„ICH HATTE EINE ART VON EGO DEATH“ – ZOSIA HOŁUBOWSKA (MALA HERBA) im mica-Interview

ZOSIA HOŁUBOWSKA ist MALA HERBA. Und dann ist sie doch wieder ZOSIA HOŁUBOWSKA. Die Wiener Künstlerin, die vor zwei Jahren durch ihr Album „Demonologia“ einer größeren Öffentlichkeit bekannt wurde, released heuer unter ihrem Klarnamen die Platte „Singing Warmia“: Musik, die mehr die stille Kontemplation fördert, als dazu in Nebelschwaden den Bass zu suchen. Außerdem streckt ZOSIA HOŁUBOWSKA ihre Fühler gerade auch in die bildende Kunst und kuratiert symbiotische Ausstellungen mit Netzwerkcharakter. Im Gespräch mit Ania Gleich erzählt die Musikerin mit polnischen Wurzeln, wieso ihr zweites MALA HERBA-Album immer noch nicht fertig ist, inwiefern Positionalität in der österreichischen Musikbranche ein blinder Fleck bleibt und welche Projekte ihr zur Zeit Hoffnung geben.  

Du hast das Album “Singing Warmia” unter deinem eigenen Namen, Zosia Hołubowska, veröffentlicht. Wieso?

Zosia Hołubowska: Zosia ist keine angenommene Identität, es ist einfach mein Name. Mala Herba hingegen ist eine Bühnenpersönlichkeit. Eigentlich habe ich meine Reise mit elektronischer Musik begonnen, indem ich in Post-Punk- und Synth-Pop-Bands gespielt habe, bis ich dann 2016 in ein PhD-Programm in Wien aufgenommen wurde. Dort habe ich angefangen, mit Performances in Galerien und eher akademisch-institutionellen Praktiken zu experimentieren. Aber ich habe Konzerte im Club und die Underground-Musikszene vermisst. Deshalb habe ich Mala Herba gegründet. Nur weil ich jetzt “Singing Warmia” herausgebracht habe, bedeutet das nicht, dass ich Mala Herba nicht mehr machen werde. Ich möchte beide Projekte weiterführen.

Du arbeitest also immer noch an neuem Material für Mala Herba?

Zosia Hołubowska: Ja, ich arbeite an dem zweiten Album. Es ist nur wirklich schwierig, ein Label zu kriegen. Ich suche schon seit über einem Jahr, aber es ist mir nicht gelungen, eines zu finden. Das macht es ein bisschen schwierig, die Motivation zu finden, es fertigzustellen.

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Findest du kein passendes Label, oder ist es generell schwer, ein Label zu finden?

Zosia Hołubowska: Ich glaube, es ist heutzutage generell schwer, ein Label zu finden, weil die Pandemie zu einer starken Verarmung geführt hat. Es ist immer weniger Geld im Umlauf und es gibt immer weniger Medien. Das macht es schwieriger, etwas Neues zu promoten, das man macht. Ich habe medial einen großen Unterschied zwischen den Reaktionen auf die beiden Veröffentlichungen und der Berichterstattung gespürt. Die Kehrseite der Medaille ist, dass in der Kunstwelt grad sehr viel passiert. Sie ist völlig übersättigt. Aber es gibt nicht genug Geld, um die Veröffentlichungen zu finanzieren oder überhaupt, um Platten zu kaufen. Es ist ein Teufelskreis.

„FÜR EINEN MOMENT WOLLTE ICH BERÜHMT SEIN UND AUF GROSSEN FESTIVALS UND BÜHNEN SPIELEN!“

Welche Facette von dir macht “Singing Warmia” aus?

Zosia Hołubowska: Die Musik ist viel anspruchsvoller und passt nicht in einen Club. Eine Zeit lang habe ich versucht, diese beiden Dinge zu mischen. Ich habe anspruchsvollere Stücke bei Mala Herba-Konzerten gespielt, aber es hat nicht funktioniert. Das konnte man spüren. Also beschloss ich, das zu trennen. “Singing Warmia” ist etwas, zu dem man sitzt, während ich mit Mala Herba versuche, die Leute zum Tanzen zu bringen und das macht mir auch sehr viel Spaß! Allerdings hatte ich mit dem Mala Herba-Projekt auch eine kleine Krise, weil ich den „Weg“ verloren habe, aber ich glaube, er kommt wieder zurück.

Warum ist das so?

Zosia Hołubowska: Ich glaube, es lag daran, dass das Album nach seiner Veröffentlichung 2021 sehr gut aufgenommen wurde und ich einen Moment lang dachte, dass ich mit diesem Projekt eine erfolgreiche Karriere machen könnte. Ich gebe zu, dass mir das ein bisschen zu Kopf gestiegen ist. Für einen Moment wollte ich berühmt sein und auf größeren Festivals und Bühnen spielen. Und dann ist das einfach nicht passiert. Es gab also eine Menge Frustration, und das war sehr schwer für mich. Aber eigentlich habe ich nur erkennen müssen, dass ich loslassen muss. Dass es nicht an mir lag, sondern dass es mit vielen äußeren Kräften zu tun hat. Das war schwer zu verarbeiten, und ich hatte eine Art von Ego Death: Das empfehle ich jedem, um zu dem zurückzukehren, was einem Freude macht. In meinem Fall habe ich festgestellt, dass ich gerne in Underground-Locations spiele und mich dort am wohlsten fühle. Dort ist das Publikum zwar kleiner, aber es interessiert sich dafür, wo es ist und was es will.

Bild Mala Herba
Mala Herba (c) Alma Bektas

Das hast du schön gesagt.

Zosia Hołubowska: Ja, aber es war eine schwierige Reise. Ich habe sehr viele Tage damit verbracht, wütend und mürrisch zu sein und zu weinen.

Aber das ist Teil des Ego Deaths, nicht?

Zosia Hołubowska: Ja, und ein Ego Death ist nie einfach. Denn viele Dinge liegen außerhalb meiner Kontrolle: Das zu akzeptieren und diese Dinge aus einer weiteren Perspektive zu betrachten, ist eine Herausforderung. Aber auch zu verstehen, wie viel Einfluss Positionalität auf die Karriere hat. Ich würde gerne eine offenere Diskussion darüber in der Kunst- und Musikszene im Allgemeinen führen.

Wie meinst du das genau?

Zosia Hołubowska: Ich würde mir mehr Transparenz in den Diskussionen um Positionalität wünschen! Ich komme zum Beispiel aus einer sehr armen Familie und hatte in dieser Hinsicht nie eine finanzielle Unterstützung. Ich musste immer arbeiten, und manche Jahre waren hart. Ich hatte also nie den Luxus, mich nur auf meine Musik zu konzentrieren. Dieser Diskurs fehlt. Je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr wird mir klar, dass manche Leute allein deswegen keine Musik machen, weil sie sich keine Ausrüstung leisten können. Oder dass man in so einer Situation denkt, dass man nicht gut genug ist, um es überhaupt zu versuchen. Ich habe so viele Jahre damit verbracht, Musik machen zu wollen, es aber nie zu tun. Ich habe dann erst sehr spät angefangen, allein Musik zu machen und konnte mir Dinge wie ein Fotoshooting oder eine PR-Kampagne zuerst nicht leisten. All diese Dinge eben, die heutzutage von Künstler:innen erwartet werden. Die Tatsache, dass ich eine Migrantin bin und alle Connections in Wien selbst aufbauen musste, spielt auch eine Rolle. Ich fühle mich manchmal immer noch unsichtbar und ausgeschlossen von der österreichischen Musikszene. Ich habe nicht die richtigen Netzwerke und kann nicht so gut Deutsch sprechen. Aber das muss ich einfach akzeptieren. Natürlich bin ich damit nicht einverstanden, aber ich kann es auch nicht ändern. Je eher ich das alles loslasse, desto mehr kann ich es genießen, für mich selbst Musik zu machen und zu spielen und nicht darüber nachzudenken, wer mich gebucht hat und wer nicht. Denn das ist ein Weg ins Nirgendwo.

„WENN WIR OFFEN DARÜBER REDEN WÜRDEN, WÜRDEN VIELE KÜNSTLER:INNEN SAGEN, DASS SIE SICH IGNORIERT ODER NICHT GESEHEN FÜHLEN“

Was wäre eine Geste von außen gewesen, die dich auf deinem Weg unterstützt hätte?

Zosia Hołubowska: Ich denke, es wäre schön gewesen, wenn es ein einfacheres Finanzierungssystem für Künstler:innen wie mich geben würde. Die beiden bestehenden Systeme sind nicht ausreichend. Eines von ihnen unterstützt hauptsächlich Popmusik. Außerdem ist die Form der Antragstellung extrem kompliziert: Es sind einfach Seiten und Seiten und Seiten. Eine DIY-Musikerin wie ich ist nicht in der Lage, das auszufüllen und den Fördergeber mit all den Strategien und Ideen zu versorgen, die gefordert werden. Die andere Förderung ist nicht leicht zu bekommen und bietet keine ausreichende Unterstützung für einen Release. Die Musikbranche braucht also mehr zugängliche Fördermittel. Das würde die Musikszene diversifizieren!

Wirst du in eine bestimmte Ecke gedrängt?

Zosia Hołubowska: Ich sehe es so: Es gibt viele Initiativen, Festivals und Partys, aber sie werden immer mehr zu Cliquen und wollen sich nicht austauschen oder miteinander interagieren. Ich glaube, das kommt nicht aus Bosheit, sondern aus Frustration. Nehmen wir an, jemand ist ein:e aufstrebende:r DJ und fühlt sich nicht zu einer bestimmten Veranstaltung eingeladen – dann organisiert sie:er einfach ihre:seine eigene Party und lädt wieder nur die eigenen Freund:innen ein. Wenn wir uns also treffen und offen darüber reden würden, würden viele Künstler:innen sagen, dass sie sich ignoriert oder nicht gesehen fühlen oder dass sie nicht dazugehören. Aber ich habe nicht mehr die Energie, das von Grund auf zu ändern. Früher hatte ich Ideen für Panels, Datenbanken usw. Aber dieses Jahr war hart für mich, und ich hatte nicht die Energie, Netzwerke zu knüpfen oder mich aktiv an einer Initiative zu beteiligen.

Diese Art von Aktivismus ist sehr energie-zehrend.

Zosia Hołubowska: Ja, natürlich. Wenn man sich selbst in einer prekären Lage befindet, ist es schwer, die Energie oder Zeit für diese aktivistischen oder kuratorischen Aufgaben zu finden. Ich habe das Gefühl, dass es für mich durch die Wirtschaftskrise immer weniger möglich ist. Die Zeit wird knapper, da ich meistens arbeiten muss, um meine Rechnungen bezahlen zu können.

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Andererseits hast du vor Kurzem ein Musikvideo released und dich an einigen Ausstellungen beteiligt, oder?   

Zosia Hołubowska: Seit einigen Jahren arbeite ich mit verschiedenen Choreograph:innen zusammen. Ich komponiere Musik für zeitgenössisches Tanztheater, meistens für das Brut, aber auch für andere Theater. Außerdem mache ich auch Sounds für Video-Artists. Aber ja, ich war auch schon in Gruppenausstellungen zu sehen. Nebenbei versuche ich, mehr Kollaborationen mit anderen Künstler:innen zu initiieren, die interessante Dinge tun und die versuchen, immersive und mehrdimensionale Projekte zu entwickeln. So habe ich etwa mit Joanna Zabielska, einer Multimedia-Künstlerin zusammengearbeitet, sowie mit Monika LoCascio, die sich mit Textilien und Kombucha beschäftigt.

Und was macht ihr da?

Zosia Hołubowska: Joanna Zabielska, Claudia Strate und ich haben ein vorläufiges Künstlerkollektiv, es heißt “Project Together”. Das war eigentlich der Name des Chats, den wir auf Telegram hatten, und wir hatten keine bessere Idee für den Namen eines Künstlerkollektivs. Kürzlich haben wir mit Monika ein Projekt mit dem Titel “Intimacy of Strangers” gemacht, bei dem verschiedene Kunstwerke zusammenkommen und die Idee der individuellen Autor:innenschaft „kompostiert“ wurde. Wir haben als Ausstellungskonzept ein Ökosystem aus Kunstwerken geschaffen. Damit sind wir im Oktober als eine Pop-Up-Ausstellung in den Praterwald gegangen, bei der wir mit Pflanzen, Bäumen und unseren mehr-als-menschlichen Geschwistern zusammenarbeiten wollten. Die Exhibition bestand aus verschiedenen Textilstrukturen und einer Klanglandschaft, die auch lyrische Texte mehrerer anderer Personen und Augmented-Reality-Animationen enthielt. Das kam gut an, und jetzt versuchen wir, dieses Konzept als neue kuratorische Praxis zu verbreiten, die wir “Lichenising” nennen, abgeleitet von Lichen, einem dynamischen symbiotischen System aus Algen, Pilzen und Bakterien. Uns interessieren solche Systeme der gegenseitigen Unterstützung. 

„MAN KANN ALS MENSCH NICHT AUF ALLES REAGIEREN, DAS GERADE PASSIERT”

Habt ihr euch auch mit Rhizomen beschäftigt, also Wurzelsystemen, die keinen einen Ursprung haben?

Zosia Hołubowska: Das ist eine der Ideen, von denen wir inspiriert wurden! Jedenfalls versuchen wir grad, uns mit diesem Konzept bei verschiedenen Institutionen zu bewerben und hoffen, eine Chance zu bekommen, es weiterzuentwickeln. Ich bin sehr stolz auf unsere Idee. 

Wie soll man Menschen dazu bringen, zu verstehen, wie alles so symbiotisch miteinander verknüpft ist? 

Zosia Hołubowska: Oh, man kann als Mensch nicht auf alles reagieren, was gerade passiert. Ich habe aber versucht, mit Künstler:innen zusammenzuarbeiten, die substanzielle Gespräche über diese Zusammenhänge führen. Außerdem höre ich viele Podcasts und bestelle eine ganze Reihe von Büchern über Themen, die uns etwas über Verbundenheit, Solidarität, gegenseitige Hilfe, sowie animistische und spirituelle Formen des Umgangs mit der natürlichen Welt lehren. Für mich geht es vor allem darum, Projekte kennenzulernen, die mir Hoffnung geben. Deshalb höre ich gerne Menschen zu, die sich für die Wiederherstellung von Land und für Ernährungsgerechtigkeit einsetzen oder traditionelles archaisches Saatgut sammeln. Alle, die sich mit Dingen beschäftigen, die die Art und Weise, wie wir miteinander und mit der Natur umgehen, neu definieren. Das ist es, was mich täglich bei Verstand hält: Einfach zu wissen, dass es da draußen Menschen gibt, die das praktizieren.

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„Mala Herba“ hat auch etwas sehr Schamanisches.

Zosia Hołubowska: Oh ja, das liegt daran, dass ich ein sehr spiritueller Mensch bin, und das möchte ich durch meine Kunst zum Ausdruck bringen. Ich möchte durch Musik Momente der Heilung und der Nähe zur Natur erzeugen. Das ist einfach generell etwas, das mich sehr beschäftigt. Im Moment arbeite ich an Skulpturen, die von der Idee der Symbiose verschiedener Materialien inspiriert sind. Ich hoffe, dass ich daraus einen Altar oder ein Orakel bauen kann. Diese Versuche finden gerade in meinem Zimmer statt! Ich glaube, das war auch die Inspiration für „Singing Warmia“: Der Landschaft erlauben zu sprechen. Ich denke, es gibt eine Beziehung zwischen traditioneller Musik und der Landschaft, in der sie entstanden ist. Wo es keine Familienarchive gibt, kann ich die Landschaft zum Singen bringen oder die Geister beschwören, die sie bewohnen. Ich denke, wenn wir die Natur als unsere Familie betrachten würden, könnte sie uns so viel Unterstützung und Lösungen für die Probleme unserer Zeit bieten.

Ich danke dir für das Gespräch! 

Zosia Hołubowska: Ich danke dir!

Ania Gleich 

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Links:
Zosia Holubowska/Mala Herba (Instagram)
Zosia Hołubowska/”Singing Warmia” (Bandcamp)
Mala Herba (Bandcamp)