Manche bezeichnen sie als Goth, andere attestieren ihr Gitarrenlärm. Dass TINA BAUER als TERZ NERVOSA eher das Dazwischen aus den Träumen schält, hat noch niemand geschrieben. Bis jetzt. Die Wiener Künstlerin – TINA knipst nicht nur Fotos, sondern speibt mit Ana Threat als PUKE PUDDLE auch in Wiener Gürtelbögen – hat gesprochen. Warum sie sich manchmal mit einem Clown identifiziert und man öfter die Augen schließen sollte, erfahren wir nach zwei Verlängerten.
Ich spür heute so eine innerliche Nervosität. Kennst du das?
Tina Bauer: Anekdote: Du hast mal was über Puke Puddle, mein musikalisches Projekt mit Ana Threat, geschrieben. Es ging um Saiten, in die ich reinschmettere. Das fand ich extrem lustig, weil es in dem Projekt gar keine Gitarre gibt, in die ich reinschmettern könnte, und ich dachte mir nur: how? Sorry für den Diss, haha.
Vielleicht hab ich zu viel Kaffee getrunken. Das hängt natürlich alles zusammen.
Tina Bauer: Lifehack: Nicht zu viel Kaffee trinken. Deshalb sind meine Blutwerte so gut. Alle Vampire da draußen, die einen guten Schluck brauchen …
Unser Körper sollte viel mehr Dankbarkeit erfahren.
Tina Bauer: Danke an die Hardware!
Und an die Software. Träumst du viel?
Tina Bauer: Ja,sehr viel. Meistens sind es komplexe, teilweise anstrengende Träume. Manchmal wird es schwer zwischen Traum und Wirklichkeit zu unterscheiden.
Was hast du heute geträumt?
Tina Bauer: An heute Nacht kann ich mich leider nicht erinnern. Der letzte Traum, an den ich mich erinnern kann war aber vielleicht ein bisschen zu dark, um ihn zu erzählen.
Feel free.
Tina Bauer: Oft haben meine Träume mit der Wahrnehmung von Räumen zu tun. Ich seh zum Beispiel das Haus meiner Eltern, die Umgebung, in der ich aufgewachsen bin. Es gibt ungefähr eine Million Versionen davon in meinem Kopf. Sie unterscheiden sich visuell und gehen mit unterschiedlichen Gefühlen einher. Ich kann das Haus eindeutig erkennen, aber ich seh es aus unterschiedlichen Perspektiven – als ob sich die Erinnerungen und Träume meiner Kindheit mit der Gegenwart vernetzen.
Versuchst du diese Erinnerungen in Worte zu fassen?
Tina Bauer: Nein, ich hab es zwar versucht, aber die Verschriftlichung von Traumsequenzen und deren visueller Darstellung scheint mir unmöglich. Oft fallen mir vergangene Träume aber ohnehin irgendwann wieder ein.
Deshalb versteht man in deinen Songs manchmal keine Worte, sondern nur ihre Fetzen?
Tina Bauer: Es geht mir oft mehr um den eigenen Zustand – eine Landschaft verändert sich zum Beispiel, je nachdem mit welchem Gefühl ich sie ansehe. So ist es vielleicht bei meinen Songs auch.
Stimmt, die Stimmung verändert die Wahrnehmung. Erinnerungen verändern sich auch mit der Zeit.
Tina Bauer: Die Feedback-Schleife des Unterbewusstseins.
Träume führen auch zu einem Gefühl, auch wenn man sich nicht immer an den Inhalt erinnert.
Tina Bauer: Ich kann mich nicht immer erinnern, worum es in meinem Träumen geht, die Intensität, mit der manche nachwirkenm, ist aber beeindruckend. Wenn du zum Beispiel mit einem schrecklichen Gefühl nach einem Traum aufwachst, an den du dich nicht erinnerst und das Gefühl nicht aufschlüsseln kannst, weil dir die Story fehlt.
„Träume sind die Show, die uns das Unterbewusstsein liefert.“
Als ob man den Schlüssel für die Tür verliert, die man gerade erst abgeschlossen hat.
Tina Bauer: Träume sind die Show, die uns das Unterbewusstsein liefert. Meine Musik entsteht aus den Gefühlen, die dort auftauchen. Deshalb kann ich oft nicht sagen, woher meine Texte kommen – sie entstehen aus einem inneren Monolog.
Es landet ganz schön viel im Unterbewusstsein, es kommt nur nicht immer zum Vorschein.
Tina Bauer: Ein Beispiel: 2020 hat mein Unterbewusstsein beschlossen, mir täglich ungefähr 20 verschiedene Popsongs aus den letzten 28 Jahren vorzuspielen. Es war wie eine Hitparade meiner Lebenszeit mit Songs, an die ich nie aktiv denken würde, aber anscheinend irgendwann gehört habe.
Kannst du dir erklären, woher das kam?
Tina Bauer: Es hatte sicher viel mit den äußeren Umständen zu tun. Wenn man an die damaligen Lockdowns zurückdenkt: Wir waren getrennt von der Gesellschaft, hatten nur unsere Mitbewohnenden …
Oder sich selbst.
Tina Bauer: Ja, dieser Zustand des Auf-sich-selbst-Zurückgeworfenseins hat mich an meine Kindheit erinnert. In den Sommerferien war ich froh, wenn ich mal einen Monat allein sein konnte. Ich hatte gerne meinen space.
Warst du Einzelgängerin?
Tina Bauer: Hmm, Einzelgängerin.
Warst du lieber für dich als mit anderen?
Tina Bauer: Nicht unbedingt. Manchmal brauch ich meine Traumwelt, in der nur ich bin. Das war schon immer so. Es muss aber gar keine Traumwelt sein, es darf auch die reale Welt sein.
In Wiens Untergrund hättest du dir mit einer Goth-Ästhetik einen Namen gemacht, hat Mio Obernosterer im skug Magazin geschrieben. Wann hast du gemerkt, dass du Goth bist?
Tina Bauer: Ich identifizier mich nur teilweise als Goth. Vor allem am Anfang hat es mir die Berechtigung gegeben, meine darken Gefühle theatralisch rauszulassen. Ich leb aber keinen argen Goth-Lifestyle – auch weil es nicht nur das ist, was ich bin, mach oder höre.
Wir haben gerade „Centre” von deiner letzten EP auf Tender Matter gehört. Der Sound begräbt und hebt doch hoch.
Tina Bauer: Das ist der Pierrot-Spirit!
Der Pierrot-Spirit?
Tina Bauer: Pierrot ist ein trauriger Clown – eine Figur, mit der ich mich gut identifizieren kann.
Du identifizierst dich mit einem Clown?
Tina Bauer: Des Öfteren, aber nicht immer. Bei meiner Version der Geschichte von Pierrot geht es unter anderem um unerwiderte Liebe. Pierrot will seine angebetete Person mit einem Lied für sich gewinnen. Eine Geschichte voller Sehnsucht.
Und Tragik.
Tina Bauer: Vielleicht. Aber auch Hoffnung!
Magst du Kontraste?
Tina Bauer: Who does not?
Es gibt Menschen, die keine Kontraste mögen.
Tina Bauer: Ich liebe Kontraste.
Sind Hoffnung und Tragik Kontraste?
Tina Bauer: Im Pierrot-Spirit vielleicht schon.
Wie interpretierst du ihn?
Tina Bauer: Das ist Ansichtssache. Deshalb bin ich manchmal Pierrot – aber nicht immer.
Wie fühlst du dich heute: tragisch oder hoffnungsvoll?
Tina Bauer: Weder noch. Es gibt dieses Meme von 30 Rock: Liz Lemon sagt: „What a week, huh?” und Alec Baldwin erwidert: „Lemon, it’s Wednesday!” So fühl ich mich.
Zum Glück ist bald Wochenende!
Tina Bauer: Na ja, es ist Dienstag.
„Es muss sich einfach richtig anfühlen.”
Du arbeitest auch mit Bildern, hast unter anderem Fotografie studiert. Verschränkt sich das mit deiner Arbeit als Musikerin?
Tina Bauer: Ich hab meistens genaue Vorstellungen, wie etwas ausschauen soll. Es muss sich einfach richtig anfühlen. Das kann man nicht erklären – man weiß, wenn es passt.
Mich interessiert der Punkt, an dem man es weiß.
Tina Bauer: Man probiert herum, bis es etwas ist. So wie man es aus der Kindheit kennt. Man kreiert etwas in seinem eigenen space, weil es einem Spaß macht, ohne viele Gedanken an so etwas wie Außenwahrnehmung.
Wär es schön, wieder wie eine Fünfjährige denken zu können?
Tina Bauer: Eher stressig. Man wäre zwar auf eine gewisse Art frei–er, aber trotzdem ist man sehr abhängig vom jeweiligen Umfeld.
Sind wir das nicht ohnehin?
Tina Bauer: Schon! Aber wir haben als Erwachsene mehr agency und Möglichkeiten.
Wollen wir noch „Landscapes” hören?
Tina Bauer: Ich empfehle, die Augen zu schließen.
Wir introspektieren!
Tina Bauer: Man hört Musik, schließt die Augen und sieht Bilder. Das ist für mich unumgänglich.
Vorhin haben wir über Popsongs gesprochen. Während sie Videos brauchen, um was zu sehen, bräuchte man hier: nichts!
Tina Bauer: Trotzdem gibt es zu dem Song ein Video.
Ja, aber ohne konkrete Bilder, oder? Nicht so wie bei, sagen wir, Songs von Britney Spears.
Tina Bauer: Ich hätt jetzt gar nicht an Britney Spears gedacht.
An wen hast du gedacht?
Tina Bauer: An keine bestimmte Person.
Das ist aber fad.
Tina Bauer: Du bist fad, haha.
Das lassen wir so stehen! Ich sag trotzdem: Deine Musik ist ein Geschenk. Sie ist kein Burger, den man runterschlingt, sondern die Vorbereitung auf ein Festessen.
Tina Bauer: Vielleicht hängt meine Liebe zum Kochen auch mit meiner Musik zusammen.
Du kochst gern?
Tina Bauer: Ich lad gern friends ein und bekoch sie. Darauf bereite ich mich vor, leg Ordner mit Lesezeichen an, haha. Wenn ich mich entschieden hab, was ich koche, suche ich fünf verschiedene Rezepte zu diesem Gericht raus und mach daraus meine eigene Version.
Das ist die Essenz: keine Kopie, sondern die Kreation! Ob das die Musik, oder beim Kochen ist.
Tina Bauer: Es geht bei beiden um Timing, Layers, Flavour, Vibes, Liebe, Curation, …
Welches Rezept wäre „Landscapes”?
Tina Bauer: Eine Neuinterpretation einer nostalgischen Speise aus meiner Kindheit, die drei Tage Zubereitungszeit braucht.
Drei Tage! Lass uns zum Abschluss drei Sätze für die Hard Facts zu Terz Nervosa raushauen.
Tina Bauer: Dieses Jahr kommt eine neue EP auf Tender Matter raus. Ich spiel am 31. Jänner 2023 im Viper Room und am 31. März in der Kapu in Linz. Außerdem gibt es einen gemeinsamen Track mit Sundl, auf seinem neuen Album, das Ende April rauskommt. Und: Es wird bald zum ersten Mal Terz-Nervosa-T-Shirts geben!
Tina, danke für deine Zeit!
Marion Ludwig, Christoph Benkeser
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Links:
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Terz Nervosa (Instagram)
Tender Matter (Bandcamp)
Puke Puddle (Bandcamp)