Eben hat ETHEL MERHAUT ihr zweites Album „Süss & Bitter“ veröffentlicht: Der Albumtitel verweist einerseits auf den Humor der Lieder und andererseits auf die oft tragischen Lebensgeschichten der jüdischen Textdichter und Komponisten der 1920er und 1930er-Jahren. Mit Jürgen Plank hat ETHEL MERHAUT über diesen historischen Kontext genauso gesprochen wie über ein damals entstehendes neues Frauenbild und aktuelle gesellschaftspolitische Entwicklungen in Europa.
Wie hast du die Lieder aus den 1920er und 1930er-Jahren ausgewählt?
Ethel Merhaut: Einige dieser Lieder habe ich schon lange in meinem Repertoire und die sind so gut, dass ich sie unbedingt auf der CD haben wollte. Dazu habe ich noch einige Lieder gesucht, die ich passend fand: ich wollte für Frauen erstellte Texte haben und der historische Kontext sollte passen. Und die Musik sollte auch gut dazu passen und mit den anderen Stücken harmonieren.
Die Lieder sind musikalisch eine Mischung aus Operette, Schlager und Jazz. Was macht diese Lieder für dich aus?
Ethel Merhaut: Ich glaube, es ist der Humor. Ein kluger Humor, mit feinen Nuancen. Nicht übertrieben, nicht derb, immer charmant. Der Humor kann teilweise auch ein bisschen böse sein, dann aber mit einem Lächeln und nie wirklich aggressiv. Musikalisch sind die Lieder für ein Orchester aus dieser Zeit gedacht, aus den 1920er und 1930er-Jahren. Mir war es wichtig, bei dieser CD meinen eigenen Weg zu finden, von der Operette kommend, aber ich wollte zum Beispiel den Operettenklassiker „Die ganze Welt ist himmelblau“ von Robert Stolz anders interpretieren. Mit dem Können der Band fand ich es lustig, etwas anderes daraus zu machen und das entspannten Flair, den Robert Stolz, glaube ich, im Sinn hatte, beizubehalten.
„ die beteiligten Musiker kommen alle nicht von der Klassik sondern vom Jazz oder vom Musical“
Damals ist Jazz in Europa immer beliebter geworden. Es gab in weiterer Folge, ähnlich wie in den U.S.A., in Europa immer mehr Jazz-Orchester. Wie würdest du denn diesen Einfluss in Bezug auf eure Interpretationen sehen?
Ethel Merhaut: Der ist absolut da. Denn die beteiligten Musiker kommen alle nicht von der Klassik sondern vom Jazz oder vom Musical. Das ist der Bonus dieser Besetzung, dass alle extrem gut improvisieren können. So wie das damals in den Big Bands war: Da hatten die einzelnen Musiker ihre Solo-Momente und durften zeigen, was sie können. Es war mir extrem wichtig, dass nicht immer meine Stimme im Zentrum steht, sondern dass auch die Musiker ihr Können zeigen.
Robert Stolz hast du bereits erwähnt. Auf der CD ist auch das Lied „Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehen“, das durch die Interpretation von Zarah Leander große Bekanntheit erlangt hat. Das ist ein Durchhalte-Stück. Warum musste das für dich dabei sein?
Ethel Merhaut: Es ist nicht dabei, weil es ein Durchhalte-Stück der Nazis war, sondern eher im Gegenteil: Das Stück habe ich dabei, weil Bruno Balz es getextet hat. Bruno Balz wurde wegen seiner Homosexualität von den Nationalsozialisten verfolgt. Er wurde zwei Mal verhaftet und entkam der Deportierung nur durch den Einsatz des Komponisten Michael Jary, der gemeint hat, dass er ohne Balz ein Stück für einen Film nicht fertig stellen kann. Goebbels hat gemeint, dass Balz freikommt, aber innerhalb von 24 Stunden ein Lied schreiben soll. Balz hat „Ich weiß es wird einmal ein Wunder geschehen“ geschrieben. Sozusagen: ich weiß, dieses Terror-Regime hört irgendwann auf. Dieser Aspekt ist mir bei diesem Lied wichtig.
In den Liedern wird ein für die damalige Zeit neues Frauenbild transportiert: Frauen, die selbst bestimmt leben wollen und auch beruflich tätig werden. Wie ist das im aktuellen Kontext von Frauenmorden Österreich zu sehen?
Ethel Merhaut: Diese Frauenmorde sind leider eine Bestätigung: Ich gehe zwar noch immer davon aus, dass es für Frauen heute leichter ist, ein selbst bestimmtes Leben zu führen. In den 1920er Jahren hat die Befreiung der Frauen erst begonnen und heute gibt es schon mehr Rechte und Freiheiten. Wenn man sich die Situation aber ansieht, dass Frauen von ihren Männern ermordet werden., dass in einer Krise zuerst die Frauen zu Hause bleiben und die Männer zur Arbeit gehen, dann merkt man, dass wir schon noch stark in Klischees verhaftet sind. Und dass man in diesem Punkt aktuell aufpassen muss.
„’Waldemar’ ist einfach ein Superlied!“
Interessant fand ich das Stück „Waldemar”, das deine CD eröffnet. Es besingt aus der Frauenperspektive nicht – dem Nazi-Klischee folgend – den großen, blonden Mann, sondern den Anti-Held Waldemar.
Ethel Merhaut: Genau. Das Stück habe ich gewählt, weil Bruno Balz den Text geschrieben hat. Das ist vor dem historischen Hintergrund die Verhöhnung des arischen Mannes. Umso erstaunlicher ist es, dass das Lied in der damaligen Zeit so erfolgreich war. „Waldemar“ ist einfach ein Superlied! Die Version von Zarah Leander habe ich mir nicht angehört, ich versuche ja nicht, sie zu imitieren.
Zwischen den historischen Stücken findet sich ein neues Lied, „Zeitvertreib“. Was hat es damit auf sich?
Ethel Merhaut: Wir haben uns gedacht, dass es cool wäre, zu den historischen Stücken ein neues Stück hinzuzufügen. Es ist dem alten Stil verhaftet, der Pianist Belush Korenyi hat die Musik geschrieben, der Text ist von Philipp Draxler. Es geht auch um weibliche Selbstbestimmung, um die weibliche Lust, um eine Frau, die an Selbstbefriedigung denkt, um das ganz konkret zu sagen.
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Stilistisch erkennt man nicht, dass es ein neues Lied ist.
Ethel Merhaut: Das finde ich gut. Inzwischen haben wir noch ein paar neue Lieder, die werden wir ab Herbst live spielen. Die sind alle in diesem Stil, der mir am meisten zusagt und in dem ich mich gut und wohl fühle.
Ich musste in diesem Zusammenhang an Max Raabe denken, der gemeinsam mit Annette Humpe neue Lieder im alten Stil entwickelt hat. Inwiefern gibt „Zeitvertreib“ für euch die Richtung für ein nächstes Album an?
Ethel Merhaut: Das ist schwer zu sagen. Ich kann noch nicht sagen, was auf der nächsten CD drauf sein wird. Es gibt aber viele Aspekte, die mich interessieren: etwa das Repertoire der vergessenen Diven dieser Zeit. Ich meine nicht nur Zarah Leander, sondern etwa jüdische Diven wie Gitta Alpár oder Marta Eggerth. Auch Alma Rosé, die im KZ ermordet wurde. Die interessieren mich sehr. Mich interessiert es auch, eigene Sachen mit einer leicht feministischen Note zu komponieren.
Du hast ein Konzert im Palacio de Bellas Artes in Mexico City gespielt. Ich durfte dort mal ein klassisches Konzert sehen, das Ambiente von Bellas Artes ist vergleichbar mit dem Konzerthaus in Wien. Wie kam es, dass du dort gespielt hast?
Ethel Merhaut: Das war mit dem Verein exil.arte. Da haben wir vergessene jüdische Komponisten aufgeführt. Damals war Ruth Schönthal dabei und Egon Neumann. Neumann ist auch auf meiner ersten CD zu finden. Das ist ein Komponist, der total vergessen wurde, er hat wunderschöne Wienerlieder komponiert. Die dort zu spielen, war sehr spannend und toll. Aber ich muss zugeben: Mexico City liegt ja so hoch, dass einem beim Singen die Luft ein wenig ausgeht. Das ist dort eine Herausforderung. Ich beneide die dortigen Sänger und Sängerinnen nicht.
Aktuell gibt es leider verstärkt antisemitische Strömungen in Europa. Wie registrierst du diese Entwicklungen als Künstlerin, als Frau? Was kannst du da musikalisch, künstlerisch antworten?
Ethel Merhaut: Ja, das motiviert mich nur umso mehr, zu zeigen, wo Antisemitismus enden kann. Man wiegt sich in einer vermeintlichen Sicherheit. Ich finde, dass es die aber nicht gibt. Ich finde, dass der Hass gegenüber Juden und Jüdinnen extrem stark und von verschiedenen Seiten sichtbar geworden ist. Ich finde, man muss aktiv etwas dagegen tun, aktuell sieht es nicht gut aus. Die Lage ist beunruhigend und beängstigend, wenn man an die nächsten Generationen denkt und daran, worauf die sich vielleicht gefasst machen müssen.
Damals mussten die Autoren gleichsam zwischen den Zeilen schreiben, damit die Lieder ‚durchgehen’. Heute kann man Dinge klar ansprechen. Wäre das eine Positionierung, die ihr als Band in einem der nächsten Lieder einnehmen könntet?
Ethel Merhaut: Das ist eine interessante Frage. Ich bin ein sehr direkter Mensch, aber ich möchte auf keinen Fall auf aggressive Art oder auf belehrende Art politisieren. Kunst darf natürlich alles. Aber da müsste ich einen eigenen Zugang finden, der für mich stimmig ist. Das ist ein schwieriges Feld, denn ich mache keine politische Musik. Ich möchte Dinge dezent anmerken, damit die Leute zum Nachdenken angeregt werden. Aber natürlich könnten wir auch mal einen politischen Song machen. Danke für die Anregung.
Herzlichen Dank für das Interview.
Jürgen Plank
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