„ICH DENKE NICHT IN MUSIKALISCHEN GRENZEN“ – CHRISTIAN FUCHS (BLACK PALMS ORCHESTRA) IM MICA-INTERVIEW

Das BLACK PALMS ORCHESTRA lädt ins Kino – für das dritten Album kramt sich CHRISTIAN FUCHS durch die Vergangenheit und covert Songs aus Streifen, die sich als Kult und Klassiker im Frontallappen verewigt haben. Zwischen „Badlands“ und „Eraserhead“ passt nur ein „Nightcall“. Deswegen hat der FM4-Mann fürs Grobe einige Komplizen angeleiert, den roten Vorhang zu lüften. Neben DRAMAS und Monsterheart knuspert Medina Rekic an einer Portion Popcorn, während Gerhard Potuznik die zweite Packung Sportgummi aufreißt und GØRL zwei Liter Cola inhaliert. Auf elf Stücken schmiegt man sich so in den Samtsessel und lauscht einer Stimmung, für die sich David Lynch vor Freude auf dem Boden wälzte. Warum die Platte trotzdem keinen Cent abwerfen wird, welche Zufälle auf „Palm Fiction“ mitspielen und was das Kino heute der Musik voraus hat, erklärt CHRISTIAN FUCHS im Gespräch mit Christoph Benkeser

Früher hätte man mit der Musik des Black Palms Orchestra fiktionale Filme vertonen können. Jetzt bedienst du dich an Musik aus bestehenden Streifen. Was ist passiert?

Christian Fuchs: Das hat mehrere Gründe. Zum einen reizt mich die Herausforderung, etwas Sakrosanktes zu covern, bei dem sich alle denken: Das darf doch nicht sein! Teilweise war dieser Bruch bereits beim Bandprojekt Die Buben im Pelz der Motor, Stücke von Velvet Underground anzugreifen. Mit „Palm Fiction“ versuche ich mich allerdings an Songs, die nicht alle einer breiten Masse bekannt sind, für mich aber große Bedeutung besitzen. „In Heaven“ aus dem Film „Eraserhead“ kennen nicht viele, der Song ist für mich aber ein Heiligtum, an das ich mich herantrauen wollte.

Zum anderen hat mir die Pandemie gerade zu Beginn jeden kreativen Impuls geraubt. Ich hatte keine Ideen, Songtexte kamen mir banal vor. Aus diesem Dilemma entstand die Idee, andere Lieder zu benutzen. Dazu kommt, dass ich während des Sommers 2020 eine schmerzhafte Trennung durchlebte. Während dieser Zeit hat mich die Arbeit am Album aufgefangen. Auch wenn ich zu keiner Sekunde an Übersinnliches glaube, passten trotzdem komische Dinge zusammen. Plötzlich wirkten die Songs und all die Texte unfassbar persönlich.

Du sprichst das Sakrosankte der Stücke an, gleichzeitig überschreibst du sie mit neuen Gefühlen, die gar nicht mehr zu jenen vergangenen Momenten passen, die im Kontext des Filmes existierten.

Christian Fuchs: Das stimmt. Es ist eine Herausforderung – auch für die Hörenden. Im Idealfall verselbstständigt sich die Coverversion so, dass sie in der Auseinandersetzung zu einem eigenen Lied wird. In diesem Moment denke ich nicht mehr an die Originalinterpret:in. Das ist auf „Palm Fiction“ auch passiert. Mir fällt ein gespenstischer Moment ein: Ich habe in alten Archiven gekramt und eine Kassette aus den 90er Jahren gefunden. Darauf waren Coverversionen – zum Beispiel von „River of no Return“, aber auch von „World On Fire“ aus „Light Sleeper“. Ein Film von Paul Schrader, der mir nach wie vor viel bedeutet. Im Original singt das Stück Michael Been, ein Musikguru aus L.A, dessen Sohn der Sänger von Black Rebel Motorcycle Club ist. Einer, der mit denen zusammenarbeitet, ist Ian Ottaway – und der ist wiederum einer der besten Freunde von Medina Rekic, mit der ich gut befreundet bin. Wir kollaborieren auch regelmäßig musikalisch. Deshalb habe ich ihr vorgeschlagen, aus „World On Fire“ – im Original ein Song eines leidenden Liebhabers – eine Hymne verschiedener Menschen zu machen. Ian war auch dabei. Plötzlich ergab ein simpler Kassettenfund eine Kette …

Bestimmender Zufälle!

Christian Fuchs: Ja, es ist irre! Vor Kurzem kam „The Card Counter“, der neue Film von Paul Schrader, in die Kinos. Oscar Isaac, der Hauptdarsteller, hat darin jenen Songtext am Rücken tätowiert, den wir gecovert haben. Das ist gespenstisch.

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Und eine schöne Geschichte, weil viele Menschen dieses Gefühl der aneinanderreihenden

Zufälle kennen dürften.

Christian Fuchs: Ja, solche Geschichten stecken in vielen Songs von „Palm Fiction“. Wir haben auch Stücke aus der Serie „True Detective“ gecovert. Gerade die erste Staffel war spannend, weil darin so unterschiedliche Musik wie Trip-Hop und Rock’n’Roll aufeinandertrifft. Das hat mich mehr mitgerissen, als ein Album irgendeiner Band.

Cover Palm Fiction
Cover “Palm Fiction”

Daraus entstand eine mysteriöse Grundstimmung, die ich deinem Album auch attestieren würde – nicht nur wegen der David-Lynch-Referenzen am Cover.

Christian Fuchs: Unbedingt! Nach „True Detective“ kam die dritte Staffel von „Twin Peaks“, zu der es auch einen Soundtrack gibt. Man findet darauf Country, Hip-Hop und Industrial von Nine Inch Nails. Dieser Eklektizismus ergab für mich Sinn – nicht nur, weil mir all diese Stile gefallen, sondern auch weil sie eine verbindende Atmosphäre auslösen.

Den Vibe …

Christian Fuchs: Der sich durch die gesamte Staffel zieht, ja! Das versuche ich mit Black Palms Orchestra nachzuempfinden. Das erste Album ging stärker in die Country-Richtung, auf dem zweiten probierten wir uns am Rock. Mittlerweile ist es elektronischer geworden. Etwas, das sich für mich nicht ausschließt, sondern eine einende Stimmung erzeugt.

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Das merkt man besonders am Cover von „Nightcall“ aus dem Film „Drive“. Es ist keine Kopie, trotzdem triffst du die Stimmung, die ich mit dem Film verbinde.

Christian Fuchs: Das war eine Herausforderung, weil der Song im Original perfekt ist. Man kann ihn eigentlich gar nicht covern. Deshalb habe ich, um mir Mut zuzusprechen, auf YouTube nach bestehenden Coverversionen gesucht. Es gibt unzählige. Das nimmt einem den Druck, sich selbst daran zu versuchen und einer Stimmung nachzueifern.

Dieses Gefühl schwingt im Albumtitel „Palm Fiction“ mit – was verbindest du mit dem Namen?

Christian Fuchs: Obwohl ich mittlerweile an einem Punkt in meinem Leben angelangt bin, bei dem ich rationalistisch auf unsere Gegenwart reagiere, steckt trotzdem ein kleiner Rest Aberglaube in mir … Jemand, den ich aus meiner Jugend in der Steiermark kenne, aber seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen habe, tauchte in meinen Facebook-Messages auf und meinte, dass er einen Albumtitel für mich habe. Das war „Palm Fiction“.

Er hat dir aus heiterem Himmel den Titel für dein aktuelles Album geschrieben?

Christian Fuchs: Ja, das kam einfach so – es war purer Zufall! So geht es mir oft im Studio. Man geht mit einem Plan hinein, weicht – wie ich in der Zusammenarbeit mit Bernhard Heinrauch und Christoph Baumgartner – unabsichtlich davon ab und folgt prompt dem Neuen.

Ihr habt das Album in der Steiermark aufgenommen.

Christian Fuchs: In der Südsteiermark, ja. Während der Lockdowns war das die Rettung in die Isolation.

Der Wein schmeckt dort auch besser.

Christian Fuchs: Viel besser sogar!

Im Wein liegt die Wahrheit: Wie schaut es bei einem Cover-Album mit den Urheberrechten aus?

Christian Fuchs: Man verdient keinen Groschen. Alle Rechte gehören den Original-Komponist:innen. Würde man das Arrangement drastisch verändern, müsste man bei ihnen sogar anfragen. So gehen einfach alle Tantiemen an die Rechteinhaber:innen.

Auch eine Form von „Gratwanderung“, auf die sich der „Grenzenüberschreiter Christian Fuchs“ mit diesem Album begeben habe, schreibt zumindest dein Label in Bezug auf die Musik. Fühlst du dich abgeholt?

Christian Fuchs: Nicht in einem transgressiven Sinn, eher im Sinne der Stimmung. Ich habe mich immer für verschiedene Genres interessiert, war aber gleichzeitig skeptisch, was die Zuschreibungen betrifft. Für mich ist alles ähnlich. Ich denke nicht in musikalischen Grenzen, sondern in Atmosphären, die entstehen. Damit kann man aber keine Platten verkaufen, sogar Spotify muss die Musik irgendwie einordnen.

„WIR SIND MIT SO VIELEN EINFLÜSSEN SOZIALISIERT WORDEN, DASS WIR NICHT IN EINEM STIL DENKEN KÖNNEN.“

Wobei man gerade die Playlists stärker nach Emotionen und Stimmungen ordnet. „Beats to Study to“, „Relaxing Sounds“ und so weiter.

Christian Fuchs: Das stimmt. Ich meine aber Bands, die nur für einen Sound stehen. Black Palms Orchestra könnte sich nie innerhalb dieser Grenzen bewegen.Nachdem „Nightcall“ entstand, wollten wir ein ganzes Album in diesem elektronischen Stil aufnehmen – nach zwei Songs sind wir gescheitert. Wir sind mit so vielen Einflüssen sozialisiert worden, dass wir nicht in einem Stil denken können.

Bild Christian Fuchs
Christian Fuchs (c) Markus Kloiber

Hat sich das im Vergleich zu heute verändert?

Christian Fuchs: Heute stehen mehr Bands für einen Sound, zu dem sie stehen. Phänomene wie Beck kann ich mir in der Gegenwart schwer vorstellen, weil er damals auf jedem Album seinen Stil veränderte. Mittlerweile feiert man Erfolg, wenn man für eine Richtung steht und sie konsequent bespielt. Dadurch verändert sich das Hörverhalten – und das verstehe ich. Dass es manche Musikjournalist:innen nicht wahrhaben wollen, kann ich dagegen nicht verstehen.

Du meinst den Zynismus gegenüber neuen Strömungen, der bei von Kritiker:innen mitschwingt, die das seit 35 Jahren machen?

Christian Fuchs: Das war ein zentraler Grund, warum ich mich vom Musikjournalismus abgewandt und mich stärker dem Schreiben über Filme zugewandt habe. Im Film habe ich einen anderen Zugang, der wiederum anderen Gesetzmäßigkeiten folgt.

Was meinst du damit?

Christian Fuchs: Lass mich ein Beispiel anführen: Wenn du als Jugendlicher in den 90ern Nine Inch Nails gehört hast, hat dich das verändert. Wie weit dringen heute Musikrichtungen in den Mainstream vor und verändern ihn? Fast nicht! Klar, ein Lil Nas X hat als queerer Rapper in der Hip-Hop-Szene für Veränderung gesorgt. Deshalb lässt sich diese Aussage auch nicht verallgemeinern. Allerdings geht es sich durch die Strukturen des Musikkonsums nicht mehr aus, dass ein Jugendlicher in der Südoststeiermark auf der Couch liegt, über Wochen in einem Album versinkt und sich danach die Haare färbt.

Im Film ist das noch möglich?

Christina Fuchs: Die Hürde, einen Film auf den Markt zu bringen, ist viel höher als in der Musik. Das hat zwar nicht nur positive Seiten, bedingt aber, dass von Anfang an ausselektiert wird. Ein 250-Millionen-Dollar-Blockbuster wie „The Batman“ vermittelt in seiner Radikalität eine Stimmung, die ich in der heutigen Popmusik nicht finde. Gleichzeitig erinnert mich die Stimmung, die durch seine Machart aufkommt, an jene Zeit, in der Alben erschienen, die unsere Welt veränderten. Inzwischen passiert die Veränderung der Populärkultur nicht mehr in der Musik. Heute verändert sie der Film.

Lassen wir das so stehen und lauschen „In Heaven“. Vielen Dank für das Gespräch!

Christoph Benkeser

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Links:
Black Palms Orchestra (Homepage)
Black Palms Orchestra (Facebook)
Seayou Records (Homepage)