„Ich bin kein klassischer crowd-pleaser […]“ – FLORIAN STÖFFELBAUER (HEAP, NEUBAU) im mica-Interview

FLORIAN STÖFFELBAUER aka HEAP ist DJ, Musiker, Veranstalter und Betreiber des Labels „Neubau“, das er 2015 gemeinsam mit SIMON HEIDEMANN ins Leben gerufen hat und seit letztem Jahr mit dem Musiker FLORIAN BOCKSRUCKER weiterführt. Mit „Amour Propre” erscheint nun die erste EP des umtriebigen Musikers. Was ihn antreibt, warum er für weitaus mehr Gigs im Ausland als im Inland gebucht wird, welche Faszination von obskuren Demo-Aufnahmen früherer Dekaden ausgeht und wie wichtig es ist, sich stets auf Neue zu hinterfragen, erzählte der Musiker in einem Gespräch mit Shilla Strelka

„Neubau“, der Name des Labels, strahlt ja in diverse Richtungen aus. Sind Sie noch immer in Neubau, dem 7. Wiener Gemeindebezirk, stationiert? Oder wie kam es zu dem Namen?

Florian Stöffelbauer: Zum Zeitpunkt der Label-Gründung, wohnten Simon [Heidemann; Anm.] und ich tatsächlich noch beide in 1070 Wien. Die Auswahl des Label-Namens hat aber nur sehr begrenzt etwas damit zu tun. Ich mochte einfach die mehrschichtige Bedeutung des Wortes. Zum einen steht es für eine Gegend in Wien, zum anderen für neue Gebäude. Ich denke natürlich auch automatisch an die Einstürzenden Neubauten. Die Musik mögen wir natürlich, aber namenstechnisch haben wir uns gar nicht an ihnen orientiert.

Simon Heidemann, Florian Stöffelbauer (c) Archiv

An was wird denn gebaut?

Florian Stöffelbauer: Wir bauen an einem nationalen und internationalen Netzwerk, das Musikerinnen, Musiker und Musikbegeisterte, welche dieselben musikalischen Vorlieben haben, zusammenbringt.

„Ich würde von mir selbst behaupten, dass ich eher der Understatement-Typ bin.“

Der Sound des Labels zeichnet ein tendenziell düsterer Vibe und eine Vorliebe für minimalistische, tempo-gedrosselte Tracks aus, die zwischen Synth-Wave, Dub, Kosmische, Techno und Elektro pendeln. Meine Assoziationen zu „Neubau“ sind Eleganz, Stilsicherheit, Coolness und ein unerschrockenes Vertrauen darauf, dass weniger mehr ist. Würden Sie das ähnlich sehen?

Florian Stöffelbauer: Ihre Assoziationen sehe ich als tolles Kompliment und wenn das Label von außen so betrachtet wird, freuen wir uns natürlich darüber. Soundästhetik und Ästhetik sind mir jedenfalls sehr wichtig, dementsprechend gehe ich mit Ihrer Einschätzung d’accord. Ich würde von mir selbst behaupten, dass ich eher der Understatement-Typ bin. Vielleicht vertraue ich deshalb vermehrt auf Minimalistisches.

Begleitend zum Namen „Neubau“ liest man „Brutalism in Music“. Wie ist das zu verstehen?  

Florian Stöffelbauer: Das Wort „Brutalismus“ wurde vom französischen Wort „brut“ abgeleitet und hat eigentlich wenig mit dem deutschen Wort „brutal“ zu tun. Eher bedeutet es „grob, roh, ehrlich”, was dann meiner Meinung nach schon eher den „Neubau“-Sound widerspiegelt.

„Man muss wissen, dass man mit Vinyl-Releases faktisch nichts verdient […]“

Das Label gibt es seit 2015. Es erscheinen durchschnittlich vier Platten pro Jahr. Würden Sie gern mehr releasen oder hat die Verknappung auch einen positiven Wert?

Florian Stöffelbauer: Da wir sehr viel Wert auf Qualität legen, reichen uns vier Platten im Jahr. Zudem ist es auch eine Frage des Budgets und des finanziellen Risikos. Man muss wissen, dass man mit Vinyl-Releases faktisch nichts verdient, außer ein Release wird gehypt und man kann Unmengen eines Nachdrucks verkaufen. Von künstlicher Verknappung halte ich überhaupt nichts. Aber manchmal weiß man nicht, wie viele Copys sich verkaufen werden, und wir können kein allzu großes Risiko eingehen. Da presse ich dann lieber nochmal einige Stück nach, wie ich das schon bei BAU001, BAU003, BAU007, BAU008 und BAU009 getan habe.

Viele Labels bekommen den Großteil ihrer Kosten für die Plattenproduktion über Onlineverkäufe herein. Wären Online-Releases denn eine Option für Sie?  Wie beurteilen Sie diese Problematik als Labelbetreiber und DJ? 

Florian Stöffelbauer: Unser letzter Release von Nonetheless war zugleich das erste Album auf „Neubau“ und meine persönliche Platte des Jahres. Das gesamte Album gibt es auch auf Bandcamp, aber es ist nur komplett zu erwerben, weil ich finde, dass man die Leute manchmal zu ihrem Glück zwingen muss [lacht]. Die EPs werden weiterhin nur als Vinyls zu kaufen sein, weil man DJs immer noch Platten zumuten kann.

Klassische Reissues zu veröffentlichen […] ist mir zu einfach.“

„Neubau“ hat mit „Wiener Brut“ auch ein Sublabel, das seinen Fokus auf österreichische Musik der 1980er legt. Woher kommt das Interesse an diesen Reissues?

Florian Stöffelbauer: Das lässt sich darauf zurückführen, dass ich ein fanatischer Plattensammler bin! Ich bin aber gar nicht so an klassischen Reissues interessiert, die eins zu eins nachgepresst werden. Ich möchte den Leuten mit meinen Wiener-Brut-Releases etwas Neues bieten, das so noch nie veröffentlicht wurde. Deswegen frage ich die Künstlerinnen und Künstler, mit denen ich arbeite, immer nach Demos, die es nicht auf deren Platten oder Tapes geschafft haben. Klassische Reissues zu veröffentlichen wäre vom wirtschaftlichen Standpunkt her sicher intelligenter, aber das ist mir zu einfach.

Dann gibt es auch noch die Veranstaltungsreihe „Basic Rhythm“ und den gleichnamigen YouTube-Channel, in dem Sie Tracks aus den 1970er-, 1980er- und 1990er-Jahren posten. Das ist quasi ein kuratierter Kanal für schräge Nummern und vergessene Scheiben. Woher kommt diese Faszination für die Sounds der Vergangenheit?

Florian Stöffelbauer: „Basic Rhythm“ ist ein Freundschaftsprojekt von Mr. Ho, Walter Daniel [Paul Ebhart; Anm.] und mir. Wir haben einander immer wieder obskure Musikfunde gezeigt und wollten das ab einem gewissen Punkt mit allen Leuten teilen. Deswegen haben wir den Channel gestartet. Leider haben wir mittlerweile unverhofft ziemlichen Einfluss auf die Onlinepreisentwicklung der Platten, die wir vorstellen, erlangt. Es gibt dann Leute, die das ausnutzen und online gezielt diese Platten kaufen und dann teurer weiterverkaufen. Dieser Vintage-Plattenmarkt gleicht sich immer mehr der allgemeinen Gesellschaft an. Es werden künstlich Hypes kreiert, um schnell Geld zu machen. Darum weiß ich nicht, ob wir das weiterführen werden. Vielleicht in einer anderen Form.

Paul Ebhart, Florian Stöffelbauer (c) Archiv

Und den Onlineshop „Discus Throwers“ betreiben Sie auch. Worin bestand der Anreiz, diesen Shop zu gründen, und worauf spezialisieren Sie sich?

Florian Stöffelbauer: Der Onlineshop wird in Zukunft immer mehr in den Hintergrund rücken, da ich mich auf das Label konzentrieren möchte. Damals habe ich den Shop gegründet, weil es in Wien schwierig war, bestimmte Platten von kleineren Labels zu bekommen. Deshalb habe ich es einfach selbst in die Hand genommen, den Wiener Musik-Nerds eine spezielle Auswahl an Platten zu bieten.

In Österreich interessiert sich fast niemand für mich.“

Es ist eher selten der Fall, dass ein lokaler DJ auch mal außerhalb seiner Stadt wahrgenommen wird. Anders bei Ihnen: Sie spielen ja relativ oft im europäischen Ausland. Wie lassen sich die Bookings erklären? Läuft das über bestehende Netzwerke?

Florian Stöffelbauer: Am Anfang wurden die Leute wegen „Discus Throwers“ auf mich aufmerksam. Danach wurde ich eingeladen, Mixe für Podcast-Serien aufzunehmen. Dadurch konnten auch Interessierte aus dem Ausland meinen Sound auf SoundCloud entdecken. Als ich das Label gestartet habe, ging alles noch ein bisschen schneller. Dann greift wohl auch die altbewährte Mundpropaganda. Übrigens habe ich im Jahr 2018 fast 90 Prozent meiner Gigs im Ausland gespielt. In Österreich interessiert sich fast niemand für mich.

„Ein DJ sollte auf seiner künstlerischen Freiheit beharren, deshalb spiele ich, was ich will.“

Wie sind Sie eigentlich zur Musik gekommen? 

Florian Stöffelbauer: Musik begleitet mich schon fast mein ganzes Leben. Ich habe mit sieben Jahren begonnen, Schlagwerk zu lernen, und habe mehr als zehn Jahre lang die Musikschule besucht. Als ich nach Wien gezogen bin, konnte ich mein Schlagzeug nicht mitbringen und ich musste mir eine Ersatzbeschäftigung suchen, weswegen ich mit dem Sammeln von Platten begonnen habe. Das eine führte zum anderen und schon spielte ich meine Musikkäufe vor Publikum.

Die Musik spiele ich eigentlich vorrangig für mich selbst. Ich bin kein klassischer crowd-pleaser und schon gar nicht akzeptiere ich Musikwünsche. Ein DJ sollte auf seiner künstlerischen Freiheit beharren, deshalb spiele ich, was ich will. Manchen Leuten gefällt es, anderen nicht, aber das nehme ich in Kauf, um den Spaß daran zu behalten. Dass ich immer wieder für Auftritte angefragt werde, zeigt, dass es funktioniert, was mich natürlich sehr freut.

Ihre DJ-Sets sind ein Potpourri unterschiedlichster Genres. Obskure Nummern diverser Dekaden und Kuriositäten aus aller Welt treffen hier auf aktuelle Techno- und Wave-Tracks. Sie legen Vinyl auf, oder? Wie leidenschaftlich muss man als Sammler sein, um zu solchen Mixe zu kommen?

Florian Stöffelbauer: Ich investiere sehr, sehr viel Zeit in die Auswahl meiner Musik und bin super picky. Ich will auch immer etwas Neues bringen, das würde ich fast als krankhaft bezeichnen, aber ich will es mir auch nicht zu einfach machen. Was ich aber auch sagen muss, ist, dass ich viel Musik durch Freundinnen und Freunde entdecke. Die meisten DJs vermarkten das dann als deren eigene „Entdeckungen”, aber so ist das nicht. Es gibt immer jemanden, der die Platte oder den Track schon vorher kannte oder gespielt hat.

Worin besteht für Sie der Anreiz im Zueinanderfügen unterschiedlicher Genres? Das ist ja etwas, was Ihre Sets auszeichnet, dass Sie die unterschiedlichsten Kontexte aufmachen.

Florian Stöffelbauer: Ich langweile mich, wenn ich ein Set höre, dass auf ein Genre und ein paar Subgenres begrenzt ist. Deswegen würde ich selbst auch nie so ein Set spielen, mein Anspruch ist ein anderer. Ich will für Überraschungen sorgen und die Hörerinnen und Hörer fordern.

„Generell denke ich sehr analytisch […]“

Sie sind vorwiegend als DJ aktiv und haben diesen Monat mit „Amour Propre“ ihre erste EP herausgebracht. Reflektiert ihre Tätigkeit als DJ zurück auf Ihr Musikschaffen? Das viele Auflegen und Querhören machen ja etwas mit der eigenen Wahrnehmung. Fällt es da leichter oder schwerer, den eigenen Sound zu finden?

Florian Stöffelbauer: Ich denke, das viele Auflegen beeinflusst meinen Geschmack. Und die eigene Musik besteht aus Elementen und Sounds, die mir gut gefallen. Zum Schluss muss auch der Gesamteindruck passen. Ich orientiere mich weniger an anderen Künstlerinnen und Künstlern, sondern mehr daran, was mir selbst gefällt. Aber das Auflegen beeinflusst auf jeden Fall meine Herangehensweise an die Arrangements. Ich möchte die Arrangements möglichst funktional gestalten, ohne aber den Flow und den Gesamteindruck eines Stücks zu opfern. Generell denke ich sehr analytisch, was wohl meiner Ausbildung geschuldet ist.

Was haben Sie denn gelernt?

Florian Stöffelbauer: Ich habe in einer HTL die Matura gemacht und danach angefangen, technische Physik zu studieren.

„Der Unterschied besteht in der Arbeitsweise, weniger im Sound.“

Seit wann produzieren Sie und welche Tools und Maschinen kommen zum Einsatz?

Florian Stöffelbauer: Ich habe mich ab Anfang 2015 mit Ableton beschäftigt. Als ich gemeinsam mit meinem guten Freund Mr. Ho [Michael Ho; Anm.] angefangen habe, Musik zu produzieren, konnte ich unglaublich viel von ihm lernen. Dafür bin ich sehr dankbar. Mittlerweile habe ich mir eine Roland TR-606 und eine Vermona DRM Vintage angeschafft, die aber selten zum Einsatz kommen, weil mir das Geld für das restliche Set-up fehlt. Weil ich aber trotzdem Musik machen wollte, habe ich sehr viel mit Ableton experimentiert, bis ich die Sounds erzeugen konnte, die ich mir vorgestellt habe. Ich finde, in der Debatte Hardware vs. Software bzw. analog vs. digital geht es eigentlich nur um den Workflow. Der Unterschied besteht in der Arbeitsweise, weniger im Sound. Auch digital kann ich so lange herumexperimentieren, bis es gut und warm klingt. Dafür hassen mich jetzt wahrscheinlich alle Hardware-Nerds [lacht].

Florian Stöffelbauer (c) Privatarchiv

Ihren Produktionen wohnt eine gewisse Nostalgie inne. Gibt es Referenzsounds oder vielleicht auch eine gewisse Stimmung, die Sie evozieren möchten?  

Florian Stöffelbauer: Für meine Produktion trete ich ohne konkrete Vorstellung an die Arbeit heran. Ich versuche, offensichtliche Referenzen zu Werken von anderen Künstlerinnen und Künstlern zu vermeiden. Wenn, dann entstehen diese Parallelen unterbewusst. Meist experimentiere ich so lange herum, bis ich mit den verschiedensten Elementen einen eigenständigen Sound erzeugen kann, der sich von anderen Techno- und Wave-Produktionen abhebt.

Das stelle ich mir sehr schwierig vor, weil sich Clubmusik ja meistens an bestehenden Sprache orientiert. Wie kann so etwas gelingen? Muss man sich da nicht selbst ständig unter Beobachtung stellen? 

Florian Stöffelbauer: Ich hinterfrage mich jeden Tag aufs Neue, das gilt natürlich auch für die Zeit, in der ich Musik mache. Genauso analysiere ich mein erarbeitetes Ergebnis nach der investierten Zeit. Das gilt aber für alles, was ich mache, mir hilft diese Arbeitsweise, ich denke, dass das für jede und jeden Einzelnen verschieden ist, ich fühle dahingehend keine Blockade.

„Mein Körper reagiert viel besser auf langsame Musik […]“

BPM bestimmen ja auch, wie die Tracks auf den Körper wirken, welcher Puls sich einstellt. „Neubau“ ist generell eher gelassen, der Sound hat in gewisser Weise etwas Entschleunigendes, Hypnotisches.  

Florian Stöffelbauer: Die um 90 BPM herum angesiedelten Releases auf „Neubau rühren wohl von unserem Faible für langsame Beats her. Mein Körper reagiert viel besser auf langsame Musik und ich kann das auch beim Tanzen besser zum Ausdruck bringen als bei Musik jenseits der 120 BPM. Das ist aber auf jeden Fall eine Frage meines persönlichen Geschmacks und schließt auch nicht aus, dass wir schnellere Musik releasen, wie wir es auch schon getan haben.

Es gibt ja in Europa einige Anlaufstellen für diese Art von Sound. Vom Düsseldorfer Salon des Amateurs über Dekmantel in Amsterdam bis zum kroatischen Lighthouse Festival. Was hat Wien anzubieten? Welche Orte gibt es? Welche Plattformen? 

Florian Stöffelbauer: Wien hat in vergleichbarer Größe zu den oben genannten Projekten leider nichts anzubieten. Kleinere Plattformen schaffen wir uns selbst, wie zum Beispiel die guten Leute von NNNN  [Samo Zeichen, Li Falkensteiner, Paul Uhlmann und Flo Bocksrucker; Anm.], Hertz & Phon, Paranoia Picknick, Контакт etc. beweisen.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Shilla Strelka

Termine:
5. April – Alternative Fakten, Import Export, München
26. April – Heap & Bocksrucker (Neubau), donaufestival, Krems
27. April – Klubnacht mit Heap & Daniele Cosmo, Dampfzentrale Bern,
9. August – Digital Tsunami Camp 2019, Litauen

Links:
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Discus Throwers (Website)