„ICH EMPFINDE MEINE MUSIK MEIST ALS RELATIV TRANSPARENT.“ – MATHIAS JOHANNES SCHMIDHAMMER IM MICA-INTERVIEW

Der in Wien lebende MATHIAS JOHANNES SCHMIDHAMMER ist Preisträger des Ö1 Talentestipendiums sowie des Staatsstipendiums Komposition. In Projekten mit der Neuen Oper Wien und den Wiener Symphonikern war er an Vermittlungsformaten zu Neuer Musik in Schulen beteiligt, in einer Burgenländischen Gemeinde unterrichtet er Klavier. Isabella Klebinger und Michael Franz Woels haben den Komponisten in einem Wiener Kaffeehaus getroffen, um über Netzwerke und Zeitmanagement als Musikschaffender zu sprechen. Der ursprünglich aus Südtirol stammende MATHIAS JOHANNES SCHMIDHAMMER verrät auch, was seine Musik mit Iron Maiden zu tun hat und wie ihn die Pandemie erstmals zu einer digitalen Wohnzimmer-Produktion angeregt hat.

Du schreibst Auftragsarbeiten für unterschiedlichste Ensembles. Wie kommt man als so junger Komponist zu diesen Aufträgen, wie baut man so ein Netzwerk auf?

Mathias Johannes Schmidhammer: Ganz unterschiedlich. Manchmal traute ich mich auch, einfach proaktiv zu fragen, ob sie mich nicht mit einem Stück beauftragen möchten. Das geht leichter, wenn ich jemanden vom Ensemble gut kenne. Und bei manchen meiner Kompositionen hatte ich das Gefühl, dass sie wie Steine, die man ins Wasser wirft, ihre Kreise ziehen und dann Wellen von Folgeaufträgen kommen …

Welche Stücke haben denn solche Wellen geschlagen? War das zum Beispiel das Cellokonzert „Silver Linings“ im Rahmen von Wien Modern 2017?

Mathias Johannes Schmidhammer: Oder auch „Sisu“ für Ensemble, mit dem ich 2016 in Südtirol einen Preis gewonnen habe. Zu diesem Zeitpunkt habe ich noch studiert, aber danach wurden Ensembles aus Tirol und Südtirol auf mich aufmerksam. Der Ö1-Talentebörse-Kompositionspreis ist für Studierende so etwas wie der Olymp, ein Ö1-Stipendium ist damit verbunden. 2021 bekam ich das Staatsstipendium des Bundesministeriums für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport.

Wie wichtig ist der Südtiroler Künstlerbund als Interessensverband für dich?

Mathias Johannes Schmidhammer: Fast alle Stücke, die in Südtirol beauftragt wurden, sind durch den Südtiroler Künstlerbund (SKB) initiiert worden. Die engagieren sich wirklich sehr, gerade für junge Künstler:innen. Ich bin seit 2016 Mitglied und habe das Gefühl, dass sich jemand um mich kümmert und mir immer wieder Aufträge zugespielt werden. Der SKB arbeitet sehr eng mit dem Festival für zeitgenössische Musik in Bozen zusammen, und seit 2017 wurde jedes Jahr ein Stück von mir aufgeführt. Sie machen kulturpolitisch sehr viel, um die Sichtbarkeit zu erhöhen.

Kommen wir zum Leben, dem Alltag als Komponist. Wie sieht er bei dir aus, vielleicht auch im Vergleich zum Leben als Musiker, welche Gewichtung haben diese beiden Standbeine in deinem Leben?

Mathias Johannes Schmidhammer: Ich bin ja zunächst auch Klavierlehrer und unterrichte im Burgenland. Dafür verwende ich drei Tage in der Woche. Für Kompositionen mache ich mir einen detaillierten Zeitplan, auch wenn die Abgabe z. B. erst in drei Monaten fällig ist. In den Jahren 2020 bis 2022 war ich sehr produktiv, aber auch nicht immer hundertprozentig zufrieden mit meinen Stücken, da mir die Zeit zum Reflektieren oder für kreative Umwege gefehlt hat. Jetzt habe ich für mich eine Faustregel aufgestellt: Pro Monat schaffe ich 2,5 Minuten einer Komposition. Für ein Stück mit der Dauer von zehn Minuten – dafür nehme ich mir vier Monate Zeit.

„VIELE KOMPONIST:INNEN HABEN SOGENANNTE PORTFOLIO-KARRIEREN.“

Ein sehr klares Zeitmanagement. Ist das etwas, das du im Studium gelernt hast?

Mathias Johannes Schmidhammer: Die Kompositionsarbeit muss auch an die Lebensrealität angepasst werden.Das Zeitmanagement dazu musste ich mir selbst erarbeiten. Und viele Komponist:innen haben ja sogenannte Portfolio-Karrieren. Ich kenne sehr wenige, die nur vom Komponieren leben können. Portfolio-Karriere bedeutet, dass man verschiedensten Tätigkeiten wie Liveauftritten mit Instrument, dem Dirigieren oder auch Lehraufträgen wie Tonsatz oder Gehörbildung auf einer Universität nachgeht. Bei mir kommt der Aspekt der Instrumentalpädagogik dazu. Das Klavierüben dient dem pianistischen Fit-Sein. Ich gebe sehr selten Konzerte [Anm.: siehe Termin], aber regelmäßig Pfingstkonzerte in dem Ort in Südtirol, aus dem ich ursprünglich komme. Das mache ich seit 2017. Da ich nicht Konzertfach Klavier studiert habe, könnte ich dieses Riesenpensum an so vielen Klavierkonzerten auch gar nicht bewältigen.

Wie ist der Zugang zur Musik – einmal als Komponist, dann als Musiker beziehungsweise Interpret? Wie befruchtet sich das gegenseitig?

Mathias Johannes Schmidhammer: Gerade habe ich keine Antwort darauf, versuche die Frage einmal einzukreisen. Vermutlich ist das Achten auf kleinste Details ein kompositorischer Blick auf Stücke. Beziehungsweise habe ich auch einmal von jemandem das Feedback bekommen, dass man bei der musikalischen Aufführung hört, dass ich auch beim Spielen „als Komponist herangehe“.

Wieviel Zeit nimmt die Selbstvermarktung in Anspruch?

Mathias Johannes Schmidhammer: Ich suche noch nach richtigen Wegen, meine Musik gezielter zu verbreiten. Vor einem Jahr bin ich draufgekommen, dass nur ungefähr ein Drittel meiner Kompositionen öfter als einmal gespielt wurde.

Wie kam es eigentlich zu deiner Radio-Moderatoren-Tätigkeit bei RAI?

Mathias Johannes Schmidhammer: Ich bin zu einer Sendung gestoßen, die es schon etwas länger gab. Manuela Kerer, Johannes Kerschbaumer und Alexander Kaiser haben sie moderiert. Ich wurde dann angerufen, ob ich nicht der Vierte im Bunde sein möchte. Aber wie sie auf mich gekommen sind, weiß ich eigentlich nicht genau. Die Sendung gibt es leider nicht mehr, da sie vom damaligen Intendanten abgesetzt wurde – sie wurde für das Südtiroler Radio als „zu extrem“ empfunden.

Sehr schade, denn die Sichtbarkeit, Hörbarkeit und Wirksamkeit, sowie auch der niederschwellige Zugang zur Neuen Musik sind ja ein wichtiges Thema. Wie kann man dieses musikalische Feld für eine breitere Bevölkerung zugänglich machen? Welche persönlichen Herangehensweisen verfolgst du? Stichwort: Bildungsauftrag, musikalische Bildung. Wie erreicht man Kinder, die nicht innerhalb bestimmter Bildungslaufbahnen aufwachsen?

Mathias Johannes Schmidhammer: Bei der Bildung von Kindern und Jugendlichen sehe ich das Selber-Tun als eine wichtige Möglichkeit. Mit der Neuen Oper Wien habe ich gemeinsam in einer NMS in Meidling, in der kaum ein Schüler, eine Schülerin ein klassisches Instrument gespielt hat, ein Musiktheater mit sogenannten „Baschet“-Instrumenten – überwiegend aus Metall oder Glas – erarbeitet. Es waren auch Lehramts-Studierende der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien daran beteiligt, ein Musiktheaterstück in diesem Neue-Musik-Idiom zu erarbeiten. Neue Musik ist im Prinzip ja total voraussetzungslos, denn selbst bei einem Song musst du ja mindestens drei Akkorde benennen können. Alles, was es für Neue Musik „braucht“, ist ein Rahmen um das Zuhören und ein Aufeinander-Reagieren-Können zu ermöglichen. Ein theoretischer Input ist nicht unbedingt notwendig. Natürlich ist Neue Musik zum Teil viel komplexer als klassische Musik. Aber es wäre gut, wenn man für Schüler:innen eine positive Assoziation mit Neuer Musik kreiert, und zwar am besten mit eigenen Erfahrungen in der Schule.

Welche Rolle spielt Neue Musik eigentlich in deinem Musik-Unterricht?

Mathias Johannes Schmidhammer: In der Musikschule gibt es viele Felder, die man bedient. Es soll ein Vorankommen am Instrument möglich sein, dann der grundsätzliche Übe-Motivationsaufbau, technische Aspekte. Das alles spielt in meinem Unterricht eine Rolle. Aber es vergehen auch Unterrichtswochen, in denen ich kein einziges Stück Neue Musik durchnehme. Das liegt daran, dass Musik einfach so ein breites Feld ist, und die meisten Schüler:innen sind knapp 25 Minuten bei mir. Der Musikunterricht sollte erlebenswert sein, da muss auch Zeit für einen Beziehungsaufbau sein. Ich finde es dann auch leichter, Neue Musik auf Workshop-Basis durchzunehmen. In Südtirol mache ich seit 2015 einen Klavier-Kompositionsworkshop im Rahmen einer Sommermusikwoche. Ein Stück wird in einer Woche erarbeitet, dieser bestimmte Fokus lässt leichter etwas entstehen.

Mathias Johannes Schmidhammer
Mathias Johannes Schmidhammer (c) Dorian Cene

„Je mehr Vorerfahrung an den Instrumenten vorhanden ist, desto schwieriger ist der erste Schritt, etwas ganz anderes zu machen.“

Sozial-divers sind solche Workshops aber dann eher nicht, sie richten sich an Kinder mit Vorbildung und aus bestimmten sozialen Schichten, oder?

Mathias Johannes Schmidhammer: Sozial-divers wäre das Besuchen von Schulen, Klassenprojekte wie das erwähnte Musiktheater. In der Handlung des Stückes können dann unterschiedlichste musikalische Aspekte – auch Riesenlärm – begründet liegen. Neben der Neuen Oper Wien machen auch die Wiener Symphoniker Projekte mit Neuer Musik. Ein Projekt – „Leopold Mozart: Eine musikalische Brieffreundschaft“ – gab es an einer NMS in Margareten, ein weiteres Projekt – „WasserWerke“ – fand in einer katholischen Privatschule in Liesing statt. Es war interessant zu sehen: Je mehr Vorerfahrung an den Instrumenten vorhanden ist, desto schwieriger ist der erste Schritt, etwas ganz anderes zu machen. Denn die Schüler:innen wollen mit Stolz zeigen, was sie auf ihren Instrumenten können. Das Musizieren mit unterschiedlichen Gegenständen war wieder eine Möglichkeit, freier an die Sache heranzugehen. Wenn es wieder einmal die Möglichkeit gibt, als Komponist und Musikpädagoge bei einem Musikvermittlungsrogramm dieser Art mitzumachen, würde ich das jederzeit gerne tun.

„HORRORFILME ODER THRILLER SIND VERMUTLICH DER ERSTE WEG, WIE MAN NEUE MUSIK MIT IHREN DISSONANZEN ÜBERHAUPT KENNENLERNEN KANN.“

Wie würdest du Schüler:innen, die deine Musik noch nie gehört haben, deine Musik beschreiben?

Mathias Johannes Schmidhammer: Meine Schwester hat zu ihrem Mann, der die Musik noch nicht gekannt hat, gesagt: „Kannst du dir vorstellen, die Stelle in einem Horrorfilm, kurz bevor etwas passiert…“ Ich finde, das ist eine passende Beschreibung für jemanden, der noch nie meine Musik gehört hat. Horrorfilme oder Thriller sind vermutlich der erste Weg, wie man Neue Musik mit ihren Dissonanzen überhaupt kennenlernen kann*. Ich finde, diese Beschreibung führt zum Ziel, aber eine ästhetische Prämisse, die ich nicht unbedingt haben möchte …

Und wie würdest du nun selber deine Musik beschreiben?

Mathias Johannes Schmidhammer: Ich empfinde meine Musik meist als relativ transparent. Sie erinnert vermutlich eher an Debussy als an Schönberg. Ich schätze beide sehr, aber ich suche eher die Kraft im Filigranen eines Debussy als das Dick-Auftragende bei Schönberg. Ich lasse mich auch von klassischer Metal-Musik inspirieren, wie Iron Maiden oder Dream Theater. Ich mag es einfach, Energieflüsse ins Spiel zu bringen. Bei meinem Stück „Und sie bewegt sich doch …“ war jemand bei der Uraufführung, der ständig mitgenickt hat.

Ich besitze auch eine Begeisterungsfähigkeit im Sinne von: „Den Triller auf einem Cello in einem Flageolett-Ton, den muss ich verwenden!“ – kombiniert mit der Kenntnis einer Tradition und dem Wissen, das geschriebene Repertoire für bestimmte Besetzung zu kennen. Mein Kompositionslehrer Michael Jarrell hat mir ein gewisses Harmoniedenken und den handwerklichen Aufbau nahegebracht.

Neue Musik zum Headbangen quasi …

Mathias Johannes Schmidhammer: Für Musiker:innen, die aus dem klassischen Bereich kommen, reicht es meist, wenn man die Musik so beschreibt: Atonal, es gibt hauptsächlich eher Töne als Geräusche, aber keine Dur-Moll-tonale Harmonik. Geräusche kommen eher als Bereicherung der Klangfarbe vor. Nicht so wie bei Herbert Lachenmann, bei dem die Geräuschfolge eine gewisse Logik hat.

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Arbeitest du auch mit elektronischen Effekten?

Mathias Johannes Schmidhammer: Sehr wenig. Es gibt ein elektronisches Stück von mir, das ist im Lockdown entstanden. Es heißt „Im Glashaus“. Ein Freund von mir hat ein Online-Konzert veranstaltet und zu jedem Stück sollte ein Getränk vorgeschlagen werden. Bei mir war es ein Pinot noir, ein Rotwein. Beim Stück habe ich alle Klänge mit Weingläsern generiert. Ich habe dem Freeware-Programm Audacity gearbeitet. Ich wollte etwas Neues ausprobieren, und da ich nicht von der elektronischen Musikschiene komme, konnte ich wieder Low-Budget-mäßig „ganz nahe am Ohr“ Unberechenbares mit dem Handymikrophon ausprobieren.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Isabella Klebinger und Michael Franz Woels

* „(…) zeitgenössische Musik wird tatsächlich ausgesprochen gerne für Horrorfilme verwendet. Eine Erklärung dafür will man in den dissonanten und abrupten  Tonfolgen sehen, die scheinbar tierischen Warnrufen ähneln.“ Manula Kerer (Zitat aus ihrem Kolumnen-Sammelband „Kerers Saiten“)

Termine:

Freitag, 3. März 2023, 19.15 Uhr
Kurhaus Marienkron in Mönchhof (Burgenland)

Mittwoch, 22. März 2023, 19:00 Uhr
Alte Schmiede
Saxophonquartette III: Mobilis Saxophonquartett
Werke von Andrea Portera, Frederik Neyrinck, Georg Friedrich Haas, Wojciech Chałupka, Mathias Johannes Schmidhammer

Links:
Mathias Johannes Schmidhammer (SoundCloud)
Mathias Johannes Schmidhammer (music austria Datenbank)