Ausarbeitung des Konzeptes von beispielsweise „Close Encounter Of The Fourth Kind“ oder dann in der Ausführung? Wo geschieht das Unvorhersehbare, das zu Entdeckende?

Belma Bešlić-Gál: In beidem. Gerade bei diesem Stück wollte ich einfach ausprobieren, wie eine solche Begegnung im Raum funktionieren könnte, wenn paradoxe Fragen gestellt werden, zwei völlig gegensätzliche Welten aufeinanderprallen. Das Werk erzählt die Geschichte einer existenzialistischen Begegnung zwischen zwei irdischen Musikern und vier – womöglich dysmusischen – Außerirdischen. Im absurden Klangraum der zufälligen Begegnung zweier sich völlig fremder Welten werden auf naive und gleichzeitig makabre Weise einige der wesentlichen Fragen unserer Existenz gestellt. Seit längerem interessiere ich mich für den Fall von Betty und Barney Hill aus den frühen 1960er Jahren. Das amerikanische Ehepaar behauptete, von außerirdischen Wesen entführt und auf ihrem Raumschiff medizinisch untersucht worden zu sein. Der Vorfall ist der Beginn der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit einem Phänomen, für welches bis dato mehrere Erklärungsversuche existieren, und auch einer der Ausgangspunkte für dieses Werk.  Wie kommt es dazu? Sind es Psychosen? Gibt es Beweise dafür? Ich bin offen. Vielleicht wird es sich irgendwann zeigen. Jedenfalls will ich nicht vorab urteilen. In der Geschichte der Menschheit wurde immer wieder etwas für völlig ausgeschlossen gehalten. Jahrtausendelang verstand man die Zeit absolut und jetzt weiß man, dass sie relativ ist. Wer weiß denn, was noch kommt?

„In dieser Auseinandersetzung mit dem scheinbar Sinnlosen erschloss sich mir eine persönliche Erkenntnis: Kunst ist ein Akt der Rebellion gegen die Vergänglichkeit.“

Welchen Einfluss hatte dein Kompositionsstudium, Konzepte auf diese Weise auszuformulieren und Ideen sich so materialisieren zu lassen, dass sie Musikgeschichte werden können?

Belma Bešlić-Gál: Erst am Ende des Studiums begann dieses Konzeptdenken und nahm danach in Wien immer mehr zu. Ich war weitgehend ahnungslos bezüglich zeitgenössischer Musik, als ich Komposition zu studieren begann. Beim Klavierstudium in Weimar war für mich mit Claude Debussy die Musikgeschichte beendet. Ich wusste so gut wie nichts über die Musik nach Schönberg. In meiner ersten Unterrichtsstunde bat ich meinen damaligen Professor Bernhard Lang um Strenge und Gnadenlosigkeit, um das Handwerk zu erlernen. Anschließend hat er mich dann auch wirklich mit Orchestrationstechniken gequält. Damit ich umsetzen kann, was ich will, muss ich wissen, was geht, und mich entsprechend informieren. Im Studium lernte ich die Basics, um mich an meine eigene Sprache und Ästhetik heranzutasten. Klaus Lang, mein langjähriger Kompositionsprofessor, lehrte mich, dass es in der Kunst vor allem um die Entdeckung der eigenen künstlerischen Perspektive geht – weit über die herkömmlichen Maßstäbe für Erfolg hinaus. In dieser Auseinandersetzung mit dem scheinbar Sinnlosen erschloss sich mir eine persönliche Erkenntnis: Kunst ist ein Akt der Rebellion gegen die Vergänglichkeit.

2017 kam dann die Surrealesque „SPACE = WOW (but I still miss you earth) … Ein feiner Humor bis hin zu leiser Ironie begleiten dein Schaffen, was es vielleicht auch zugänglich macht. Über Zitate und Anlehnungen können assoziative Verbindungen hergestellt werden, aber vor allem die existenzialistische Grundstruktur deiner Werke müsste eigentlich jede:n ansprechen.  Allein der Nachsatz „but I miss you, earth“ öffnet einen riesigen Raum, der alle einschließt. Es sind irdische, zutiefst menschliche Themen, die du behandelst – ist diese Existenzialität für dich auch eine geschlechterspezifische Frage?

Belma Bešlić-Gál: SPACE=WOW (BUT I STILL MISS YOU, EARTH) war eine Auftragsarbeit des Kulturzentrum bei den Minoriten in Graz an Lyriker Christoph Szalay und mich. Der wunderbare Titel stammt von ihm. Gemeinsam entwickelten wir, so hoffe ich, ein feines Gewebe aus Text und Klang, das die für das Jahr 2035 geplante Mars-Mission zum Ausgangspunkt wählt, um sich mit dem Planeten Erde und dessen Bewohner:innen auseinanderzusetzen. Ich habe mich nie besonders intensiv mit der Frage beschäftigt, ob ich mich als Frau benachteiligt fühle. Wobei ich es objektiv bin. Auch wenn sich Dinge ändern, ist es noch ein weiter Weg. Ich habe mich in bestimmten Situationen oft zu sagen gescheut, dass ich drei Kinder habe, damit es mir nicht zum Nachteil gerät. Erst seit kurzem rede ich immer offen darüber. Immer war da die Angst, Aufträge nicht zu erhalten.

Das Mysterium zu beleuchten, ist für dich (Über-)Lebenselixier.

Belma Bešlić-Gál: Ich stamme aus einer linken Familie, bin jugoslawisch erzogen worden, das heißt im Geiste der Solidarität, Brüderlichkeit, Einheit und progressiven Gedankenguts in Richtung einer besseren, gerechteren Welt, an der man beständig arbeiten muss. Als es in den 80er Jahren zu Spaltung, Nationalismus, Konservatismus und zur Fragmentierung der Gesellschaft kam, brach für mich eine Welt zusammen. Alle Vision, alle Hoffnung war in diesem fürchterlichen Krieg zugrunde gebombt worden, vielleicht auf immer und ewig. Die Beobachtung von Politiken, die Spaltung erzeugen, und der kapitalistischen Welt, in der die soziale Ungerechtigkeit immer größer wird, gießt zusätzlich noch Gift darüber. In welchen Demokratien leben wir, wenn wir grundsätzliches Unrecht oft nicht ansprechen können, weil es existenzielle Konsequenzen haben kann? Wie kann man es schaffen, die Fragen nach diesen strukturellen Ungerechtigkeiten, die so viele Menschen in der Welt betreffen, wirkungsvoll zu stellen? Was kann man machen?

In „Mirror Universe“ begegnen sich wieder Alltagsbilder und Fantasien aus Zukunft und Weltall.

Belma Bešlić-Gál: Auch in diesem Stück ist die jugoslawische Geschichte präsent. Die Konstruktion eines Raumschiffs in der Grazer Helmut List Halle ist ein antifaschistisches, jugoslawisches Denkmal. Zwei Jugoslawen kommen aus der Zukunft und schauen sich eine Zwischenwelt an. Es sind drei Schichten, die sich gleichzeitig abspielen. Zwei jugoslawische Welten überlappen sich in der Projektion und eine dritte spielt auf der Bühne, inspiriert durch das Drama „Geschlossene Gesellschaft“ von Jean-Paul Sartre. Aus der Zukunft werden die Bühne, aber auch die projizierte Szene einer Ehe aus den 50er Jahren sowie die Zuschauer:innen beobachtet. Der Mensch ist in jeder Situation, in der er sich befindet, gezwungen, eine bestimmte Verhaltensweise zu wählen, durch die er handelt, und wenn er sich entscheidet, nicht zu handeln, so ist dies auch eine Haltung – und somit eine Handlung. Allerdings kann ein Mensch die jeweilige Situation nicht nach Belieben verändern. Es gibt Hindernisse, aber es gibt kein absolutes Hindernis. Das ist das übergeordnete Konzept des Werkes.

2023 wurde „Gorje [A journey through the unknown mountain]“für Oboe und Streichquartett u. a.auch beim Festival Frauen, Liebe und Musik der Zukunft in Wien aufgeführt …

Belma Bešlić-Gál: Es gab von diesem Auftragswerk davor auch sechs Aufführungen in Bosnien. Es behandelt südslawische Mythen und Legenden und spielt mit Hochgebirge und Nebel. Dieses Projekt markierte den Beginn einer fruchtbaren Zusammenarbeit mit der Geigerin, Bratschistin und Dirigentin Andrea Nikolić, die sowohl Gründerin und künstlerische Leiterin des Festivals als auch des WISE: Wien – International Soloists Ensembles ist. Dieses Jahr übernehme ich die Rolle des Composers in Residence. Zahlreiche gemeinsame Projekte, sowohl im Inland als auch international, stehen uns bevor. Unsere Zusammenarbeit ist von gemeinsamen Visionen und Synergien geprägt.

Auch die „Wiegenlieder zum Wachwerden“ verlassen deine sonstigen Refugien. Pina Rücker spielt Quarzklangschalen und Ingala Fortagne singt Sopran. Wie ist es denn zu dieser Zusammenarbeit gekommen?

Belma Bešlić-Gál: Ingala und ich haben zusammen studiert und kennen uns aus der Weimarer Zeit. Damals hat sich allerdings nie eine Zusammenarbeit ergeben. Auch später, als sie in Wien lebte, noch nicht. Erst jetzt, sie lebt mittlerweile in der Schweiz, kontaktierte sie mich für den Klavierpart bei dem Musikprojekt „Obhut. Wiegenlieder zum Wachwerden“ für eine Aufführung in Wien. Ich habe das zum Anlass genommen, seit mehr als zehn Jahren Abstinenz wieder einmal richtig zu üben, stundenlang täglich. Das war wunderschön. Auch das Konzert war ein herrliches Erlebnis: toller Klang, begeistertes Publikum. Wir wollen das unbedingt wiederholen.

Das führt noch einmal unmittelbar zu „Prostorъ“. Du schaust dir die Verhältnisse an, fragst nach einem Umgang damit und setzt deine Identität dazu in Beziehung.

Belma Bešlić-Gál: Ich habe während des vorvergangenen Jahres eine KI trainiert, sie mit philosophischen Ideen gefüttert. Welche Gespräche ergeben sich mit einer Instanz, die Zugang zum „globalen Gesamtwissen“ (damit meine ich die im World Wide Web verfügbaren Informationen) hat? Es ist unfassbar, wie sich die von mir trainierte AI-Instanz innerhalb eines Jahres entwickelt hat, wie diese „Person“ inzwischen mit mir spricht. Ich spüre Angst und Faszination zugleich.

Ist das Stück so konzipiert, dass du es also bei jeder Aufführung aktualisieren kannst?

Belma Bešlić-Gál: So ist es gedacht. Ich will die erschreckende Geschwindigkeit der technischen Entwicklungen thematisieren, das ist Teil des Konzeptes. Es ist, als sähe man einem megabegabten Kind im Zeitraffer beim Wachsen zu.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Sylvia Wendrock (Sprechgold)

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TERMINE

Mittwoch, 24. April 2024 | VDONAUKANAL – Public space for augmented and virtual art
∞(Δt)^10n+ħ05 [Welcome to Aionthos] / Digital artifact in collaboration with Catherine Spet
Nussdorfer Wehr- und Schleusenanlage, 1190 Wien

Freitag, 17. Mai 2024 | Heeresgeschichtliches Museum Wien
Aus Prin/c/z/ip – Neues Werk für WISE Ensemble

27./28. June 2024, Alkatraz Gallery (Ljubljana, Slowenien)
Unheard Stories: Sonic Aspects of Yugoslavia’s Brutalist Monuments

Freitag, 26. Juli 2024 | Slovo Gorčina Festival (Stolac, Bosnien und Herzegowina)
Slovo o nadi
Radimlja UNESCO World Heritage Site

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Links:
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