„Light Works“ ist ein einzigartiges Projekt, das Alte Musik der Renaissance mit moderner improvisierter Jazzmusik vereint. Das europäische Jazzklaviertrio Owls und das österreichische Vokalensemble Company of Music bringen Werke von Komponisten wie Johannes Ockeghem, Josquin de Prez und Gilles Binchois in einen Dialog mit der zeitgenössischen Musik von Simon Oberleitner. Durch diese Verschmelzung entstehen neue Perspektiven und klangliche Verbindungen, die Erinnerungen, Wandlungen und Resonanzen in einem unverwechselbaren Sound vereinen. Im Interview mit Michael Ternai spricht Simon Oberleitner über die Entstehung dieses außergewöhnlichen Projekts, die Bedeutung von Klang für ihn und darüber, dass Alte Musik und improvisierter Jazz eigentlich gar nicht so weit auseinanderliegen.
Ich kenne dich als einen Musiker, der stark im Jazz verhaftet ist – natürlich auf deine eigene Weise, stileübergreifend und ohne Scheu, auch andere Genres in deine Musik einfließen zu lassen. Doch der Spagat zur Alten Musik, den du auf dem neuen Album wagst, ist weiter als gewöhnlich. Die Kombination aus Jazz und vokaler Alter Musik ist ohnehin eine eher seltene. Wie ist es eigentlich zur Zusammenarbeit mit der Company of Music gekommen?
Simon Oberleitner: Es stimmt, die Kombination ist eher ungewöhnlich, aber ich finde, der Spagat zwischen Renaissance-Musik und Jazz ist gar nicht einmal so groß. Wie es zur Zusammenarbeit gekommen ist? Johannes Hiemetsberger, der Leiter der Company of Music, kam eines Tages auf mich zu und fragte, ob wir etwas gemeinsam machen wollen. Da ich von Natur aus sehr vokalaffin bin – ich habe ja auch klassischen Gesang studiert – hat mich das sofort interessiert. Ich habe bereits mehrfach eigene Vokalstücke komponiert.
Wir überlegten, was ein guter Ausgangspunkt sein könnte, um improvisierte Musik mit Elementen der klassischen Musik zu verbinden. Dabei sind wir ziemlich schnell bei der wirklich Alten Musik, also der Renaissance-Musik, gelandet. Erstens gibt es viele musiktheoretische Bezüge zwischen Alter Musik und Jazz. Zweitens weisen beide in ihrer Klangästhetik erstaunliche Parallelen auf – Stichwort Authentizität. Betrachtet man die zahlreichen Ensembles, die auf Originalinstrumenten spielen, erkennt man starke Überschneidungen. Vor allem das Streben nach einem authentischen Klang ist sowohl im Jazz als auch in der Alten Musik ein zentraler Aspekt.
Der vielleicht pragmatischste Grund ist aber wahrscheinlich der, dass es in der Renaissance relativ wenig dicht komponiertes Material gibt und daher oft noch viel Spielraum für Bearbeitungen besteht.
Wenn ich mich recht erinnere, führten wir 2018 unsere ersten Gespräche, in denen die Idee allmählich reifte. 2020 entstand dann zunächst der Plan, das Programm als einmalige Premiere im Wiener Konzerthaus aufzuführen. Aufgrund der Pandemie verschob sich diese jedoch auf 2022. Ja und dann beschlossen wir eben das Album aufzunehmen.
Du sagst, dass es zwischen dem Jazz und der Alten Musik eine größere Schnittmenge gibt, als man sich denkt. War es daher einfacher die beiden Welten zusammenzuführen oder war es dennoch schwer genug und mit Herausforderungen verbunden?
Simon Oberleitner: Also ganz so einfach war es dann doch nicht. Ein großer Teil der Renaissance-Musik ist so konzipiert, dass er in Modi funktioniert. Das kommt einer Jazzmusikerin oder einem Jazzmusiker aus kompositionstechnischer Sicht natürlich sehr entgegen, da sich der Jazz sowohl improvisatorisch als auch kompositorisch sehr oft an diesen Modi orientiert.
Die größte Herausforderung bzw. Umstellung in der Arbeit mit Trio, Quartett und Quintett war, dass du einerseits diese Triobesetzung hast, die mir bereits sehr vertraut ist, und andererseits nun einen mehrstimmigen Klangkörper mit Sängerinnen und Sängern, den man wirklich ausarrangieren und für den man die Teile in die passende Form bringen muss. Das, woran wir am intensivsten gearbeitet haben, war, die klanglichen Welten zusammenzubringen. Und dabei nicht einmal so sehr die Alte Musik mit dem Moderneren, sondern vielmehr das Vokalensemble mit dem europäischen Jazztrio.
Wobei da die Ideale, wie ich finde, gar nicht so weit auseinanderliegen. Dennoch haben wir intensiv daran gefeilt, dieses Blending zu finden – sodass es nicht klingt, als würden zwei getrennte Klangkörper nebeneinander bestehen, sondern dass es uns gelingt, beide wirklich miteinander verschmelzen zu lassen. Ich hoffe, dass uns das gelungen ist. Das war die Idee.
Ich denke schon, dass euch das gelungen ist. Für mich befindet sich eure Musik in einem richtig schönen Fluss, es wirkt alles so fließend …
Simon Oberleitner: Wir haben wirklich versucht, die verschiedenen klanglichen Schichten so gut wie möglich zu verschmelzen. Das war für die Tonmeister technisch eine ziemliche Herausforderung – sowohl in der Live-Umsetzung als auch beim Einfangen in den Aufnahmen.
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Umso mehr freut es mich zu hören, dass du das Gefühl hast, dass sich ein durchgehender Fluss durch das gesamte Programm zieht. Darauf haben wir besonders geachtet, insbesondere mit Blick auf das Liveprogramm, das wir gemeinsam mit der niederländischen Licht- und Schattenkünstlerin Roos van Haaften konzipiert haben.
Sie projiziert mit einer Art Overhead-Projektor Bilder auf eine große Leinwand – Bilder, die während der Stücke in Echtzeit entstehen und sich am Ende wieder dekonstruieren. Dieses visuelle Element war ein wichtiger Bestandteil des gesamten Projekts.
Welchem inhaltlichen Konzept folgt das Album?
Simon Oberleitner: Der inhaltlich-konzeptionelle Faden war mir neben dem Musikalischen auch sehr wichtig. Das Grundthema dreht sich um den Begriff der Vergänglichkeit bzw. darum, was am Ende von Dingen und Personen übrigbleibt und wie wir – vielleicht auch unbewusst – darauf Bezug nehmen. In der Renaissance gab es die Gattung der Trauermotette, die im Prinzip ein Requiem in kürzerer Form war. Damals war es unter Komponisten üblich, den eigenen Lehrmeistern als Andenken eine Trauermotette zu schreiben, um Kompositionstechniken zu imitieren und weiterzutragen und -entwickeln. Es war ein bisschen die Idee, auch diese Facette mit einzubringen – nämlich, was vom “Licht” dieser Werke und Komponisten bis heute strahlt. Daher auch der Titel des Albums: „Light Works“.
Es sind unter anderem Stücke von Johannes Ockeghem Josquin Desprez, Gilles Binchois und Guillaume de Machaut, die ihr einer Neubearbeitung unterzogen habt. Hast du dich eigentlich schon davor mit Alter Musik beschäftigt?
Simon Oberleitner: Ich habe Stücke von ihnen immer wieder gehört, das schon. Musiziert habe ich dagegen wenig Alte Musik. Da kommt man als Pianist höchstens einmal über Cembalo oder Orgel vorbei. Womit ich mich aber viel beschäftigt habe, war Vokalmusik. Und da stolpert man doch hin und wieder über alte Dinge. Was sicher auch eine Inspirationsquelle für mich war, ist das Album Officium des norwegischen Saxofonisten Jan Garbarek. Er hat schon vor Jahrzehnten mit dem Hilliard Ensemble, einem Vokalensemble, eine Platte in einer Kirche aufgenommen. Darauf singen sie alte liturgische Gesänge über die er in seinem Stil improvisiert. Die Klangästhetik dieser Platte hat mich stark inspiriert.
Du siehst, das Projekt hat sehr viele Stränge und ist sehr vielschichtig, was es auch total schwierig macht, es in wenigen Worten zusammenzufassen.
Wie sehr haben die Stücke der Komponisten letztlich den Jazzteil der Musik beeinflusst. Wie habt ihr die beiden musikalischen Welten Bezug aufeinander nehmen lassen?Simon Oberleitner: Ich habe natürlich immer Bezug auf die Originalkompositionen genommen. Insbesondere bei Bearbeitungen und Arrangements habe ich einerseits versucht, inhaltlich auf sie einzugehen, aber auch kompositorische Aspekte zu berücksichtigen. Dies geschieht unter anderem über die Modustheorie und die Kirchentonarten.
Im Jazz hat man versucht, Skalen für die Akkord- und Kompositionstheorie mithilfe der Kirchentonarten zu fassen, um harmonisches und melodisches Material bereitzustellen. Musiktheoretisch kann man sich das folgendermaßen vorstellen: Eine Tonreihe besteht aus sieben Tönen – die bekanntesten heute sind die Dur- und Moll-Tonleitern. Wenn du ein Werk schreibst, arbeitest du mit diesen sieben Tönen und ihren unterschiedlichen Kombinationen.
Während dies im heutigen Jazz nicht mehr so streng gehandhabt wird, war es damals immer wieder der Fall. Aus heutiger Sicht ist es besonders spannend, die Stücke zu bearbeiten, weil das Grundmaterial genau das gleiche ist, das später beispielsweise auch Miles Davis verwendet hat. Das macht es äußerst interessant und wertvoll – etwa für Improvisationen. Du hast sieben Töne, die du prinzipiell frei bewegen kannst. Kompositionstheoretisch habe ich versucht, diesen Ansatz bewusst aufzugreifen.
Ein weiteres großes Anliegen ist für mich aus musikalischer Sicht der Klang. Ich habe versucht, diesen Klang stark mit dem Raum, insbesondere der Kirche, zu verbinden und geeignete Verknüpfungsformen zu finden.
Die drei zentralen Parameter, über die ich versucht habe, Verbindungen zu schaffen, sind also der Klang, die Kompositionstechnik und der inhaltliche Aspekt der Stücke.
Ich bin letztendlich davon überzeugt, dass es in der Musik eine universelle Form von Authentizität gibt. Nicht jeder kann vermutlich automatisch jede Musik spielen, aber es gibt eine Authentizität, mit der sich viele verschiedene Musikstile ehrlich interpretieren lassen.
Wenn man dir zuhört, merkt man, wie viel Geistesarbeit in diesem Projekt steckt. Es kommt nicht selten vor, dass sich Künstler:innen in dieser Theorie verlieren. Wie hast du es geschafft, dass dir das nicht passiert ist?
Simon Oberleitner: Das ist ein für mich schwieriges Thema. Ich habe auch oft damit zu kämpfen, dass ich mich in irgendwelche konzeptionellen theoretischen Überlegungen verrenne, wo am Schluss eigentlich gar nicht wirklich hörbar wird, was da alles dahintersteckt. Dennoch finde ich es spannend und essentiell, sich damit auseinanderzusetzen.
Mein wichtigster Grundsatz ist: Nur weil viele theoretische Überlegungen hinter einer Sache stehen, bedeutet das nicht, dass sie komplex oder schräg klingen muss.
Es gibt Strömungen im modernen Jazz und in der Popularmusik, bei denen es gewissermaßen zum Konzept gehört, dass etwas bewusst schräg und ungewöhnlich klingt. Für mich ist das jedoch kein zwingender Parameter. Natürlich besteht die Gefahr, dass ein stark konzeptioneller Ansatz zu einem technisch, konstruiert und komplex wirkenden Ergebnis führt. Letztendlich ist mein kompositorischer Zugang nach vielen theoretischen Überlegungen jedoch vollkommen intuitiv und offen.
Inwiefern stellt „Light Works“ für dich einen musikalischen Meilenstein dar?
Simon Oberleitner: Was für mich einen Meilenstein darstellt – weil es mir wichtig ist und ich es immer machen wollte und weil es definitiv weitergetragen wird –, ist die Verbindung klassischer Zugänge mit improvisierten und jazzbezogenen Ansätzen. Dabei geht es mir zunehmend um Klangideale. Mein Ziel ist es, diese beiden Welten in einer universellen Authentizität so zu vereinen, dass die Musik nicht mehr eindeutig einer bestimmten Kategorie zugeordnet werden kann, sondern vielmehr eine neue Definition einer Musikrichtung entsteht. Es ist mir schon bewusst, dass man „Light Works“ vermutlich dem Crossover oder der Neoklassik zuordnen könnte, aber letzten Endes stellt dieses Loslösen von Genres für mich schon einen Meilenstein dar. Natürlich war der klassische Zugang beim vorigen Album vom klanglichen Ideal her genauso wichtig, aber „Light Works“ ist dann aber doch vielmehr in der Klassik verhaftet.
Was passiert nun mit diesem Album? Wie planst du, es in einem größeren Rahmen – vielleicht auf einer Tournee – zu präsentieren? Und wie sieht es mit dem Projekt generell aus? Ist es langfristig angelegt?
Simon Oberleitner: Es ist der Plan, Konzerte zu spielen. Logistisch und organisatorisch und vom zeitlichen Management her, ist das allerdings nicht so einfach. Es gilt ja zehn beteiligte Personen, die viel beschäftigt sind und über ganz Österreich verstreut sind, zusammenzubringen. Zum anderen muss man auch die richtigen Orte finden, weil das Projekt natürlich nicht überall funktioniert. Die Idee ist aber schon, es hinauszutragen. Besonders spannend sind die Orte, an denen das Projekt spielt. Wir können in Konzertsälen spielen, die normalerweise für klassische Musik reserviert sind. Die eigenen sich für diese Besetzung eigentlich besser als ein Jazzclub. Hingegen werden wir uns sicher auch hin und wieder an Orten orientieren, wo normalerweise vielleicht mehr improvisierte Musik stattfindet. Und auch was das Publikum betrifft, ist die Sache spannend.
Ich glaube, das Projekt zielt nicht auf den Avantgarde-Jazz-Hörer, sondern vielleicht mehr auf den offenen Klassiker oder Jazzer, der sehr klassikaffin ist. Wir sind gerade in der Planungsphase für Herbst 25 und 26 und es wird definitiv Konzerte geben.
Herzlichen Dank für das Gespräch.
Michael Ternai
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