„Ich brauche den Austausch” – HELENE GLÜXAM im mica-Interview

Helene Glüxam ist Kontrabassistin und Komponistin aus Wien, die man von “Kurdophone”, einem iranisch-österreichischen Quintett, oder dem Avantgarde-Quartett “HALM” kennt. Nun aber hat sie ein spannendes Solo-Projekt erarbeitet, in dem sie vielseitige Klangwelten miteinander vereint und den Kontrabass, aber auch ihre Stimme einsetzt. Im Gespräch mit Markus Deisenberger verriet sie, wie sie beim Komponieren die Leichtigkeit fand und warum sie auch bei Studioaufnahmen nicht auf ein Publikum verzichten will.

Ich hatte das Glück, deinen Auftritt beim KICK JAZZ Festival im Porgy & Bess mitverfolgen zu dürfen, der äußerst gelungen war, aber mit einer Kuriosität begann. Das Publikum wartete schon sehnsüchtig auf den Eröffnungs-Gig, aber Helene Glüxam ließ auf sich warten…

Helene Glüxam: [lacht] Schrecklich. Ich habe mich mit dem Headset-Mikro-Kabel verheddert. Ich bin spielbereit hinter der Bühne, höre, dass ich angesagt werde, der Applaus brandet auf. Da merke ich, dass sich alles verwurschtelt hat. Ich habe eine gefühlte Ewigkeit gebraucht, um das wieder zu entwirren. Ein Albtraum.

Warst du dann besonders nervös?

Helene Glüxam: Nicht unbedingt, aber wenn man ein bisschen gestresst ist, dauert es umso länger, ein Problem dieser Art zu lösen und man wird ungeduldig. Als ich dann endlich rauskam, war ich schon wieder entspannt und froh, endlich auftreten zu können.

Man hat dir keine Nervosität angemerkt. Du hast das sehr professionell gemanagt.

Helene Glüxam: Ich wars dann eben auch nicht mehr. Aber es war so absurd, dass so etwas wirklich passiert – das, wovor man sich immer gefürchtet hat. Das Gefühl, dass es jetzt eh nicht mehr schlimmer werden kann, entspannt einen dann eher.

Dieses Video auf YouTube ansehen.
Hinweis: Mit dem Abspielen des Videos laden sich sämtliche Cookies von YouTube.

Du spielst in unterschiedlichen Formationen, Kurdophone etwa, einem iranisch-österreichischem Quintett. Wann kam dir der Gedanke, dass es ein Solo-Projekt braucht bzw. dass die Zeit jetzt reif für ein Solo-Projekt wäre?

Helene Glüxam: Wie viele andere Solo-Projekte begann das als Corona-Idee, weil ich damals viel allein mit dem Instrument war. Irgendwann wurde ich dann von einem Freund und Kollegen gefragt, ob ich bei einer Reihe, die er weltweit initiiert hatte und zu der die unterschiedlichsten Musiker:innen Musikstücke von sich in einem Video beisteuerten, mitmachen wolle. Das nahm ich zum Anlass, einen Solo-Entwurf, den ich hatte, aufzugreifen, und ein Video dafür zu machen. Das war der eigentliche Startschuss.

Coronabedingt auf sein Instrument zurückgeworfen zu sein, ist das eine. Es zu einem bühnenreifen Projekt zu formen, das andere. Ich gehe jetzt mal davon aus, dass es von diesem Video bis zum Auftritt unlängst im Porgy ein längerer Prozess war, oder?

Helene Glüxam: Ja. So ging es mal los, und es hat mir Spaß gemacht. Ich hatte vorher schon jahrelang Sprach-Memos auf dem Handy gesammelt – hunderte Ideen für Kontrabass-Solo -, dann aber nie etwas daraus gemacht. Diese Memos habe ich mir dann alle mal durchgehört.

Und waren die Ideen noch gut? Oft ändert sich ja die Einstellung zu Ideen, die man vor längerer Zeit einmal gut fand.

Helene Glüxam: Doch, schon. Die haben mir immer noch gut gefallen. Viele davon zumindest, und aus einigen sind dann auch Stücke geworden. Irgendwie hat sich das gut angefühlt, diese ganzen Ideen, die quasi herumlagen, in Stücke zu verpacken. Es war aber auch sehr herausfordernd. In das erste Stück z.B., “Wellensturm”, mit dem ich auch das Konzert im Porgy eröffnet habe, ist viel Zeit hineingeflossen, aber irgendwie ist es mir im Kompositionsprozess leicht von der Hand gegangen. Aber als das fertig war und ich das zweite Stück angehen wollte, hatte ich plötzlich keine Ideen mehr und dachte schon, dass ich das Solo-Projekt wieder ad acta legen müsse. Jede Idee, jede Inspiration, jede Spieltechnik hatte ich schon in das erste Stück gepackt, und es fühlte sich an, als wäre alles schon auserzählt. In etwa so, wie wenn man ein Buch schreibt. Das zweite ist deutlich schwerer als das erste. Aber es war entscheidend, den Weg trotzdem weiter zu gehen und mir jeden einzelnen Ton abzuringen. Es war harte Arbeit. Ich mag das zweite Stück mittlerweile sehr gerne [“Winter”, Anm.]

Ein sehr ruhiges Stück, bei dem du am Ende pfeifst. Ein sehr friedliches Stück auch, dem man den Kompositionskampf nicht anmerken würde. Nicht im Geringsten.

Helene Glüxam: Es ist mir nicht leicht von der Hand gegangen, aber es wird immer leichter, das ist das Gute. Ich habe einen Weg gefunden.

Du nutzt auch deine Stimme, die sich mit dem Kontrabass sehr interessant ergänzt. Wann kam dir die Idee dazu, deine Stimme einzusetzen?  Und wie ist die Gewichtung zwischen Instrument und Stimme aus deiner Sicht?

Helene Glüxam: Die Stimme kam erst später dazu. Die ersten beiden Stücke waren erst einmal nur für Kontrabass und nicht für Stimme ausgelegt. Erst nach und nach habe ich dann versucht, sparsam die Stimme einzusetzen. Von Anfang an lautmalerisch und zurückhaltend dosiert. Es ist dann immer mehr und mehr geworden, ich bin mutiger geworden. Am Anfang war es mir wichtig zu sagen, dass es ein Kontrabass-Soloprojekt mit Gesangsbegleitung ist. Mittlerweile hat sich das geändert, die beiden Parts sind gleichberechtigt. Wobei: Ohne Kontrabass würde es nicht funktionieren, aber ohne Stimme schon. Klar hat der Kontrabass also eine wichtigere Rolle.

Lass uns über die perkussiven Effekte reden, die du einsetzt: Hast du die von Anfang an eingebaut oder hat sich das erst im Laufe der Zeit ergeben?

Helene Glüxam: Die habe ich erst in einem der letzten Stücke, die ich bisher komponiert habe, eingesetzt: “Nachtvogel”. Aber ich würde das Percussive gerne weiter ausbauen. Da gibt es das Stück, in dem ich mit der rechten Hand am Corpus Percussion spiele. Dann habe ich noch einen Stab, mit dem ich auf die Saiten schlage.

Dieses Video auf YouTube ansehen.
Hinweis: Mit dem Abspielen des Videos laden sich sämtliche Cookies von YouTube.

Wie entsteht das? Experimentierst du mit verschiedenen Dingen intuitiv herum, und entscheidest dich dann dafür, was am besten funktioniert?

Helene Glüxam: Ja, so kann man das sagen. Angefangen hat es, weil wir bei einem Uni-Workshop einst Musikinstrumente gebaut haben. Ich bekam einen Holzstab, aus dem ich schließlich einen Schlegel gebaut habe. Der lag dann ewig in meiner Wohnung herum, weil ich mich nicht von ihm trennen konnte. Irgendwann habe ich begonnen, mit ihm herumzuexperimentieren und zu schauen, wie es klingt, wen ich mit ihm auf den Kontrabass schlage. Das habe ich mit der Zeit professionalisiert, damit die Schläge die richtige Härte und Intensität bekommen, um die gewünschten Effekte zu erzielen. Das ist also intuitiv und sehr langsam entstanden. Ich habe mich bis dahin eigentlich wenig mit erweiterten Spieltechniken beschäftigt. Es hat mich schon interessiert, aber nicht für mich, weil ich das Gefühl hatte, noch so viel allein mit den zwei Händen am Kontrabass zu sagen zu haben. Eigentlich ist es dann aus einer Notwendigkeit heraus entstanden: Weil ich plötzlich das Gefühl hatte, mich zu wiederholen und dass das, was ich spiele, immer das Gleiche ist.

Um Abwechslung zu schaffen also?

Helene Glüxam: Ja, um für mich ein anderes Setting zu schaffen. Beim letzten Stück stimme ich die Saiten um.  Ich stimme die G-Saite und die D-Saite jeweils um einen Ganzton höher bzw. tiefer, und bekomme dadurch eine ganz andere Stimmung. Das entstand genauso aus einem uninspirierten Moment heraus, in dem mir keine neue Idee für ein Stück einfallen wollte. Also habe ich willkürlich die Stimmung verändert, um zu schauen, was dann passiert. So ist das Stück entstanden.

Bei dir machen diese erweiterten Spieltechniken immer Sinn, habe ich den Eindruck. In anderen Fällen ist das nicht immer so. Manches Mal wirkt es auch ein wenig zwangsoriginell und kompositorisch nicht zwingend.

Helene Glüxam: Das stimmt. Oft ist es nur ein Effekt um des Effekts willen. Bei mir ist es immer Teil des Songs. Das ist mir sehr wichtig.

Wenn man sich die Titel deiner Kompositionen anschaut, z.B. „Wellensturm“ und „Lichtungen“, fällt auf, dass sie stark von Naturbildern inspiriert sind. Wie kommt´s?

Helene Glüxam: Die Aufnahmen sind zwar alle zuhause entstanden. Aber es gibt ja unterschiedliche Hörtypen. Manche sehen, wenn sie Musik hören, Bilder und Landschaften vor sich oder Farben – ich nicht, obwohl ich mir das aber immer gewünscht hätte, und so habe ich mir das bewusst anzueignen versucht. Wenn eine bestimmte Komposition schon fortgeschritten war, habe ich mir überlegt, welches Bild das sein könnte, welche Landschaft das spiegeln könnte.

So erzählt “Wellensturm” etwa eine ganz simple Geschichte: Ich fahre auf einem Schiff übers Meer auf eine einsame Insel. Dort höre ich Stimmen – wie in anderen Fällen ein ganz einfaches Bild, das für mich die Komposition aber in eine bestimmte Richtung und Dramaturgie bringt.

Du versuchst dich dann, in diese Stimmung reinzuversetzen?

Helene Glüxam: Ja, genau, aber ich muss sie mir erarbeiten.

Du hast eine sehr persönliche Beziehung zu deinem Instrument, oder?

Helene Glüxam: Mit dem Kontrabass kann man nur eine persönliche Beziehung haben, finde ich. Der ist so groß und es steckt auch viel körperliche Arbeit drinnen. Man muss fit bleiben, weil man die Kraft dafür bracht. Er ist ein Instrument, das man sich erarbeiten muss. Und es ist super, dieses große Instrument auf der Bühne bei sich zu haben, weil man so nie allein auf der Bühne ist – zumindest fühlt es sich so an. Eigentlich habe ich mit Cello begonnen, bin dann auf den E-Bass umgestiegen, weil ich in einer Band spielen wollte, habe parallel aber klassische Klarinette gelernt. An der MDW habe ich dann die E-Bass Aufnahmeprüfung absolviert, und dort war es verpflichtend, dass man, wenn man E-Bass studiert, auch Kontrabass lernen muss. Nun kannte ich die Gina Schwarz schon vorher, weil ich in der Musikschule ein Jahr lang Kontrabassunterricht bei ihr hatte. Und dann war ich an der Uni wieder bei ihr, und habe gemerkt, dass mir der Kontrabass mittlerweile viel näher ist. Irgendwie war es auch ein Zurückkehren zu meinen Cello-Wurzeln. Die Instrumente sind sich schon ähnlich, und es war fast ein vertrautes Gefühl, vom E-Bass zum Kontrabass zu wechseln.

Am Anfang war es auch hart, weil ich mir einen Kontrabass ausgebogt hatte und mich enorm damit abplagte. Ich habe gedacht, dass das Instrument halt so ist, dass man sich den ersten Zugang erkämpfen muss, und bin erst viel später draufgekommen, dass der Bass ganz schlecht eingestellt und unheimlich schwer zu spielen war.

Du hast sicher das Solo-Bass-Projekt von Peter Herbert, “Naked Bass I und II” mitbekommen, oder?

Helene Glüxam: Ja, klar.

War das eine Inspiration für dich?

Helene Glüxam: Unbedingt, sehr. Ich habe auch bei Peter studiert, in Linz den Master bei ihm gemacht, an der Bruckner-Uni. Er hat das ja alles notiert, d.h. alle Solo-Stücke verschriftlicht, was eine Wahnsinnsarbeit gewesen sein muss, weil er eine Unzahl an erweiterten Spieltechniken verwendet. Und die sind alle ausnotiert. Davon hat er ein Heft herausgegeben und mir geschenkt, als ich noch gar nicht bei ihm studiert habe, sondern ihm einmal etwas vorgespielt habe.

Dieses Video auf YouTube ansehen.
Hinweis: Mit dem Abspielen des Videos laden sich sämtliche Cookies von YouTube.

Herbert hat im Interview mit dem mica gesagt, die “Sologeschichten” – wie er es salopp nannte – seien “eine ständige, lebenslange Auseinandersetzung mit dem Instrument.” Siehst du das ähnlich?

Helene Glüxam: Schon, ja. Für mich ist es gerade mit dem Solo-Projekt so, dass ich den Kontrabass noch einmal ganz anders kennengelernt habe, die Begeisterung für die erweiterten Spieltechniken entdeckt habe, die wie gesagt erst einmal aus der Not heraus entstanden sind. Und dass ein Publikum gerne einmal zwei, drei Stücke hört, ist das eine. Aber dass man die Aufmerksamkeit bei einem Konzert über einen längeren Zeitpunkt aufrechterhält und es nicht fad wird, ist etwas ganz anderes. Da muss man vielseitig werden. Das hat mir den Kontrabass noch einmal ganz anders erschlossen. Ich habe ihn so noch einmal ganz anders kennengelernt.

Da geht es auch ums Scheitern, oder? Es funktioniert nicht alles.

Helene Glüxam: Nein, gar nicht. Es gibt Stücke, bei denen komme ich einfach nicht weiter. Die fände ich super, aber nur eine Minute lang, dann verebbt es. Dann lasse ich sie liegen, um sie vielleicht irgendwann wieder aufzugreifen. Nein, es geht nicht immer leicht von der Hand.

Wann kommt das Album?

Helene Glüxam: Ich nehme es nächstes Jahr im Frühling auf, und der Plan ist, dass es im darauffolgenden Herbst erscheinen wird.

Man kennt die Songs live oder von diversen Youtube-Videos. Wie ist es dann, diese Songs, die es bereits gibt, aufzunehmen? Live zu spielen ist ja eine ganz eigene Atmosphäre.

Helene Glüxam: Ich glaube, dass ich auch bei der Aufnahme Publikum brauche. Und wenn es nur zwei Leute sind, aber ich brauche Leute, für die ich spiele, die mir auch zuhören und nicht mit etwas anderem beschäftigt sind. Das habe ich gemerkt, als ich für Fraufeld zwei Stücke aufgenommen habe. Da bin ich draufgekommen, dass die Aufnahmesituation allein schwer für mich ist, dass es mir schwerfällt, mich in diese Stimmung zu bringen, in die du mit einer Band leichter kommst.

Du meinst den so genannten “Flow”?

Helene Glüxam: Genau. Deshalb brauche ich auch bei der Aufnahme den Austausch. Mit hilft ja auch die Bühne sehr. Ich spiele ganz anders, wenn ich auf die Bühne komme. So richtig aufgehen tun meine Stücke erst, wenn ich ein Konzert spiele. Alles bis dahin ist noch ein bisschen gebremst. Auf der Bühne schaffe ich es dann, in eine ganz andere Anspannung zu kommen und mich voll fallen zu lassen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Markus Deisenberger

++++

Links:
Helene Glüxam
Helene Glüxam (mica-Datenbank)