„Ich habe das Gefühl, dass der sogenannte alternative Pop in letzter Zeit etwas humorlos geworden ist.“ – Das ERSTE WIENER HEIMORGELORCHESTER im mica-Interview

Die Geschichte des ERSTEN WIENER HEIMORGELORCHESTERS begann vor 30 Jahren in einem Wohnzimmer mit günstigen Consumer-Keyboards und Covers von Künstlern wie ABBA und BONEY M. Mittlerweile ist das schräg-humoristische Popquartett mit seinem einzigartigen Sound zu einem festen Bestandteil der heimischen Musikszene geworden. Mit dem Album “wo sind die blumen gebleibt?” präsentiert die Wiener Kulttruppe nun ihr zehntes Werk. In einem Interview mit Michael Ternai sprechen die vier Köpfe des Orchesters, THOMAS PFEFFER, JÜRGEN PLANK, DANIEL und FLORIAN WISSER, unter anderem über ihren kultivierten Orgelsound, die Humorlosigkeit des zeitgenössischen alternativen Pops und ihre Liebe zum Schlager.

Das Erste Wiener Heimorgelorchester ist bereits seit 30 Jahren ein fester Bestandteil der österreichischen Musikszene. Im Januar erscheint euer neues Album. Wenn man sich durch die neuen Nummern hört, fällt auf, dass ihr in der Musik und im Sound euren Prinzipien treu geblieben seid.

Daniel Wisser: Ich würde eher sagen, dass wir im Sound erst in den letzten Jahren konstant geworden sind. Davor haben wir etwas ganz anderes gemacht. Wir haben im Wohnzimmer mit Covers von ABBA und Boney M begonnen. Irgendwann kamen dann eigene Texte dazu. Zu dieser Zeit waren wir auch noch sehr musiklastig unterwegs. Vor allem die Alben von 2005 bis 2012 sind viel poppiger ausgefallen als das, was wir danach gemacht haben. Heute klingen unsere Songs eher liedermäßig.

Thomas Pfeffer: Die Sache, die in den Jahren immer gleichgeblieben ist, sind die Orgeln. Sie haben unseren Sound seit jeher bestimmt und tun dies auch auf dem neuen Album. Das ist vielleicht der Grund, warum sich alles ein bisschen ähnlich anhört. Was wir uns aber dieses Mal bewusst vorgenommen haben, ist, die Songs ein wenig an den deutschsprachigen Schlager anzulehnen. Das ist schon etwas Neues. Früher haben wir die Sachen durchaus auch mal technoider angelegt.

Es sind also immer noch die Orgeln, die den Ton machen. Hat es euch in den dreißig Jahren eures Bestehens niemals gereizt, aus diesem Orgelsound herauszugehen?

Thomas Pfeffer: Nicht innerhalb dieses Orchesters.

Florian Wisser: Das wäre mit unserem Namen auch etwas schwierig.

Jürgen Plank: Wenn du auf die Regale an der Wand hier im Proberaum schaust, siehst du, dass wir eine recht ansehnliche Sammlung an verschiedenen Orgeln haben. Und es kommen auch immer wieder neue hinzu. Wir haben also schon die Möglichkeit, die Instrumente immer wieder zu tauschen. Und das tun wir auch regelmäßig.

Daniel Wisser: Es hat schon immer wieder die Idee gegeben, dass wir zu den Orgeln ein richtiges Schlagzeug hinzunehmen. Aber es gibt eh schon zwei nordische Bands, die das machen. Daher denke ich, dass sich bei uns, was den Sound betrifft, nicht mehr allzu viel ändern wird. Wir werden weiterhin mit Orgeln arbeiten.

Auch wenn doch mehr hinter eurer Musik steckt, als man vielleicht denkt, ist diese musikalische Einfachheit ein bewusst gewähltes Programm?

Thomas Pfeffer: Absolut. Bei uns ist es wirklich so, dass die Musik ausschließlich von den Orgeln kommen muss. Und wir schnippeln auch nicht groß an den Sachen herum. Wir spielen die Songs einfach live ein, so wie wir es bei einem Konzert tun. Das ist unser Credo, und deshalb klingt unsere Musik auch so.

Daniel Wisser: Es gibt Bands mit CDs mit 32 Tracks. Aber das bringt man live eigentlich gar nicht mehr hin. Ich habe jetzt bei einer Nummer drei Orgeln stehen. Und das ist schon das absolute Maximum.

Euer Sound ist auf jeden Fall unverkennbar. Mit dem Klang der Orgeln habt ihr wirklich ein Alleinstellungsmerkmal.

Florian Wisser: Der Sound unserer Musik ist Fluch und Segen zugleich. Es ist schön, etwas zu machen, das nicht viele tun. Andererseits passen wir mit unserer Musik schwer in Veranstaltungsschienen. Wir befinden uns immer ein wenig zwischen den Stühlen, was es nicht ganz so leicht macht, uns irgendwo einzubringen.

Daniel Wisser: Beim Radio verhält es sich ähnlich. Am ehesten passen wir wohl zu Ö1. Auf jeden Fall mehr als zu FM4. Dort kommen wir eigentlich nicht mehr vor. Aber ich denke, das Gute an der ganzen Geschichte ist, dass wir so lange durchgehalten haben. Geplant war das nicht. Niemand konnte sich vorstellen, dass wir einmal im Akademietheater und auch in anderen Theatern auftreten würden. Heute machen wir einfach die Sachen, die wir wollen, und nehmen auf die Meinung anderer eigentlich keine Rücksicht. Wenn ein Album von uns von vielen ignoriert wird, dann ist das eben so.

Jürgen Plank: Ich glaube sogar, dass dieses Alleinstellungsmerkmal ein Vorteil ist. Das Zwischen-den-Stühlen-Sitzen macht uns wirklich einzigartig. Mir hat einmal ein Musiker aus der Szene gesagt, dass wir von außen gesehen dieses Standing auch tatsächlich haben, dass wir eben nicht in irgendeine Kategorie einordenbar sind. Und er hat das positiv gemeint.

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War es einmal ein Ziel von euch, im Radio gespielt zu werden?

Daniel Wisser: Am Anfang hatten wir eigentlich gar kein Ziel. Ich erinnere mich zwar daran, dass bei der ersten CD schon Journalisten auf uns zugekommen sind, ohne dass wir groß etwas dafür getan hätten, aber dass es gereicht hätte, groß durchzustarten…

Thomas Pfeffer: Das ist nicht ganz richtig. Es ist schon etwas passiert. Wir sind hier und dort gespielt worden, nicht nur in Österreich. Mit dem Song “Vaduz” hatten wir sogar Erfolg in Liechtenstein. Dort waren wir echt “big”. [lacht]

Jürgen Plank: Ich glaube, unser allererstes Airplay war auf Radio Helsinki. Ich erinnere mich noch daran, wie ich damals in der Steiermark war, das Radio aufgedreht habe und unseren Song gehört habe. Das war schon ein besonderer Moment.

Thomas Pfeffer: Wir haben es dann schon ein wenig versucht. Jetzt ist es so, dass es toll ist, wenn wir gespielt werden, aber wir legen es nicht wirklich darauf an.

Florian Wisser: Ich glaube, wir werden jetzt nichts mehr erzeugen, das irgendwie in eine Rotation kommt. [lacht] Wenn es passiert, dann passiert es zufällig.

Wie entstehen bei euch eigentlich die Lieder?

Daniel Wisser: Sehr oft kommt zuerst ein Text oder eine Textidee, und dann arbeiten wir gemeinsam die Musik aus. Auf dem neuen Album gibt es einige Nummern, die nach einem Art Konzept entstanden sind. Zum Beispiel basiert ein Lied auf einem Walzer im 4/4-Takt, wobei die Begleitung im 4/4-Takt spielt, während der Akkord im ¾-Takt wechselt. Diese Idee war als Konzept mit einem Text bereits vorhanden, und dann haben wir es musikalisch umgesetzt.

Thomas Pfeffer: Manchmal entsteht bei uns auch einfach etwas aus einem Jam heraus. Wir spielen und nehmen auf. Und manchmal ist da auch etwas dabei, das wir dann weiterverwenden und einen Text dazu machen.

Jürgen Plank: Es gibt aber auch sehr viele Skizzen, aus denen bislang noch nichts geworden ist. Letztes Jahr hatten wir einen Abend im Literaturhaus, in dessen Rahmen wir Dinge präsentierten, aus denen nie wirklich Nummern entstanden sind oder die wir nur einmal aufgeführt haben. Das war schon ein cooler Abend.

Wie viel Raum fürs Experimentieren bietet das Heimorgelorchester bzw. die Arbeit mit Consumer-Orgeln?

Bild Erstes Wiener Heimorgelorchester
Erstes Wiener Heimorgelorchester (c) Johannes Zinner

Daniel Wisser: Am Anfang war es schon eher chaotisch. 2003 gab es dann Ebay, das heißt, man konnte plötzlich in der ganzen Welt nach bestimmten Orgelmodellen suchen. Das haben wir natürlich ausgenutzt und deutlich mehr gekauft als vorher.

Florian Wisser: Aber Ebay war nicht die einzige Quelle. Meine allererste Orgel, die ich seit meiner Kindheit hatte, ist irgendwann einmal kaputt gegangen. Ersatz fand ich in einer weißen Bontempi, die ich bei einem Altwarenhändler auf der Landstraße erstanden habe. Du siehst sie hier im Regal stehen. Die, die vor mir am Tisch steht, habe ich im Cinema Paradiso geschenkt bekommen, als wir dort vor ein paar Jahren gespielt haben.

Jürgen Plank: Ja, wir haben schon einige Modelle geschenkt bekommen. Aber wir haben auch einige gefunden, die irgendwo herumgelegen sind. Wir haben sogar Orgeln in Verwendung, die wir im Müll gefunden haben.

Thomas Pfeffer: Tatsächlich haben wir drei, die wir aus Mülltonen herausgefischt haben. Um noch einmal auf das Experimentieren zurückzukommen: Das tun wir natürlich immer wieder. Es kommt einfach auf das Konzept an, das wir uns für ein Album erarbeitet haben. Aber die Lust, einmal etwas anderes zu machen, ist immer noch da. Wenn wir zum Beispiel für ein Theaterstück etwas machen müssen, sind wir so oder so gezwungen anders zu arbeiten. Da geht es weniger um unsere Lieder, sondern mehr um Sounds. Und da ist es lustig zu sehen, was die Orgeln alles können. Sie können doch immer mehr, als man glaubt.

Ihr könntet mit den vielen Orgeln, die ihr hier im Proberaum stehen habt, locker eine Ausstellung machen.

Daniel Wisser: Ich habe tatsächlich schon einmal mit jemandem vom Technischen Museum darüber länger telefoniert. Für ihn ist unsere Sammlung wirklich interessant, weil er bzw. das Museum solche Consumer Keyboards nicht hat. Bislang ist aber noch nichts daraus geworden. Aber wir haben ja Zeit.

Seht ihr das Heimorgelorchester eigentlich mehr als ein Musikprojekt oder doch schon als Kunstprojekt?

Thomas Pfeffer: Ich glaube, es ist irgendwie alles. Aber schon mehr ein Kunst- und Literaturprojekt.

Daniel Wisser: Darüber zu sprechen, ist immer ein bisschen schwierig, weil man dann schnell irgendwie verkopft klingt oder nach einem Projekt, das zuerst die Lektüre eines hundertseitigen Textes erfordert. Das sind wir nicht und wollen es auch nicht sein. Am ehesten würde ich sagen, das Heimorgelrochester ist Pop über Pop. Das liegt vor allem an den Geräten, da es immer wieder eine Begleitautomatik für einen Song gibt, die an einen bestimmten Popsong erinnert, von dem das Stück inspiriert ist. Man kann auch einige berühmte Orgeln in bekannten Popsongs hören, zum Beispiel bei Trio. Songs wie “Da Da Da” oder “Turaluraluralu” wurden auf Casio-Geräten gespielt. Generell würde ich jedoch sagen, dass die Bezeichnung “Kunst” für uns wahrscheinlich etwas zu hochgegriffen ist.

Thomas Pfeffer: Ganz am Anfang war es überhaupt ganz anders. Damals waren wir richtig antipop unterwegs. Und wir dachten auch daran, das Orchester für andere Leute offen zu halten, damit sich ihm auch andere Leute anschließen können. Letztlich ist es aber doch anders gekommen.

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Ein wichtiges Element sind beim Heimorgelorchester die Texte.

Daniel Wisser: Ich habe das Gefühl, dass der sogenannte alternative Pop in letzter Zeit etwas humorlos geworden ist. Wenn ich das heute mit der Zeit Mitte der 1990er vergleiche, als aus dem Blue Danube FM4 wurde, erinnere ich mich daran, was am Anfang bei FM4 los war und welche ästhetische Breite der Sender hatte. Die Leute im Sender haben sich damals wirklich um nichts geschert. Wir hatten auch unsere Auftritte dort. Damals sind wir einfach ins Studio gegangen und haben unsere Geräte ins Mischpult gesteckt. Dann haben Hörer:innen mit einem Musikwunsch angerufen, und wir haben versucht, diesen mit unseren Orgeln nachzuspielen. So etwas ist heute unvorstellbar. Dieser Humorlosigkeit wollen wir mit unseren Texten und unserer Musik entgegenwirken.

Warum habt ihr für euer neues Album eigentlich den Schlager als Blaupause auserkoren?

Thomas Pfeffer: Die Idee war, ein Album zu schaffen, das homogener ist. Dabei bietet sich der Schlager an, weil die Orgeln diesem relativ nahestehen. Wenn man einen Orgel-Sound hört, denkt man recht bald an den Schlager. Es gibt ja auch diese Alleinunterhalter, die auf ihren Keyboards bei Festen spielen und einen Schlager nach dem anderen zum Besten geben. Da gibt es einfach Zusammenhänge. Daher lag die Entscheidung, in diese Richtung zu gehen, auch nahe.

Und habt ihr auch eine persönliche Vorliebe für den Schlager?

Daniel Wisser: Ja, doch. Man kann sich ja fragen, ob Element of Crime nicht auch in gewisser Weise Schlager ist. Die liegen wahrscheinlich auch ein wenig dazwischen. Ein bisschen volkstümlich, ein bisschen Pop, ein bisschen Lied.

Jürgen Plank: Also mir hat zum Beispiel Hermann Leopoldi immer gefallen. Und auch Sachen aus den 1950ern und 1960ern. Aber klar, viele assoziieren heute mit Schlager vor allem die neueren Sachen. Die gefallen mir auch nicht wirklich. Aber man muss respektieren, was es da in der Geschichte schon gab.

Thomas Pfeffer: Die alten Schlager haben zum Teil ja auch skurrile Texte, die für sich schon lustig sind. „Ein bisschen Goethe, ein bisschen Bonaparte, so soll er ausseh’n, der Mann, auf den ich warte …“ (France Gall, 1970)

Florian Wisser: „Hätte Rembrandt dich gekannt, hingst du heute an jeder Wand“ (Roger Whittaker, 1990) …

Thomas Pfeffer: [lacht] Die haben manchmal schon großartige Zeilen. Für so etwas haben wir eben auch ein Faible.

Präsentieren werdet ihr das Album am 25. Jänner im TAG in Wien. Was darf man sich von dem Konzert erwarten?

Daniel Wisser: Wir spielen alle Songs des Albums und ein paar mehr. Das Theater stellt eine Kulisse zur Verfügung, in der wir alle stehen und uns nicht bewegen werden.

Thomas Pfeffer: Wir sind ja für unsere spektakulären Bühnenshows bekannt. [lacht]

Florian Wisser: Ein kleines Showelement, auf das man sich freuen kann, wird es auch geben.

Jürgen Plank: Wir haben uns für diese Präsentation auch ein eigenes Bühnenoutfit anfertigen lassen.

Daniel Wisser: Ansonsten sind wir eh genug mit unseren Orgeln beschäftigt und daher relativ statisch.

Herzlichen Dank für das Interview

Michael Ternai

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EWHO live
25.01. Wien, TAG

17.02. Niederkreuzstetten, Kultik
24.02. Bad Ischl, Kurdirektion
02.03. Graz, Theater im Bahnhof
15.03. Steyr, Museum Arbeitswelt

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