ANNA KOCH hat mit „Connecting the Dots“ ein Weltprojekt geplant, bei dem sie musikalischen und kulturellen Austausch mit achtsamer und klimasensensibler Haltung in Zusammenklang bringt. Humorvoll inszeniert die Klarinettistin zeitgenössische Musik auch videografisch und schafft mit Improvisationen Zugänge, lädt ein in (außer-)musikalische Gegenwart. Bevor sich ANNA KOCH im September auf den Weg ans andere Ende der Welt macht, ist sie im Juli noch bei zwei Konzerten im Rahmen des Festivals impuls zu hören. Mit Sylvia Wendrock sprach sie über Volksmusik, Pasticcio und ungeteilte Aufmerksamkeit.
Wie bist du denn zur Klarinette, vor allem der Bassklarinette gekommen?
Anna Koch: In der Volksschule begann ich eigentlich das Klavierspielen zu erlernen und hatte viel Kontakt zur Volksmusik, weil mein Vater als Volkstänzer regelmäßig in den Sommerferien mit uns die Volksmusikwochen besuchen fuhr. Ich wollte dann auch ein Blasinstrument spielen können und griff zur Trompete. Aber bei der Volksmusik spielt man nicht nur ein Instrument, Volksmusikanten können zu mindestens fünf oder mehr Instrumenten hingreifen und mitspielen. Da war ich ein bisschen mager ausgestattet mit meiner Trompete, die ja auch nur drei Knöpfe zum Drücken hat. Als Kind empfand ich deshalb die Klarinette mit ihren vielen Klappen sehr attraktiv und bin dann aber erst relativ spät, mit vierzehn Jahren, zur Klarinette gekommen. Alle anderen Instrumente habe ich parallel weitergespielt. Erst im Studium legte ich die Trompete auf die Seite und lernte dort dann die Bassklarinette kennen. Heinz-Peter Linshalm begann gerade das Fach Nebeninstrumente an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien zu unterrichten und ich konnte so neben meinem Konzertfach Klarinette auch Es-Klarinette, Bassklarinette und Kontrabassklarinette kennenlernen. Ich war eine der ersten drei Studierenden, die bei ihm dieses Fach belegten, und durfte mich auf die Bassklarinette spezialisieren.
Die Bassklarinette ist nun dein Steckenpferd.
Anna Koch: Klarinette spiele ich zwar genauso gern, aber die Tiefe der Bassklarinette gefällt mir besonders gut.
Sie hat einen unglaublich großen Tonumfang – hier überzeugt dich also dann doch der Klang des Instruments …
Anna Koch: Der klangliche Spielraum der Bassklarinette ist faszinierend, aber auch Spieltechniken wie Multiphonics, wo man derart überbläst, dass ein Oberton vom Grundton zu hören ist, lassen sich fantastisch anwenden und klingen wahnsinnig toll. Auch Slaps, also ein perkussiver Effekt, den man ähnlich dem Schnalzen mit der Zunge erzeugt, lassen sich einfach unglaublich gut an der Bassklarinette umsetzen.
Wie entsteht dein Repertoire? Du schreibst selbst und hast aber auch Lieblingskomponist:innen?
Anna Koch: Für mein Soloprogramm „BASSticcio“ habe ich ganz gezielt Komponistinnen und Komponisten wie Petra Stump-Linshalm angesprochen, weil ich ihre Tonsprache einfach unglaublich mag. Auch durch mein Ensemble Platypus kommen viele Kontakte im Ausland zustande. Natürlich wird auch ganz oft in Konzerten einfach etwas programmiert und ich habe gar nicht soviel auszusuchen. Dafür bin ich aber auch sehr dankbar, denn so begegne ich Neuem. Es gibt so viel Musik, man kann gar nicht alles kennen.
„[…] ich wollte aufzeigen, dass das Konzept Minimal Music genauso funktioniert, egal ob es instrumental oder elektronisch erzeugt wird.“
„BASSticcio“ verweist auf Lasagne und ein längeres Musikstück – bei beiden werden Teile verschiedener Herkunft zusammengesetzt und in Verbindung gebracht. Dein Soloprogramm ist eine Mixtur aus eigenen und beauftragten Stücken?
Anna Koch: Die Videos sind selbst komponiert, woraus sich ein Solo-Programm entwickelt hat, für das ich dann gezielt Komponist:innen beauftragt habe. Ich wollte keinen Klarinetten-Klassenabend haben, wo ein Stück nach dem anderen gespielt wird, sondern habe eine Stunde lang durchgehend musiziert und die Stücke mittels eigener Improvisationen miteinander verbunden und verwoben. Einerseits wollte ich dem Publikum damit eine Einleitung geben, andererseits einen Übergang schaffen. Die Videos belegen meinen spielerischen Zugang zu Musik und gingen von einer Freundin aus, die mit zeitgenössischer Musik nichts anfangen konnte. Sie ist Clubmusic und Minimal Music gewohnt und ich wollte aufzeigen, dass das Konzept Minimal Music genauso funktioniert, egal ob es instrumental oder elektronisch erzeugt wird. Bei jedem meiner Stücke ist ein Motiv aus einer bestehenden Komposition für Bassklarinette dabei, das ich dann mit der Loopstation in einen neuen Kontext gestellt habe. Mit diesen Stücken wurde ich auch schon zum Festival LAMES in St. Pölten eingeladen. Die Leute kamen dann schauen, welcher DJ da auflegt …
Der Brückenschlag zur Clubkultur: ein instrumentaler DJ. Das Studium der Bassklarinette schubst wahrscheinlich automatisch zu Improvisation und Neuer Musik. Gibt es auch klassische Stücke für Bassklarinette?
Anna Koch: Bei Guiseppe Verdis „Aida“ oder bei Dmitri Schostakowitsch gibt es natürlich einzelne Orchesterstellen für Bassklarinette. Aber sie ist noch ein recht junges Instrument, weil die Instrumentenfamilie der Klarinetten erst im 19. Jahrhundert entstand, sodass auch die Literatur für Solo-Bassklarinette dann erst im 20. Jahrhundert aufkam. Als Solo-Spielerin ist man dann sehr schnell bei der zeitgenössischen Musik.
Das Tolle an der Musik ist ja ihre Universalität, doch welche Bedeutung hat es für dich, zeitgenössische Musik und weniger aus dem traditionellen Kanon zu spielen?
Anna Koch: Es ist vielleicht auch eine Aufgabe und Verantwortung, als Instrumentalistin und Performerin immer zu berücksichtigen, Musik nicht nur zu reproduzieren. Was vielleicht komisch klingt, wenn ich die Volksmusik als meine Wurzeln beschreibe. Aber ich bin auch deswegen in der Neuen Musik gelandet, weil es in der Volksmusik einen spielerischen Umgang gibt, man darf immer variieren. Im Studium lernte ich sehr strikte Vorgaben beim Instrumentalspiel zu befolgen und ich habe mich dann nirgendwo mehr wiedergefunden. Wenn es schon perfekte Einspielungen gibt, warum muss ich das dann wiederholen? Es ist wunderschöne Musik, die sehr guttut, aber in der Neuen Musik habe ich den spielerischen Zugang wiedergefunden, natürlich in der Improvisation, aber auch im Austausch mit den jeweiligen Komponist:innen. Gegen die Skepsis zur zeitgenössischen Musik versuche ich wie mit meinen Videos eine Brücke zu schlagen.
„Musik will generell nicht nebenbei gehen. Und die Anklage, dass Neue Musik Wissen voraussetze, glaube ich auf gar keinen Fall. Man muss nur offen sein.“
Der Vorwurf an die Neue Musik, sie setze zu viel Wissen und Aufmerksamkeit voraus, zerfällt aber auch, wenn klar wird, dass eine klassische Konzertsituation eben auch jene ungeteilte Aufmerksamkeit braucht.
Anna Koch: Musik will generell nicht nebenbei gehen. Und die Anklage, dass Neue Musik Wissen voraussetze, glaube ich auf gar keinen Fall. Man muss nur offen sein. Kindern erscheint Neue Musik nicht als Zumutung. Kleine Kinder machen überhaupt auf allen möglichen Gegenständen Klänge. Und erfahren damit den Klang der Dinge. Schon daraus könnte man ein Stück Gegenwartsmusik machen.
Dem Klingen in den Dingen nachgehen …
Anna Koch: … und einen Fokus darauf haben. Sowas nimmt man einfach nicht nebenbei wahr.
Sollte mensch sich also vor Wiederholungen hüten, um einer Kanonisierung zu entgehen?
Anna Koch: Die geschieht sicher auch wegen Peer-Groups und dem Wunsch nach Zugehörigkeit. Entweder muss man vorher schon so selbstbewusst sein und dazu stehen, dass einem Volksmusik beispielsweise trotzdem gefällt, oder man kennt Menschen, die diese Vorliebe teilen. Findet man sie, ist man sowieso wieder gestärkt.
Julia Lacherstorfer beispielsweise entwickelt aus der Volksmusik zeitgenössische Nuancen – wäre das für dich nicht auch ein denkbarer Weg gewesen?
Anna Koch: Daran habe ich mich wegen meines großen Respekts vor der Volksmusik bislang noch nicht gewagt. Volksmusik ist ja immer eine Funktionsmusik, die bei Festen im Jahreskreis, Hochzeiten oder auch Begräbnissen erklingt und so das Leben der Menschen begleitet. Ich wage aber Schritte, habe gerade ein Projekt dazu eingereicht. Und für meine Welttour will ich zu jedem Land, das wir bereisen, eine Komposition für Bassklarinette mit Zuspielung schreiben. Für Österreich habe ich dafür Volksmusik integriert.
„Ich schreibe mit unglaublich vielen mir bereits bekannten, aber auch noch unbekannten Menschen, habe jetzt schon so viele schöne Begegnungen gesammelt und erforsche mit ihnen, was in den jeweiligen Konstellationen künstlerisch möglich ist.“
Andreas Schett von der Musicbanda Franui teilte dazu den Gedanken, dass nur die Geschwindigkeit entscheidet, ob Volksmusik zu traurigen oder fröhlichen Anlässen gespielt wird. Aber zu deiner Welttour: Wie ist „Connecting the Dots“ konzipiert?
Anna Koch: Mein Partner und ich werden mit unserem fünfjährigen Sohn zehn Monate lang unterwegs sein. Dieses Projekt ist sehr vielschichtig und von unglaublich vielen Ideen umgeben. Durch das NASOM-Förderprogramm, das ich für 2023/24 bekommen habe, bin ich eingeladen, Auftritte im Ausland zu spielen und Masterclasses zu geben. Also habe ich meine bereits bestehenden Kontakte angeschrieben, um zeitgenössische Musiker:innen oder Komponist:innen der jeweils zu bereisenden Länder zu Kooperationen einzuladen, die am Ende der Aufenthaltszeit in ein oder mehrere Konzerte münden, bevor es dann ins nächste Land weitergeht. Die entstehenden Stücke nehme ich natürlich immer mit und trage sie weiter, je nach Veranstalter und Möglichkeiten sollen sie auf dem Weg weiterhin aufgeführt werden.
Und was nimmst du als Ausgangssituation in jedes Land mit?
Anna Koch: Die Bassklarinette ist als einziges Instrument dabei. Ich habe natürlich ein Augenmerk auf weibliche Komponistinnen gelegt, werde aber auch männliche Künstler treffen. Beispielsweise durch Reuben Jelleyman habe ich neben Konzertauftritten in Auckland auch den Kontakt zu einer Maori-Instrumentalistin bekommen, darf mit ihr gemeinsam improvisieren und ihre Musik kennenlernen! Reuben war zwei Jahre lang durch KulturKontakt Austria in Wien, wodurch ich ihm auch begegnete. Mehr oder weniger seit September 2022 bin ich nun dabei, dieses Projekt zu organisieren. Ich schreibe mit unglaublich vielen mir bereits bekannten, aber auch noch unbekannten Menschen, habe jetzt schon so viele schöne Begegnungen gesammelt und erforsche mit ihnen, was in den jeweiligen Konstellationen künstlerisch möglich ist. Ein improvisierender Zugang ist für dieses Projekt unbedingt notwendig. Es ist da wie im Alltag: Man kann sich einen schönen Plan für den Tag zurechtlegen und dann kommt eh alles anders und man muss in der Situation improvisieren.
Es geht dir dabei auch um die Würdigung des Anderen und darum, eine Spur des jeweiligen Landes in dein Musikschaffen zu legen? Über die Bassklarinette öffnest du die Welt.
Anna Koch: … und ich möchte Offenheit für andere Traditionen schaffen. In einem Monat kann man natürlich nur einen Bruchteil eines Landes kennenlernen, allein in Brasilien gibt es 220 bekannte indigene Völker. Es ist nicht mein Anspruch, jedes Land zu verstehen. Ich packe eher meine Koffer und sammle Eindrücke und Erfahrungen, die ich machen kann, um sie weiterzugeben.
Es sieht nach einer Weltreise aus, aber der afrikanische Kontinent fehlt.
Anna Koch: Ja, nach Afrika fehlen mir noch die Kontakte. Man könnte auch fragen, warum ich in Europa nichts mache, sondern nur weit weg fahre. Das hat den privaten Grund, dass größere Distanzen vor dem Beginn der Schulzeit unseres Sohnes noch leichter zu realisieren sind. Ist er dann einmal in der Schule, habe ich auch vor, das Ganze in Europa fortzuführen.
Du beschreibst in deinem Konzept dazu auch die Berücksichtigung gegenwärtiger gesellschaftlicher Verhältnisse und Umwälzungen.
Anna Koch: Sicher hat jede Kultur einen anderen Blick, eine andere Perspektive zu ein und demselben Sachverhalt und fährt andere Lösungsstrategien. Ich möchte erfahren, wie Menschen beispielsweise mit dem Müllproblem umgehen, darüber einen Austausch anregen und lernen.
„Es ist ein Versuch herauszufinden, wie wenige Dinge ich tatsächlich zum Leben brauche …“
Es gibt auch noch die Ebene des Klimaschutzes in diesem Projekt.
Anna Koch: Ich freue mich darauf, ein Schuljahr lang unterwegs zu sein und in lediglich zwei Reisetaschen alles zu packen, was wir zu dritt brauchen. Unser Zelt, Schlafsäcke und die Campingausrüstung nehmen dabei den meisten Platz ein. Es ist ein Versuch herauszufinden, wie wenige Dinge ich tatsächlich zum Leben brauche, wie weit man auch in Bezug auf die eigenen Ansprüche reduzieren kann.
Partner und Kind begleiten nicht nur die Weltreise, sondern auch das Projekt.
Anna Koch: Mein Partner Sebastian Schmid wird als Fotograf und Redakteur das Ganze auf dem Blog www.connecting-the-dots.at dokumentieren, wo man unsere Reise verfolgen kann. Wir wollen die zwischenmenschlichen Momente und Begegnungen festhalten, auch die Begebenheiten und Hintergründe, wie es zu den jeweiligen Stücken kommt, fotografisch und videografisch aufnehmen, nicht zuletzt natürlich auch für uns selbst. Es werden sicher sehr viele Eindrücke sein, die wir für uns und die Öffentlichkeit festhalten wollen. Dass unser Sohn dabei sein wird, ist auch ein Geschenk. Er erfährt und teilt dadurch, wofür wir brennen.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
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Termine:
impuls festival | Solo
Dienstag, 25. July 2023
Theater im Palais, Graz
impuls festival | Klangforum Wien
Mittwoch, 2. August 2023
Helmut-List-Halle, Graz
Austrian Cultural Forum New York | Solo
6. September 2023
Yale CCAM | Solo
12. September 2023
The Branch Museum Richmond | RVA Baroque
17. September 2023
Austrian Cultural Forum Washington DC | Solo
19. September 2023
Oracle Egg Studios Los Angeles | Black House Collective
Universidade Federal do Rio de Janeiro | Solo
São Paulo | sonora
SIMN Festival Curitiba | Solo: 8. November 2023
SIMN Festival Curitiba | Solo mit Orchester: 9. November 2023
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Connecting the Dots