Der Musiker und Medienkünstler STEFAN JUSTER hat sich mit seinem Projekt JUNG AN TAGEN als einer der Protagonisten der Wiener Elektronik-Szene etabliert. Sein Sound ist radikal und schlägt Brücken zwischen Clubmusik und Wahrnehmungsexperiment, Techno und neuer Musik. Nachdem er in zahlreiche Identitäten geschlüpft ist und jahrelang als STEFAN KUSHIMA, CRUISE FAMILY, ALEX STRELKA oder BOBBY LAZAR im Elektronik-Underground aktiv war, scheint der Musiker mit JUNG AN TAGEN nun angekommen. Seit 2016 erscheinen seine Releases auf dem Label EDITIONS MEGO. Mit der Gründung seines eigenen Labels ETAT schlägt er jetzt ein neues Kapitel auf und konzentriert sich dafür auf puristische, psychoakustische Computermusik. Im Interview mit Shilla Strelka spricht der Musiker über ästhetische Strategien, Inspirationsquellen, seinen neuesten Release „Emergent Properties” und das Vagabundieren zwischen den Genres.
Du hast gerade dein eigenes Label gelauncht. ETAT fungiert als Online-Label, das bewusst auf physische Releases verzichtet. Was ist die Idee dahinter?
Stefan Juster: Ich möchte hinterfragen, was es 2020 bedeutet, digitale Musik digital zu veröffentlichen. Als ich an „Emergent Properties“ gearbeitet habe, wurde mir klar, dass ich in so einem speziellen Fall nicht auf Vinyl releasen will. Es kostet so viel Arbeit und Geld und hört sich bei purer Computermusik einfach nicht besser an. Das gilt für Kassetten ebenso und niemand kauft mehr CDs. Ich habe dann festgestellt, dass es so gut wie keine Netlabels gibt, die nicht Großfirmen wie itunes, Soundcloud, Bandcamp usw. mit Kontent beliefern und neue radikale Computermusik veröffentlichen.
Dein letzter Release „Proxy States“ (Editions Mego) ist nicht wie geplant auf Vinyl erschienen, weil es nicht möglich war bestimmte Frequenzen zu cutten. Ist die Gründung des Labels eine Reaktion darauf?
Stefan Juster: Genau. Es ist für mich die Lösung eines spezifischen Problems. Bei „Proxy States“ kamen Frequenzen vor, die sich nicht auf Vinyl übersetzen ließen. Und scheinbar gab es auch zu viele Höhen. Der Mastering Engineer hat mir im Endeffekt abgeraten, das auf Platte zu machen und ich wollte das Risiko nicht eingehen. Ich werde zwar auch weiterhin Vinyl und Tapes auf anderen Labels herausbringen, aber für diesen speziellen Output hat mir ein passendes Werkzeug gefehlt. Der eigentliche Auslöser war dann die Erkenntnis, dass es Musiker*innen, die ähnlich wie ich arbeiten, genauso geht.
Was vereint die Releases, die auf ETAT erscheinen werden?
Stefan Juster: Es gibt eine Grauzone zwischen analytischer, akademischer Komposition und verspieltem, wildem Underground, die mich interessiert: psychoakustisch heftige Arbeiten, die trotzdem Klarheit und Witz besitzen. Im Idealfall handelt es sich um Sounds, die auf Vinyl gar nicht funktionieren würden oder nur digital Sinn machen.
Könntest du kurz umreißen, was du unter Psychoakustik verstehst?
Stefan Juster: Über Sound Fragen zur Wahrnehmung zu stellen.
Dein neuestes Album ist der erste Release des Labels. Du hast ein Jahr lang daran gearbeitet. „Emergent Properties“ ist ein Beispiel extremer Computermusik. Du formulierst deine bisherigen Ideen weiter aus und experimentierst nochmal konsequenter mit psychoakustischen Methoden. Körperliche Desorientierung spielt eine Rolle, aber auch das Experiment mit additiver Synthese.
Stefan Juster: Ja, ich wollte ein Album ohne Beats machen. Ich hatte schon lange nicht mehr so viel Spaß daran, an einem Album zu arbeiten und werde sicher einige Zeit weiter in dieser Richtung gehen. Es gibt in dem Feld so viel zu erforschen und ich habe so viele Ideen!
Der zweite Release kommt von Eric Frye, einem meiner Lieblings-Musiker. Er macht sehr spezielle, feingliedrige Musik und ich freue mich sehr, dass er eingewilligt hat, mit mir das Experiment zu starten.
Die Releases sind frei zugänglich, du wirst also keinen Gewinn machen. Was treibt dich an?
Stefan Juster: Ich gehöre zu der Generation von Musiker*innen, die mit Platten sowieso nie wirklich Geld gemacht hat. Ich weiß aus Erzählungen, dass Leute aus dem Underground in den 1980/90ern wirklich ein wenig von den Verkäufen leben konnten. Das gibt es so seit den 2000ern nicht mehr. Da musst du schon sehr viel verkaufen. Im Normalfall gibt es eine Auflage von 500 Stück. Damit finanziert das Label den nächsten Release und der oder die Künstler*in bekommt 10%, die er oder sie auf Konzerten verkauft. Das ist nichts für ein Jahr Arbeit! Verdienen tut an der Sache nur das Presswerk. Was mich natürlich nervt ist, dass ich momentan weder den Künstler*innen, noch den Mitarbeiter*innen etwas bezahlen kann. Ich werde mich da noch um eine Strukturförderung bemühen.
Gehen wir zurück zu deinen Anfängen. Du hast als Teenager begonnen, elektronische Musik zu produzieren. Mit 18 bist du bereits als Support-Act für die Power-Electronics-Legenden Whitehouse auf der Bühne gestanden. Wie hat das seinen Anfang genommen?
Stefan Juster: Es ist gar nicht so einfach bei etwas so Graduellem einen Anfangspunkt zu definieren.
Kunst und Musik waren in meiner Familie immer schon präsent und weil ich in keiner anderen Sache besonders gut war, hat es mich sehr schnell in diese Richtung gezogen. Nachdem mir bewusst wurde, wie mächtig Kunst sein kann, habe ich immer die Extreme gesucht. Ich bin mit 16 nach Linz gezogen. Dort hat mir Robert Wacha (Das Fleisch) den Track “siege” von zoviet:france vorgespielt. Das hat einiges gezündet.
„Ich denke für die Generation X ist Noise-Culture eine Art Nullpunkt, ästhetisch und als Haltung.“
Du bist ein ziemlicher Szene-Diver, hast in den späten 1990ern als Stefan Kushima im Noise-Drone-Underground begonnen, warst als Lars Leerkörper und Bobby Lazar in der Breakcore-Szene der 2000er aktiv und dann u.a. als Easy Rider Teil der internationalen Post-Psychedelic Bewegung, die sich im Zuge von MySpace global vernetzt hat. Mit Cruise Family und Alex Strelka hast du dich der Clubmusik zugewandt. Als Jung An Tagen bewegst du dich schon seit Längerem Richtung akademische Computermusik. Gibt es etwas, dass diese Sprachen eint?
Stefan Juster: Für mich sind es Mutationen von Noise. Noise ist eine Art Ursuppe aus der alles Mögliche herauswachsen kann, wenn man es mit etwas Neuem verbindet. Graduell entwickelt es sich, so lange ein Genre noch nicht weiß, wohin die Reise geht, aber wenn es an einem Ziel angelangt ist, suchen die meisten nach einer neuen Syntax. Auch ich.
Woraus speist sich deine persönliche Faszination an Noise?
Stefan Juster: Ich denke für die Generation X ist Noise-Culture eine Art Nullpunkt, ästhetisch und als Haltung.
„Techno war für mich immer angewandte Minimal Music und die letzte richtige counter culture.“
Du hast dich dann aber, wie viele deiner internationalen Kolleg*innen, vom Noise Richtung Techno und Club bewegt. Techno hat für dich aber schon lange davor Relevanz gehabt. Was ist dein Bezug zu diesem Genre?
Stefan Juster: Als ich ca. acht Jahre alt war, ist meine Schwester auf Raves gefahren. Zuhause hat sie dann die Fenster verdunkelt und gesagt, ich soll die Augen schließen. Dann hat sie mir Tracks von Emmanuel Top vorgespielt und beschrieben, wie sich Drogen anfühlen. Später hat ein Freund von ihr seine Plattentasche voller Nasenbluten und Sähkö Releases bei uns vergessen… Das war der Anfang. Techno war für mich immer angewandte Minimal Music und die letzte richtige counter culture. Nachdem ich aufgehört habe, Drone und hypnagogische Musik zu machen, habe ich versucht diese Beziehung zu Techno deutlicher auszuformulieren.
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Heute bedeutet Techno für mich hauptsächlich eines: die Möglichkeit körperlich sehr intensive Konzerte zu spielen. Mit einer Kick auf 4/4 kann man sich quasi alles erlauben. Tatsächlich habe ich aber in den letzten Jahren seltener in Clubs gespielt und momentan zieht es mich eindeutig mehr in ein konzentriertes Setting. Ich werde ganz sicher wieder Konzerte mit Beats spielen, aber zurzeit möchte ich mich davon eher befreien.
Als du als Stefan Kushima begonnen hast Musik zu machen, hast du noch eine E-Gitarre mit dem Milchschäumer bearbeitet, als Cruise Family hast du anfangs mit Casio-Keyboards und Effektgeräten experimentiert. Mittlerweile arbeitest du ausschließlich digital und interessierst dich für synthetisch generierte Klänge. Wie kam es dazu?
Stefan Juster: Ich habe irgendwann entdeckt, dass ich kein sonderlich begabter „klassischer“ Musiker bin. Seitdem arbeite ich experimenteller und komponiere mehr. Außerdem war ich früher wirklich Lo-Fi unterwegs. Ich versuche erst seit einigen Jahren mit cleanem Sound zu arbeiten, damit sich die Frequenzen möglichst gut auf den Körper übertragen.
Seit 2014 bist du als Jung An Tagen aktiv. Dein Sound hat sich über die Jahre immer mehr zugespitzt und ausdefiniert. Du arbeitest mit singulären synthetischen Pulsen, aber auch klangliches Chaos spielt eine Rolle.
Stefan Juster: Für mich fühlt es sich relativ natürlich an, so zu arbeiten. Wenn man eine Note nach der anderen setzt, tappt man leicht in emotionale Fallen. Dann wird es so einfach, etwas düster oder euphorisch zu machen, durch Harmoniefolgen und solche Dinge. Das ist mir dann gleich viel zu fad. Wenn ich experimenteller oder mit Cut-Ups arbeite, kann ich etwas entdecken, auf das ich so nicht gekommen wäre und dann bekommt es automatisch diese Komplexität.
„Es ist immer ein Spiel aus Chaos und Kontrolle.“
Ich hatte bei deinen letzten Releases auch das Gefühl, als wäre dein Zugang mathematischer geworden, als würde es stark um Mengen und Intensitäten gehen. Auch an Xenakis musste ich oft denken. Spielen stochastische oder aleatorische Verfahren eine Rolle für dich?
Stefan Juster: Ja, sehr. Eben weil ich kein sehr guter klassischer Musiker bin, finde ich Kompositionen bei denen ich eine Note nach der anderen setze, zum Sterben langweilig. Im Normalfall arbeite ich sehr lange an einem einzelnen Sound und entwerfe dann Methoden, um mit einem gewissen Chaos zu komponieren. Wenn mir etwas gefällt, baue ich darauf auf. Es ist immer ein Spiel aus Chaos und Kontrolle.
Du greifst auf bestimmte Strategien und Kompositionsmethoden zurück, die ich eher mit der neuen akademischen Musik assoziieren würde und deine Arbeit hat durchaus forschenden Charakter. Musiker*innen aus dem Underground haben ja oft Vorbehalte gegenüber akademischer Musik und umgekehrt, oder wie nimmst du das wahr?
Stefan Juster: Sicher gibt es die – extrem und die ganze Zeit. Aber die Leute, die solche Vorbehalte haben, machen dann meist fade Sachen, finde ich. Die können nicht out-of-the-box denken.
Dennoch findet man Projekte wie deine eher in Galerien oder im akademischen Kontext als im Club. Es gibt nur eine Handvoll Acts, denen, wie dir, der Brückenschlag gelingt. Versuchst du den Clubgänger*innen den Einstieg bewusst leichter zu gestalten?
Stefan Juster: Naja, Techno an sich ist ja nicht unsperrig. Und so ein Rave-Publikum will schon ziemlich viel. Die wollen etwas Körperliches, im Gegensatz zu einem klassischen avantgardistischen Publikum, das sich schnell einmal fürchtet, wenn es wirklich wild wird.
Deine Arbeit steht aber auch in einer gewissen Tradition. Knüpfst du bewusst an Künstler wie Florian Hecker oder Marcus Schmickler an? Gibt es da ähnliche Fragestellungen?
Stefan Juster: Ja klar! Und vor ihnen gab es Leute wie Maryanne Amacher oder Jean-Claude Risset. Das ist die Generation vor mir. Wir haben diesen Künstler*innen sehr viel zu verdanken.
Ähnlich wie diese arbeitest du analytisch und suchst nach Strategien, um die Wahrnehmung zu irritieren. Du befasst dich schon lange mit Psychoakustik – binaurale Beats, otoakustische Emissionen, Shepard Scale, Differenztöne, usw. Was befeuert diese Faszination?
Stefan Juster: Die Irritation der Wahrnehmung bringt es eh sehr schön auf den Punkt. Ich liebe künstlerische Arbeiten, die mich und meine Wahrnehmung durcheinanderbringen. Aber man kann sehr schwer darauf anlegen. Ich versuche zu machen, was mich fasziniert und wenn es so ankommt, bin ich glücklich.
„[…] wenn die Frequenzen in den Kopf eindringen.“
Viel bewegt sich bei dir im oberen Frequenzspektrum. Mit Bässen gehst du eher sparsam um. Warum?
Stefan Juster: Ich finde elektronische Musik, die sich nur um den Bass dreht, ein wenig langweilig. Höhere Frequenzen und deren Körperlichkeit werden oft unterschätzt. Ich mag es, wenn die Frequenzen in den Kopf eindringen. Außerdem ist das ja relativ. Ich würde sagen, ich verwende nicht weniger Bass, sondern einfach nur mehr Höhen. Ich glaube nicht, dass sich die Leute auf meinen Konzerten über zu wenig Bass beschweren. (lacht)
Überforderung spielt auch eine Rolle. Teilweise gehen deine Sounds an die Schmerzgrenze. Worin besteht der Reiz?
Stefan Juster: Wenn etwas kaputt ist oder scheinbar nicht funktioniert, lassen sich sehr gut Fragen über das Medium selbst oder unsere Beziehung dazu stellen. Überforderung oder Schmerz lassen uns Fragen zu unserem Körper formulieren.
Meinst du, deine Sounds provozieren?
Stefan Juster: Ich weiß nicht was Provokation ist. Aber ich habe mir oft die Frage gestellt. Ich glaube im Moment provoziert Stille mehr. Die meisten Leute halten Stille nicht aus. Ständig muss es einen Stimulus geben.
Dann ist deine Musik Über-Stimulation, also Zuspitzung?
Stefan Juster: Ja, sicher, eine Form von Komplexität. Wenn etwas zu technisch wird, wird es zu verkopft. Meine Arbeit ist das zwar auch, aber ich versuche trotzdem, dass sie emotional oder intuitiv funktioniert; dass man sich in der Komplexität gehen lassen kann. Komplexität kann ja auch dazu führen, dass man sich entspannt. Wie bei Xenakis. Das sind hochkomplexe Kompositionen, aber man lässt los.
„Kunst (hat) die Fähigkeit (..), deine Wahrnehmung umzudeuten, als ästhetisches, aber auch emotionales Ereignis.“
Du setzt dich mit vielen unterschiedlichen Ästhetiken und Disziplinen auseinander. Autoren und Künstler wie Alexander Kluge, William Burroughs oder Robert Wilson hatten ebenso Einfluss auf dein Denken wie Architektur, sowjetischer Konstruktivismus, strukturalistischer Film oder Partisanenlieder. Wie setzt du das Verhältnis von Politik und Ästhetik?
Stefan Juster: Kunst hat die Fähigkeit deine Wahrnehmung umzudeuten, als ästhetisches, aber auch emotionales Ereignis. Das ist das Beste: wenn du dich selbst und deine Umwelt neu erfahren und neu definieren kannst; wenn du offen bist und deine Umwelt nicht als gegeben wahrnimmst, sondern annimmst, dass sie in Bewegung ist und dich verändern kann.
Du bist zudem auch für das Artwork deiner Musikprojekte verantwortlich, entwirfst die Covers und produzierst die Videos. In welchem Verhältnis stehen Ton und Bild bei dir? War das ein logischer Schritt für dich?
Stefan Juster: Ja. Musik existiert für mich immer in Symbiose mit dem Bild. Speziell bei einer Platte scheint es mir unausweichlich, mit Farben, Formen und Sprache meine Gedanken auszuformulieren.
„Experimentalfilm beeinflusst bis heute, wie ich über Strukturen nachdenke.“
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In dem Kontext ist es auch interessant, dass du Experimentalfilm auf der Kunstuni in Linz studiert hast. Du hast für Arbeiten der Experimentalfilmemacher Johann Lurf und Lukas Marxt den Soundtrack beigesteuert, aber auch Videos für befreundete Musiker gemacht, wie zuletzt Cam Deas.
Stefan Juster: Ja, ich habe erst nach dem Studium ernsthafter begonnen Musik zu machen. Platten zu machen und Konzerte zu spielen, ist für mich mit Abstand die intensivste, belohnendste und sozialste Form Kunst zu machen. Mit den Konzerten kannst du ein wenig Geld verdienen, herumfahren und meiner Erfahrung nach die coolsten Leute der Stadt treffen. Außerdem kann ich alles mit Musik verknüpfen. Aber Experimentalfilm beeinflusst bis heute, wie ich über Strukturen nachdenke.
Für die „Agent Im Objekt” A/V-Show hast du mit Strobokop-Effekten gearbeitet, die sich als Referenz auf Flicker-Filme verstehen lassen, aber natürlich auch auf die Rave-Kultur per se. Was war deine Intention?
Stefan Juster: Ich habe bei diesem Album versucht, experimentelle Strategien in den Club zu übersetzen und wollte etwas ähnliches auch mit Video probieren. In meinen Videoarbeiten beziehe ich mich sehr stark auf die strukturalistische Filmtradition. Die „Dreamachine” von Brion Gyson ist 1959 gebaut worden und ein Jahr später hat Alexander Kubelka „Arnulf Rainer“ produziert. Das ist mit Abstand der früheste Flicker-Film. Beides war ein massiver Einschnitt in der Kunst. Das sind Kunstwerke, die die Kunst für immer verändert haben. Gysin hat gemeint, die „Dreamachine” wäre das letzte Kunstwerk, weil du quasi die Kunst selbst siehst. Und auch Kubelka‘s „Arnulf Rainer“ hat den Film verändert, weil er aufhört, Film zu sein. Er ist etwas anderes: pure Stimulation.
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Jung An Tagen hat in seiner Interdisziplinarität Gesamtkunstwerk-Charakter. Seit einiger Zeit arbeitest du auch mit dem Videokünstler Rainer Kohlberger
Stefan Juster: Ja, es ist mir zu steil geworden selbst die Videos für meine Musik zu machen. Speziell live ist das wirklich überfordernd. Deshalb arbeite ich seit einem Jahr mit Rainer Kohlberger zusammen.
Hast du eigentlich das Gefühl, einer Community anzugehören?
Stefan Juster: Nicht mehr so. Früher war das eindeutiger. Jetzt kommt es mir mehr so vor, als wären es Individuen, die ähnliche Sachen machen. Natürlich gibt es noch immer so etwas wie eine generelle Subkultur, aber die ist nicht spezifisch. In den 90ern hat man sich immer über die Genre-Grenzziehungen aufgeregt. Jetzt sind sie verschwunden, sie haben sich aufgelöst, komplett. Und das hat gute, aber auch schlechte Seiten. Wenn du keine Gruppe bist, kannst du so nur mehr schwer an größeren Ideen feilen.
Welche Mittel bräuchte es, um als Musiker heutzutage noch subversiv zu agieren?
Stefan Juster: Der Kapitalismus hat schon lange verstanden sich subversive Ästhtiken anzueignen. Was aber neu ist, ist das Verschwinden der klassischen Massenmedien und die Vereinnahmung von Mikroszenen – Orte, an denen wir bis jetzt unseren Frieden hatten. Verkürzt gesagt: so lange es Firmen wie Red Bull gibt, gibt es kein Außen mehr. Wenn es de facto irgendwo etwas gibt, das sich dem entzieht, dann wären wir wahrscheinlich die letzten, die davon mitbekämen. Weil sich das dann eben so abschirmt, dass man nichts davon erfährt.
Du hattest ja wirklich eine lange Phase, in der du nomadisch von einem Pseudonym zum nächsten gezogen bist, auch um dich gegen diese Art der Vereinnahmung zu wehren. Mit Jung An Tagen scheinst nun angekommen zu sein.
Stefan Juster: Aber die Verlockung wieder abzutauchen ist nach wie vor groß!
Herzlichen Dank für das Gespräch!
Shilla Strelka
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