„ICH MÖCHTE LUST AUF DIESE MUSIK MACHEN, DA ICH SIE SELBER ALS SINNLICH, ANREGEND UND FACETTENREICH EMPFINDE.“ – MARGARETA FEREK-PETRIC IM MICA-INTERVIEW

Die Komponistin MARGARETA FEREK-PETRIC hat im Rahmen des Musikfestivals Wien Modern einen Kompositionsauftrag für ihr erstes Kinder-Musiktheaterstück bekommen (ein Grund zum Feiern). Im Rahmen von Schönberg 150 (noch ein Grund zum Feiern) wird im Dschungel Wien „Die Prinzessin – ein Schönbergmärchen“ zu sehen und zu hören sein. Der Dschungel Wien übrigens ist ein Koproduktionshaus, das Künstler:innen der freien Szene vor 20 Jahren etablieren konnten. Ein weiterer Grund zum Feiern! MARGARETA FEREK-PETRIC hat mit Michael Franz Woels über die Kinkyness von Walzermusik, die Geschichte des Buh-Rufens und Humor als Selbstlektorat des eigenen Egos gesprochen.

Arnold Schönberg war ein gebürtiger Wiener. Am 13. September 1847 wurde er in eine Schuhmacherfamilie in der Leopoldstadt hineingeboren. Er litt Zeit seines Lebens unter Triskaidekaphobie. Als Meister der Dodekaphonie fürchtete er also sein Leben lang die Zahl 13. Er starb auch an einem Freitag, den 13. und sein 150. Geburtstag heuer fiel auch wieder auf einen Freitag. Wie empfänglich bist du für Zahlenmystik und Aberglauben? Haben das Schuhemachen und das Komponieren etwas gemeinsam?

Margareta Ferek-Petrić: Ich bin überhaupt nicht der Typ dafür. Mein Mann und ich, wir haben uns zum Beispiel entschlossen, an einem Freitag, den 13. standesamtlich zu heiraten. In dem Kontext war es ein Mittelfinger Richtung MA35. Ich will einfach selber über mein Schicksal entscheiden, daher bin ich kein abergläubischer Mensch, auch kein esoterischer Mensch. Ich finde es aber interessant, zu erfahren, was diese Bereiche für manche Menschen bedeuten. Ich frage mich dann, worin der Unterschied zwischen sehr religiösen und abergläubischen Menschen besteht. Denn ich erkenne schon einen spirituellen Teil in mir, und ich glaube, das ist ein Bestandteil eines jeden Menschen. Die Menge und Dosis sind einfach unterschiedlich. Meine grundsätzliche Einstellung ist, dass man vieles selber bestimmen kann – auch wenn man natürlich gewissen richtungsweisenden Schicksalsschlägen begegnen muss. Im Gesamten betrachtet, bin ich von Wissenschaft begeistert und ich werde immer ein bisschen darunter leiden, dass ich keine forensische Pathologin oder Mikrobiologin geworden bin.

Beim Schuhmacher habe ich gleich an das Thema Kunsthandwerk gedacht. Ich habe einige Freunde in diesem Bereich und bin auch mit einem Koch verheiratet. Ich finde da auf jeden Fall Parallelen. Es gibt einen gewissen Pool an Zutaten und eine Vielfalt an Möglichkeiten, und daraus ergeben sich dann Strukturen. Und ich muss sagen, ich bin generell sehr angetan von Schuhen.

Abgesehen von seinem langjährigen Freund und einzigen „wirklichen“ Lehrer, dem Komponisten Alexander Zemlinsky, war Arnold Schönberg ein Autodidakt. Bereits als Achtjähriger schrieb er einen Walzer für zwei Violinen. Eine seiner ersten zwölftönigen Kompositionen war 1923 ebenfalls ein Walzer. Welche Rolle spielt Walzermusik für dich als Komponistin?

Margareta Ferek-Petrić: Ich habe keine tiefe, innerliche Verbindung mit dem Walzer. Ich habe ihn sogar eine Zeit lang eher langweilig gefunden, obwohl ich Walzermusik im Klavierunterricht sehr gerne gespielt habe und sie auch heute wieder gerne höre. Manchmal verwende ich Walzerelemente in meiner Musik, vor allem wenn ich etwas Archaisches, Ironisches oder ein „kinky“ Element einbauen möchte.

Bild Probenfoto Die Prinzessin
Probenfoto Die Prinzessin (c) Nina Kusturica

Arnold Schönberg war ein leidenschaftlicher Lehrer, berühmte Schüler sind Alban Berg, Anton Webern, Hanns Eisler oder John Cage, Viktor Ulmann, Leonard Rosenmann, Otto Klemperer und Vilma von Webenau. Ein bezeichneter Satz zu seinen didaktischen Überlegungen: „Ein Lehrender muss den Mut haben, sich zu blamieren. Er muss sich nicht als der Unfehlbare zeigen, der alles weiß und nie irrt, sondern der Unermüdliche, der immer sucht und vielleicht manchmal findet.“ Wie kann man als Komponistin und auch Kuratorin Fehlertoleranz und Akribie beim Komponieren und Veranstalten unter einen Hut bringen?

Margareta Ferek-Petrić: Diesen Satz von Schönberg könnte man als einen Leitfaden für jeden Beruf nehmen, vielleicht sogar für das Leben. Ich glaube, ich bin eine ganz gute Kommunikatorin und kann Leute aus dem Publikum erreichen, die nicht so viel mit zeitgenössischer Musik zu tun haben. Ich möchte Lust auf diese Musik machen, da ich sie selber als sinnlich, anregend und facettenreich empfinde. Meine Kommunikationsfähigkeiten wurden durch meine Tätigkeit als künstlerische Leiterin eines Festivals für zeitgenössische Musik noch verstärkt, und andererseits hätte ich diesen Job auch nicht bekommen, wenn ich nicht schon davor gerne Menschen zu etwas bewegt hätte.

„WELCHE DOSIS IST DIE RICHTIGE FÜR DIE OPTIMIERUNG DER SITUATIONEN UND AB WELCHER VERURSACHT MAN CHAOS?“

Zum Thema Akribie und Fehlertoleranz: Ich bin ein sehr flexibler Mensch und das hat natürlich Vor- und Nachteile. Meine Flexibilität habe ich schon oft hinterfragt – ist sie angeboren oder durch mein Aufwachsen bedingt? Welche Dosis ist die richtige für die Optimierung der Situationen und ab welcher verursacht man Chaos? Beim Komponieren muss man natürlich sehr präzise sein, bzw. so greifbar wie möglich. Und trotz einer genauen Notation und/oder notierten Erklärungen ist ja sehr viel sozusagen nur zwischen den Zeilen für die Rezipient:innen –  in meinem Fall die Musiker:innen – kommunizierbar. Wie in einer Beziehung – da können schon einmal Missverständnisse entstehen. Man hat heute sehr große Freiheiten beim Komponieren, du brauchst eben die richtigen Menschen zur Zusammenarbeit, Musiker:innen, die dich verstehen wollen. Beim Kuratieren eines Festivals musste ich öfter auch sehr genau und streng sein. Ich habe gesehen, was es bedeutet, ein Monster an Veranstaltungen auf die Beine zu stellen. Die Menschen, die mit dir arbeiten, sind sehr, sehr wichtig. Jeder von uns ist ein Puzzle-Teil und muss gut passen.

Arnold Schönbergs erstes Engagement hatte er als Kapellmeister bei einem Berliner Kabarett, dem „Überbrettl“. Viele deiner Kompositionen tragen ironische Titel oder lassen humorvolles Herangehen an das Komponieren vermuten. Welche Formen der unterhaltenden Kleinkunst sind für dich interessant oder inspirierend?

Margareta Ferek-Petrić: Ironie und Humor sind sehr feine Ausdrücke der Menschlichkeit für mich. Humor ist mein Weg, mit der Welt umzugehen. Es ist eine instinktive Reaktion von mir. In den schlimmsten Situationen kann ich der Absurdität etwas Ironisches abgewinnen. Ironie und Selbstironie empfinde ich als psychohygienisch wichtig. Sie sind ein Selbstlektorat des Egos. Und deshalb sind diese Aspekte auch ein Teil von mir, wenn ich etwas komponiere. Ich denke über Humor auch sehr viel im Kontext der Political Correctness nach. Für mich bedeutet Political Correctness eine grundsätzliche Menschlichkeit im Umgang miteinander, die jeder besitzen sollte. Aber ab dem Moment, wo Humor verboten wird, frage ich mich, ob etwas schiefläuft. Ich schätze Kabarett ungemein. Und der Moment, als ich in Österreich den Kabarettisten Josef Hader für mich entdeckt habe, fühlte es sich wie ein endgültiges Ankommen in Österreich an. Ich konnte die feinen psychologischen Nuancen dieser Sprache wahrnehmen und verstehen. Das ist jetzt mittlerweile schon einige Jahre her. Aber was man mir nie als Charme verkaufen wird können, ist der “Wiener Schmäh”, den ich eher als reine Unhöflichkeit perzipiere. Ich versuche diesen inzwischen mit meinem Humor zu begegnen, mit einer gewissen Leichtigkeit des Seins, das verwirrt die hartnäckigen Wiener Seelen.

1913 fand das sogenannte „Watschenkonzert“ Eingang in die Wiener Musikgeschichte. Im Wiener Musikverein kam es nach der Aufführung von Werken von Webern, Zemlinsky, Schönberg und Berg zu einer Eskalation zwischen konservativen und progressiven Vertretern der gehobenen Gesellschaft. Das fulminante Ende dieses Hochkultur-Abends: Mahlers Kindertotenlieder konnten nicht mehr gespielt werden, es gab mehrere Verletzte durch Ohrfeigen und Schlägereien, kaputte Brillen und Festnahmen. Könntest du dir ein vergleichbares Szenario zum Beispiel bei einer Wien Modern Veranstaltung vorstellen? Welche Themen könnten heutzutage die Menschen und ihre Gemüter dermaßen überhitzen?

Margareta Ferek-Petrić: Ich wäre sehr gerne bei so einem Konzert dabei und wahrscheinlich eine von denen, die festgenommen werden, weil ich irgendeinem Konservativen eine reingehaut habe. Ich bin nicht unbedingt stolz darauf, aber in so einem spontanen, leidenschaftlichen Moment könnte ich mich schwer zurückhalten. Grundsätzlich bin ich natürlich eine Pazifistin, und ich glaube extrem stark an die Macht von verbaler Kommunikation. Leider, erfuhr ich im Leben schon einige Male, dass man in Situationen kommt, in denen man etwas mehr als verbale Kommunikation benötigt. Man hat das Recht auf Verteidigung und manche Menschen neigen zu Handgreiflichkeiten als Ausdruck der Kraft schneller als zu intensiver verbalen Konfrontationen. Ich fragte mich selber öfters, wie man heute noch in der Musik einen Skandal erzeugen kann. Haben wir überhaupt noch den Mut, so stark empört darauf zu reagieren? Sagt das etwas über die Relevanz der Musik aus? Die Segregation bei zeitgenössischer Musik ist noch sehr stark vorhanden, bzw. gibt es Festivals, bei denen alles aus dem Kontext in einem sehr speziellen Rahmen, den man sogar „safe space“ nennen könnte, präsentiert wird. Die Chance für tatsächliche Skandale dabei empfinde ich als sehr niedrig.

„SOLANGE WELTWEIT IN GROSSEN UND MANCHEN KLEINEREN HÄUSERN NICHT MUTIGER PROGRAMMIERT WIRD, WERDEN WIR AUF DIESE FRAGEN KEINE ANTWORT FINDEN. WEIL REAKTION NUR AUF AKTIONEN ENTSTEHEN KÖNNEN.“

Ich fände es sehr gut, wenn unsere zeitgenössische Musik noch öfter und selbstverständlicher ihren Weg in übliche, klassische Programme, Konzertsaisons und Repertoires fände. Dann gäbe es vielleicht wieder eine Chance für spontane Reibungen und eventuelle konstruktive Auseinandersetzungen. Oder sind die Leute generell zu desinteressiert dafür? Solange weltweit in großen und manchen kleineren Häusern nicht mutiger programmiert wird, werden wir auf diese Fragen keine Antwort finden. Weil Reaktionen nur auf Aktionen entstehen können. Ich liebe diese Momente, wenn es bei Aufführungen Buh-Rufe gibt und die Menschen reagieren und aus ihrer Passivität ausbrechen. Und ich respektiere diese mutigen Reaktionen. Ich selber habe dieses Bedürfnis nicht so stark, denn ich sehe auch immer, wie viel Arbeit hinter jeder Aufführung steckt und ich liebe es, verschiedene musikalische Welten kennenzulernen. Und es muss mir auch nicht alles gefallen. Bin ich Teil dieses Problems? Vielleicht. Auf jeden Fall wäre es einmal interessant, der Geschichte des “Buh-Rufens” nachzugehen und darüber zu recherchieren…

Als ich als 2023 das Programm für die Musikbiennale Zagreb zusammengestellt habe, gab es ein Jubiläum eines “Laibach-Skandal” aus dem Jahr 1973. Während des Kommunismus hat die slowenische Musikgruppe bei einem Auftritt zu einer Rede von Tito Pornos abgespielt. Und ich habe mir überlegt, ob man nicht ein ganzes Festivalprogramm über Kunst-Skandale entwickeln könnte. Ich glaube, ich würde das gerne einmal machen. Aber ein Skandal braucht die richtigen Umstände, er muss quasi “natürlich” entstehen. Man darf auch damit rechnen, dass er schiefläuft. Die Initiation einer Provokation kann aus verschiedenen Ecken unterschiedlich wahrgenommen werden. Ich empfinde es absurd, wie viel „tatsächlich Skandalöses“ in unserer Welt geschieht: das Führen von Kriegen, die Ausbeutung der Natur, das Verhungern von Menschen, die Liste ist lang. Doch die Sexskandale von Politikern oder Promis sorgen oft in der Bevölkerung für viel mehr Aufregung. Die Prioritäten scheinen komplett durcheinander geraten zu sein.

Arnold Schönberg wurde in jüdischem Glauben erzogen, konvertierte später und ließ sich evangelisch taufen. Als politisch engagierter Intellektueller rekonvertierte er im Jahr 1933 unmittelbar nach seiner Flucht aus Deutschland nach Paris wieder zum Judentum. Der Freigeist Schönberg hat den sich fatal steigernden Antisemitismus in Europa früh wahrgenommen. Du bist noch in einem kommunistischen Zagreb aufgewachsen, lebst seit längerem in Wien. Erlebst du als Wahl-Wienerin Repressionen oder Diskriminierungen als Komponistin, die nicht hier in Österreich geboren wurde?

Margareta Ferek-Petrić: Ich glaube, dass ich ehrlich gesagt vieles auch nicht immer wahrgenommen habe, da ich sehr klar Ziele verfolge und hauptsächlich lösungsorientiert bin. 2002 bin ich nach Wien gekommen und die ersten zehn Jahre waren schon ziemlich verrückt. Als Mensch, der damals nicht aus der EU stammte, war man hierzulande ganz leicht als Bürgerin zweiter Klasse abgestempelt. Ich befürchte, die Probleme haben sich noch immer zu wenig verändert, wurden einfach nur auf andere Nationen verschoben. Ich hatte zum Beispiel gute Noten auf der Universität und konnte schon ganz gut Deutsch. Als ich mich im Sekretariat bezüglich möglicher Stipendien informieren wollte, hat eine Dame geantwortet: “Gehen sie doch, um Geld anzusuchen, zurück in ihr eigenes Land.” Dann gab es Wettbewerbe, die nur für EU-Bürger:innen vorgesehen waren. Ich könnte ein Buch schreiben darüber, wie ich als Studentin ohne Arbeitserlaubnis versucht habe, finanziell zu überleben. Während viele andere Student:innen in ihren 20er Jahren die großen Festivals und Kompositionskurse besuchten, habe ich einfach versucht, mich über Wasser zu halten. Ich habe einige Nebenjobs ausprobiert, z. B. als Tür-zu-Tür-Agentin oder ich war Kellnerin oder habe Handys auf einer Sexmesse verkauft. Diese Lebenserfahrung, das Leben mit Unsicherheit und Unbestimmtheit, hat sicher meine Persönlichkeit geformt.

Bild Probenfoto Die Prinzessin
Probenfoto Die Prinzessin (c) Nina Kusturica

Und zurück zur Ursprungsfrage: Ich könnte nicht sagen, dass ich jetzt eine direkte Diskriminierung im Bereich der zeitgenössischen Musik erfahre, da dieser Bereich sehr vielfältig ist. Auch Förderungen schauen mittlerweile stark darauf, dass Frauen gefördert werden. Es ist eigentlich skandalös, dass man die Quoten immer noch braucht. Und zum Thema Frausein: Im Rahmen meiner Tätigkeit als Kuratorin für die Biennale in Zagreb habe ich gemerkt, dass dort fast niemand an diese Quoten denkt. Im Kommunismus gab es zwar eine gewisse Gleichstellung, in vieler Hinsicht. Doch gleichzeitig musste man als Frau auch gut für die Familie sorgen, es war aber nicht komisch, dass man einer Karriere nachgeht und auch in Führungspositionen steht. Aber Chauvinismus ist noch ziemlich allgegenwärtig, ich empfinde mehr Feinheit und Sensibilität, je weiter weg man sich von den Balkanländern bewegt.

Nun zum Kompositionsauftrag von Wien Modern im Rahmen des Subfestivals Schönberg 150. Arnold Schönberg war nicht nur als Komponist ein Suchender, als Selbstportrait-Maler ein Sich-Selbst-Suchender, sondern auch ein geselliger Familienmensch, der gerne Geschichten suchte und erfand. Eine dieser Tisch-Geschichten ist nun in Verbindung mit einem Dialog seiner Frau Gertrud als Kinder-Musiktheaterstück im Dschungel Wien zu erleben. Kannst du uns etwas über die textlichen Grundlagen zu dem Stück „Die Prinzessin – ein Schönbergmärchen“ erzählen. Wie unterscheidet sich der Prozess einer Musiktheaterstück-Entwicklung von anderen Kompositionsarbeiten?

Margareta Ferek-Petrić: Das Kinderbuch “Die Prinzessin” beruht auf einer Erzählung von Arnold Schönberg. Er hat diese Geschichte seinen Kindern oft beim Essen erzählt. Seine Tochter Nuria Schönberg Nono, die wir kennenlernen durften, erzählte uns, dass der Papi die Geschichte immer wieder ein bisschen variiert hat. Die Regisseurin Nina Kusturica und Götz Leineweber als Dramaturg haben daraus einen Theatertext, ein Libretto entwickelt. Im Text und auf der Bühne gibt es letztendlich verschiedene Ebenen. Es gibt eine spielerische kindliche Märchenebene, die Erzählung von einer Prinzessin, die sich wehtut und ihrem tollpatschigen Diener Wolf, der sich auf die Suche nach einer Wärmeflasche macht und dem vieles lustiges unterwegs passiert. Selina Traun, die als Bühnenbildnerin auch in den Archiven des Arnold Schönberg Center recherchiert hat, ist auf unveröffentlichte Drehbücher seiner zweiten Frau Gertrude gestoßen. Wir haben eine kleine Tennisszene daraus für das Musiktheaterstück benutzt, denn Tennis hat für die Familie Schönberg im amerikanischen Exil in Los Angeles eine große Rolle gespielt.

„AUCH DAS THEMA FLUCHT – ÜBER FRANKREICH UND SPANIEN IN DIE USA – WIRD VERHANDELT. DIE GESCHICHTE WIRD AUF DEUTSCH ERZÄHLT, ABER IMMER WIEDER WERDEN ENGLISCHE WÖRTER EINGEFLOCHTEN.“

Eine andere Handlungsebene versucht die vielfältige Persönlichkeit von Arnold Schönberg, der eben nicht nur musikalisch faszinierend ist, zu verdeutlichen. Auch das Thema Flucht – über Frankreich und Spanien in die USA – wird verhandelt. Die Geschichte wird auf Deutsch erzählt, aber immer wieder werden englische Wörter eingeflochten. Meine Partitur ist auch in beiden Sprachen geschrieben, Mehrsprachigkeit ist ein selbstverständlicher Teil jedes Menschen, der nicht mehr nur in der Muttersprache agiert.

Es war sehr faszinierend, eine ganz andere Seite von Arnold Schönberg kennenzulernen: der Komponist als liebevoller, humorvoller Vater, ein warmherziger Familienmensch.Ich habe zum ersten Mal ein Kindermusiktheater geschrieben. Und obwohl Oper eine Sonderform des Musiktheaters ist, für mich ist dieses Stück keine Kinderoper. Ich denke an die Oper als eine Form, wo die Musik viel stärker für sich selbst stehen kann, bei der Einstudierung wird die Partitur sehr genau verfolgt – ein Werk, bei dem jedes Wort des Librettos vertont wird und alle Ausführenden auf der Bühne professionell ausgebildete Musiker:innen sind. Bei „Die Prinzessin“ musste viel Rücksicht auf das Gespielte, Gesprochene und Szenische genommen werden. Die Pingpong-Kommunikation mit der Dramaturgie und der Regie ist dabei ganz wichtig. Weder die Regisseurin noch die zwei Performer:innen können die Partitur lesen. Es galt für mich zu verstehen, wie die Kontexte zwischen allen Ebenen in größeren Bögen gedacht sind. Ich musste einen Weg finden, gleichzeitig alles penibel in der Partitur zu fixieren, mit dem Bewusstsein, dass nicht alles haargenau verfolgt werden kann. Bei meiner Notation habe ich sogenannte “Flex Bars” vorgesehen, um Teile zu verlängern oder auch wieder rauszuschmeißen. Es gab manche Phrasen, die erst in den Proben Klarheit bekommen haben. Man muss sehr viele Freiräume mit der Musik erschaffen. Und das alles noch für Kinder.

Es hilft enorm, geniale Musiker:innen dabei zu haben, die diesen Prozess mit ihrem Instinkt und Können zu unterstützen wissen. Am Anfang des Stückes findet eine kurze musikalische Zeitreise statt. Es erklingen spielerische Andeutungen aus Stücken von Schönberg aus verschiedenen Phasen seines Lebens. Ich habe sehr viel über seine Musik recherchiert und mir wurde klar, dass ich ganz vorsichtig eine richtige Dosis an „Hommage an Arnold“ für ein Kindertheater auswählen muss. Vieles ist in einen humorvollen Kontext umgewandelt, manches in einen Ernsten, alles dient der musikalischen Unterstützung der Spielhandlungen. Einige Kinderlieder, die als Ohrwürmer im Kopf funktionieren, sind auch vorhanden. Und die sind übrigens ganz nervig beim Komponieren, lassen einen ganz schwer los. Nuria hat uns bei dem Treffen eine Melodie vorgesungen, die noch jetzt aus der Zeit als der Vater die Geschichte erzählt hat, in ihrem Kopf geblieben ist, die habe ich aufgenommen und für eines der Kinderlieder benutzt. Ich habe einen ganz kleinen Teil der „Brettllieder“ ziemlich brutal aus dem „Liebeskontext“ in den kindischen „Herumblödeln-Kontext“ umgewandelt, es macht richtig Spaß. Natürlich ist das Stück hauptsächlich ein Kindermusiktheater, doch finde ich, es wird interessant für alle, die das Kind in sich wieder erwecken möchten, vor allem ganz besonders für die Schönberg-Kenner. Da gibt es einiges zu entdecken oder zu erahnen.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Michael Franz Woels

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MARGARETA FEREK-PETRIĆ / ARNOLD SCHÖNBERG
Premiere DIE PRINZESSIN – EIN SCHÖNBERGMÄRCHEN
7. November, 17 Uhr, weitere Termine:
8.–16. November 2024
Dschungel Wien
Event

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Link:
Margareta Ferek-Petrić