„Ich habe vor nichts mehr Angst” – salute im Interview

salute hat einen irren Lauf. BBC und Boilerroom feiern den gebürtigen Wiener. Und für das sehr renommierte Mixmag zählt er zu den 22 DJs, die das vergangene Jahr definiert haben.

Wie stolz bist du auf deine Triple-EP “Condition“ bei Pias?

salute: Das war mein erstes Projekt, bei dem ich mich richtig auf UK-Tanzmusik eingelassen habe. Deshalb hatte ich schon Angst, wie es ankommt. Mich sprechen so viele Leute darauf an, und es sind viele meiner besten Songs drauf. Darauf kann ich schon stolz sein. “All About You“ ist eines meiner Lieblingslieder. Ich liebe “Lafiya”, weil es mich an eine Ära vor zehn Jahren erinnert, 2-Step ohne Shuffle mit Dancehall Einflüssen. Den Track kennen nur wenige, weil er instrumental ist.

Dieses Video auf YouTube ansehen.
Hinweis: Mit dem Abspielen des Videos laden sich sämtliche Cookies von YouTube.

Braucht es Vocals?

salute: Schon. Wenn nicht, müssen die Synths poppig sein. Für mich machen die Vocals oft den Unterschied aus, ob etwas nur cool ist oder ein Wahnsinn.

Wie findet man seinen Sound?

salute: Sehr, sehr viel Musik machen. Ich mache seit vierzehn Jahren Musik und hatte nicht immer meinen Sound. Ich höre relativ wenig elektronische Musik. Meinen Sound machen all die Einflüsse aus allen anderen Bereichen aus, City Pop, Soul der Achtziger oder Gospel. An City Pop gefällt mir zum Beispiel, dass er schnulzig und so farbenfroh ist.

Sind die Leute in England kompetenter in Sachen elektronischer Musik?

salute: Man ist stolz auf Garage, Grime, Bassline oder Drum’n’Bass, diese Genres sind in England entstanden, weil Schwarze ihre Kultur aus Jamaika oder der Karibik nach England mitgebracht haben. Durch Black Lives Matter haben sich viele mit dieser Geschichte auseinandergesetzt und gemerkt, dass diese Musik früher politisch war. Also ja, deshalb gibt es eine größere Kompetenz. Das Land ist ein Melting Pot, es gibt diesen Hunger, weil Armut einfach ein großes Problem ist. In Wien ist das weniger so. Affine Records waren ihrer Zeit allerdings weit voraus, das höre ich noch heute. Props an das Label, das war crazy.

„Rassismus war der Grund, warum ich weggezogen bin.“

Wie unterscheidet sich der Rassismus dort und da?

salute: In Wien tut man gerne so, als wäre das nicht so schlimm und die Leute mit dunkler Haut zu empfindlich. Mir ist relativ regelmäßig passiert, dass jemand das N-Wort zu mir sagt. Rassismus war der Grund, warum ich weggezogen bin. In Großbritannien würde das nie passieren, es gibt viel mehr Zivilcourage, die Leute setzen sich damit auseinander. Der Rassismus dort ist fast unabsichtlich, wenn Leute beispielsweise glauben, ich sollte diese und jene Musik machen, weil das ihrer Vorstellung entspricht, wie schwarze Musik klingt.

War dein großer Auftritt beim Popfest dann eine Genugtuung?

salute: I mean. Ich bin 2017 kurz nach meinem Auftritt mit Valerio – also Motsa – vor dem Backstagebereich gestanden, wir haben dort eine Zigarette geraucht, zwei Polizisten haben zu uns geschaut und sich etwas zugeflüstert. Ich dachte mir noch nichts dabei, aber Valerio hat Adleraugen. Die beiden Polizisten haben mich angesehen und gleichzeitig ihre Hände auf die Waffe gelegt. Und Valerio sagt, siehst du, was da passiert. Und ich, ja! Sie wollten mir Angst machen. Einfach dieses Psychospielchen. Valerio hat sich zu mir gestellt, die Brust und die Schultern breit gemacht, wir sind eine Minute dagestanden und haben sie angestarrt. Wenn ich mich jetzt falsch bewege, kommt die Waffe raus, habe ich in dem Moment gefühlt. Das ist zwanzig Minuten nach meinem Set passiert. Vergangenes Jahr war cool, großes und sehr motiviertes Publikum.

Wann bist du happy?

salute: Wenn ich weiß, es geht den Leuten gut, die mir wichtig sind. Ruhe macht mich happy. Gute Musik.

Du hast in der Pandemie zwischendurch aufgehört, Musik zu machen.

salute: Ich bin ein paar Monate vor der Pandemie auf UK Garage gekommen und hatte gute Bookings. Das war mit den Lockdowns komplett weg. Ich hatte dann anfangs – wie viele andere Künstler:innen – einen kreativen Schub. Und dann kam der Winter. Die Tage wurden kürzer. Ich war die ganze Zeit müde, habe nichts mehr gemacht, habe doomgescrollt und mir die aktuellen Corona-Zahlen reingezogen. Ich bin vor zwei Uhr nicht mehr aus dem Bett gekommen und wollte niemanden sehen. Ich war höchst depressiv. So … so schlecht ging es mir noch nie. Ich konnte meinen Laptop nicht mehr ansehen, habe ihn weggegeben, mich eingesperrt, Gras geraucht und getrunken. Es war echt bitter. Ich habe irgendwann recherchiert, dass dunkelhäutige Menschen weniger Vitamin D produzieren, das habe ich dann zusätzlich genommen, und mir ging es um einiges besser.

Und dann?

salute: Und eines Tages habe ich dann wieder Musik gemacht. Ich habe das so gebraucht. Kurz darauf habe ich “Jennifer” fertig gemacht. Ich muss sagen, meine fröhlichsten Tracks kommen zustande, wenn ich traurig bin. Vor “Honey“ habe ich um meine Großeltern getrauert, ich kannte sie nicht sonderlich gut. Es war mehr, was es mit meiner Familie gemacht hat. So viel ist hochgekommen. Davor ist jedes Jahr jemand aus der erweiterten Familie gestorben. Den Track habe ich Ende 2018 in zwei oder drei Stunden gemacht.

Dieses Video auf YouTube ansehen.
Hinweis: Mit dem Abspielen des Videos laden sich sämtliche Cookies von YouTube.

Du warst mit deiner Familie oft in der Kirche.

salute: Jeden Sonntag. Meine Eltern sind evangelische Pentekostalisten. Nigeria ist ein sehr religiöses Land, Moslems wie auch Christen. Und die nigerianische Community in Wien geht gerne in die Kirche. Ich war jeden Sonntag in der Kirche. Man hört dort, dass man in die Hölle kommt, wenn man sexuelle Gedanken an andere Männer hat. Als bisexueller Mensch … ich kannte als Teenager schon Leute, die schwul waren und dachte mir, was, warum müssen die in die Hölle? Ich habe dann angefangen, das alles zu hinterfragen.

Wann hast du mit Musik begonnen?

salute: Drum’n’Bass war meine erste Liebe, ich war ein introvertiertes Kind und habe ewig am Computer meiner Eltern rumgebastelt. Musik war ein Ventil für mich. Ich wollte mit einem zweiten Projekt Hip Hop Instrumentals machen, gleichzeitig habe ich James Blake, Sbtrkt oder Rustie gehört. Dann ist ein Blog auf meinen Aaliyah Remix aufmerksam geworden, kurz darauf hat Trishes von FM4 mich für ein Interview angeschrieben und der Sender hat angefangen, meine Musik zu spielen. Mit 17 habe ich zum ersten Mal aufgelegt, da waren dann ein paar Leute aus meiner Klasse.

Hast du dich mit deinem Sam Smith Remix versöhnt?

salute: Ich habe damals viele Remixe gemacht. Jemand von Capitol Records hat mich angeschrieben, vermutlich weil sie sich einen günstigen Remix erhofft haben. Das war crazy, ich war mit meinem Sam Smith-Remix auf einem Release mit der House-Legende MK. Ich hatte meinen Sound noch nicht gefunden, es war fast Mitternacht und plötzlich hat Flume einen neuen Remix veröffentlicht. Ich war einfach nervös. Und ich habe mir gedacht, wieso mache ich nicht etwas in die Richtung? Das ist mir okay gelungen. Der A&R von Capitol war sogar in Wien und wollte mich managen, aber das hat nicht lange gehalten. Durch den Remix hatte ich in Wien meinen ersten großen Moment. Mir ist vorgekommen, jeder hat den Remix gekannt.

Wie findest du den richtigen Mittelweg zwischen funktional und innovativ?

salute: Ich weiss, wie Club-Tracks funktionieren und wie sie aufgebaut sind. Wenn du diese Struktur hast und die passenden Sounds, ist alles andere egal. Du kannst mit dem Rest viel freier sein. Technisch perfekt produzierte Musik kann sehr langweilig sein, ich finde den Vibe oft viel wichtiger.

Machst du dir nach wie vor viele Gedanken?

salute: Heute bin ich viel entspannter, was meine Musik und meine Karriere betrifft, weil ich schon viel durchgemacht habe. Ich habe vor nichts mehr Angst. Das klingt cocky, aber ich war schon so im Arsch. Meine Familie hatte kein Geld. Ich bin alleine nach England, weil ich in der Nähe von London sein wollte, aber es war schwierig. Ich hatte sehr lange sehr wenig Geld. Über acht Jahre lang ist es langsam besser geworden, bei manchen geht das sehr schnell, bei mir war das überhaupt nicht so. Aber darüber bin ich fast froh. 

Dieses Video auf YouTube ansehen.
Hinweis: Mit dem Abspielen des Videos laden sich sämtliche Cookies von YouTube.

Es gab gleichzeitig viele beeindruckende Releases.

salute: Von außen sieht alles viel besser aus. Ich war nicht zufrieden, bin von Genre zu Genre gesprungen und hatte einfach eine Identitätskrise. Ich habe nicht auf Lineups gepasst. Die Booker von Festivals schauen, wie viele Tickets du verkaufen kannst. Die Streams von Soundcloud und Spotify haben sich bei mir nicht übersetzt. Es lief okay, aber ich war nicht zufrieden.

Du bist damals nach Manchester übersiedelt.

salute: Ich war mit meinem Mitbewohner für ein Warehouse Festival dort, bei dem er aufgelegt hat. Am nächsten Tag sind wir verkatert durch die Stadt gezogen, es war crazy, wie günstig alles dort ist. Und ich dachte, warum ziehen wir nicht hierher. Ein halbes Jahr später war es soweit. Karma Kid und Bondax waren dort, wir haben uns ein Studio geteilt, für mich war das eine goldene Ära.

Du hast einen Inclusion Rider. Warum ist ein Mindestmaß an Diversität auf Lineups wichtig?

salute: Weil auch das Publikum diverser ist und die Stimmung besser. Man entdeckt neue Musik. Oft stehen zehn straighte white dudes am Programm. An sich ist das nicht schlimm. Aber wenn sie langweilig sind, dann schon. Ich habe nach einem schlimmen Abend mit meiner Agentin geredet, ob wir was machen können. Und in Amerika hatten ein paar Leute schon diese Inclusion Rider, daraus habe ich Elemente genommen. Gute Support-Acts sind so wichtig für den Flow eines Abends. Bisher hat das gut funktioniert. Im Jahr davor habe ich noch alles angenommen. Aber ich will als Künstler dazu beitragen, dass sich die Veranstalter ein bisschen mehr Mühe machen. Das ist einfach fairer.

Du machst den Mund auf, auch wenn es dir schaden kann.

salute: Wenn ich etwas sehe, das nicht richtig ist, sage ich etwas, bevor wieder eine Frau belästigt wird oder sich ein DJ denkt, er kann das machen, weil er schon zwanzig Jahre aktiv ist. Wenn wir wirklich wollen, dass Rassismus, Sexismus, Homo- und Transphobie keinen Platz mehr haben, müssen wir irgendwo anfangen. Was sollen mir diese Gatekeeper tun? Ich will nur an Orten spielen, wo man mich nicht auf eine schwarze Liste setzt, weil ich mich für Leute einsetze. Reden ist cool, Aktionen sind besser.

„Jeder weiß, dass es so ist. Aber keiner redet darüber.“

Wie schmutzig ist die Musikindustrie?

salute: Viele verdienen ihr Geld mit Musik, aber sie lieben Musik nicht. Es wird viel gelogen. Drogen und Alkohol sind außerdem ein riesiges Problem, über das niemand sprechen will. Der Drogenkonsum ist außer Kontrolle. Und die Sachen, die deswegen passieren, sind crazy. Ich kenne persönlich Leute, die abstürzen. Jeder weiß es, niemand redet darüber. Es gibt so viele talentierte Menschen, die damit ihr Leben zerstören. Ein bisschen was nehmen, schön und gut. Aber es gibt Leute, die jedes Wochenende auf der Bühne stehen, alle sehen, wie fertig sie sind und die Veranstalter besorgen ihnen Kokain und Ketamin. Sie nehmen das in Kauf, solange sie Profit machen. Und wenn du keinen Hit mehr machst, bist du weg. Musik ist meine größte Passion. Aber so etwas ist einfach deprimierend.

Dieses Video auf YouTube ansehen.
Hinweis: Mit dem Abspielen des Videos laden sich sämtliche Cookies von YouTube.

Was bedeutet es, vom DJ Mag porträtiert zu werden oder im Boiler Room aufzutreten?

salute: Es ist ein großes Kompliment. Nach dem Boiler Room sind meine Bookings in die Höhe geschossen, einfach weil die Leute sehen, wie man auflegt, das macht es für einen Promoter viel einfacher. Das kann deine Karriere komplett verändern.

salute, „17 Jahre alt, mit Afro, aus Wien“?

salute: Ah! Ich bin aus Wien, aber ich bin in Manchester, bin 27, habe Locks am Kopf. Ich bin heute viel sicherer und zufriedener mit mir und dem, was ich mache.

War es hart, immer bei der Musik zu bleiben?

salute: (überlegt) Es gibt nichts anderes, was ich machen will. Egal was es mich kostet, Zeit, Nerven, ich brauche das. Sonst bin ich unglücklich. Es gibt nichts, was ich mehr will, als Kunst machen, als Musik machen.

Stefan Niederwieser

++++

Salute live in Wien
8.4. Grelle Forelle

++++

Links:
salute (Facebook)
salute (Instagram)