„Ich habe Popmusik mit ganz anderen Augen zu sehen begonnen […]“ – KATJA CRUZ aka LIBERTY_C im mica-Interview

Die Grazer Sängerin und Songwriterin KATJA CRUZ aka LIBERTY_C. spricht auf ihrem neuen Album „Free to Be Me“ (Eigenverlag) von der Freude und Lust zu sein, wie und wer man ist. Sie fordert auf, das Leben und die Liebe zu feiern und sich zur besten Version von sich selbst zu entwickeln. Das Erstaunliche ist, dass sie das in der Sprache des Pop und R&B tut, war sie musikalisch doch bislang hauptsächlich im experimentellen Jazzumfeld unterwegs. Warum sich KATJA CRUZ dazu entschieden hat, sich musikalisch vollkommen neu zu erfinden und welche Herausforderungen sie dabei zu meistern hatte, erzählt sie Michael Ternai im Interview.

Mit deinem neuen Album „Free to Be Me“ überrascht du insofern, dass dich auf diesem in einem für dich vollkommen neuen Metier bewegst. Du bist eigentlich als Vokalistin im zeitgenössischen Bereich bekannt. Nun machst du lupenreinen Pop. Wie ist es dazu gekommen? 

Katja Cruz: Es gibt auf dem Album einen Titel, der heißt „Superheroes“. Ich habe im letzten Jahr ein Buch über Superhelden gelesen. Es handelte über ihre Kräfte und Fähigkeiten und dass sie diese erst dann zu entwickeln beginnen, nachdem sie ganz am Boden gelegen und in gewisser Weise eigentlich gestorben sind. Sie kommen auf wundersame Weise zu neuem Leben und lassen sich eine neue Haut wachsen. Diese Geschichte hat mich sehr berührt, weil es mir bildlich zu diesem Zeitpunkt sehr ähnlich gegangen ist. Ich hatte gerade meine letzte experimentelle CD herausgebracht und hatte das Gefühl, dass ich irgendwie an einem Ende angekommen bin und es einfach nicht mehr in diese Richtung weitergehen kann. Gleichzeitig ist bei mir persönlich auch viel zerbrochen, was mich zusätzlich darin bestärkt hat, etwas zu ändern. Ich habe die Dinge dann einmal eine Zeit lang ruhen lassen und mich ganz auf meine Unterrichtstätigkeit – ich unterrichte ja Gesang – konzentriert.
Zudem habe ich in Graz Musikologie mit der Ausrichtung Musikästhetik und Gender und Jazz- und Popularmusikforschung zu studieren begonnen, etwas, das ich immer schon machen wollte. Mit der Zeit habe ich dann gemerkt, dass Songs einfach aus mir herauszusprudeln beginnen. Und das war für mich eine sehr spezielle Erfahrung, zu merken, dass es in einem selbst einen Fluss gibt, den man nicht stoppen kann, obwohl man vorher die Entscheidung getroffen hat, eigentlich keine Musik mehr machen zu wollen.

Das hört sich nach einer sehr gefühlsgeleiteten Entscheidung an. Wie ist es dann von der Idee, Songs zu schreiben, tatsächlichen Songs gekommen?

Katja Cruz: Ich habe die Songs anfangs als Kommunikationsmittel verwendet. Ich habe damals mit einem Autor aus Berlin kilometerlange E-Mails hin und her geschrieben und mir dann irgendwann gedacht, dass meine adäquate Art zu antworten, wären Songs. Und das habe ich gemacht. Das, was ich zu sagen hatte, habe ich in Songs zusammengefasst und ihm zurückgeschickt, worauf er mit dann mit literarischen E-Mails geantwortet hat. Aus dem heraus hat sich dann meine Liebe zum Songwriting entzündet, die mich einfach nicht mehr losgelassen hat. Ich habe Popmusik mit ganz anderen Augen zu sehen begonnen, was auch durch das Studium mitbedingt war.
Ich durfte, sehr persönlich gesprochen, die Gedankenkorsetts meiner Jugend ablegen und die Geschichte mit ganzer Seele auszuleben, was ich als ganz wunderbares Erlebnis empfand. Es hat dann natürlich ein bisschen gebraucht, bis ich wirklich zu dem gekommen bin, was man Pop nennt, aber der Grundstein war gelegt.

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„Es machte mich sehr glücklich, dass alles einmal fallen lassen zu dürfen […]

Worin lag für dich der besondere Reiz, plötzlich auch einmal Songs zu schreiben?

Kaja Cruz: Ich habe mich viele, viele Jahre ausschließlich mit experimenteller und neuer zeitgenössischer Musik befasst und war auch, weil ich in meinen ganz jungen Jahren auch Philosophie studiert habe, vom Denken Adornos sehr geprägt, dessen Theorie einfach andere Präferenzen vorgibt. Es machte mich sehr glücklich, dass alles einmal fallen lassen zu dürfen, weil dadurch die Welt für mich einfach viel bunter geworden ist. Ich habe eine musikalische Sprache gewählt, mit der ich viel mehr Menschen ansprechen kann. Im experimentellen Bereich habe ich ja nie Worte verwendet und meine Stimme immer als Instrument verwendet. Jetzt aber schreibe ich Texte und drücke mich mit Worten aus, das ist einfach großartig. Ich habe etwas mitzuteilen und genieße es jetzt, die textebene mit dem Musikalischen zu verbinden.

Wie du begonnen hast, an dem Album zu schreiben, war dir dann schon klar, in welche Richtung es musikalisch gehen soll? 

Katja Cruz: Mit den ersten Aufnahmen, die ich letztes Jahr gemacht habe, war ich nicht ganz zufrieden, weil sie noch keine klare Ausrichtung gezeigt haben. Dann aber habe ich sehr bewusst eine klare Entscheidung getroffen. Ich wollte eindeutig in Poprichtung gehen soll. Zum Glück hatte ich mit Boris Schnelzer den richtigen Studiopartner an meiner Seite. Coronabedingt verliefen die Aufnahmen etwas anders als sonst. Meine Parts – sprich die Vocals, Backingvocals und Pianospuren – sind bei mir zu Hause entstanden. Die habe ich dann Boris geschickt, der sie im Studio weiterverarbeitet hat und sie um Bass, Drums und Gitarre ergänzt hat. So gesehen ist das ganze Album ist in diesem Austausch zwischen Zuhause und Studio entstanden. 

Die Stimmung des Albums ist eine sehr positive. Es bietet ein echtes Kontrastprogramm zur aktuell eher nicht so rosigen Zeit. Woraus schöpfst du diesen Optimismus? 

Katja Cruz: Ich denke, das hat zum einen viel mit mir und meiner persönlichen Haltung zu tun. Ich denke mir immer, egal wie schwierig sich eine Situation auch darstellt, ich will wissen, was sie mit mir tut und wohin sich mich führt. Meiner Erfahrung nach kann man aus jeder schwierigen Situation etwas gewinnen und in etwas Positives umwandeln. Zum anderen ist es mir – noch mehr als sonst – ein totales Anliegen, etwas Positives zu verbreiten, etwas zu tun, was anderen guttut. Das gesamte Album ist der musikalische Ausdruck einer großen Umarmung mit mir selbst und der Welt und den Menschen. Genau das, was wir zurzeit so sehr brauchen.

Bild Katja Cruz
Katja Cruz (c) Pressefoto

Bei dieser Krise ist aber etwas passiert, was von außen gekommen ist“

Weil vorher schon einmal das Wort Corona gefallen ist. Wie hast du dieses Jahr erlebt? Vor allem auch als Kunstschaffende? 

Katja Cruz: Der erste Moment war ein totaler Schock verbunden mit einer totalen Existenzangst. Ich bin seit 1997 freischaffend und selbständig und habe auch Kinder und somit weitere Verantwortung. In der Selbstständigkeit lernt man mit Wellen umzugehen und hat seine Strategien, wie man mit diesen umgeht. Man weiß, dass wenn man krank wird, auch kein Geld verdient und welche Schwierigkeiten sich daraus ergeben. Mit alldem aber arrangiert man sich. Bei dieser Krise ist aber etwas passiert, was von außen gekommen ist und nichts mehr mit meiner Selbstverantwortung zu tun gehabt hat. Ich fühlte wirklich eine tiefe Verzweiflung, die ich in dieser Form schon lange mehr erlebt hatte. Ich brauchte eine gewisse Zeit, um einen Weg aus dieser persönlichen Krise herauszufinden und an den Punkt zu gelangen, an dem man wieder aus dem Inneren heraus Kraft schöpft.

Was bedeutet dieses Album jetzt für dich?  Ist es ein kompletter musikalischer Neuanfang ohne Wiederkehr ins Alte?

Katja Cruz: In gewisser Weise schon. Ich mache diese experimentellen Sachen, wenn man mich darum fragt, nach wie vor gerne. Und ich habe im letzten Jahr auch einige Projekte in der Richtung gemacht, aber was meine eigene Ausrichtung betrifft, verstehe ich mein neues Album, als einen Startpunkt.

Nun ist es leider nicht möglich das Album live vor Publikum zu präsentieren? In der Hoffnung, dass das in den kommenden Monaten vielleicht doch möglich sein wird, hast du da schon Pläne? 

Katja Cruz: Es gibt einen ganz mutigen Termin im Mai. Das Orpheum in Graz und ich haben gemeint, das sollte eigentlich funktionieren. Aber sicher kann man sich da natürlich nicht sein. Andere Termine zu organisieren, ist im Moment fast unmöglich, da auch die Veranstalterinnen und Veranstalter auch nicht wissen, wie sie planen sollen. Insofern habe ich es einmal sein lassen, eine Tour zu buchen und mich auf die Produktion des Albums konzentriert. Zudem habe ich ja schon ein Video veröffentlicht, dem jetzt noch ein zweites folgen wird. Aber jetzt will ich mich gemeinsam mit Mario Rossori wieder vermehrt um Konzerte kümmern. Aber ich bin positiv gestimmt, dass sich da einiges ergeben wird.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Michael Ternai

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