„Ich möchte erzählen“ – CHILI TOMASSON (LEA’S APARTMENT) im mica-Interview

„Perfect Cinema Weather“, das neue Album des Musiker:innen-Kollektivs LEA’S APARTMENT, folgt einem Konzept: Es erzählt die Geschichte zweier Menschen, die Jahre nach ihrer Trennung auf ihre Beziehung zurückblicken. Die Lieder thematisieren selbstbestimmte Liebe, den Umgang mit Unsicherheiten sowie Hingabe und emanzipierte Romantik. Surreale Lyrik und cineastische Klanglandschaften aus analogen Synthesizern, markanten Stimmen und verzerrten Gitarren prägen den Sound. Das Album verbindet Art-Pop mit einer treibenden Rock’n’Roll-Attitüde und erzeugt ein „Kino im Kopf“. Im Interview mit Michael Ternai spricht Bandleader und Songwriter CHILI TOMASSON über die intensive Suche nach dem gewünschten Albumsound, die besondere Bedeutung der Verbindung von Lyrik und Musik und darüber, worauf er besonderen Fokus legt.

Inhaltlich erzählt das neue Album Geschichte, zweier Menschen, die einmal zusammen waren, sich getrennt haben und sich nach Jahren wieder begegnen und auf ihre Beziehung zurückblicken. Schon euer erstes Album hatte Beziehung und Liebe zum Thema. Da ging es um eine Dreiecksbeziehung. Beziehung scheint bei Lea`s Apartment ein leitendes inhaltliches Motiv zu sein.

Chili Tomasson: Ich glaube, das zentrale Thema in diesen beiden Alben sind Gespräche zwischen Menschen. Wir wollten zwischenmenschliche Beziehungen verhandeln und von  Gesprächen und Aushandlungen erzählen. Darüber, wie Menschen kommunizieren, wie sie sich an Dinge erinnern, wie sie sich positionieren und verhalten. Und ja, es stimmt. In beiden Alben geht es um Liebesbeziehungen. Allerdings denke ich diese Liebesbeziehungen mitunter auch jenseits romantischer Paarbeziehungen. Liebesbeziehungen sind ein unglaublich weites Feld: Worüber sprechen Menschen, wenn sie von Liebe sprechen? An welchen Aspekten sind die sprechenden Personen interessiert? Woran erinnern sie sich? Wie beziehen sie sich jetzt auf das, was geschehen ist? Die Personen bzw. Figuren, die in den Liedern auftreten, erzählen all das. Sie sprechen von sich und einem vage definiertem „Du“.

Bei so einem Treffen schwingt ja auch immer Nostalgie mit. Und genau dieses Gefühl vermittelt auch das Album sehr stark. Besonders vom Sound her. Inwieweit hat die inhaltliche Thematik den Klang und Stil der Songs bedingt?

Chili Tomasson: In unserem Arbeitsprozess bemühen wir uns darum, die inhaltlichen bzw. lyrischen Themen der Songs auch musikalisch umzusetzen. Der Ausarbeitungsprozess dieses Albums hat eine Weile gedauert und die Suche nach einem Klangvokabular war intensiv. Wir suchten nach einem Sound, der sich – quasi wie ein klanglicher roter Faden – über das gesamte Album erstreckt. Wir experimentierten mit dem Material, verfassten unterschiedliche Varianten der Lieder. Anfangs hatten wir den Eindruck, dass sich das Ganze in eine chansonähnliche Richtung entwickeln würde. Die Songs waren geerdet, die Besetzung eher klein und der Sound erinnerte tatsächlich stark an französische Chansons.

Im Laufe des Probe- und Studioprozesses merkten wir jedoch, dass das es nicht war, wonach wir suchten. Immer wieder brachen die Songs aus diesem zurückhaltenden Vokabular aus. In diesen Momenten entwickelten sie eine enorme Kraft. Diese Kraft hat uns sehr gut gefallen. Also begannen wir zunehmend, nach dieser Energie und Euphorie zu suchen. Wir entdeckten die Romantik letztendlich nicht in der Zurückhaltung, sondern im pulsierenden Druck der Euphorie.

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Das Album ist musikalisch ein sehr vielfältiges geworden. Es wird mit Sounds gespielt, es sind viele kleine details hörbar usw. Irgendwie merkt man, dass hinter diesem Album doch einiges an Kopfarbeit steckt.

Chili Tomasson: Definitiv.Es wird viel überlegt. Bereits im Schreibprozess schlage ich unterschiedliche Wege ein. Ich schreibe Lieder und dann schreibe ich die Lieder erneut und schließlich schreibe ich sie wieder um. Besonders in Bezug auf die lyrische Ebene verfolge ich meistens verschiedene Ansätze gleichzeitig und schreibe sie alle weitgehend aus.

Anfangs haben die Lieder sehr viele Strophen. Anschließend kürze ich sie. Meistens sind die Geschichten und Erzählungen also anfangs deutlich länger. Dann konzentriere ich mich darauf, den Kern und die Essenz der Geschichte auszuarbeiten. Ich bemühe mich, fragmentarisch zu erzählen und immer wieder Leerstellen zu gestalten. Hierbei geht es mir darum, Leerstellen zu erstellen, um den Zuhörenden Raum zu geben, sich in diesen Lücken selbst wiederzufinden. An diesem Punkt entscheide ich auch, was durch Musik und was durch Text erzählt wird, wie sich diese beiden Elemente ergänzen oder gegeneinander arbeiten. Allerdings ist es für mich notwendig, immer genau zu wissen, was in diesen Lücken passiert. Ich kann nicht schreiben, wenn mir nicht klar ist, was in diesen Lücken geschieht. Wie auch? Dieses Schreiben ist der erste Schritt in unserem Arbeitsprozess.

Wenn wir dann die Stücke gemeinsam proben und im Studio ausarbeiten, bemühen wir uns darum eine Balance zu finden. Wir spielen gemeinsam und beginnen die Lieder auszuarbeiten. Zu diesem Zeitpunkt beginnt ein gemeinsames Erzählen. An dieser Stelle beginnt die Suche nach der Balance: Einerseits gilt es einen klanglichen roten Faden zu folgen, hierbei aber die Variation aufrecht zu erhalten.

Innerhalb der Gruppe gibt es hierbei durchaus unterschiedliche Kräfte. Ich persönlich neige dazu, schnell – wahrscheinlich zu schnell – einen Punkt zu setzen. Sobald mir ein Sound oder eine klangliche Komponente zusagt, bin ich zufrieden und bereit weiterzugehen. Ich denke mir: „Wunderbar, wir haben etwas gefunden, und jetzt ziehen wir das einfach durch.“ Ich denke, das liegt daran, dass ich meinen Fokus stark auf das Lyrische richte.

Aber ich habe mittlerweile gelernt, dass es mehr Elemente als Lyrik gibt. Und hier treten dann die anderen Kräfte der Formation auf. Meistens sind es Juka, Jakob und Felix – abwechselnd und gleichzeitig – die mir dann entgegentreten. Sie sagen: „Nein, so schnell geht das nicht. Hier überlegen wir uns etwas Neues. Es gibt Klangfarben, die nicht ident sind, aber dieselbe Funktion übernehmen können. Versuchen wir das hier und das dort…“ Sie sprechen dann von Klang-Vokabular, Transienten und Sustain, Texturen der Flächen usw. In der Suche nach dieser Varianz sind sie unglaublich fantastisch. Ich liebe, wie sie arbeiten.

Um nochmals auf das Thema des Albums zurückzukommen. Man kann die Geschichte einer gescheiterten Beziehung und deren Aufarbeitung ja auch in ein trauriges und melancholisches Kleid hüllen. Das tut ihr aber absolut nicht. Euer Album ist das komplette Gegenteil dazu. Es klingt etwas Versöhnliches durch.

Chili Tomasson: Nach so einem traurig klingenden Sound habe ich überhaupt nicht gesucht. Daran war ich nie interessiert. Ich habe den Eindruck, dass es in den Gefühlen von Menschen immer eine Gleichzeitigkeit von Gegenteilen gibt. Diese Gleichzeitigkeit von quasi Widersprüchlichkeiten in Empfindungen wollte ich erarbeiten. Das war generell – für uns alle bei Lea’s Apartment – sehr zentral. Aus meiner Perspektive ist die Musik nicht traurig. Sie ist aber auch nicht dezidiert fröhlich. Ich denke, sie lässt sowohl für das eine als auch für das andere Raum. Ich genieße, diesen Umstand an diesem Album. Es ist nicht klar und eindimensional, sondern schafft es, über weite Strecken Widersprüchlichkeiten zu fassen.

Bild Lea´s Apartment
Lea´s Apartment (c) Lisa Kutzelnig

Damals als wir das letzte Mal miteinander sprachen, war Lea’s Apartment noch eine sehr frische Band. Inwieweit hat sich seitdem das tiefe Verständnis untereinander entwickelt? Wie hast du als Hauptsongschreiber die Arbeiten dieses Mal anders empfunden als zu Beginn?

Chili Tomasson: Ich glaube, wir kannten einander und auch die Wege unserer Zusammenarbeit weitaus besser. Seit der Veröffentlichung des letzten Albums haben wir sehr viele Konzerte gespielt. Das Element des Livezusammenspiels hat vieles verändert und uns als Gruppe zusammengeschweißt. Das hatte auch Auswirkungen auf die musikalischen Prozesse und deren Entwicklung. Auf den Bühnen haben wir uns in unserem Zusammenspiel neu kennengelernt und Elemente entdeckt, an denen wir Freude gefunden haben. Das hat sich auf die Studioarbeit übertragen.

Ich kann jetzt weitaus besser einschätzen, an welchen Elementen die jeweiligen Musiker:innen besonderes interessiert sind. Ich weiß, wo die Stärken der Einzelnen liegen. Ich glaube, hierin liegt der wesentliche Unterschied zu unserer Arbeit vor ein paar Jahren. Wir kennen einander und die Stärken der einzelnen. Wir wissen, wer wir gemeinsam sind und wie sich dieser „Körper“ bewegt. Wir wissen, wie wir uns gemeinsam formulieren.

Ich muss gestehen, dass ich, als ich euch damals zu eurem Debüt interviewt habe, noch nicht wirklich einordnen konnte, in welche Richtung es mit euch gehen würde. Ich kannte dich natürlich als einen Songschreiber, der weiß, was er tut – dass du es kannst, hast du ja mit Chili and the Whalekillers bewiesen. Aber es war dann doch ein ganz neues und vor allem anderes Projekt.

Chili Tomasson: Das ist spannend. In gewisser Hinsicht weiß ich natürlich, was ich tue. In anderer Hinsicht aber auch nicht. Ich bin immer auf der Suche nach Neuem. Vor allem für mich selbst, und diese schreibende Perspektive. Und dieses Neue birgt Gefahren. Es gibt Projekte, an denen ich scheitere. Ich habe ganze Alben geschrieben, die es nicht einmal in den Proberaum geschafft haben. Aber das passiert. Manchmal verlaufe ich mich.  Ich denke, das ist okay.

Also, obwohl ich doch sagen würde, dass ich weiß, was ich tue, bin ich weit davon entfernt, ein klares Ziel vor Augen zu haben. Auch jetzt kann ich nicht sagen, wohin diese Reise geht. Aber ich bin sehr froh über dieses Album „Perfect Cinema Weather“.

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Was hat es eigentlich mit dem Titel auf sich?

Chili Tomasson: Der Titel ist von Juka. Mein Arbeitstitel für das Album war ein anderer. Zu einem sehr späten Zeitpunkt hat Juka die Frage aufgeworfen, wie wir das Album wirklich nennen wollen. So ist es letztendlich „Perfect Cinema Weather“ geworden. Und ich bin Juka sehr dankbar für diesen Anstoß und die Vehemenz, mit der sie aufgetreten ist.

Für mich spiegelt der Titel die Perspektive des Albums wider. Das Wort „Kinowetter“ erzählt von einem Optimismus, der in einen nicht so schönen oder auch negativen Umstand hineingelegt werden kann, um darin zu existieren. Einfach gesagt: Es regnet, was nicht so gut ist, aber es ist für uns beide das perfekte Wetter für einen Kinobesuch. Dieser Widerspruch, wenn man das so nennen will, war für uns das Reizvolle an diesem Titel. Wir mochten die Romantik.

Wenn man dich so reden hört, spürt man, wie wichtig der Entstehungsprozess der Lieder für euch ist und wie viel Herzblut ihr in die Arbeit steckt. Du hast vorher auch erwähnt, wie viel ihr live gespielt habt. Was ist für dich persönlich die große Freude an diesem Projekt: die Arbeit am Album oder dann auch die Bühne zu betreten?

Chili Tomasson: Für mich persönlich geht es vor allem um den Aspekt des Erzählens, um den Prozess des Schreibens und die Suche nach einer Form. Das Schreiben der Lieder sowie das Umsetzen der Musik bedeuten mir sehr viel. Ich möchte erzählen.

Ob die Musik dann auf Bühnen stattfindet oder nur ein Studioalbum bleibt, ist für mich nicht mehr zentral. Mir ist es wichtig, diesen Text zu schaffen – und ich verstehe die Musik quasi als Teil dieses Textes. Für mich ist die Bühne eine Möglichkeit, diesen Text vorzustellen. Eine Platte zu machen ist eine andere. Letztendlich ist es aber eine Frage des Materials.

Ich bin überzeugt davon, dass es Alben gibt, die sich hervorragend für die Bühne eignen. Es gibt aber auch diese Alben, die sich mit aller Kraft dagegenstellen, LIVE gespielt zu werden. Ich mag beides.  „Perfect Cinema Weather“ live zu hören, ist allerdings wirklich schön.

Herzlichen Dank für das Interview.

Michael Ternai

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