„Ich habe nie aufgehört, Musik zu machen” – AMELIE TOBIEN im mica-Interview

Auf ihrem zweiten Studio-Album “Monuments” zeigt sich AMELIE TOBIEN erstaunlich gereift. Die sparsam instrumentierten Stücke im Singer-Songwriter-Style sind einem poppigeren, breiterem Sound gewichen, ohne dass das Songwriting darunter gelitten hätte. Im Gegenteil: Die Stücke auf “Monuments” sind ansprechender und anspruchsvoller denn je. Mit Markus Deisenberger sprach sie über die schönen Momente zwischen Tonstudio und Bühne, “Post-Rationalisierung” und den theatralischen Zugang zu den eigenen Songs.

Der Titel deines neuen Albums lautet „Monuments”. Wie kam es zu dieser Titelwahl?

Amelie Tobien: Ich bin wie beim letzten Album auch schon nach einem Song-Titel gegangen. Das erscheint mir immer aufgelegt. Von den Wörtern her gefiel mir das einfach am besten, und, obwohl es ein bisschen kitschig ist, geht es beim Musikmachen ja letztlich darum, dass ich etwas hinterlasse. So wie da draußen ein verschmiertes Denkmal steht [wir haben während des Interviews freie Sicht auf das mit Graffitis bearbeitete Lueger-Denkmal, Anm.], hab´ ich mir selber mit den Songs eine Art Denkmal erschaffen. Egal, was passiert, ich weiß: Das da hab´ ich gemacht. Es ist da, man kann es angreifen. Es ist, wenn man so will, meine Hinterlassenschaft. Gleichzeitig finde ich es natürlich hochtrabend, und man könnte es sogar als eingebildet missverstehen. Aber wenn man an den Song von Wir sind Helden denkt…

Mit der Textzeile Sie haben uns ein Denkmal gebaut. Und jeder Vollidiot weiß, dass das die Liebe versaut?

Amelie Tobien: Genau. Dann ist schon klar, dass das auch mit einem Augenzwinkern zu verstehen ist. Man darf ein Denkmal beschmieren. Man darf es abreißen, wenn es nicht mehr zeitgemäß ist. Es ist einfach etwas, das in den Raum gestellt und besprochen werden darf. So sehe ich das.

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Ist das überhaupt der Grund fürs Musikmachen? Dass man etwas schafft, in den Raum stellt, um etwas zu hinterlassen. Im Pressetext zum Album heißt es so schön: „Wir Menschen wollen uns verewigen. Wir schaffen Text, Bild und Bauwerk, um etwas von uns zurückzulassen. Denn in der Retrospektive neigen wir zu Romantisierungen, ein verzerrtes Bild entsteht, Lücken bilden sich.” Geht es darum, sich den eigenen Lebenslauf schön zu lügen und zu romantisieren?

Amelie Tobien: [lacht] Ja, man schreibt sich ja doch irgendwie die eigene Lebensgeschichte selber, wenn man die letzten beiden Jahre Arbeit auf so eine Platte destilliert. Schaut man rückblickend nach, wo man sich befand, ist das eben das Destillat aus den besten Songs. Ich habe in den letzten zwei Jahren sicher hundert Songs geschrieben. Aber das hier sind die, die mir am wichtigsten waren, mit denen ich am meisten erzählen habe können. Der Grund ist aber sicher nicht, sich etwas schönzureden, sondern man macht es einfach. Ein Künstler, den ich kenne, wurde einmal gefragt, wie lange er das schon mache. Und er antwortete, und das trifft auf mich auch zu: „Eigentlich immer schon. Ich male, seit ich ein Kind bin!” So ist es auch bei mir. Ich habe einfach nie damit aufgehört, Musik zu machen.

Einerseits macht man Kunst, weil es einem logisch erscheint. Andererseits ringt jede Künstlerin bzw. jeder Künstler auch um Sichtbarkeit und bewegt sich somit irgendwo zwischen Euphorie, weil mehr Leute zu den Konzerten kommen als erwartet, und verbitterter Niedergeschlagenheit, weil man insgeheim denkt, dass trotzdem viel mehr gehen müsste. Wie ist das bei dir? Mehr Euphorie oder mehr Niedergeschlagenheit?

Amelie Tobien: Ich bin grundsätzlich optimistisch, ich rede mir das Leben also eher schön, aber ich habe auch viele Auf und Abs. Neulich traf ich mich mit einem Freund, der mir bei der Tour-Produktion hilft. Nach so einem Treffen geht´s mir gut. Ich schaue, dass ich mir nicht nur auf der Bühne und im Tonstudio schöne Momente mache, sondern auch aus allem, was dazwischen liegt, Positives ziehen kann.

Aus dem ganzen kreativen Prozess?

Amelie Tobien: Ja, auch aus den vermeintlich unkreativen Sachen wie etwa Kalkulationen und Marketingplänen.

Klingt einfacher als es wahrscheinlich ist, oder?

Amelie Tobien: Gar nicht. Das Tüfteln, wie man es schafft, mit den wenigen Mitteln, die man zur Verfügung hat, das Optimum herauszuholen, hat was für sich. Ich versuche, mich so von einem Konzert zum nächsten zu hanteln und die Zwischenräume zu genießen: Jedes Gespräch und jeden Kaffee mit einem Journalisten. Das ist das Leben. Es ist nicht nur das Auf-der-Bühne-sein, was es ausmacht.

Eine erfolgreiche Musikerin hat neulich zu mir gesagt, man solle nicht immer versuchen, den Kiesel in die Mitte des Teichs zu schmeißen, auf dass er von dort seine Kreise zieht, sondern kleine Kiesel vom Ufer aus. Damit erreiche man mehr. An den Satz musste ich denken als ich las, dass die Konzertbühne, auf der du in Nürnberg auftrittst, “Bierchen und Bühnchen” heißt. Das ist der kleine Kiesel, oder?

Amelie Tobien: [lacht] Auf jeden Fall. Ich mache das jetzt schon so viele Jahre, von der Pike auf, mit Straßenmusik, aber das sind alles Schritte, die wichtig waren. Jeder Gig, bei dem ich draufgezahlt habe, weil ich mit dem Zug hinfuhr und nur eine kleine Gage bekam, die nicht einmal meine Kosten deckte, ist ein wichtiger Bestandteil von dem, was mich heute als Künstlerin ausmacht. Die Straßenmusik hat meine Stimme geformt, weil du da zwischen Passanten und Autos stehst und ein gewisses Auftreten und ein Volumen brauchst, um überhaupt aufzufallen. Das Bühnchen ist ein Stadtfest, glaube ich, bei dem einige Kneipen involviert sind. Man erreicht immer Leute.

Weil du von Straßenmusik und von Singer-Songwritertum sprichst: Die neue Platte geht von dem, was man sich darunter gemeinhin vorstellt, doch weit weg. Die ist breit produziert, braucht den internationalen Vergleich nicht zu scheuen. Mit Band. Von der Frau, alleine mit ihrer Gitarre, ist da relativ wenig übrig. Warum hast du diesen Schritt getan?

Amelie Tobien: Weil es einfach sehr viel Spaß gemacht hat. Ein Song entstand am Ten Volt-Festival, alles andere mit Mario Fartacek. Mario und ich trafen uns und hatten am Anfang gar keine klare Agenda, was es werden soll. Die meisten Songs brachte ich auf der Gitarre, und wir haben sie dann gemeinsam produziert. Ich finde den Sound extrem cool, mir gefällt´s. Die große Herausforderung ist jetzt, wie wir diesen Sound live umsetzen.

Und? Wie setzt ihr den Sound live um?

Amelie Tobien: Klassisch mit Bass, E Gitarre, Schlagzeug und ich an der akustischen Gitarre.

Das Album ist – finde ich – ein gutes Beispiel dafür, dass man mit wenigen Mitteln ein wirklich fettes Album hinkriegen kann.

Amelie Tobien: Danke. Ich mache die Solo-Sache seit 2015/2016, es war auch so angenehm, mal in einem Team zu arbeiten, sozialen Anschluss zu haben und mit einer Band zu spielen. Das ist echt mal was anderes, mach Spaß.

Es legt aber auch die Latte, was die Organisation anbelangt, höher, oder?

Amelie Tobien: Ja, das ist alles eine Herausforderung, aber ich habe da mit dem Tour-Support Unterstützung bekommen. Gut, in Deutschland und der Schweiz spiele ich solo, nur einen Termin mit Band. Das wäre mit Band einfach nicht finanzierbar. Da bräuchte man eine Export-Förderung. Ohne Förderung ginge das alles sowieso gar nicht. Ich kenne Kolleg:innen, die haben Fundraising betrieben. Wie man bei einer Tour mit einem Plus aussteigen soll, ist mir rätselhaft.

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Wie kamst du zu Ian Fisher, mit dem du auf zwei Songs gemeinsam singst? Eure Stimmen ergänzen sich wunderbar.

Amelie Tobien: Wir haben uns 2020, kurz bevor alles zusperrte, kennengelernt. Da war ich bei einem Open Mic von der Vienna Songwriting Association, und er saß in der Jury. Wir blieben daraufhin immer in Kontakt, haben uns angefreundet, und irgendwann habe ich ihn einfach gefragt, ob er zwei Songs, bei denen ich anstand, mit mir gemeinsam fertigschreiben würde.

Du bist auch sehr aktiv auf Social Media. Warum?

Amelie Tobien: Weil es wichtig ist. Ich habe schon den Eindruck, dass man da dabei sein muss. Wie erreicht man sonst Leute, wenn man sonst keine Kanäle hat? Mich spielt man wenig im Radio. Ich hatte Glück, dass man mich ein paar Mal im Soundpark unterstützt hat, aber sonst ist das bisher sehr schleppend. Und dann ist in Österreich sehr schnell “zusammengeräumt”, wie man so schön sagt. Ich sehe Social Media als extrem wichtigen Kanal, um mit den Fans zu kommunizieren und neue Fans zu gewinnen. Aber ich habe Hilfe: Meine Schwester macht mein Social Media-Management. Sie kommt und sagt: Ich brauche da ein Video. Mach bitte das!

Wie nah müsst ihr einander dafür sein?

Amelie Tobien: Wir wohnen im gleichen Haus uns stehen viel in Kontakt. Sie hat zehn Jahre in der Werbung gearbeitet und kennt sich gut aus. Ich habe immer schon versucht, viel in dieser Richtung zu machen, aber seitdem mir meine Schwester hilft, habe ich den Unterschied gesehen.

„Man muss in der Zeit, in der man lebt, mit den Mitteln arbeiten, die es gibt.“

D.h. das Engagement schlägt sich auch in Zahlen nieder?

Amelie Tobien: Ja, auf jeden Fall. Und es ist wichtig, da eine Hilfe zu haben, weil man sich anfangs blöd vorkommt, in die Kamera reinzureden. Und wenn es dir keinen Spaß macht, machst du es auch nur halbherzig. Ich werde gepusht und mittlerweile macht es mir wirklich Spaß. Ich bekomme Resonanz, erhalte nette Nachrichten. Man muss in der Zeit, in der man lebt, mit den Mitteln arbeiten, die es gibt. Wenn jemand mit Guerilla-Marketing-Techniken arbeitet und seine Fans so erreicht, passt das ja auch. Je nachdem, was einem halt liegt.

Bild Amelie Tobien
Amelie Tobien (c) Mira Loeve

Wie nah lässt man ein Publikum in den sozialen Medien ran an sich?

Amelie Tobien: Das Angenehme ist, dass es sehr gefiltert ist. Man entscheidet selbst, was man von sich preisgibt und wie sehr man verfügbar ist. Mir selbst war auch immer wichtig, dass es authentisch ist. Meine Schwester fing mal an, mein Gesicht mit Facetune zu bearbeiten. Das wollte ich nicht.

Welche Erwartungen hast du an das neue Album?

Amelie Tobien: Ich halte meine Erwartungen eher unten, damit ich nicht enttäuscht werde.

Auch das ist wohl leichter gesagt als getan, oder? Wenn man so viel Zeit und Herzblut investiert hat, erwartet man sich doch insgeheim auch etwas Bestimmtes.

Amelie Tobien: Nein, nichts Bestimmtes, aber ich weiß, dass das, was wir gemacht haben, etwas Gutes ist. Ich erwarte mir, dass die Tour cool wird. Dass wir da live überzeugen können. Und alles Weitere wird sich herausstellen. Ich kann nicht mehr machen, als ich mache. Wenn das keine Früchte tragen sollte, muss ich etwas anderes ausprobieren.

„Sich mit seinen Liedern auf die Bühne zu stellen, ist ja auch eine exzentrische Berufswahl.“

Im Pressetext habe ich auch von Verlust gelesen. Du würdest dich auf deinem zweiten Studioalbum mit aller Macht gegen jeglichen Verlust stemmen. Eine von Tumult und Hoffnungsschimmern geprägte Zeit findet hier ihre Verewigung. Kannst du das erklären?

Amelie Tobien: Damit ist der Gedächtnisverlust gemeint. Dass man in die Vergangenheit blickt und sich Lücken auftun, weil man gewisse Dinge ausblendet. Ich habe das Gefühl, dass schon so lange zu machen und mit der Musik ein Abbild dessen zu schaffen, was ich bin und was ich kann. Es ist eher das: „Nehmt mich endlich wahr, bitte!”  Im nächsten Song, der releast wird, “See through”, geht es genau darum. Um die Angst, nicht wahrgenommen zu werden. Sich mit seinen Liedern auf die Bühne zu stellen, ist ja auch eine exzentrische Berufswahl. Man kompensiert damit schon etwas.

Geht es nicht jedem Künstler zuallererst einmal darum, geliebt zu werden? Und widerspricht die Angst, nicht gesehen zu werden, nicht der Aussage von vorhin, eine sehr geringe Erwartung zu haben?

Amelie Tobien: Das stimmt vielleicht. Ich muss mir das immer ganz bewusst sagen: Habe keine zu großen Erwartungen!

Würdest du Kunst als deinen Zufluchtsort sehen?

Amelie Tobien: Nein. Ich glaub auch nicht, dass sie das leisten kann. Ich mache Musik einfach so gern. Insofern ist Musikmachen eine der Säulen in meinem Leben, die mir fast ausschließlich schöne Empfindungen beschert. Flucht auch deshalb nicht, weil ich immer sehr da bin, wenn ich Musik mache. Es hat für mich eher etwas Handwerkliches, ist bewusstes Arbeiten. Man hat ein Werkstück vor sich und überlegt sich, wie das am besten funktioniert, feilt daran und überlegt, wie man es am besten platziert.

Du hast von Lücken gesprochen. Das menschliche Gehirn ist sehr gut darin, Lücken zu schließen. Wie funktioniert das bei dir?

Amelie Tobien: Beim Songschreiben kommt oft alles aus einer komischen Emotion heraus, die ich auf Anhieb gar nicht genau beschreiben kann. Oft hat man erst danach eine Art Post-Rationalisierung. Die Songs des aktuellen Albums hängen ja eigentlich nicht zusammen, sind voneinander unabhängig, aber wenn man sie im Album-Kontext sieht, dann gibt es schon einen roten Faden und man erkennt im Nachhinein, was einen in der Zeit beschäftigt hat.

Was wäre der rote Faden, wenn du ihn beschreiben müsstest?

Amelie Tobien: Eigentlich sind das banale Alltagsgeschichten, nichts Tiefgründiges. Viel Beziehung, Zwischenmenschliches und Alltägliches. Gedanken, die einem durch den Kopf rauschen, wenn man abends allein auf der Couch sitzt.

Banal finde ich gar nichts an dem Album. „Einfach” ist vielleicht der richtigere Ausdruck.

Amelie Tobien: Vielleicht nicht banal, aber jedermanns Themen, wenn du weißt, was ich meine. Alben kommen ja meistens zu einem Zeitpunkt raus, zu dem man über die darin verhandelten Themen schon hinweg ist. Dann spielt man das aber noch ein ganzes Jahr lang, aber es ist die 2021er-Amelie, die da abgebildet ist.

Im besten Fall spielst du die Nummern dein Leben lang, weil sie zu Hits werden…

Aber wie holt man sich das, was wegzudriften droht, weil es schon eine Weile her ist, wieder zurück?

Amelie Tobien: Ich habe das Gefühl, dass ich mir die Bedeutung der Lieder durch das Livespielen erhalte. Ich höre mir die alten Sachen selber nicht an, aber ich spiele sie. Beim Spielen hab´ ich die Geschichte vor Augen. So hole ich mir das Thema ins Jetzt. Mein Bruder hat Schauspiel studiert. Das letzte Mal, als er mich bei meiner Album-Präsentation 2020 sah, war er gerade im ersten Studienjahr und lernte gerade, wie man den Text vor Augen hat, sozusagen den inneren Film abspult, wenn man etwas vorträgt. Letztes Wochenende erst hat er mir erzählt, dass er das damals bemerkenswert fand. Dass ich das zwar nie so wie er gelernt habe, es aber offensichtlich praktiziere. Er sah das in meiner Performance. Ich fand das ein wirklich cooles Feedback. Ich hatte noch nie bemerkt, dass ich offenbar einen theatralischen Zugang zu meinen eigenen Songs habe. Aber es stimmt: Ich singe nicht einfach, sondern hole mich in die Geschichte des Songs zurück.

Und bleibt die Bedeutung der Songs so die gleiche?

Amelie Tobien: Nein, das entwickelt sich immer voll mit.

Vielen Dank für das Gespräch.

Markus Deisenberger

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Amelie Tobien live
15.04 – DE / Nürnberg, Bierchen & Bühnchen
21.04 – AT
/ Wr. Neustadt, Triebwerk

01.05 – AT
/ Neusiedl, Seaside Festival
03.05 – CH
/ St. Gallen, Kafi Otmar
04.05 – CH
/ Basel, Kleiner Wassermann
10.05 – AT
/ Salzburg, Rockhouse
12.05 – AT
/ Klagenfurt, Kammerlichtspiele
13.05 – AT
/ Wien, Sargfabrik
18.05 – DE
/ Lübeck, Tonfink
19.05 – DE
/ Kiel, Prinz Willy
20.05 – DE
/ Berlin, Madame Claude
21.05 – DE
/ Offenbach, Hafen2

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