„Ich fühle mich als Symphoniker!“ – mica-Interview mit Michael F. P. Huber

Wenn es auch mit Live-Aufführungen orchestraler Werke von Tiroler Komponisten außerhalb ihres Heimatbundeslandes nicht allzu üppig aussieht, gibt immerhin die von den Tiroler Landesmuseen veröffentlichte CD-Reihe „musikmuseum“ die Möglichkeit, die Musik in hochwertigen Konzertmitschnitten kennenzulernen. MICHAEL F. P. HUBER (* 1971), bisher mit fünf CDs auf diesem Label vertreten, konnte nun die Aufnahmen seines Klavierkonzerts op. 61 und seiner vierten Symphonie op. 64 präsentieren. Gelegenheit mit dem gebürtigen Innsbrucker über seine Arbeit zu sprechen.

Mit den ersten Takten deines Klavierkonzerts fühlt man sich an die Verarbeitung der romantischen Meisterwerke in Franz Reizensteins „Concerto populare“ erinnert. Es ist wahrscheinlich kein Zufall, dass du zudem auch noch wie er mit Tschaikowsky beginnst. Inwieweit ist bei dir ebenfalls ein satirischer oder komödiantischer Ansatz beabsichtigt oder handelt es sich um eine Art „Teufelsaustreibung“ des historischen Materials mit dem jeder heutige Komponist konfrontiert ist? 

Michael F. P. Huber: Es scheint doch ein Zufall zu sein, ich kannte vorher weder Franz Reizenstein, noch sein „Concerto populare“! Reizenstein scheint mir in seinem Potpourri doch ganz andere Ziele zu verfolgen. Der einzig satirische Ansatz in meinem Klavierkonzert ist der vorgetäuschte Beginn von Tschaikowskys erstem Klavierkonzert; und natürlich hatte ich eine diebische Freude daran, das Publikum bei der Uraufführung zu beobachten, zu sehen, wie die Leute einen kleinen Lachanfall bekommen oder ganz verwundert mit einem „Er wird doch nicht…?“-Blick die Augen aufreißen. Doch dann geht es Schlag auf Schlag und man wird förmlich erschlagen von Zitaten. – Meine eigentliche Absicht war keine „Teufelsaustreibung“ des Materials, aber ein Einblick in die wirre Gedankenwelt des Komponisten, bevor er seine kompositorischen Absichten in eine gewisse Ordnung und eigene Tonsprache bringt. Gleichzeitig ist da aber auch die Idee, aus dem Tschaikowsky-Motiv das Material für alles weitere thematische Geschehen zu machen; auch an den Stellen, wo man es schon längst nicht mehr erkennt!

„Ich habe eben eine Freude daran, Symphonien zu komponieren und diese auch so zu nennen […]

Wo/Wie setzt sich der Komponist Huber durch?

Michael F. P. Huber: Zunächst vor allem in seiner kompositorischen Arbeit! Ich habe es nicht notwendig, mich bei irgendwelchen Festivals anzubiedern oder kompositorischen Moden bzw. „Trends“ hinterher zu komponieren. Auch will ich mich nicht mehr ständig dafür rechtfertigen, wie und was ich komponiere! Ich habe eben eine Freude daran, Symphonien zu komponieren und diese auch so zu nennen – und, Schreck lass nach, sie auch noch traditionell symphonisch zu gestalten. Klar wird man dann sofort in eine Schublade gesteckt und mit einem bestimmten Etikett versehen. Manchmal hat man das Gefühl, es gibt gewisse „Dogmen der Avantgarde“, die man als zeitgenössischer Komponist zu erfüllen hat – darauf lege ich keinen Wert.
Ich überrasche mein Publikum lieber auf andere Weise, vielleicht mit Klängen, die den Zuhörern beim ersten Hören vertraut erscheinen, dann aber doch noch einiges an Neuem zu bieten haben. Alle meiner fünf Symphonien wurden mit Erfolg uraufgeführt, drei davon sind auf CD-Einspielungen erhältlich. Ebenso wurden bereits drei Instrumentalkonzerte auf CDs veröffentlicht. Ich denke, auch hier hat sich der Komponist Huber durchgesetzt.

Du bleibst im Klavierkonzert wie auch in der Symphonie weitgehend im Rahmen der aus der Tradition gegebenen Formen und des üblichen Instrumentariums. Machst du dir Gedanken, wie du diese Parameter ins Jetzt entwickeln kannst? Verfolgst du etwa neueste Entwicklungen auf dem Instrumentensektor?

Albumcover "Klavierkonzert Symphonie Nr. 4"
Albumcover “Klavierkonzert Symphonie Nr. 4”

Michael F. P. Huber: Ich gebe zu, dass ich mit dem „üblichen“ Instrumentarium durchaus zufrieden bin. Vielmehr interessiert mich, was man damit noch alles machen kann. Das bezieht sich auch auf die Formen und  die Tonsprache. Man muss ja jedem Komponisten die Freiheit zugestehen, alles für sich neu zu entdecken! Wer aber ständig allen technischen Neuerungen nachläuft, hat, überspitzt formuliert, irgendwann keine Zeit mehr für den Kompositionsprozess. Natürlich sitze ich nicht im Elfenbeinturm, sondern ich verfolge und interessiere mich sehr wohl für neue Entwicklungen. Als mein Klavierkonzert im Entstehen war, wurde ich auf die höchst spannende Neuentwicklung einer Bassoboe, dem sogenannten Lupophon aufmerksam gemacht. Der Klang war für mich so interessant, dass das Instrument nach ausführlichen Recherchen einen wichtigen Solopart im langsamen Satz meines Klavierkonzerts bekommen hat. Für die Uraufführung musste das Lupophon extra aus Deutschland bestellt und geliehen werden. Der Fagottist, dem der Part anvertraut wurde, hatte gar nicht viel Zeit, das Instrument lange zu testen, aber es war auf jeden Fall ein Gewinn. Alternativ ist der Part allerdings auch mit einem Fagott zu spielen, wie es etwa bei Aufführungen in Rumänien der Fall war.

Virtuose Konzerte sind sehr oft in Hinblick auf einen bzw. in Zusammenarbeit mit einem bestimmten Solisten entstanden. War das beim Klavierkonzert der Fall?

Michael F. P. Huber: Könnte man sagen. Ich wollte schon lange für den Widmungsträger Michael Schöch ein Klavierkonzert schreiben! Er wandelt so mühelos durch alle Stile und Epochen, dass es eine Freude ist. Und er lernt unglaublich schnell! Man könnte ihm so manche Passagen erst zur Generalprobe bringen, und er würde es wahrscheinlich dennoch brillant interpretieren.

Der vierten Symphonie ist ja mittlerweile schon ein weiteres Schwesterwerk, die imposante „Maximilianus“-Symphonie gefolgt. Verstehst du dich spezifisch als Symphoniker in einer Zeit, in der diese Gattung oft totgesagt wurde und dennoch immer wieder sehr lebendig in Erscheinung zu treten vermag?

Michael F. P. Huber: Ja, ich fühle mich als Symphoniker: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders“. – Ob totgesagt oder nicht. Welches Genre wurde bisher noch nicht totgesagt? Es drängt mich einfach, Symphonien zu schreiben. Wie ein Schriftsteller einen spannenden Roman konzipiert, erfreue ich mich an der Komposition einer Symphonie; wobei auch hier „spannend“ kein Hindernis sein sollte! Allerdings gibt es noch keine einzige Symphonie, die ich nicht auf Bestellung geschrieben hätte. Das Wissen um eine spannende Uraufführung ist eine angenehme Stimulanz beim Kompositionsprozess. Zwei meiner Symphonien dauern länger als 45 Minuten. Darin besteht eine große Herausforderung: die Zuhörer mit reiner, programmloser Instrumentalmusik bei der Stange zu halten! Wobei programmlos nur teilweise richtig ist: Zu fast allen meiner Symphonien gibt es ein – meist verstecktes – Programm, das ich aber den Zuhörern niemals aufzwingen möchte. Die fünfte Symphonie ist da eine Ausnahme – die hat den Kaiser Maximilian und das „Innsbruck-Lied“ als Programm, und das ist ohne großartige Untertitel erkennbar.

Einer deiner musikalischen „Götter“ ist Dmitri Schostakowitsch, den wir in der Rezeption heute immer wieder in Verbindung mit dem politischen Umfeld, in dem er sich bewegen musste, interpretieren. Er wurde oft gemaßregelt, seine Musik vermittelt tiefsten Schmerz, vielleicht auch Ängste und Resignation, auf der anderen Seite viel Humor und satirische Elemente. Revolution, Stalinismus, Krieg, die Leiden der russischen Bevölkerung ebenso wie die Verbrechen an den Juden sind bei ihm thematisiert. Oft blitzt aber schein- oder offenbar auch das Lachen über die Absurdität des Systems hervor. Spielt für dich dein äußeres Umfeld oder weiter ausholend „der Zustand dieser Welt“ eine Rolle im eigenen kreativen Schaffen?

Michael F. P. Huber: Der Zustand der Welt muss eine Rolle in meinem kreativen Schaffen spielen, denn ich lebe und arbeite ja in dieser Welt! Wie gesagt, ich sitze nicht im Elfenbeinturm oder auf einer Tiroler Alm, ich nehme das Weltgeschehen zur Kenntnis und kommentiere es auf meine ganz persönliche Weise. Der Unterschied zu manchen anderen Kollegen ist vielleicht, dass ich es nicht herausbrülle oder gar im Titel eines Stückes schon alles verrate.
Auch mich haben schon Dinge, die auf der Welt passiert sind, zur Komposition eines Werkes angeregt – aber ist das nicht der Normalfall für einen Künstler? So ähnlich ist es auch mit „persönlichen Befindlichkeiten“: Vielleicht kann man manches im Werk etwas besser verstehen, wenn man weiß, dass sich Herr X im langsamen Satz seiner Symphonie gerade von einer schweren Krankheit erholt hat, doch muss das unbedingt in einem Programm gedruckt werden?  Außerdem gibt es ja auch so etwas wie einen kompositorischen „Kontrapunkt“ im Leben eines Komponisten. Wir wissen z. B., dass Mahler seine „Tragische Symphonie“ in einer höchst glücklichen Lebensphase verfasst hat. Dann gibt es aber wiederum auch das „Lied von der Erde“…
An Schostakowitsch bewundere ich vor allem das subversive Element seiner Musik, welches den „westlichen“ Hörern meistens verborgen bleibt!

Michael F. P. Huber
Bild (c) Michael F. P. Huber

Apropos Schostakowitsch: Bei ihm gibt es die bemerkenswerte und vielleicht nicht zufällige Parallele von 15 Symphonien und 15 Streichquartetten. Ist ersteres für dich eine Marke und warum hängst du ausgerechnet in der so intimen Form des Quartetts noch so nach – da gibt es erst eines?

Michael F. P. Huber: Ich gebe zu, dass Zahlen etwas Magisches an sich haben – warum würde man sonst voller Ehrfurcht von einer „Neunten“ sprechen oder über  die „Fünfte“ diskutieren? Angefangen hat der ganze Zauber mit Beethoven, der jeder symphonischen Nummer ihre eigene Bedeutung gegeben hat. In Mozarts oder Haydns Schaffen hat das überhaupt keine Rolle gespielt, die haben wahrscheinlich nicht einmal annähernd gewusst, wieviel Symphonien sie in ihrem Leben verfasst hatten. Mit Beethoven kam die Zahlenmystik ins Spiel – bereits Schubert hat sie wieder ad absurdum geführt, denn leider gibt es von ihm ja keine eigentliche „Neunte“ sondern bestenfalls eine „Achte“, sofern ich auf dem aktuellsten Stand der Forschung bin?
Interessant übrigens, dass Mahler so verkrampft im Hinblick auf seine eigene Neunte war, die ja richtigerweise das „Lied von der Erde“ sein müsste, denn so viele schicksalshafte neunte Symphonien gab es vor ihm gar nicht.  Wie auch immer, ich denke, dass Schostakowitsch es genau richtig gemacht hat, indem er eine klassizistische „Anti-Neunte“ schrieb.
Ich denke nicht, dass ich Herzflattern bekommen werde, wenn ich meine eigene Neunte schreibe. Aber die Zahl 15 ist bestimmt keine schlechte Marke. Gegenwärtig hat der finnische Komponist Kalevi Aho diese Zahl bereits überschritten, es ist also nach Menschenermessen möglich! Man kann natürlich auch den Weg Leif Segerstams einschlagen und einen Eintrag ins Guinness-Buch anstreben.  Das wird bei aller Hochachtung bestimmt nicht mein Weg und Ziel sein!
Mit den Streichquartetten lasse ich mir Zeit; ich habe als Student mein „erstes“ geschrieben, war aber nie ganz zufrieden damit. Vor ein paar Jahren habe ich es überarbeitet, bin aber immer noch nicht zufrieden. Vielleicht beginne ich einmal bewusst „von vorne“. Interessanterweise habe ich in diesem Genre viel mehr Skrupel.

„Ehrlich gesagt bin ich in diesen Zeiten sehr froh, kein „freischaffender Komponist“ zu sein.“

Wie siehst du mit bald 50, also zur „Mitte des Lebens“ hin, deine Position als Komponist. Haben sich deine Erwartungen, Hoffnungen, Wünsche erfüllt, mit denen du als junger Mensch dein Studium begonnen hast? Fühlst du dich anerkannt? Siehst du, dass deine Musik ihren Weg in befriedigendem Maß macht oder könnte es „ein bisserl mehr“ sein?

Michael F. P. Huber: Ehrlich gesagt bin ich in diesen Zeiten sehr froh, kein „freischaffender Komponist“ zu sein. Ein berufliches Standbein als Musikpädagoge tut nicht nur der finanziellen Situation gut, sondern bewahrt mich auch davor, den Kontakt zur „Basis“ zu verlieren. Nach der Uraufführung meines Paukenkonzerts kam ein mir unbekanntes Mädchen im Teenager-Alter auf mich zu und lobte das Stück in ihrer jugendlichen Ehrlichkeit und Begeisterung, dass ich wirklich erstaunt war. Solche Begegnungen werte ich auch als großen Erfolg!
Manche Hoffnungen, die ich als junger Mensch hatte, haben sich zerstreut, in andere Richtungen kanalisiert, oder sind bedeutungslos geworden. Einige Erwartungen und Wünsche habe ich erfüllt bzw. bestätigt bekommen, andere nicht. „Anerkennung“ lernt man im Lauf der Jahre neu zu definieren. Für manche Kollegen bedeutet das, Preise und offizielle Würdigungen zu erhalten; das beginnt oft schon in sehr jugendlichen Jahren mit Stipendien etc. und setzt sich dann manchmal bis ins hohe Alter fort. Diesbezüglich wurde ich nicht so verwöhnt wie manche Kolleginnen und Kollegen, obwohl es in den letzten Jahren dann doch noch zu solchen Auszeichnungen und Preisen gekommen ist. Gut für Lebensläufe und Bewerbungen, aber nicht immer ein Qualitätskriterium für die Arbeiten! „Ein bisserl mehr“ darf es immer sein, aber es war auch schon viel weniger! Schön wäre, wenn sich mein Aufführungsradius etwas vergrößern würde. Immerhin habe ich dank CDs und Internet schon viele Reaktionen aus aller Welt erhalten. Kurioserweise fand ich einmal meine dritte Symphonie im Programm eines mexikanischen Radiosenders. Ich hoffe, sie hat ihnen dort gefallen!

Man wird im Gespräch mit jemandem, der im künstlerischen Bereich arbeitet, in diesem Jahr nicht am Thema Auswirkungen der aktuellen Corona-Pandemie bzw. der Maßnahmen gegen diese vorbeikommen. Musstest du dich ebenfalls auf dadurch entstandene Änderungen im Alltag deiner Arbeit einstellen?

Michael F. P. Huber: Natürlich. Da ich als Musikpädagoge tätig bin, musste ich das „Distance Learning“ in meine Unterrichtstätigkeit einbauen, was im Großen und Ganzen gut funktioniert. Viel interessanter war für mich dagegen der erste „Lockdown“ im März, als die „Spielregeln“ noch viel strenger waren. Ich wollte auch kreativ für meine Klavierschüler tätig sein und habe begonnen, jeden Tag eine „Corona Etüde“ zu komponieren. Das habe ich konsequent 30 Tage durchgehalten. Aus den Etüden ist eine Art Corona-Tagebuch geworden, in dem ich mich kompositorisch absolut spontan und ohne stilistische Zwänge oder Skrupel verhielt. So entstanden nicht nur Etüden im Hanon-Stil [Charles-Louis Hanon, Anm.], sondern auch Fugen, Choralvorspiele, Kanons, Salonstücke usw. – eigentlich nichts, was für eine öffentliche Aufführung gedacht war. Da ich diese Stücke gleichzeitig jeden Tag an Freunde und Interessierte gemailt habe, kamen sie auch dem Pianisten Michael Schöch unter die Finger, er hatte seine helle Freude daran und sprach davon, einen Teil der Etüden in ein Konzertprogramm übernehmen zu wollen. Daraus ist dann sogar noch mehr geworden: Anfang September 2020 führte er den kompletten Zyklus im allerersten Streaming-Konzert des ORF Tirol auf.

Welche schöpferischen Pläne hast du für dein „fünfzigstes“ Jahr, das Ende November beginnt? 

Michael F. P. Huber: Es ist ein „größeres“ Werk im Entstehen, mehr kann und darf ich noch nicht verraten!

Vielen Dank für das Interview! 

Christian Heindl

Links:
Akademie St. Blasius / Michael F. P. Huber
Shop Tiroler Landesmuseen
Michael F. P. Huber (mica-Datenbank)