Jahrzehntelang hat ROLAND NEUWIRTH mit seinen EXTREMSCHRAMMELN die österreichische Musikszene mitgeprägt. Demnächst veröffentlicht er ein gemeinsam mit dem RADIO.STRING.QUARTET aufgenommenes Album. Im Interview mit Jürgen Plank erzählt ROLAND NEUWIRTH über das Ende der EXTREMSCHRAMMELN, wie es zu seinem Comeback gekommen ist und warum im Dialekt zu schreiben seit H.C. Artmann anders ist.
Du hast im Jahr 2016 deine Band Extremschrammeln aufgelöst und jetzt mit dem radio.string.quartet das Album „Erd“ aufgenommen. Wie kam es dazu?
Roland Neuwirth: Ein Musiker kann ohnehin nie aufhören Musik zu machen, das ist der erste Grund. Nach 42 Jahren mit den Extremschrammeln habe ich aufgehört, weil ich krank geworden bin. Ich habe urplötzlich eine eigenartige Form von Epilepsie aufgerissen, bei der ich Gott sei Dank nicht am Boden liege und die Augen verdrehe, aber ich habe immer wieder für ein paar Sekunden Aussetzer gehabt. Das hat sich dann gehäuft und ich hatte manchmal 15 Aussetzer an einem Tag. Während ich im Krankenhaus eine Infusion bekommen habe, ist mir plötzlich eingefallen, dass ich einen Gig in St. Pölten habe! Ein voller Saal, mit 600 Leuten.
Hast du das Konzert gespielt?
Roland Neuwirth: Der Arzt hat gemeint, dass das nicht geht. Ich habe zum Arzt gesagt: „Klar, geht das! Lassen wir die Kanüle drinnen, geben einen Verband drüber, ich fahre nach St. Pölten, spiele den Gig und komme danach wieder ins Krankenhaus“. Es war ein sehr guter Gig, ich hatte nur einen Aussetzer, bei dem mir der Text entfallen ist. Und da habe ich mir gedacht: „Vielleicht ist es wirklich gescheiter, wenn du jetzt aufhörst.“
Wie kam es dann dennoch zum Comeback?
Roland Neuwirth: Irgendwann hat ein Veranstalter eines Festivals, Florian Krumpöck vom Kultur.Sommer.Semmering, zu mir gesagt: „Du gehörst wieder auf die Bühne! Spiele einen Gig bei mir, egal mit wem, aber du musst wieder spielen.“ Dieses Konzert wollte ich mit dem radio.string.quartet spielen, so war diese Geschichte.
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Wolltest du mit diesem Quartett zusammenarbeiten, um deiner Musik einen kammermusikalischen Aspekt hinzuzufügen?
Roland Neuwirth: Ich habe ja schon immer Kammermusik komponiert, ganze Abende für große Orchester, diese Musik ist auch aufgeführt worden. Mein erstes Auftragswerk war für die Jeunesse, für ein großes Orchester und ein Schrammelquartett, da waren die Schrammeln die Solisten. Das wurde damals im Musikverein aufgeführt und da habe ich auch selbst an der Gitarre mitgespielt. Sonst habe ich solche Konzerte als Komponist meist im Zuschauerraum erlebt. Nachdem aber die zwei Geiger des radio.string.quartets immer wieder mit mir gespielt haben – Bernie Mallinger war sicher für zehn Jahre dabei-, habe ich gewusst, dass die ein Quartett haben. Ich habe auch Musik des Quartetts gehört, die groovt richtig dahin. Das hat mich fasziniert. Als es nun soweit war, habe ich mich also wieder an das radio.string.quartet erinnert.
Hast du beim Komponieren der neuen Stücke das Quartett bereits mitgedacht?
Roland Neuwirth: Nein, das war ganz anders. Die haben von sich aus meine Lieder spielen wollen und haben sie arrangiert. Ich habe schon drei oder vier Sachen geschrieben, die wir auch im Programm haben, zum Beispiel das Lied „Dodndaunz“. Eines meiner besten Werke der letzten Zeit. Da habe ich etwas Neues probiert. Ich wollte die Sprache genau zur Musik dazu setzen. Das Quartett hat die Lieder selbst ausgesucht, lauter traurige Stücke, die aber die schönen Stücke sind. Sie haben meine Kompositionen für Streichquartett arrangiert. Ich muss aber sagen, dass sie schon mehr als ein Arrangement gemacht haben. Sie haben fast mitkomponiert und zum Teil haben die Stücke total reduziert. Dadurch haben sie meine Musik in eine andere Dimension gehoben und das gefällt mir sehr gut. Bernie Mallinger ist einer, der sehr textaffin ist. Ihm ist nicht egal, was der Sänger singt. Er ist sehr textkundig, auch in Richtung Lyrik. Und das war ein Grund, warum er meine Lieder mochte.
„Im Alter hält man sich nicht mehr mit Eitelkeiten auf.“
Du hast das Lied „Dodndaunz“ bereits erwähnt, das habe ich als Schlüsselstück des Albums gehört. Es ist ein kämpferisches Stück, was hat es damit auf sich?
Roland Neuwirth: Das Alter natürlich. Es ist – Läuterung kann man nicht sagen – eine Einkehr, vielleicht. Die sich zwangsweise ergibt, wenn man ein paar Jahre am Buckel hat. Oder mehrere Jahre. Man denkt dann anders, man hadert immer mit dem Alter. Wer nicht alt werden will, muss jung sterben. Ich habe Erwin Ortner vom Schoenberg Chor wegen meines Alters angejammert. Er hat gemeint: „Was willst du denn? Jetzt geht es nur mehr ums Wesentliche.“ Das ist bei mir hängen geblieben. Im Alter hält man sich nicht mehr mit Eitelkeiten auf. Man hört in sich hinein und weiß, was das Wesentliche ist. Zum Beispiel die Auseinandersetzung mit religiösen Dingen, mit dem Zweck des Menschseins, mit Moral und so weiter. Mit Musik sowieso, mit allem, was den Menschen ausmacht. Das spiegelt sich im Titel „Dodndaunz“. Mir war es ein Anliegen den musikalischen und textlichen Aufbau so zu gestalten und Schriftsprache und Dialekt zu mischen bzw. nebeneinander zu stellen und genau auf die Musik zu setzen.
Welche unterschiedlichen musikalischen Möglichkeiten haben ein Streich- bzw. ein Schrammelquartett?
Roland Neuwirth: Man kann mit einem Streichquartett vieles nicht machen, was man mit einem Schrammelquartett machen kann: bei den Schrammeln sind zwei Akkordinstrumente dabei, die Quetschn und die Gitarre. Da gibt es dann Akkorde, die miteinander klingen. Das ist bei den Streichern nicht möglich. Die Pizzicati klingen nur kurz aus. Bei einer der neuen Nummern habe ich versucht, die Pizzicati harfenartig klingen zu lassen.
Ich habe das Album als melancholisches Werk gehört, das auch ironisch ist. Etwa wenn im Text Harald Serafin vorkommt und sich musikalisch das Wienerlied durchzieht. Ich würde meinen, dass die Ansprüche von Bernie Mallinger erfüllt worden sind.
Roland Neuwirth: Ich muss ehrlich sagen, ich halte das Album für großartig. Uns ist echt etwas Gutes gelungen. Es ist auch technisch gut aufgenommen worden. Ich bin mit dieser Produktion sehr glücklich.
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Das Video zu „I hab die Welt neuch erfundn“ wurde am Naschmarkt in Wien gedreht, wie kam es dazu?
Roland Neuwirth: Da kann ich nichts dafür, das hat der Bernie Mallinger einfach gemacht und ich finde es großartig. Er hat das Video mit dem Handy gefilmt. Unglaublich eigentlich, ich finde es toll. Ich habe nicht gewusst, dass er das macht!
„Ich war immer schon alt, ich bin schon alt auf die Welt gekommen.“
Bei Johnny Cash hat man irgendwann vom Beginn des Alterswerkes gesprochen, würdest du das aktuelle Album auch so einordnen?
Roland Neuwirth: Du bist lieb zu mir, was möchtest du denn trinken? Ich bin mittendrin im Alterswerk, würde ich sagen. Ich war immer schon alt, ich bin schon alt auf die Welt gekommen. Ich habe schon als Kind über den Tod gedichtet. Der war schon immer präsent bei mir. Ich hatte immer meine ernsten Augenblicke, auch wenn ich oft einen Spaß gemacht habe. In meinen Liedern geht es immer wieder um den Tod, ob die Lieder humorvoll, verniedlichend oder extrem sind, ist egal. Das Thema zieht sich durch.
Bist du deswegen beim Wienerlied gelandet?
Roland Neuwirth: Ich unterrichte an der Musikuniversität, ich habe einen Lehrauftrag, das mache ich jetzt seit 3 Jahren und ich habe daher über die Wiener Musik reflektiert. Das Wienerlied ist etwas sehr Barockes. Die wienerische und überhaupt die österreichische Lebensart ist eine barocke Lebensart. Aus dem vollen Leben schöpfend, aber immer im Angesicht des Todes. Oft handelt die letzte Strophe des Wienerliedes vom Tod, aber auf eine barocke Weise. Ein Bilderbuch-Tod, verniedlichend, um dem Tod den Schrecken zu nehmen. Die Morbidität des Wienerliedes ist erst mit H.C. Artmann zum Wienerlied gekommen, in der Nachkriegs-Lyrik. Wien war nach den Kriegen grau und fürchterlich. Daraus hat sich eine Morbidität herausgebildet, die hat es vorher nicht gegeben. Artmann hat den Dialekt phonetisch aufgeschrieben und er hat den Wiener Dialekt auf dieselbe Stufe wie jede andere Sprache gestellt. Artmanns Lyrik hat eine Kraft gehabt und war eine neue Art zu schreiben. Seit Artmann schreibt man im Dialekt anders.
Du hättest Anfang April eine Album-Präsentation gehabt, inwiefern betrifft dich die Corona-Situation?
Roland Neuwirth: Mich betrifft das nicht, ich bin ja sowieso immer mit mir alleine. Ich bin gerade am Land, bin nicht eingesperrt und kann mich frei bewegen. Ich lasse es mir gut gehen. Die Konzerte werden nachgeholt, wann auch immer. Aber ich muss ja vorher proben, das ist eher ein Problem. Ohne zu proben, möchte ich nicht auf eine Bühne gehen.
Geht es dir inzwischen gesundheitlich wieder besser?
Roland Neuwirth: Ich habe das inzwischen mit Medikamenten wieder im Griff, ich bin also wieder ganz normal. Sonst hätte ich die neue Platte nicht machen können.
Herzlichen Dank für das Interview.
Jürgen Plank
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Roland Neuwirth & Die Extremschrammeln
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