„Ich darf alles sagen, was ich will“ – SOVIE im mica-Interview

Der März in Wien war kalt – nicht zuletzt, weil SOVIE die Single „Eiskristall“ (8.3.2024) und damit einen Vorläufer zu ihrer im Frühling erscheinenden EP veröffentlicht hat. Die Wienerin ist nach längerer Corona-Pause und einem spontanen Mainstage-Festivalauftritt wieder zurück mit neuer Musik und schreibt mittlerweile auf Deutsch. Katharina Reiffenstuhl hat SOVIE zum Gespräch getroffen und über ihren neu erschienenen Song, Veränderungen und Lernprozesse der letzten Jahre sowie das leidige Gendergap in der Musikindustrie gesprochen.

Glückwunsch zur neuen Single. Was steckt hinter „Eiskristall“?

SOVIE: Es ist gar nicht so leicht, das zu erklären. Musik schreiben ist so persönlich und gleichzeitig ist es immer gut, wenn man für sich in dem Song etwas finden kann, wenn man ihn hört. Für mich war es der Versuch herauszufinden, wie es mir gerade geht und wie ich mit Situationen umgehe, die in meinem Leben passieren. Ich habe überlegt, wie ich es schaffen kann, meine Grenzen so zu setzen, dass ich gleichzeitig nicht das Gefühl habe, dass ich ein schlechter Mensch bin. Eine gute Freundin hat letztens zu mir gesagt: „Eigentlich ist Grenzen setzen etwas extrem Schönes”, weil wenn man Grenzen in zwischenmenschlichen Beziehungen setzt, ist es eigentlich ein Beweis dafür, dass man das gerne erhalten möchte.

Wie war der Entstehungsprozess von dem Song?

SOVIE: Der Song ist produziert von mo.nomad, ein ganz toller Produzent und ganz lieber Mensch. Ich habe die erste Strophe in einer Nacht zuhause geschrieben. Es ist noch gar nicht so lange her, aber es ist so viel passiert seitdem. Die Akkorde habe ich schon einmal in einem Song vor acht Jahren gehabt. Da ist so eine Sekund dabei, die finde ich super schön. Wenn man die liegen lässt am Klavier, ergibt das so einen ganz wilden, wohligen Sound. Das hat mir gut gefallen. Ich mag es gern dramatisch. [lacht] Dann hatten wir die erste Studiosession, haben das Klavier aufgenommen. Mo ist meiner Meinung nach ein König darin, kleine Soundelemente einzubauen und Atmosphäre zu schaffen. Und da haben wir dann die Chords einfach weiterlaufen lassen und ich habe im Studio meinen Text weitergeschrieben und eingesungen. Alles in allem ging es relativ schnell.

Du hast erwähnt, es ist seitdem viel passiert. Was hat sich getan?

Bild SOVIE
SOVIE (c) SOVIE

SOVIE: Ich habe meine letzten Prüfungen auf der Uni geschrieben und letzte Woche das Studium abgeschlossen. Das war sehr anstrengend. Außerdem bin ich ja independent, alles, was mit Musik zu tun hat, mache ich eigenständig. Das ist halt nicht nur ein Job, sondern viele verschiedene. Wobei ich natürlich offen für ein Management bzw. ein Label wäre. Ich wollte aber endlich mein Studium fertig machen, weil ich nicht so gut im Multitasking bin. Ich habe ganz lange ganz viel gleichzeitig gemacht und seit dem letzten Lockdown probiert, alles Stück für Stück abzubauen, um irgendwann nur noch Musik machen zu können. Da habe ich das Gefühl, dass ich da jetzt angekommen bin. Es ist sehr aufregend, aber ein bisschen gruselig. Und ich habe große Lust. Jetzt gerade arbeite ich an einer EP, die soll im Mai oder Juni erscheinen. Da arbeite ich gerade an drei weiteren Songs und versuche, mich ein bisschen breiter aufzustellen. Achja, und Weihnachten war. Neujahr. Des woa a stressig. [lacht]

„ICH HATTE FÜR MEIN GEFÜHL ALS FRAU IMMER ANGST, DASS ES ZU PATHETISCH IST, WENN ICH AUF DEUTSCH SCHREIBE“

Du machst erst seit letztem Jahr deutsche Musik. Weshalb hast du gewechselt?

SOVIE: Mir haben ganz viele Leute lange gesagt: „Schreib doch auf Deutsch!”. Und ich hatte lange ein großes Problem damit, auf Deutsch zu schreiben. Ich hatte für mein Gefühl als Frau immer Angst, dass es zu pathetisch ist, wenn ich auf Deutsch schreibe. Das hat mich lange gehemmt. Außerdem habe ich mal mit 14 ein Auslandsjahr gemacht, ich war in Irland und habe dort angefangen, Musik zu schreiben. Seitdem habe ich auf Englisch geschrieben, das ist einfach so passiert. Ich habe damals auch immer sehr dramatische Songs geschrieben und glaube auch dadurch, dass es nicht meine Muttersprache ist, ich einen gewissen Abstand dazu hatte, zwischen dem was ich fühle, und dem, was ich sage. Englisch ist halt nicht so direkt wie Deutsch. Im Deutschen finde ich es auch total herausfordernd, dass es viel rhythmischer ist. Die Betonung muss da viel mehr sitzen, weil es einfach viel weicher ist im Englischen. Irgendwann dachte ich mir trotzdem, Ich probier’ das jetzt”. Vor allem im deutschsprachigen Musikraum gab es plötzlich viele junge Frauen, die rausgegangen sind und einfach wirklich coole Musik machen. NINA CHUBA, PAULA HARTMANN, KATHA PAUER. Das war schon auch eine Motivation, ich hatte das Gefühl, hier ist Raum dafür, dass ich das machen kann, ohne, dass es irgendwie cringe ist. Also challenge accepted. Angefangen, auf Deutsch zu schreiben, habe ich schon circa vor zwei Jahren. Ich habe das Gefühl, ich finde immer mehr meine Worte, die ich sagen will.

Bist du dieser vermeintlichen Pathetik mittlerweile entkommen?

SOVIE: Ja, ich dachte immer ich kann das nicht machen. Aber dann bin ich draufgekommen, dass das vielleicht auch einfach eine patriarchale Geschichte ist.

Dieses Gefühl von “Frauen können ja gar nicht anders”.

SOVIE: Genau. Aber ich darf alles sagen, was ich will. Und wenn ich ganz pathetisch schreiben will, ist das total in Ordnung, wenn ich das ehrlich rüberbringen kann. Ich schreibe schon auch Zeilen zuhause, die niemals veröffentlicht werden, weil ich mir danach denke: Ew, cringe”. Aber zumindest kann ich sie jetzt vor mir aufschreiben. Auch das ist ein Schritt nach vorne und eine kleine Emanzipation.

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In den Jahren rund um die Pandemie und die Lockdowns gab es keine Musik von dir. Hast du in der Zeit trotzdem Musik gemacht bzw. hattest das Ziel, zukünftig wieder Musik rauszubringen?

SOVIE: Ja. Immer. Wobei ich sagen muss, ich bin eine extrem extrovertierte Person und der Lockdown ist mir nicht so gut bekommen. Da ging es mir eine Zeit lang nicht sehr gut und ich habe Zeit gebraucht, um mit mir selber gut zu arbeiten und einen Ort zu finden, wo ich in mir selber gern zuhause bin.

War Musik da keine gute Hilfe?

SOVIE: Naja, man sagt ja immer, wenn es einem am schlechtesten geht, macht man die beste Musik. Viel Musik entsteht aus Schmerz. Aber es gibt da meiner Meinung nach auch Abstufungen, und wenn es einem richtig schlecht geht, ist man auch nicht kreativ. So war es bei mir zumindest. Es ist auch ein Lernprozess, wenn man aus Emotionen schreibt, Emotionen auch wirklich zu fühlen. Man ist schnell gestresst, man fühlt sich schnell taub. Aber Gefühle, die man hat, auch wirklich zu spüren, das ist für mich immer wieder noch eine große Herausforderung. Ich lerne gerade, alle meine Gefühle gut zu spüren und daraus auch Kraft zu schöpfen, und das ist ein sehr spannender Prozess. 

„WENN ICH JEMANDEN NICHT ABHOLE, MIT DEM WAS ICH MACHE, DANN IST DAS TOTAL IN ORDNUNG“

Ist Musik veröffentlichen für dich mit Stress verbunden?

SOVIE: Natürlich. Vor allem, weil ich alles selber mache. Songs schreiben und ins Studio gehen ist ja nur ein Teil des Jobs. Man arbeitet ganz viel und ganz lange hin zu einem Release, da steckt viel dahinter, vor allem auch Geld. Brauch’ ma nicht besprechen, wenn es nur ein Hobby ist, ist es auf jeden Fall ein teures Hobby. [lacht] Im Bestfall wünscht man sich natürlich, dass es überall gespielt wird, im Radio, im Fernsehen. Und wenn das dann nicht gleich passiert, ist das manchmal frustrierend. Da fragt man sich: „Was mach’ ich da eigentlich?”. Dabei wissen ja viele Leute vielleicht auch gar nicht, dass es das gibt. Manchen gefällt es auch wirklich nicht, und das ist auch total in Ordnung, weil mir gefällt auch nicht alles. Wenn ich jemanden nicht abhole, mit dem was ich mache, dann ist das total in Ordnung. Ich glaube, da ist ein bisschen die Waage zu halten zwischen meiner privaten Person Sophie und dem, was SOVIE macht. Das sind zwei unterschiedliche Teile von mir, die da arbeiten, und die gut zu trennen, das ist eine Aufgabe, der ich mich angenommen habe. 

Du hast ja jetzt auch dein Linguistik-Studium abgeschlossen – was ist da der Plan? Hast du vor, von der Musik zu leben?

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SOVIE (c) SOVIE

SOVIE: Ja. Mit dem Studium habe ich nichts vor. Den Abschluss habe ich gemacht, um meiner Familie einen Gefallen zu tun. [lacht] Ich verstehe den Zugang dahinter, dass es Sinn macht, eine Ausbildung zu abzuschließen, und ich bin stolz auf mich, dass ich das geschafft habe. Ich habe zwei Bachelorarbeiten über Rap geschrieben und das war schon auch sehr spannend. Im Rap gibt es sehr viel Wort, was analysiert werden kann, und da ich Linguistik studiert habe, war das naheliegend für mich. Da habe ich nochmal einen anderen und vor allem wissenschaftlichen Einblick in etwas, was mich tatsächlich auch betrifft, bekommen und eine neue Perspektive darauf gewonnen. Das war sehr geil. Also ganz umsonst war’s ned. 

Siehst du dich selbst mal im Rap?

SOVIE: Mal schauen. Ich habe Vergangenheit im Rap und sehr viele Freund:innen, die HipHop machen. Musikalisch könnte ich mich da schon auch finden. Also ich würde mir nie anmaßen zu sagen, ich mache Rap, weil ich bin keine Rapperin. Aber musikalisch ist ja mittlerweile so vieles möglich und man ist so frei in dem, was man macht. Einer meiner nächsten Songs wird beispielsweise ein Drum&Bass-Song. PAULA HARTMANN zum Beispiel ist ja auch in Deutschrap-Spotify-Playlists und sagt von sich selbst, dass sie keine Rapperin ist, weil sie ja eigentlich mehr singt. Dieses Feld ist einfach größer geworden.

Wie sieht diese Vergangenheit im Rap aus, von der du sprichst?

SOVIE: Darüber rede ich nicht so gern. Ich war mal in einer HipHop-Crew mit 16, wir waren zu neunt. Es war so Pop-Rap. Ich habe dort gesungen, also nicht gerappt. 

War das dein Anfang, Musik zu machen?

SOVIE: Nein, der war mit 14, da habe ich Klavier und Gitarre gespielt und irgendwann einfach angefangen, Songs zu schreiben.

Wie bist du auf die Idee gekommen, sie zu veröffentlichen?

SOVIE: In meinem Herzen war ich einfach immer schon Sängerin. Meine Eltern sind beide Sänger:innen und irgendwie war Musik mir immer ganze nahe. Dieses Klischee, ich bin Musik aufgewachsen, ist halt aber wirklich einfach so. Es hat eh lange genug gedauert, bis ich angefangen habe, zu veröffentlichen. 2019 das erste Mal.

Und was hat dir den notwendigen Schubs gegeben?

SOVIE: Mein Papa. [lacht] Der hat gesagt: Du gehst jetzt ins Studio und nimmst das alles auf”. Ich habe vor dem tatsächlich auch schon mal eine CD aufgenommen, 2016 glaube ich. Da waren 15 Songs drauf, die wurden nie veröffentlicht. Diese Platte hat “Solid Gold” geheißen, die haben ein paar Leute daheim. Aber sonst wird man sie nie zu hören bekommen.

Hörst du sie selber manchmal?

SOVIE: Nein. Ich hatte vor sieben Jahren eine Stimmband-Operation, davor habe ich noch ein bisschen tiefer und rauer gesungen, weil meine Stimmbänder nicht so gut geschlossen haben. Da zeige ich manchen Menschen diese Platte, um ihnen zu zeigen “Schau, so hab’ ich früher geklungen”. Wobei die meisten diesen Unterschied gar nicht hören. Aber ich höre ihn.

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Musikvideo hat es schon ziemlich lange keines mehr von dir gegeben. Ist dir das ein Anliegen, in Zukunft wieder welche zu drehen?

SOVIE: Auf jeden Fall. Das ist auch immer eine Geld- und Zeitfrage. Sie sind aber geplant. Wobei ich tatsächlich finde, Musikvideos werden heutzutage viel weniger rezipiert als früher. Du steckst da ur viel Arbeit rein und machst ur coole Sachen …

… dafür, dass es die Leute eh nur auf Spotify hören.

SOVIE: Genau. Da ist dann einfach die Frage, wie sehr zahlt sich das aus. Vor allem, ich habe nicht so ein gutes räumliches Vorstellungsvermögen. Finde ich ganz schwierig. Deswegen sehe ich kein Video in meinem Kopf. Es gibt Leute, die haben das, die schreiben einen Song und wissen, wie das ausschauen muss. Aber ich denk mir immer “Kann mir bitte jemand helfen?”. Live spielen ist mehr mein Ding.

„DAS IST EINE INDUSTRIE UND DA LÄUFT DAS HALT SO“

Du bist letztes Jahr auf der Mainstage vom FM4 Frequency aufgetreten, gemeinsam mit VERIFIZIERT. Wie war diese Erfahrung?

SOVIE: Extrem geil. Es war ur aufregend und hat total Spaß gemacht. Die Veri ist auch einfach eine absolute Legend. Der Grund, warum sie das gemacht hat, war ja, um mehr Aufmerksamkeit darauf zu lenken, wie wenige Artists gebucht worden sind, die nicht männlich sind. Das fand ich extrem cool, wenn ich ehrlich bin. Auch, wenn sie nicht mich gefragt hätte, finde ich den Akt sehr beeindruckend, die kurze Zeit, die man hat, mit anderen Frauen zu teilen. Dass ich gefragt worden bin, hat mich natürlich ur gefreut.

Hast du das Gefühl, die Message bezüglich der Gender-Diversität ist bei den Veranstalter:innen angekommen?

SOVIE: Das ist eine sehr gute Frage. Ich finde es immer noch nicht genug. Aber wenigstens sind beim Amadeus Award in HipHop und Urban jetzt vier Frauen nominiert, die fantastisch sind: DONNA SAVAGE, BEX, ELI PREISS und SPILIF, und dann eben noch RAF CAMORA. Vier Frauen, ein Mann. Ich bin eh gespannt, wer gewinnt. RAF CAMORA hat sehr wahrscheinlich die meisten Platten verkauft und ich glaube, das ist einer der ausschlaggebenden Gründe, warum man einen Amadeus bekommt. Wenn man das als Business Award ansieht, ist es okay, das ist eine Industrie und da läuft das halt so. Aber ich finde trotzdem, dass man das überdenken sollte.

Danke für das Interview!

Katharina Reiffenstuhl

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