Mit „Für Kinder“ (Label Records) hat der Salzburger Ausnahmemusiker Benjamin Lageder (alias Magic Delphin) weit mehr geschaffen als ein Album „nur“ für Kinder. Vielmehr zeigen die Songs, wie vielfältig und wandlungsfähig Popmusik sowohl für die Kleinsten als auch für ältere Semester sein kann. Dabei oszilliert vieles zwischen SpongeBob (Spaß für Groß und Klein) und psychedelischen Pop-Perlen, die jenseits jeglicher Altersgrenzen wirken. Herausgekommen ist dabei eine der erfrischendsten und vergnüglichsten Veröffentlichungen der letzten Zeit, deren optimistische, gute Laune gerade in der heutigen Zeit fast unbezahlbar erscheint. Für mica hat sich Didi Neidhart mit Benjamin Lageder zum Interview getroffen.
Das Album wäre wohl ohne deine Tätigkeit beim renommierten Salzburger Kindertheater Toihaus nie zustande gekommen. Wie ist es dazu gekommen?
Benjamin Lageder: Ziemlich überraschend sind Cornelia Böhnisch und Katharina Schrott, die künstlerischen Leiterinnen vom Toihaus, im Frühjahr 2021 mit der Anfrage auf mich zugekommen, ein Kinderkonzert mit ihnen zu machen. Nachdem ich 2019 gemeinsam mit Gudrun Plaichinger für sie schon die Musik für das Kinderstück „Die Schnecke im Universum“ geschrieben und ich schon länger die Idee hatte, mit Magic Delphin etwas für Kinder zu machen, war das eine super Gelegenheit, mit einer Institution im Rücken ein cooles Programm für Kinder auf die Beine zu stellen.
Mittlerweile stellen Arbeiten für das Theater für viele Musiker:innen ein veritables Standbein zur finanziellen (Grund-)Absicherung dar. Gleichzeitig bieten sie die Möglichkeit, auch einmal ungewöhnlichere Dinge auszuprobieren, was wiederum dem „eigentlichen“ künstlerischen Schaffen zugutekommen kann. Ist das bei dir auch so?
Benjamin Lageder: Im Theater- oder Performance-Bereich gibt es oft völlig unterschiedliche Anforderungen. Zum Beispiel habe ich letztes Jahr für das Stück „IN CIRCLES“ von Julia Schwarzbach die Musik komponiert und war auch live auf der Bühne. Das war eine dreistündige Tanzperformance, und ich musste diese innerhalb von zwei Monaten musikalisch füllen. Das war eine völlig andere Art, Musik zu machen – sehr repetitiv, mit vielen Loops, bei denen der Feedback-Regler des Delays oft weit offen war. Das ist eine ganz andere Herangehensweise als bei einem Popsong.
Ich liebe es, solche herausfordernden Aufgaben zu bekommen. Aus eigenem Antrieb würde ich mich wohl nie zwei Monate lang mit einer Methode des Musikmachens beschäftigen, die außerhalb meiner Komfortzone liegt. Beim aktuellen Kinderstück im Toihaus, das „Flausch“ heißt, spiele ich Synth-Drones, einen sehr solistischen Bass, und Yoko Yagihara spielt Klavier. So etwas würde mir von selbst nie einfallen – leider. Es ist nämlich ziemlich nice.
Was war da dann bei den Theaterproduktionen „Die Schnecke im Universum“ und „Flausch“ anders als beim bisherigen Schreiben von Songs?
Benjamin Lageder: Also, vor allem bei „Flausch“ wusste ich schon, was auf mich zukommt, und es ist einfach eine Freude, Musik für Kinder zu machen. Das Stück ist für Kinder ab einem Jahr, und wir haben bereits vor vielen Kindergartengruppen gespielt. Die sind einfach so süß, die kleinen Mumpfis, wie sie dasitzen und staunen. Das sind wirklich die besten Konzerte.
Ich muss da natürlich anders schreiben als bei Popmusik. Vor allem, weil ich gern mit Synths und Delay arbeite, muss ich darauf achten, dass es nicht unheimlich wird. Es geht ja so schnell, dass plötzlich „Stranger Things“-Vibes aufkommen. Dann bekommen die Kinder Angst und fangen an zu weinen – und das geht natürlich nicht.
Zudem gab es ja auch noch die Veranstaltung „Toihaus feat. Magic Delphin – Indie Pop-Konzert für Kinder“, im deren Rahmen ja auch die Lieder für dieses Album entstanden sind. Was ist da genau passiert?
Benjamin Lageder: Das Toihaus und Magic Delphin haben mit freundlicher Unterstützung des Rockhouse Salzburg gemeinsam ein Indie-Pop-Konzert für Kinder entwickelt – wie der Name schon sagt. Ich habe über den Sommer die Songs und Texte geschrieben, mit Ausnahme von „Veränderung“ (Text: Felicitas Biller) und „Die Schnecke im Universum“ (Text: Susanne Lipinski).
In der Band haben wir die Stücke dann arrangiert. Ein wichtiger Teil war die Performance der großartigen Elena Francalanci, die Dramaturgie von Felicitas Biller, und die Inszenierung lag in den Händen von Cornelia Böhnisch und Katharina Schrott. Wir hatten schließlich zwei ausverkaufte Shows an einem Nachmittag im Rockhouse – und das war wirklich wunderschön.
„Kinder sind auf jeden Fall das ehrlichere Publikum.“
Würdest du sagen, dass Kinder auf deine Songs, bzw. auf (Pop-)Musik generell anders reagieren, als Erwachsene?
Benjamin Lageder: Kinder sind auf jeden Fall das ehrlichere Publikum. Bei Erwachsenen merkt man natürlich auch, wenn es ihnen gefällt. Wenn nicht, kann man sich aber oft nicht so sicher sein. Kinder hingegen weinen, machen etwas anderes oder sagen einfach Dinge wie: „Ende, jetzt bitte aus, Ende…“.
Die PR-Unterlagen sind jetzt ja auch in einen „Pressetext für Erwachsene“ und einen „Pressetext für Kinder“ unterteilt. Wie bist du auf diese Idee gekommen?
Benjamin Lageder: Ich habe dabei an Museen gedacht – dort wird ja auch mit einfacher Sprache gearbeitet. Außerdem habe ich mir gedacht, wenn ich schon ein Album für Kinder mache, sollte es auch einen Pressetext für Kinder geben. Leider habe ich aber keinen E-Mail-Kontakt zu „Pressekindern“, daher ist diese Idee ein bisschen im Sand verlaufen. Falls jemand einführende Worte möchte, bevor die Musik einem Kind vorgespielt wird, kann ich den Text aber gerne schicken.
Hast du dich früher eigentlich schon einmal als Musiker oder Komponierender für Kinderlieder interessiert?
Benjamin Lageder: Kindermusik machen, ja – aber ich bin niemand, der recherchiert, was es sonst so gibt. Ich mache einfach. Allerdings hatte ich ein traumatisierendes Schlüsselerlebnis auf einer mehrstündigen Autofahrt mit einem sehr guten Freund und seiner damals etwa achtjährigen Tochter. Irgendwie hatte er es leider übersehen und seiner Tochter versehentlich ein extrem schlechtes Kinderalbum mit dummen Texten und grottiger Produktion zu oft vorgespielt. Ihr war das Album mit der Zeit natürlich ans Herz gewachsen. Wir haben es dann zweimal durchgehört, einzelne Songs sogar mehrmals auf Repeat – und ich wollte einfach nur sterben. Was ich nicht machen will, wusste ich danach ganz genau.
Es gibt ja neben mehr oder weniger gelungenen Pop- und Rock-Versionen auch immer wieder Versuche, das Genre Kinderlied etwas ernsthafter anzugehen. Mit „Sing Sang Song 2“ erschien 2021 auf dem österreichischen Label Pumpkin Records ein diesbezüglich sehr ambitioniertes und gelungenes Projekt mit neuen Kinderliedern von und mit unter anderem Kreisky, Robert Rotifer und Ernst Molden. Siehst du da Ähnlichkeiten zu deinen Herangehensweisen?
Benjamin Lageder: Ich habe gehört, dass es so etwas gibt, auch von vielen coolen deutschen Bands gibt es einen Sampler für Kinder. Ich habe ihn aber leider noch nicht gehört. Vielleicht schaffe ich das mal. Ich bin mir aber sicher, dass wir ähnlich an die Sache herangegangen sind.
„Man muss die Kinder einfach ernst nehmen und sie halt nicht für dumm verkaufen.“
Im „Pressetext für Kinder“ steht auch, dass es vor allem darum ging, „endlich mal etwas für Kinder zu machen, weil die das (also gute und coole Musik, Anm.) genauso verdient haben wie die Erwachsenen.“ Was würdest du sagen, sind die Probleme bei Kinderliedern beziehungsweise was sind die Schwierigkeiten dabei?
Benjamin Lageder: Also, ich sehe da eigentlich kaum Probleme. Man muss die Kinder einfach ernst nehmen und sie halt nicht für dumm verkaufen.
Besteht die Herausforderung vielleicht auch in dem, was ich jetzt mal salopp den „SpongeBob-Effekt“ nennen möchte? Also in der Konstruktion einer Geschichte, bei der die Pointen für die Kinder für die Erwachsenen nicht zu platt sind und die (Insider-)Witze für die Erwachsenen auch die Kinder zum Lachen bringen können?
Benjamin Lageder: Ja, lustig, ich verwende auch oft SpongeBob als Referenz. Die Erwachsenen sind natürlich die Gatekeeper, denen muss es auch gefallen, aber es funktioniert ja andersherum auch. Meine Neffen, sechs und vier, hören liebend gern Kiss. Mein Bruder spielt ihnen die ganzen alten Rockgrößen vor, das ist ja explizit „Erwachsenenmusik“. Ich habe probiert, gute Musik für Kinder zu machen, wo alle auf ihre Kosten kommen.
„Meine Neffen, sechs und vier, hören liebend gern Kiss.“
Jetzt geht es bei Songs wie „Veränderung“ und „Von was träumst du denn, Mami?“ ja auch um durchaus ernste, sagen wir mal, „Fridays For Future“-Themen. Also um Umweltschutz beziehungsweise darum, ob es überhaupt noch etwas gibt, von dem es sich zu träumen lohnt. Wie geht man solche Themen an, damit sie weder didaktisch gut gemeinte Moralpredigten noch oberflächliches Gut-Meinen werden?
Benjamin Lageder: Im Mamilied ging es für mich darum, eine Geschichte über hoffnungsvolle Zukunftsperspektiven zu erzählen, die uns durch die jüngeren Generationen vorgelebt werden – hoffnungsvoll im Sinne einer noch formbaren Zukunft. Den Kampfgeist der Jüngeren, den es zur Veränderung braucht, vermisse ich in meiner Generation viel zu oft. In den beiden genannten Songs erzähle ich einfach nur Geschichten, die keine Moral haben – wie Köhlmeier das über die Märchen sagt, die er erzählt: Das sind einfach nur Geschichten.
Würdest du sagen, dass ein Song wie das „Neinlied“ (in dem es u.a. auch um die Schule geht) auch als Teenager-Hymne (oder überhaupt ohne Altersbegrenzung) funktioniert?
Benjamin Lageder: Ich würde gern, kann aber leider nicht für Teenager sprechen, ich hab keine Ahnung.
„Den Kampfgeist der Jüngeren, den es zur Veränderung braucht, vermisse ich in meiner Generation viel zu oft.“
Besonders bei Songs wie „Schmetterlinge als Haustier“, „Die Katze“, „Die Schnecke im Universum“ und „Weltraumtiere“ ist mir aufgefallen, dass ich sie ohne den Kontext bzw. Zusatz „Für Kinder“ gar nicht als solche erkennen würde. Eher würde ich sie für sehr tolle Psychedelic-Songs halten, bei denen es quasi ganz „logisch“ war, über Blumen, Insekten, das Weltall und Tiere zu singen. Vor allem in England waren ja Bands wie The Beatles oder Pink Floyd stark von sogenannter Kinderliteratur (z. B. „Alice in Wonderland“, „The Piper at the Gates of Dawn“) beeinflusst. Kannst du solchen Referenzen etwas abgewinnen?
Benjamin Lageder: Die Märchen und Geschichten aus meiner Kindheit haben mich geprägt und beeinflusst, wie ich Fantasiewelten erschaffe und Geschichten erzähle; insofern ganz bestimmt.
„Die Märchen und Geschichten aus meiner Kindheit haben mich geprägt.“
Kannst du schon abschätzen wie sehr diese Songs dein zukünftiges Tun beeinflussen werden? Gerade beim „Fahrradlied“ scheint es ja exemplarisch um ein Thema zu gehen, auf das du sonst vielleicht gar nicht gekommen wärst? Anders gefragt: Haben diese „Kinderlieder“ jetzt auch deine Arbeitsweisen und die damit zusammenhängenden Thematiken erweitert?
Benjamin Lageder: Ich lerne und erweitere bei jedem Projekt meine Arbeitsweisen. Ich versuche mich zu entwickeln, übe auch immer wieder mal meine Instrumente, lerne neue Musik kennen und verändere mich ja auch selbst im Inneren. So ein Album ist dann immer wieder ein gutes Dokument dafür, wo ich mich gerade, zumindest in der Sparte Pop, befinde. Also, ja.
Wird es „Für Kinder“ auch Live geben?
Benjamin Lageder: Derzeit gibt es noch keine Termine.
Danke für das Interview!
Didi Neidhart
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