„Ich muss mich nicht bewusst auf die japanische Kultur beziehen“ – TAKUYA IMAHORI im mica-Interview

Im Rahmen seines Artist-in-Residence-Programms stellt das BUNDESKANZLERAMT in Kooperation mit KULTURKONTAKT AUSTRIA ausländischen Kulturschaffenden Stipendien zur Verfügung. 2018 war der japanische Komponist TAKUYA IMAHORI für drei Monate zu Gast in Österreich. Marie-Therese Rudolph sprach mit ihm über die Inspirationsquellen, die er in der Natur findet, Einflüsse aus der japanischen Musik und seine Zeit in Wien.

Was ist das Resümee Ihres dreimonatigen Aufenthalts in Wien?

Takuya Imahori: Vor allem, dass ich mich oft in Ruhe dem Komponieren meines Klavierkonzerts widmen konnte. Das war sehr wichtig für mich, auch wenn es nicht so protzig klingt wie „eine Zusammenarbeit für ein neues Werk mit einem Orchester oder mit einem großen Ensemble oder mit einem Studio für elektronische Musik“. Die Organisatorinnen des Residency-Programms von KulturKontakt Austria haben viele Treffen für mich organisiert und ich habe beinahe jede Woche ein Konzert besucht.

Die Ruhe in der Natur, die das mitten im Wald gelegene Schloss Laudon umgibt, wo ich meine Künstlerwohnung hatte, war eine wunderbare Quelle der Inspiration für mich. Außerdem besuchte ich zweimal Tirol, das waren auch großartige Erlebnisse.

„[…] wir steuern damit in Japan auf eine zutiefst gespaltene Gesellschaft zu.“

Wie sieht die derzeitige soziale und politische Situation in Japan für Kunstschaffende aus?

Takuya Imahori: Die meisten Komponistinnen und Komponisten zeitgenössischer Musik benötigen einen weiteren Beruf, etwa im Bereich der Ausbildung, um sich das Leben zu finanzieren. Eine andere Möglichkeit ist es, zusätzlich kommerzielle Musik zu produzieren.

Die politische Situation in Japan hat sich zunehmend verschlechtert: Die aktuelle Regierung unter Premierminister Shinzo Abe setzt sich nur für große Unternehmen ein, aber nicht für die Arbeiterschaft. Sie schränkt die Rechte der Arbeiter ein und wir steuern damit in Japan auf eine zutiefst gespaltene Gesellschaft zu.

Sie beschäftigen sich intensiv mit Natur. Diese Auseinandersetzung fließt in Ihre künstlerische Arbeit ein.

Takuya Imahori: Konkret beschäftige ich mich mit Pflanzen und war dafür in Österreich auch in den Bergen. Das war eigentlich der Grund, warum ich mich für die Residency in Österreich beworben habe. Davor war ich ja schon in der Schweiz und in Italien, wo ich auch die Berge besuchte. Aber als ich im April nach Tirol fuhr, war dort in großer Höhe noch sehr viel Schnee. Was die Sichtung von Pflanzen betrifft, war das kein erfolgreicher Ausflug. Aber es war trotzdem sehr schön und beeindruckend. Im Juni fuhr ich dann nochmals nach Seefeld in Tirol, direkt an die Grenze zu Deutschland.

Die ursprünglichen Überlegungen und Berechnungen des Ausgangsmaterials für viele Ihrer Kompositionen beziehen sich auf Pflanzen. Welche Strukturen übertragen Sie?

Takuya Imahori: Ich arbeite mit zwei Ansätzen: Fibonaccireihen und Fraktale. Erstere wurden von vielen Komponistinnen und Komponisten im 20. Jahrhundert eingesetzt. Ich verwende diese auch, um die Zusammensetzung einer Pflanze zu erfassen. Mit Fraktalen arbeite ich, um eine Melodie zu bestimmen, wobei ich mit Melodie natürlich keine im traditionellen Sinne meine.

Bitte führen Sie anhand von Beispielen aus Ihrem Werkkatalog aus, wie Sie den Bezug zur Natur konkret umsetzen.

Takuya Imahori: Etwa meine Komposition „Aino“, Teil eines Triptychons, das ich für Streichorchester mit Elektronik geschrieben habe. „Aino“ ist der Name der Schwester des Joukahainen aus dem finnischen Nationalepos „Kalevala“. Für die Live-Elektronik verwendete ich Soundfiles, die ich im Vorhinein gestaltet habe. Ich habe 2005/06 viel mit dem IRCAM in Paris zusammengearbeitet, das kam mir dabei zugute.

In meinem Stück „Alchimie“ aus dem Jahr 2011 für Vibraphon und Marimba stellte ich zwei Materialien gegenüber: Metall und Holz. Der Synthesizer steuerte viele Klänge zwischen Metall und Holz bei. Oder in meiner Komposition „Cristallisation – d’après ,De l’Amour’ de Stendhal“ für ein 17-köpfiges Ensemble und Live-Elektronik ist der technische Part eine Metapher für Kristallisation. Dafür nahm ich einen Ast als Vorlage, die Struktur geht zurück auf kleine Kristalle, die wie Diamanten funkeln.

In ihrem Werkkatalog gibt es viele Stücke, die für Instrumente und Elektronik geschrieben sind. Sie verbrachten auch einige Zeit am IRCAM in Paris. Nur wenige Kompositionen sind ausschließlich für Elektronik. Wie beschreiben Sie Ihren Zugang zu elektroakustischer Musik?

Takuya Imahori: Auf der einen Seite bedeutet es, dass alles fix und unverrückbar ist. Auf der anderen – und das ist diejenige, die mich persönlich mehr interessiert –, kann man im Moment alles verändern, wenn man mit Real-Time-Prozessen arbeitet.

„Ich bin japanischer Komponist, und daher muss ich mich nicht bewusst auf diese Kultur beziehen.“

Ihre Stücke sind für unterschiedliche Instrumente geschrieben. Haben Sie bevorzugte, die Sie besonders gerne einsetzen?

Takuya Imahori: Das ist für mich schwierig zu beantworten. Eigentlich habe ich keine Präferenzen. Manche Werke sind von japanischen Instrumenten inspiriert. Etwa „Battement de l’aile des canards dans la roselières“ für Oboe und Harfe mit Elektronik. Der Titel bezieht sich auf das Geräusch, das Entenflügel beim Flattern machen. Dafür setzte ich Oboe und Harfe ein. Diese beiden Instrumente haben ihre Entsprechung auch in japanischen Instrumenten, der Hichiriki und der Koto. Ich hatte dabei auch das traditionelle Gagaku-Ensemble vor Augen beziehungsweise im Ohr. Ein weiteres, sehr wichtiges japanisches Instrument für mich ist die Shō, die Mundorgel. Sie funktioniert wie eine Orgel, ist aber ganz klein, man kann sie in der Hand halten. Sie produziert einen wunderbaren Klang. Ihren Sound habe ich über die Elektronik beigesteuert. Ich verwendete noch zusätzlich eine schon historisch anmutende Technik, wie sie Karlheinz Stockhausen und viele französische Komponisten aus dem Umfeld der Spektralisten wie Gérard Grisey oder Tristan Murail eingesetzt haben: die der Frequenzverschiebung und der Mikrotonalität. Dem Werk liegt auch ein 400 Jahre altes Haiku, ein Liebesgedicht, zugrunde. Ich bin japanischer Komponist, und daher muss ich mich nicht bewusst auf diese Kultur beziehen.

Im Oktober brachte das Ensemble Reconsil in Wien Ihre Komposition „Rosa rampicante“ für Flöte, Klarinette, Violine, Violoncello und Klavier zur Uraufführung. Auf Deutsch bedeutet der Titel „Kletterrose“. Was hat es damit auf sich?

Takuya Imahori: Auch dieses Stück ist von der Natur beeinflusst. Die Kletterrose klettert immer weiter, nimmt immer mehr Raum für sich ein. In diesem virtuosen Stück für fünf Instrumente habe ich versucht, diesen Gedanken weiterzuverfolgen. Es gibt auch einen Mitschnitt dieses Konzerts, das im Reaktor in Wien stattgefunden hat.

Sie haben schon seit längerem eine Idee für Ihre erste Oper …

Takuya Imahori: Ich habe erst wenigen Menschen von meiner Idee erzählt, darunter Dirigenten und auch Regisseuren. Es ist leider noch nicht so weit, dass ich mich an die Komposition machen kann. Ich weiß, dass viele Komponistinnen und Komponisten Opern schreiben, um eine soziale oder auch eine gesellschaftspolitische Botschaft zu übermitteln. Das möchte ich auch. Daher habe ich als Vorlage „Kani Kosen“ („Das Fabrikschiff“), den Arbeiter-Roman des japanischen Autors Takiji Kobayashi aus dem Jahr 1929, gewählt. Aber nachdem ich kein Schriftsteller bin, kann ich kein Libretto daraus machen. Daher brauche ich einen Autor für eine Zusammenarbeit, und zuerst noch einen Sponsor. Ich kenne zwar einen Produzenten und Sponsor, aber seine Herangehensweise ist etwas anders als meine. Er hat mir geraten, eine Oper mit einer ernsthaften Liebesgeschichte und einem Toten zu verfassen, sozusagen eine klischeehafte Version der Oper des 19. Jahrhunderts. Das würde dann kommerziell erfolgreich sein und Oper benötigte das. Öffentliche Förderungen würden nur einen kleinen Teil abdecken, vielleicht eine konzertante Aufführung, aber sicher keine Umsetzung auf der Bühne. Vielleicht hat er ja recht, und ich sollte die Option wählen: zuerst mit einer kommerziellen Oper reüssieren und dann eine schreiben, die ich wirklich will. Aber es liegt noch ein langer Weg bis zur Umsetzung vor mir.

Woran haben Sie in letzter Zeit gearbeitet?

Takuya Imahori: Ich habe den gesamten November an der Fertigstellung des Materials für mein Orchesterstück „Con mille fiori che sbocciano così belli“ („Tausendfach sprießen Blumen so schön“) gearbeitet. Es sind 36 Teile und über 500 Seiten, das war unglaublich viel Arbeit und sehr zeitaufwändig. Und seither arbeite ich an meinem zweiten Klavierkonzert weiter, das ich während meiner Residency in Wien begonnen habe.

Das große Orchesterwerk wurde beim Basler Kompositionswettbewerb für das Finale ausgewählt. Dieses findet von 20. bis 24. Februar 2019 mit mehreren Konzerten statt. Mein Werk wird in Basel durch die Basel Sinfonietta uraufgeführt. Auch wenn das Ensemble „Sinfonietta“ heißt, ist die Komposition doch für großes Orchester.

Vielen Dank für das Gespräch!

Takuya Imahori, geboren 1978 in Yokohama, Japan. Er studierte am Tamagawa University College of Literature und schloss die L’École Normale de Musique de Paris Alfred Cortot mit einem Diplom in Komposition ab. 2005/06 besuchte er weiterführende Kompositionskurse am Institute de Recherche et Coordination de l’Acoustique et Musique in Paris (IRCAM). 2012-2014 studierte er an der Haute École de Musique in Genf. Er graduierte an der Accademia Nazionale di Santa Cecilia in Rom 2017 mit Auszeichnung. Imahori studierte Komposition bei Yoshiyuki Doi, Masami Mikai, Yoshihisa Taira, Jean-Luc Hervé, Philippe Leroux, Michael Jarrell, Luis Naon und Ivan Fedele sowie Dirigieren bei Laurent Gay und Yoichi Sugiyama an der Civica Scuola di Musica di Milano Claudio Abbado. Er besuchte Sommerkurse und Meisterklassen u.a. in Darmstadt, Centre-Acanthe und Voix-Nouvelle de Royaumont (Frankreich), Composit (Italien), Savellyspaja (Finnland), ISA (Österreich), Takefu und Akiyoshidai (Japan). Er erhielt den Gaudeamus Preis (Niederlande 2001) für „Circle of Time“. Seine Werke wurden weltweit bei wichtigen Festivals und Veranstaltern aufgeführt und im Radio gesendet.

Links:
Takuya Imahori Website
KulturKontakt Austria