„ICH BIN VERLIEBT IN ALLE LIEDER“ – TINI TRAMPLER UND STEPHAN SPERLICH IM MICA-INTERVIEW

Ihr neues Album heißt „Chansons 2084“ und ist politisch, optimistisch, aber auch poetisch und melancholisch: Im Gespräch mit Jürgen Plank erzählen TINI TRAMPLER und STEPHAN SPERLICH, die Masterminds des Bandprojekts TINI TRAMPLER & PLAYBACKDOLLS, von ihrem Umgang mit Sprache, Musik und Arrangement, von Einflüssen wie Helmut Qualtinger und Kurt Weill und warum sie Flamingos mögen. Und von einem besonderen Instrument, das von den beiden gespielt wird: dem Theremin.

Der Titel eures Albums lautet „Chansons 2084“, die Assoziation dazu ist George Orwells dystopisches Buch „1984“. Worauf deutet der Titel hin?

Tini Trampler: Mit dem Titel hat es sehr viel auf sich, weil wir uns schon an die Utopie angelehnt haben. Ich mag es bei Künstler:innen, Dichter:innen, Literat:innen, dass sie ein bisschen in die Zukunft schauen können und vielleicht eine Antwort für die Gegenwart finden. „84“ haben wir genommen, um die Vergangenheit auch einzubeziehen, das heißt, dass auch aus der Vergangenheit Botschaften kommen, die man in der Gegenwart verarbeiten kann. Vielleicht auf eine feierliche und schöne Art und Weise. Orwell hat uns viel gegeben, das war ein wichtiger Mensch für mich und ich fand es schön, mich ein bisschen auf ihn zu beziehen.

Stephan Sperlich: „1984“ ist natürlich eine Dystopie. Was 2084 ist, wissen wir noch nicht. Vielleicht wird es ja dann anders. Da geht es dann auch um den Inhalt der neuen Platte, bei der wir versuchen, etwas Positives auszusagen. Und das ist, glaube ich, spürbar, wenn man sich die Lieder anhört.

In den neuen Chansons kommt immer wieder das Sujet der Vögel vor: Ein Lied heißt „Flamingos“, ein anderes „Zugvögel“.

Bild Tini Trampler
Tini Trampler (c) Stefan Knittel

Tini Trampler: Die Vögel sind für mich ein Freiheitsbegriff, ein Symbol des Loslassens. Die Vögel kommen in den Texten immer wieder vor. Das klingt jetzt sehr klischeehaft, aber ich glaube, dass der Mensch – so wie er sich bewegt – ein Vogel ist und im Prinzip gerne fliegen würde. Diese Sehnsucht treibt ihn an, überhaupt zu leben und dieses Leben ist halt nicht immer leicht und wir schaffen es trotzdem.

Stephan Sperlich: Der Vogel ist eine Metapher für Freiheit. Für Bewegungsfreiheit, für das Reisen und für die Möglichkeit, sich frei in der Welt bewegen zu können.

Tini Trampler: In diesen krisengebeutelten Zeiten machen wir schon immer weiter, weil wir etwas erreichen wollen, was wir eigentlich nicht erreichen können. Es ist dieser Antrieb immer weiter zu machen, als Künstler:innen und auch als Menschen. Gerade das Unerreichbare ist das Interessanteste. Es ist ja nichts endgültig. Darum wieder zum Album-Titel „Chansons 2084“ zurück: Wir haben so viele Kommunikationswege. Wir haben so viel aus der Geschichte gelernt, wir haben so viele Informationen. Vielleicht könnten wir das auch besser verarbeiten und vielleicht neue Möglichkeiten finden, damit wir uns geschichtlich nicht ständig wiederholen.

Ich habe das Album poetisch, optimistisch, aber auch ein wenig melancholisch wahrgenommen und gehört. Gebrochen durch fröhlichere Rhythmen, doch es gibt auch den Blues und somit verschiedenste Stimmungen. Was wolltet ihr mitgeben?

Tini Trampler: Das ist immer schwer zu sagen, aber wir arbeiten schon jahrelang an einer neuen Liedform. Die ist uns dieses Mal sehr gut gelungen, denke ich. Da geht es ums Lied und das Arrangement und die Frage: Was können Sprache, Melodie und Orchestrierung dazu beitragen, dass ein Lied wirklich neu erzählt wird und so eine entwickelbare Reise entsteht?

Stephan Sperlich: Es sind viele Einflüsse drinnen und uns interessiert wahnsinnig viel Musik und die inspiriert uns auch. Es ist oft so, dass der Text eine Nummer schon in eine bestimmte Richtung treibt und die wird dann zum Beispiel bluesig. Das geht Hand in Hand mit der Erzählung des Textes und der Musik. Man konterkariert dann zum Teil. Zu den, wie du richtig sagst, auch melancholischen Anklängen, gibt es ein schönes Zitat von Tom Waits, da spricht er davon, warum er Kurt Weill so liebt: „I like beautiful melodies telling me terrible things.“ Mit solchen Gegensätzen zu arbeiten, finde ich wahnsinnig schön und spannend.

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Tini Trampler: Damit haben wir auch angefangen. Vor allem damit, dass man Sprache auch international machen kann. Sie ist nicht fixiert im Verständnis, sondern in der Melodie und vor allem in der Emotion. Und ich finde, das kann die deutsche Sprache sehr gut. Wenn man Rilke liest oder andere Poet:innen – oder auch das Erste Wiener Heimorgelorchester hört – erzählt mir die Sprache international etwas, ich muss sie nicht verstehen. Aber ich verstehe das Gefühl und darum sind wir auch so erpicht darauf neue Liedformen zu schaffen. Mit Traditionen und neuen Klängen. Und neuen Rhythmen, wie man es beim „Alltagsblues“ hört. Wo man sagt: ich kenne etwas, aber eigentlich kenne ich es gar nicht.

„Man kann mit dem Theremin viel mehr machen als nur den klassischen Alien- oder Gespenstersound.“

Ungewöhnlich ist das Theremin, wie hast du dich diesem Instrument angenähert?

Stephan Sperlich: Mir ist es schon mal untergekommen, als ich Computermusik studiert habe, damals gab es nur schlechte Bausätze, ich bin kein Elektrotechniker, das hat also nicht lange gehalten. Als Tini und ich die Band gegründet haben, hatte sie die Idee, auch mal ein Theremin zu verwenden. Das hat für das Anfangsprojekt von Playbackdolls, ein Theaterprojekt, gut gepasst. Seitdem haben wir ein Theremin dabei, weil das ein spannendes Instrument ist. Ich bin ja eigentlich Cellist und das Cello ist dem Theremin in punkto Ausdrucksfähigkeit in gewisser Hinsicht recht nahe. Man kann mit dem Theremin viel mehr machen als nur den klassischen Alien- oder Gespenstersound.

Tini Trampler: Es ist wirklich schön, für mich ist das Theremin wie ein Streicher-Ersatz. Ein atmosphärisches, elektronisches Instrument, das ich manchmal auch selbst spiele.

Bei der Albumpräsentation in der Sargfabrik ist mir aufgefallen, dass ihr euch mehrmals bei den Musiker:innen der Band bedankt habt. Was ist für euch das Besondere an den aktuellen Playbackdolls?

Stephan Sperlich: Ich würde sagen: es ist einfach eine Familie geworden, die über die Jahre zusammengewachsen ist. Es ist ein großer Vorteil, dass die Musiker:innen aus verschiedenen Richtungen kommen und viele verschiedene Dinge machen. Wir sind so gut eingespielt, dass bei den Arrangements Sachen entstehen, auf die wir beide nie kommen würden. Im Aufnahmeprozess waren die Motivation und die kreative Kraft der Musiker:innen einfach wunderschön. Die Aufnahmesessions waren ziemlich magisch, muss ich sagen.

Bild Tini Trampler
Tini Trampler (c) Stefan Knittel

Tini Trampler: Alle sind sehr überzeugt von unserer Arbeit, das finde ich spannend. Klar, wir beide sind der Kern und komponieren und texten. JedeR einzelne der Musiker:innen hat Vorlieben, diese Stilrichtungen und dieses Können dieser großartigen Instrumentalist:innen treiben das Projekt voran. Wir müssen eigentlich gar nichts mehr sagen und das ist auf der Bühne auch spürbar. Wir sind trotzdem in einem Dialog, auch wenn wir kleine Fehler machen und daraus wieder etwas passiert. Das ist ein Traum, der nach jahrelanger Arbeit in Erfüllung geht. Es ist auch der Respekt spürbar und das ist in der Kunst, glaube ich, sowieso das Wichtigste. Der größte Traum wäre für mich mal ein Riesenorchester.

„Qualtinger ist ein großer Einfluss für uns, das muss man sagen.“

André Heller oder Erika Pluhar bzw. Max Raabe oder Element Of Crime machen, ähnlich wie ihr, auch poetische Texte zu oft chanson-artigen Liedern.

Stephan Sperlich: André Heller war für mich so der Kitsch-Onkel. Aber diese Qualtinger-Heller-Sachen sind großartig. Qualtinger ist ein großer Einfluss für uns, das muss man sagen. Für mich ist auch H. C. Artmann ein großer Einfluss.

Tini Trampler: Nach Einflüssen sind wir noch nie richtig gefragt worden. Dass Brecht und Weill ein Einfluss für uns sind, das hat ja jeder schon gesehen. Ich möchte jetzt auch die Worried Men Skiffle Group nennen, mit Gerhard „Doc“ Richter, der kaum rezipiert wird, was ich schade finde. Oder Trio ist ein Einfluss für uns. Oder Daniel Wisser mit Erstes Wiener Heimorgelorchester. Es gibt auch in Österreich einfach so großartige Texte. Mich fasziniert Helge Schneider, auch von der Performance her, weil ich ja selbst aus dieser Performance-Ecke komme. Tom Waits hat unglaubliche Texte. Sprache als Musik, Sprache im Arrangement – das haben wir versucht, wieder aufzunehmen. Wie kann sich das so verbinden, dass man es gar nicht mehr trennen kann. Das ist mein Traum. Und es funktioniert auch, weil ich auch Poet:innen aus Bukarest oder der Ukraine verstehe, obwohl ich der Sprache nicht mächtig bin.

Gibt es ein Lied auf dem neuen Album, das für euch in die Zukunft weist, vielleicht bis ins Jahr 2084?

Stephan Sperlich: Das ist eine gute Frage. In Bezug auf eine poetische Utopie und die Frage, wo ich am meisten reinfallen kann: das ist bei den eigenen Sachen immer schwierig. Vielleicht beim Lied „Farbenstau“, weil das einen starken Groove hat und einen stärker mitnimmt. Mit dem Lied kann ich einen positiven Ausblick haben, „Zugvögel“ ist etwas melancholischer.

Tini Trampler: „Zugvögel“ habe ich besonders gern. Mir wäre am liebsten, wenn das das Publikum sagt. Es ist das erste Mal, bei einer Platte, dass ich mich gar nicht entscheiden kann: Ich bin verliebt in alle Lieder.

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Noch ein Lied mit dem Sujet der Vögel ist „Flamingos“

Tini Trampler: Flamingos faszinieren mich in der Gruppe, wenn die da so miteinander stehen, ist das so wahnsinnig schön. Da denke ich mir, es wäre schön, wenn auch Menschen in Konflikten so miteinander stehen und warten und überlegen, was zu tun wäre.

Für mich geht es bei eurem Album auch um die Suche nach dem Glück, die in der Reduktion passiert.

Tini Trampler: Ja, das kann ich wirklich bestätigen. Es gibt ja ganz große Clown:innen und Performer:innen, die sagen, wenn man diesen Moment erhascht, geht es einem besser oder man hat die Unsterblichkeit erlangt: wenn man drei Sekunden in der Anarchie des Fallens lebt. So geht es mir auch bei guten Konzerten, guten Büchern oder guten Theaterstücken: dass ich dieses Aha-Erlebnis des Glücks habe. Das tut mir einfach gut.

Herzlichen Dank für das Interview.

Jürgen Plank

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Live:
15.12.2022
Schutzhaus Zukunft, Verlängerte Gunterstraße, 1150 Wien

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Links:
Tini Trampler
Tini Trampler & Playbackdolls