Ursprünglich stammt der Folksänger BOXER JOHN aus Bournemouth, England. Seinen persönlichen Brexit hat er schon vor vielen Jahren vollzogen und in London, Oslo, Hamburg, in der Schweiz und in Wales gelebt. Die Musik hat ihn bei allen Ortswechseln begleitet, nach Wien hat es ihn schließlich verschlagen, weil ihm beim Blick auf die Europakarte der Name der Stadt gefallen hat. Jürgen Plank hat BOXER JOHN von seiner Radiosendung The Vintage Underground erzählt und seine Einschätzung zur österreichischen Musikszene gegeben.
Welches war das erste Lied, das Sie in Wien geschrieben haben?
Boxer John: Das erste Lied, das ich in Wien geschrieben habe, heißt „Fading Routes“, das war ein Trennungslied, weil ich mich damals gerade von meiner damaligen Freundin in der Schweiz getrennt hatte. Ich kann mich erinnern, dass ich geweint habe, beim Schreiben.
Nachdem Sie in verschiedenen europäischen Großstädten wie Oslo und Hamburg gelebt haben, welche Unterschiede bemerken Sie in Bezug auf die jeweiligen Musikszenen?
Boxer John: Wien ist speziell, weil es in Österreich nicht so eine große Musikszene gibt wie in Deutschland oder in England. Die Szene ist zwar größer als in der Schweiz, aber die Szene in Wien ist wirklich sehr gut. Es gibt viele Locations, wo man Konzerte spielen kann. Die MusikerInnen sind sehr aktiv, die Szene ist unglaublich lebendig, mit verschiedenen Genres durchmischt. Für mich ist es musikalisch interessanter in Wien als irgendwo anders. Man hat hier Kontakt zu tollen MusikerInnen, die nicht genug wert geschätzt werden. In Deutschland könnte man mit solchen MusikerInnen nicht arbeiten, weil sie in größeren Projekten involviert wären. Aber weil die meisten MusikerInnen hier im selben Boot sitzen und nicht sehr viel verdienen, kann man mit sehr guten Leuten zusammen arbeiten und Wien ist ein guter Ort für Live-Musik.
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In den letzten Jahren waren Sie ziemlich umtriebig, sie gestalten eine monatliche Radiosendung namens The Vintage Underground auf Radio Orange und haben 2016 vier Alben innerhalb eines Monats veröffentlicht. Heuer ist bereits die CD „The Vintage Underground Vol. 1“ erschienen, was ist die Idee hinter Ihrer Radiosendung?
Boxer John: Nun, die meisten MusikerInnen vertrauen darauf, dass MusikjournalistInnen ihre Arbeit machen. Um total ehrlich zu sein: Man kann sich nicht darauf verlassen, dass MusikjournalistInnen ihre Arbeit machen. Wenn man sich etwa Radiosender oder Musikmagazine ansieht, wird klar, dass es oft um Vitamin B – also um persönliche Beziehungen geht – und weniger darum geht, aktiv nach sehr guter Musik Ausschau zu halten. Es geht dann oft darum, jene zu präsentieren, die am kommerziellsten sind oder mit denen man befreundet ist. Ich habe oft das Gefühl, dass MusikjournalistInnen die Öffentlichkeit nicht umfassend informieren, wegen ihrer Musikauswahl, die auf persönlichen Vorlieben basiert. Man muss nur das Radio einschalten, um zu erkennen, dass nicht alle Musikrichtungen repräsentiert werden. Der Schwerpunkt liegt sicherlich auf Popmusik. Das führt zu dem Eindruck, die repräsentierten MusikerInnen wären besser als die unterrepräsentierten.
Was wollten Sie daher machen?
Boxer John: Anstatt mich darüber zu ärgern, habe ich mir gedacht: Dann mache ich meine eigene Radiosendung und gebe MusikerInnen, die in öffentlich-rechtlichen Sendungen nicht vorkommen, die Möglichkeit einer eigenen Plattform. Aber in einem Umfeld, in dem es wirklich um Musik geht, nicht darum cool zu sein und sich zu promoten.
„Ich möchte etwas über Spieltechniken und über das Leben als MusikerIn erfahren und nicht jemanden, der sagt: „Hey, Leute, ich habe ein neues Album veröffentlicht.“
Wie gestalten Sie die Sendung The Vintage Underground, die allmonatlich auf Radio Orange läuft?
Boxer John: In der Sendung sprechen die Gäste über ihre Leidenschaft für Musik, ich wollte keine Genres ausschließen und allen eine Plattform geben. Die Idee ist also, dass die Gäste – egal ob es sich um eine Folkband, eine Heavy Metal Band oder eine Elektronikband wie Little Big Sea handelt, Folksongs in der Sendung spielen. Dabei zeigen sie sich meiner Meinung nach wirklich als MusikerInnen. Und sie spielen in der Sendung auch ihre eigenen Lieder. Ich möchte etwas über Spieltechniken und über das Leben als MusikerIn erfahren und nicht jemanden, der sagt: „Hey, Leute, ich habe ein neues Album veröffentlicht.“ Das finde ich langweilig.
Und in Ihrer Sendung werden alte Schallplatten präsentiert.
Boxer John: Der Hauptteil der Sendung besteht darin, alte Schallplatten zu präsentieren und den ZuhörerInnen Zugang zu Musik zu ermöglichen, die sie sonst nicht zu hören bekommen würde. Viele der Platten sind sozusagen altmodisch und wurden noch nie auf CD oder als MP3 veröffentlicht. Ich liefere auch musikhistorische Fakten mit, stelle Verbindungen her und ermögliche hoffentlich ein Sprungbrett dazu, dass die ZuhörerInnen sich weiter interessieren und ihre eigene Musik entdecken können.
Sie präsentieren Musik von Schallplatte oder sogar von Schellacks, wie finden Sie diese Tonträger?
Boxer John: Um ganz ehrlich zu sein: Vieles stammt aus meiner eigenen Plattensammlung, die ich über die Jahre hindurch angelegt habe, ich habe ungefähr im Alter von 13 Jahren begonnen und sammle Platten nunmehr seit mehr als rund 25 Jahren. Manchmal sind es auch Re-Releases obskurer Platten, die dann auf CD erschienen sind, etwa auf Repertoire Records. Eine weitere Quelle sind andere MusiksammlerInnen, die mir Material zukommen lassen.
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Für die aktuelle CD „The Vintage Underground Vol. 1“ haben Sie verschiedene Bands wie Wanjo Banjo oder Critical Jim zu Beiträgen eingeladen. Welche Lieder wurden interpretiert?
Boxer John: Am Ende jeder Sendung spiele ich den letzten Song gemeinsam mit den Gästen. „The Vintage Underground Vol. 1“ ist also eine Auswahl dieser gemeinsam gespielten Stücke und das sind entweder Traditionals oder sehr alte Folksongs aus den 1930er, 40er oder 50er-Jahren.
„Es war eine Befreiung, die vier Alben auf einen Schlag heraus zu bringen, gegen den Ratschlag von fast jedem!“
Innerhalb eines Monats, im Jänner 2016, vier Alben zu veröffentlichen, ist sehr ungewöhnlich. Wie kam es dazu?
Boxer John: Das war eine sehr persönliche Angelegenheit. Ich bin kein Geschäftsmann und kein Marketingmensch. Ehrlich gesagt, ich habe nie so agiert, warum sollte ich also in dem Moment damit beginnen, in dem ich Alben veröffentliche? Das macht für mich keinen Sinn. Ich musste diese Alben einfach aus dem Kopf bekommen, sie haben sich dort festgesetzt, sie mussten veröffentlicht werden. Es war eine Befreiung, die vier Alben auf einen Schlag heraus zu bringen, gegen den Ratschlag von fast jedem!
Was haben Sie in den nächsten zwölf Monaten vor?
Boxer John: Ich möchte ein bisschen mehr live spielen und mein Homestudio mehr in Richtung eines professionellen Studios entwickeln. Ein weiteres Album ist bereits zur Hälfte aufgenommen, es wird komplett anders sein als die bisherigen Alben.
Was wird der Unterschied sein?
Boxer John: Meine Stimme klingt als ob Lemmy von Motörhead Folksongs singen würde. Es wird wilde Drums geben und es wird einen fast psychedelischen, sanften Orgelsound wie aus den 1960er Jahren geben. Es sind Folksongs in einem sehr traditionellen Sinn, mit mehr Geschichten über andere Menschen. Sie werden aber nicht wie Folksongs klingen. Außerdem wird The Vintage Underground weiter gehen und hoffentlich wird es dazu auch eine zweite CD geben. So wird das nächste Jahr sein. Allgemein gesagt: ich möchte mich weiterentwickeln und mit meiner Musik eine nächste, eine substanziellere Stufe erreichen.
Danke für das Gespräch.
Jürgen Plank