„Ich habe das Ziel, dass meine Musik auf irgendeine Weise Bilder evoziert.“ – Hannah Eisendle im Porträt

Dieses Porträt von Constanze Gepart entstand im Zuge der Lehrveranstaltung „Ästhetischer Diskurs, Reflexion, Kritik: Schreiben und Sprechen über Neue Musik“ von Monika Voithofer im Wintersemester 2022/23 am Institut für Musikwissenschaft der Universität Wien und wird als Teil einer Kooperation mit mica – music austria hier im Magazin veröffentlicht. Für diese Aufgabenstellung konnten die Studierenden frei eine aufstrebende Persönlichkeit aus dem Bereich der neuen Musik wählen.

„Schmutzig, hitzig, klebrig, angestaubt. Geworfensein in eine Wüste. Sonne, brennend über sandigen Dünen und kantigem Geröll. Hitze, die den Atem nimmt, betäubt, benebelt.“ Beschreibungen, die für einen lauen Sommerabend im westlichen Stadtteil von London eher ungewöhnlich erscheinen. Dennoch wurde dem Publikum am 13. August 2022 in der Royal Albert Hall ein Hitzeschlag versetzt. Allerdings nur musikalisch. Das ORF Radio-Symphonieorchester Wien mit Marin Alsop präsentierte bei den BBC Proms neben Bartók und Prokofiev eine britische Erstaufführung. „heliosis“, griechisch für Sonnenstich oder Hitzeschlag, ist ein Werk der österreichischen Komponistin, Dirigentin und Pianistin Hannah Eisendle. Ein Porträt über eine Künstlerin, die die Musikalisierung von Bildern zu ihrem Beruf machte.

„Ich liebe die Mischung!“

Ob Dirigieren, Klavier spielen oder Komponieren. Ob London, Mexiko City oder Wien. Ob klassisch-romantische Musik, Improvisation oder zeitgenössische Musik. Eisendle besticht durch ihre künstlerische Vielfalt und durch ihre Affinität zur Verbindung der einzelnen Bereiche. Bereits während ihrer Ausbildung gelang es der jungen Musikerin, Einblicke in die Fülle des Künstler:innenberufs zu gewinnen. Nach der Absolvierung des Musikgymnasiums Wien studierte sie unter anderem bei Iris ter Schiphorst und Reinhard Karger Komposition sowie Dirigieren bei Mark Stringer an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien. Ihre Vielseitigkeit als Künstlerin stellte sie ebenso durch ihre Tätigkeit als Dirigentin und musikalische Assistentin bei mehreren Musiktheaterprojekten unter Beweis. Neben einem Klavierstudium in Hamburg und dem Besuch zahlreicher Meisterklassen mit renommierten Künstler:innen vertiefte sie ihre Kompositionskompetenzen durch die Spezialisierung auf den Studienzweig „Medienkomposition und Angewandte Musik“. Die Beschäftigung mit den Wechselwirkungen der einzelnen Medien sollte die Künstlerin noch nachhaltig prägen.

„Es ist, als wäre man auf einem Spielplatz.“

„Noch ist alles offen, die Phantasie kann sich frei ergehen, man kann experimentieren, erfreut sich an sich unerwartet auftuenden Zusammenhängen, probiert dieses und jenes, trifft dabei auf überraschende Konstellationen. Es ist, als wäre man auf einem Spielplatz.“ Komponieren – ein Konfrontieren mit Leere einerseits und einer Vielzahl an kaum mehr verarbeitbaren Ideen andererseits – ist laut Eisendle mit einem Spielplatz zu vergleichen. Sobald allerdings die Sonne des künstlerischen Experimentierens untergeht und der Mond der bevorstehenden Deadline aufgeht, ist es Zeit, die Spielzeuge einzupacken und den Spielplatz zu verlassen. Die Komposition muss ihre endgültige Form erhalten.

Allein die Beschreibung des Kompositionsprozesses mit Bildern zeigt Eisendles Vorliebe für Multimedialität. Dies verwirklicht sie einerseits durch die aktive Zusammenarbeit mit Expert:innen aus den Bereichen Tanz, Theater, Film, Literatur oder Wissenschaft und andererseits durch das Spiel mit imaginären Bildern. Bilder sollen dabei auf allen Ebenen des musikalischen Erlebnisses erzeugt werden: Komposition, Interpretation und Rezeption. Während beispielsweise Musiker:innen in „heliosis“ die „flirrenden“ Klangflächen, erzeugt durch geringe Tonhöhenunterschiede der Streicher, als Bild von erdrückender Hitze wahrnehmen, interpretieren Rezipient:innen möglicherweise die Überlagerung von Rhythmen durch das Schlagwerk als „erhöhten Puls bei extremer Hitze“. Die Anzahl an möglichen Interpretationen ist endlos.

„Zeitgenössische Musik sollte eine Selbstverständlichkeit sein.“

Ein Wunsch, den wohl zahlreiche Musiker:innen in dieser Branche mit Hannah Eisendle teilen. Dass dies nicht „von heut’ auf morgen“ gehen könne, ist der Künstlerin bewusst. Jedoch könne man durch die Verbindung von klassischem und zeitgenössischem Repertoire (womöglich auch in alternativen Konzertformaten) die Präsenz von zeitgenössischer Musik in Kulturbetrieben erhöhen. Den Anfang macht dabei die österreichische Komponistin und Dirigentin selbst: Im Rahmen des Musikfestes des Musikgymnasiums Wien dirigiert sie Ende März 2023 einen bunten Mix von Brahms, Britten, Strawinsky und Bernstein. Mit dem Tonkünstler Orchester Niederösterreich und „The Young Person’s Guide to the Orchestra“ im Gepäck soll demnächst zudem das junge Publikum an zeitgenössische Musik herangeführt werden. Auch für „heliosis“ ist es mit dem Ausflug nach London nicht abgetan: Das ORF Radio-Symphonieorchester Wien möchte künftig auch dem Pariser Publikum einen „musikalischen Hitzeschlag“ versetzen.

Constanze Gepart

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Termine:

Dienstag, 28. März 2023, 19:30 Uhr und
Mittwoch, 29. März 2023, 19:30 Uhr
Musikfest des Musikgymnasiums Wien
Musikverein Wien

Chöre und Orchester des Musikgymnasiums Wien
Johannes Bamberger, Tenor
Hannah Eisendle, Dirigentin
Auf dem Programm stehen Werke von Johannes Brahms, Benjamin Britten, Igor Strawinsky und Leonard Bernstein

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Links:
Hannah Eisendle
Hannah Eisendle (music austria Datenbank)