Die Wiener Musikerin RAHEL stand schon oft in ihrem Leben auf der Bühne. Waren es zuvor allerdings in erster Linie Schauspielbühnen, erobert sie nun die der Musik. Das Besondere an RAHELS Musikstil ist eine harmonische Verknüpfung von verträumten Synthie-Klängen und einem großartigen Revival von Neue Deutsche Welle-Sounds. Im Interview mit Itta Francesca Ivellio-Vellin erzählt RAHEL, warum sie die Frauen der NDW bewundert und wie es für sie war, in einer alternativen WG im Waldviertel aufzuwachsen.
Wann darf man denn deine Debütsingle erwarten?
RAHEL: Bald! Für den ersten Song haben wir gerade das Video abgedreht.
Worum geht es da?
RAHEL: An dieser Stelle ein Zitat von Element of Crime: “Immer unter Strom, immer unterwegs und überall zu spät!” Um nicht zu viel vorwegzunehmen: Man sieht mich sehr oft rennen.
Kam das Konzept von dir alleine?
RAHEL: Nein, ich habe es zusammen mit Luca Celine Müller erarbeitet. Uns verbindet neben der gemeinsamen Arbeit auch eine Freundschaft- wir waren lange Mitbewohnerinnen, haben Straßenmusik gemacht und waren auf Reisen. Als ich noch Theater gespielt habe, hat sie die Kostüme für einige Stücke genäht. Das Video war also ein Herzensprojekt.
Wie hast du die Auswahl getroffen, mit welchem Song du als erstes an die Öffentlichkeit gehst?
RAHEL: Ich spüre ihn einfach gerade sehr! Kurzfassung des Inhalts: Es geht darum, wie es ist, wenn man sich ein bisschen so fühlt wie ein tragischkomischer Charakter namens Frances Ha (aus dem gleichnamigen Film) oder Hannah Horvath aus Girls. Der Song nimmt sich jedenfalls nicht zu ernst obwohl das was er dabei aussagt nicht unbedingt lustig ist. Ich glaub man kann auch ganz gut mitsingen oder Dehnungsübungen dazu machen.
Wie bist du vom Theater zur Musik gekommen?
RAHEL: Musik ist hobbymäßig schon ein paar Jahre lang in meinem Leben. Der Wechsel vom Theater zum professionellen Musikmachen kam dann mit dem Kennenlernen meines Produzenten Raphael Krenn. Ich wollte in diese Richtung gehen, weil ich mich beim Theaterspielen teilweise ziemlich unfrei gefühlt habe. Ich musste das machen, was mir großteils ältere, weiße Regisseure aufgetragen haben. Musik bedeutet da für mich mehr Freiheit. Außerdem ist sie zugänglich für alle – das Theater-Abo können sich wahrscheinlich nicht so viele leisten wie das von Spotify.
Hast du eine Schauspiel-Ausbildung?
RAHEL: Ja, ich habe bei Elfriede Ott studiert. Ursprünglich zum Theater gekommen bin ich, weil meine Schwester Maskenbildnerin ist. Sie hat mich mitgenommen und so habe ich dann in Romeo und Julia die kleine Julia gespielt. Das war mit sieben. Seitdem will ich auf die Bühne und habe eine große Faszination für das Performen. Ich schreibe auch Lyrik und Kurzprosa, habe ein paar Lesungen abgehalten und als Sprecherin gearbeitet. Vor zwei Jahren habe ich zum letzten Mal Sommerfestspiele gespielt, wo ich leider auch eine Me-too-Erfahrung machen musste. Hinter der Bühne habe ich oft Musiker*innen-Interviews gelesen. Dazwischen musste ich dann in meinem Dienstmädchen-Outfit mit Minirock zurück auf die Bühne und mir (in der Rolle) auf den Hintern hauen lassen. Da habe ich dann gemerkt, dass ich eigentlich gern als ich selbst auf der Bühne stehen möchte. Ich will die gesamte Entscheidungsfreiheit darüber haben, was ich anziehe, was ich aussage, was meine Themen sind. Deshalb ist das mit der Musik jetzt ein Befreiungsschlag.
Ja, mit dem klassischen Schauspiel ist das etwas schwieriger.
RAHEL: Genau. Es gibt zum Glück natürlich auch ganz andere Produktionen, bei denen Sexismus keinen Platz hat. Meine negativen Erfahrungen waren aber leider sehr prägend und ein Beweggrund, mich vom Theater zu lösen.
Sexismus gibt es aber leider in der Musik ebenso.
RAHEL: Ja, das stimmt. Und genau das gilt es natürlich zu ändern!
Wann hast du beschlossen, dich in erster Linie auf die Musik zu konzentrieren?
RAHEL: Das ist sehr schnell passiert nachdem ich Raphi, kennengelernt habe, [Anm. Raphael Krenn]. Da war uns beiden sehr bald klar, dass wir eine gemeinsame musikalische Zukunft haben möchten. Es war auch der Beginn einer sehr besonderen musikalischen Beziehung. Raphi wurde mir von einem befreundeten Musiker empfohlen. Bei unserem ersten Treffen haben wir innerhalb von zwei Stunden einen Song aufgenommen. Seitdem hält diese sehr ertragreiche Connection an. Wir erinnern uns ziemlich gerne zurück und werden dann sehr sentimental [lacht].
Das heißt du bist jetzt wegen Corona vermutlich noch nicht so oft als Musikerin auf der Bühne gestanden, oder?
RAHEL: Ja, genau. Es gab ein paar kleinere Auftritte und einen größeren, da waren wir die Vorband von Pauls Jets letzten Oktober im Loft. Das war sehr cool, auch weil die Resonanz vom Publikum so überwältigend war. Da haben wir wirklich gemerkt, dass wir da richtig sind. Ich glaube, man braucht auch ein bisschen die Bestätigung von außen- also dass man sieht, dass die Leute tatsächlich mit der eigenen Kunst resonieren – das hat man natürlich nicht, wenn man monatelang im Schlafzimmer aufnimmt. Der Auftritt hat mich auf jeden Fall durch die ganzen Lockdowns getragen [lacht].
Gibt es für dich einen Unterschied in Nervosität oder nötiger Vorbereitung, wenn du als Schauspielerin auf die Bühne gehst verglichen mit wenn du als Musikerin auf die Bühne gehst?
RAHEL: Klar ist es etwas anderes, ob ich eine komplexe Stimmung herstellen und mich in eine mir fremde Situation hineinfühlen muss oder ob ich einen Song performe, den ich selbst geschrieben habe. Was auf jeden Fall immer gleich ist, ist das Level an Präsenz, in welches man sich vor einem Auftritt hineinpusht: Einfach da sein, mit allem was man hat.
Du bist ja nicht ursprünglich aus Wien, wo bist du aufgewachsen?
RAHEL: Ich komme aus dem Waldviertel und bin in einer alternativen WG aufgewachsen. Wir waren mehrere Familien auf einem Hof und hatten Pferde, Pfaue, Schafe, Gänse, Katzen, Hamster und Frösche und eigentlich alles was so als Tier durchgeht. Mein Bruder und mein Cousin sind mit dem Pferd in die Schule geritten. Ich habe es geliebt. Toll waren auch das Kleider-Batiken und der Trommelkreis.
Vermisst du den Trommelkreis?
RAHEL: Den Trommelkreis nicht unbedingt. Aber die Zeit! Meine Mutter hat immer ganz laut Bob Marley aufgedreht, mein Bruder hatte irgendwann eine riesige Hasenzucht. Es war irgendwie alles möglich. Später sind wir umgezogen und das war traurig. Die Schule in die ich dann gegangen bin war eine typisch ländliche: Stockkonservativ, staubtrocken und sehr anders. Ich glaube, da wurde ein bisschen was in mir zugeschüttet, was ich dann erst wieder frei legen musste. Nach der Schule bin ich wieder draufgekommen, wer ich sein möchte und wie ich leben will. Jetzt wohne ich im 10. Bezirk in einem Haus, das aus sehr vielen Künstler*innen WGs besteht. Es ist eine Art zu wohnen, die meiner Kindheit gerecht wird.
Etwas, was in deiner Musik so raussticht ist der Neue Deutsche Welle-Einschlag. Was hat dich dazu inspiriert?
RAHEL: Ich habe mich viel mit Musikgeschichte auseinandergesetzt und dann einfach eine Faszination für diese Zeit entwickelt. Zum Beispiel für Annette Humpe, die Sängerin der Band Ideal. Das ist für mich eine tolle Musikerin, die nicht unbedingt in ein klassisches Frauenbild passt. Auch Nena hat mich sicher inspiriert. Meine Musik hat aber auch ganz andere Einflüsse. Ich liebe es zu experimentieren.
Kannst du dich auch mit den gesellschaftspolitischen Ansprüchen der Anfänge der NDW identifizieren?
RAHEL: Auf jeden Fall. Es gibt zu viele Themen über die man reden muss! Sexismus, Klimawandel, Flüchtlingskrise, die ganze Leier. Für mich ist das sehr simpel: Ich bin privilegiert und habe die Möglichkeit, Kunst zu machen. Gleichzeitig geht die Welt den Bach runter und da stellt sich mir ganz einfach nicht die Frage, ob ich mich zu Politik äußere oder nicht. Ich bewundere alle Menschen, die im sozialen oder politischen Feld daran arbeiten, diesen Planeten irgendwie besser zu machen.- Ich versuche das eben über die Musik.
In deinem Pressetext steht, dass du in erster Linie Haltung zeigen möchtest. Zu was genau möchtest du Haltung zeigen?
RAHEL: Ich will jetzt nicht zu viel von meinen Songs vorwegnehmen! Es sind ganz unterschiedliche Problematiken, zu denen ich darin Stellung beziehe. Ich habe einen Song, der durch und durch feministisch ist. Ein anderer thematisiert politische Radikalisierung. Was mir aber sehr wichtig ist zu betonen: Beim Schreiben interessiert mich immer dieser sehr schmale Grat zwischen Poesie und klaren Apellen. Ich möchte nie zu explizit sein und auf gar keinen Fall den Zeigefinger heben.
Apropos, du heißt ja auch auf Social Media radikalrahel.
RAHEL: Ich möchte radikal ich selbst sein. Radikal, das kann Vieles bedeuten. Es gibt zum Beispiel radikale Zärtlichkeit oder radikale Liebe. Zum Abschluss wieder ein Zitat zum Angeben, diesmal von Hannah Arendt: „Das Böse ist immer nur extrem, aber niemals radikal (…) Es kann die ganze Welt verwüsten (…). Tief aber und radikal ist immer nur das Gute.
Danke für das Gespräch!
Itta Francesca Ivellio-Vellin
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RAHEL live
16.7. Musik am Fluss – Sommerkonzert, Wien
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Link:
RAHEL (Instagram)