„ICH MUSS DIESES GANZ BESTIMMTE GEFÜHL EMPFINDEN” – PRESSYES IM MICA-INTERVIEW

Knapp drei Jahre nach Veröffentlichung seines hochgelobten Debüt-Albums „On The Run“ meldet sich RENÉ MÜHLBERGER alias PRESSYES mit einem neuen Video zurück. Clemens Engert sprach mit dem Musiker und Produzenten über orientalische Einflüsse, den Aufnahmeprozess des neuen Albums und warum Feedback manchmal verwirrend sein kann.

Das Video zu deiner neuen Single „LUS U“ versprüht definitiv einen gewissen Vintage-Charme. Kannst du kurz erzählen, wie es entstanden ist?

René Mühlberger: Das Video haben Marlene Lacherstorfer und ich in Eigenregie gedreht. Ich habe während der ersten Lockdown-Tristesse meine Liebe zu alten, analogen Filmkameras wiederentdeckt – gefilmt haben wir dann letztendlich mit einer 16mm-Kamera aus den 70er-Jahren. Wir sind dafür ein paar Tage nach Malta geflogen – mit sieben Kodak-Filmen und einigen PCR-Tests im Gepäck. Das war ein heikles Unternehmen, da wir keine Erfahrung mit analogen Filmen hatten und immer das Risiko besteht, dass so eine alte Kamera gar nicht mehr richtig funktioniert. Danach mussten wir in Quarantäne und drei Wochen auf die Entwicklung des Films warten, aber das hat sich ausgezahlt. Wir waren sehr glücklich, als wir sahen, dass alles gut belichtet und verwendbar war. Natürlich hätten wir aufgrund der komplizierten Reisebestimmungen lieber hier in Wien gedreht – aber die Kamera braucht eben wahnsinnig viel Licht, und Sonne war zu der Zeit in Wien so gut wie nie zu sehen. Das ganze Unterfangen war nicht einfach, aber als Künstler muss man halt auch manchmal über die Grenzen gehen.

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Der Song hat orientalische Anklänge. Woher kommt dieser Einfluss?

René Mühlberger: Ich bin grundsätzlich immer auf der Suche nach neuartigen Sounds. „LUS U” ist vermutlich durch meine Marokko- oder Asienreisen beeinflusst. Diese Trips sind jetzt zwar schon wieder etwas länger her, aber die Eindrücke daraus hinterlassen in mir immer sehr lange Spuren. Ich habe eine große Vorliebe für alles, was orientalisch klingt – sei es Afro-Beat oder türkischer Psychedelic-Pop aus den 70er-Jahren. „LUS U” bedeutet für mich, ein Stück Freiheit zurückzugewinnen. Musik ist für mich nämlich dann am besten, wenn sie mich zum tanzen bringt, deswegen habe ich das Stück vom Sound her absichtlich relativ „rough“ gelassen und nicht zu Tode produziert. Das Intro ist sozusagen eine Hommage an meinen Wahlbezirk Ottakring: zu laute Autos mit zu lauter Musik von zu jungen Fahrern zu einer zu späten Stunde. Ich liebe diese Lebendigkeit einfach und sie liegt mir näher als der sogenannte “Wiener Grant”.

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Du bist mitten im Aufnahmeprozess des neuen Albums. Bei deinem ersten Album „On The Run“ hast du das allermeiste selbst aufgenommen und produziert – wie ist dein Ansatz jetzt?

René Mühlberger:  Dieses Mal habe ich sogar noch mehr selbst gemacht und wirklich alles selber eingespielt und gemischt. Ich möchte zwar immer gerne mit anderen Leuten aufnehmen, aber bis es zu einem Termin kommt habe ich meistens schon einen Großteil selber eingespielt. Es ist eben ein sehr intuitiver und kreativer Prozess. Wenn es gerade fließt, möchte ich das nicht unterbrechen. „Go with the Flow“ sozusagen!

„Feedback verwirrt mich oft und bringt mich manchmal eher weg von meiner Intuition.”

Holst du dir während des Produktionsprozesses ab und zu auch Feedback von anderen Leuten?

René Mühlberger:  Feedback verwirrt mich oft und bringt mich manchmal eher weg von meiner Intuition. Deshalb hole ich es nur mehr sehr selten ein – beziehungsweise nur von guten Freunden, wo ich genau weiß, wie ich es zu verstehen habe. Auch als Produzent bin ich mittlerweile vorsichtiger geworden mit Feedback und werfe nicht gleich mit großen Vergleichen herum. Als Solo-Künstler ist meine Mission gegen Ende des Prozesses meistens, den Song “emotional” nicht zu verlieren. Das ist manchmal gar nicht so einfach, denn, wenn man alle Instrumente selber aufnimmt und auch noch alles editiert und mischt, wird das auch oft ein wenig technisch. Ich musste daher zuerst einmal lernen, die Perspektiven wechseln zu können – vom emotionalen Sänger zum selbständigen Mixing-Engineer.

Gibt es während einer Produktion Momente, in denen du am zweifeln bzw. sogar am verzweifeln bist?

René Mühlberger:  Grundsätzlich überwiegen natürlich die Glücksmomente, aber es gibt auch Tage, wo man kein Gefühl für einen Song findet und alles daran anzweifelt oder schlecht findet. Mittlerweile habe ich aber verstanden, dass das mehr über meinen emotionalen Zustand aussagt als über die Musik. Dann weiß ich, dass es wohl besser ist, eine Meditation zu machen als stundenlang an einem Song herumzuschrauben. Das Schönste am Musikerdasein ist für mich, dass es so viele Bereiche umfasst. Ich kann Videoproduzent, Grafiker oder sogar Werbemann sein – wobei mir letzteres nicht so liegt (lacht). Wichtig ist für mich auch, dass ich ab und zu „rauszoomen“ kann, um das große Ganze wieder klar sehen zu können und nicht nur an einem Detail hängenzubleiben. Genau aus diesem Grund ist eine gewisse Abwechslung wahnsinnig willkommen. In meinem neuen Studio produziere ich ja auch manchmal andere Bands. Das hilft mir auch sehr, um wieder klarer sehen zu können. Manchmal würde ich mir wünschen, dass ich einfach eine To-Do-Liste abarbeiten könnte – so funktioniert es bei mir aber leider nicht. Ein Song ist immer erst dann fertig, wenn ich dieses ganz bestimmte Gefühl empfinde. Das ist ein schwer zu beschreibendes Gefühl – ein bisschen so, als würde man gerade ein Eis essen und auf der Sonnenliege chillen. Solange dieses Gefühl immer wieder auftaucht, werde ich wohl nicht aufhören können. Es ist sicher auch eine Art Sucht.

Was hat dich bei diesem Album besonders inspiriert?

René Mühlberger:  Einige der Songs habe ich geschrieben, als wir mit PRESSYES in Frankreich unterwegs waren. Wir haben dort beispielsweise auf drei großen Festivals gespielt und ich habe mich dort wahnsinnig verstanden gefühlt – das inspiriert mich. Es gibt Orte, wo der Vibe einfach zu meiner Musik passt. Frankreich und Spanien sind für mich solche Länder.

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Gab es – im Vergleich zum letzten Album – auch neue musikalische Einflüsse?

René Mühlberger:  Meine Lieblingsbands wechseln ständig – aber meine große Liebe zu Tame Impala dürfte inzwischen wohl bekannt sein. Es scheint so, als hätten Kevin Parker und ich denselben Geschmack.  ich benutze sogar ähnliche Instrumente – wenn auch schon viel länger als er (lacht). Das 1968er-Ludwig-Drumset, das ich auf jeder Produktion verwende, habe ich mir vor 20 Jahren in Italien gekauft. Das war auch schon im Velojet-Video zu „I Follow My Heart” 2007 im Einsatz und auch für „Nahuel Huapi“ von Bilderbuch. Ansonsten höre ich viel Khruangbin, Tyler The Creator, The Avalanches und alles andere, was einen chilligen Sommervibe hergibt. Meine Hip-Hop-Phase ist seit geraumer Zeit wieder vorbei – dafür finde ich, dass es derzeit viele interessante funky Sachen aus Los Angeles – wie zum Beispiel Thundercat oder Anderson Paak – gibt.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Clemens Engert

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