„ICH BIN JA AUCH STÄNDIG AUF DER SUCHE NACH STÜCKEN, DIE IN MIR DIESES KRIBBELN ERZEUGEN.“ – VALERIE FRITZ IM MICA-INTERVIEW

Die Tiroler Cellistin VALERIE FRITZ vereint in eigenen Konzertprogrammen und Aufführungsformaten ihr Interesse an Vielfältigkeit. Sie sucht den tiefgründigen Austausch mit Musiker:innen und Komponist:innen (zuletzt im Stück Hochwald von Georg Friedrich Haas) und nach Möglichkeiten der Vermittlung zeitgenössischer Werke und Werte. VALERIE FRITZ wurde aktuell von sechs Konzerthäusern – darunter der Musikverein Wien sowie die Elbphilharmonie – als ECHO Rising Star nominiert und wird in der Saison 2025/26 mit einem Soloprogramm aus klassischen und zeitgenössischen Werken in Europas Konzerthäusern zu hören sein.
Nach dem Abschluss ihres Studiums an der Universität Mozarteum Salzburg bei Clemens Hagen wird sie als freischaffende Musikerin weiterhin international von ihrem künstlerischen Zentrum Innsbruck aus agieren. Dort kuratiert sie als Leiterin der IGNM Sektion Tirol die Konzertreihe noiz//elektrorauschen, eine Veranstaltungsreihe für elektroakustische Musik. Mit Michael Franz Woels sprach sie über die Geisterstunde der Neuen Musik, über nicht immer angebrachten Applaus und das Innen-Lebewesen ihres Instruments.   

Deine Mutter hat dir schon mit acht Jahren ein performatives Cello-Stück mit dem Namen Geisterstunde geschrieben. Hat damit dein Weg in Richtung Neuer Musik begonnen?

Valerie Fritz: Meine Mutter hat damals meiner Schwester und mir Stücke für den Jugendmusikwettbewerb prima la musica geschrieben. Eine Anforderung für diesen Wettbewerb ist die Auswahl eines Stückes aus dem Bereich Neue Musik. So entstanden performative Werke, die wir dann auch mehrmals aufgeführt haben. Damals habe ich diese Trennung zwischen Neuer und klassischer Musik noch nicht so stark gespürt, die ich leider heutzutage bei vielen Menschen viel stärker wahrnehme – vor allem auch an den Universitäten. Ich war einfach immer schon neugierig auf Musik jeder Art und möchte nicht Expertin oder Spezialistin für einen Bereich sein. Eine Musikerin, die ausschließlich Klassik spielt, bezeichnet man selten als „Spezialistin für klassische Musik“. Die Klassik ist immer die Norm, von der ausgegangen wird, dabei ist meine Herangehensweise an ein Stück immer die gleiche, egal ob neu oder alt.

ICH WAR UND BIN AUF DER SUCHE NACH GLEICHGESINNTEN MENSCHEN, MIT DENEN ICH GEMEINSAM NEUE WEGE GEHEN KANN.“

Das verstärkte Interesse an Neuer Musik kam mit Beginn meines Studiums. Ich habe mehr Freiraum für meine eigenen Ideen und Gedanken gesucht. So begann ich, meine Fühler auszustrecken und eine Community zu suchen, in der ich mich wohl fühle. Die habe ich dann bei den Komponist:innen am Mozarteum gefunden, mit denen konnte ich gute Gespräche führen. Schon mit Anfang Zwanzig bin ich aus Eigeninteresse zu den Darmstädter Ferienkursengefahren und habe mich selber, meine Ansichten und Überzeugungen immer wieder hinterfragt. Ich war und bin auf der Suche nach gleichgesinnten Menschen, mit denen ich gemeinsam neue Wege gehen kann:

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Ein viel bemühter Begriff bei der Charakterisierung von Bühnenmusiker:innen ist die sogenannte Authentizität. Machst du dir darüber als performativ agierende Musikerin auch öfter Gedanken?

Valerie Fritz: Ich denke eher darüber nach, was einen Menschen eigentlich unauthentisch macht. Wie kann jemand im Publikum das Gefühl haben: „Diese Künstlerin ist unauthentisch. Ich habe noch keine Antwort auf diese Frage. Mir ist zum Glück noch nie Unauthentizität vorgeworfen worden, ganz im Gegenteil. Schon als Kind ist mir oft gesagt worden, dass ich eine besonders starke Ausstrahlung auf der Bühne habe. Ich versuche einfach – wie kann ich das richtig beschreiben – durchlässig zu sein, damit sich die Musik über meinen Körper auf das Publikum übertragen lässt und die Zuhörer:innen mein Musikerleben nachspüren können. Das Thema Authentizität geht aber natürlich weit über die Bühne hinaus. Die Präsenz – das Aufrollen des künstlerischen Lebens – auf Social Media ist so eine Debatte. Ich wehre mich mittlerweile bewusst, da zu viel mitzumachen und beschränke mich vor allem auf meine Website, auf die ich Wert lege und wie ein Portfolio ansehe. Ich denke nicht, dass es notwendig ist, zu sehen, wie ich in meinem Einspielzimmer nervös bin und mich auf den Auftritt freue. Außerdem habe ich das Gefühl, dass man mit solchen Social-Media-Auftritten selten Menschen außerhalb seiner Bubble erreicht. Am Ende sehen das dann vor allem wieder Musiker-Kolleg:innen und so wird ein noch größerer Leistungsdruck untereinander aufgebaut.

Du hast dich als Musikerin auch intensiver mit dem Thema zeitgemäßes Konzertdesign beschäftigt. Zu welchen Erkenntnissen bist du gekommen?

Valerie Fritz
Valerie Fritz (c) Thomas Schrott, himmel

Valerie Fritz: Ich bin kein sehr großer Fan von Konzertformaten, die zu sehr vom musikalischen Inhalt weggehen. Wenn zum Beispiel ein alternatives Konzerterlebnis in freier Natur auf einer Lichtung unter Sternhimmel stattfindet und dann ein Stück gespielt wird, das akustisch in diesem Rahmen nicht entsprechend umgesetzt werden kann, dann wünsche ich mich in solchen Momenten doch wieder zurück in einen Konzertsaal, in dem ich – der Etikette entsprechend – sitzend und konzentriert das Stück anhören könnte. Ich denke, man sollte bei der Konzeption von Konzertprogrammen immer überlegen, welchen Rahmen und Raum ein Werk braucht, um seine Wirkung entfalten zu können. Ich brauche in Konzerten auch nicht immer zusätzlichen außermusikalischen Kontext, wie zum Beispiel gesellschaftspolitische Themen,denn das hat für mich oft den Beigeschmack, dass die Musik allein nicht mehr genügen würde. Man muss auch aufpassen, dass man sich als Interpret:in nicht auf die Bühne stellt und etwas zu repräsentieren versucht, das man nicht wirklich intellektuell durchdrungen hat. Aber gemeinsam mit Partner:innen, mit Spezialist:innen zu außermusikalischen Themen kann man ein Konzert entsprechend zuschneiden und interessante Programme gestalten.

Gemeinsam mit Josef Haller und Andreas Trenkwalder organisierst und kuratierst du die Konzertreihe [nɔiz] // Elektrorauschen in Tirol. Wie konzipiert ihr die Veranstaltungen?

Valerie Fritz: Wir wollten in Innsbruck ein ganzjähriges Format schaffen, abseits von den Festivals, die punktuell und zeitlich zentriert sind. Ein neues Angebot mit einem Schwerpunkt an elektroakustischer Musik. Anfangs haben wir Locations wie Kletterhallen oder Schwimmbäder angeschrieben, aber dann schnell gemerkt, dass der Widerstand leider sehr groß ist, und sie keinen Bedarf haben, etwas abseits von Sport und Unterhaltung anzubieten. Gewisse Konzertorte haben sich mittlerweile bewährt und es gibt persönliche Verbindungen, wie zum Beispiel zum Verein Vogelweide, der aus ein paar engagierten Freiwilligen besteht, die einen konsumfreien Raum ohne Eintritt in einem Park anbieten und wir können heuer im Sommer das musikalische Nischenprogramm gestalten.

Hattest du als Musikerin eigentlich weibliche Vorbilder?

Valerie Fritz: Als Kind hatte ich eigentlich nicht irgendwelche großen Idole, und ich hatte auch nicht dieses eine Erweckungserlebnis bei einem Konzert eines:r berühmten Interpret:in, das viele Musiker:innen in ihrem Leben haben. Aber mir hat die Energie und Spielfreude im Jugendorchester der Europäischen Union, im European Union Youth Orchestra, mit denen ich mehrere Sommertouren gemacht habe, sehr gefallen, und diese Energie und dieses Spielfeuer suche ich am Leben zu halten. Ich bin ja auch ständig auf der Suche nach Stücken, die in mir dieses Kribbeln erzeugen und für die ich brenne und habe da schon eine Liste an Stücken im Kopf, die ich unbedingt lernen will. Man muss sich auf die Suche nach der Musik machen, die dieses Feuer beständig wieder entfacht.

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Kommen wir nochmal auf die, wie du es beschrieben hast, Durchlässigkeit beim Spielen, diese osmotische Körperlichkeit eines Musizierenden.

Valerie Fritz: Für mich hat das Cello-Spielen etwas stark Körperliches. Jedes Stück ist mit einer anderen Haptik verbunden. Es gibt viele moderne Stücke, die sehr grobmotorisch funktionieren und mit Rohheit mit dem Cello umgehen und ich liebe das. Und nicht selten werde ich nach Konzerten von Hörer:innen, die besorgt sind, dass ich mein Cello zerstören könnte, gefragt: „Tut das dem Cello nicht weh?Das passiert relativ häufig. Und darüber wundere ich mich immer, weil ich selbst ja am meisten Sorge um mein Instrument habe, denn ich werde ja nicht mein musikalisches Kapital zerstören. Aber natürlich tausche ich die Saiten und die Bogenhaare öfter aus als Kolleg:innen, die ausschließlich Klassik spielen. Anderseits liebe ich natürlich auch Stücke, die sehr viel Fingerspitzengefühl brauchen und mit ganz kleinen Nuancen von Klangfarben spielen. Ich mag die ganze Bandbreite und deshalb spiele ich auch so unterschiedliches Repertoire. Mich faszinieren die vielen Möglichkeiten, die das Cello bietet. Ein zusätzlicher Kitzel sind performative Elemente, wenn ich singen oder schauspielern darf.

DA HABE ICH ZU VIEL DEMUT VOR DEN UMSTÄNDEN, UNTER DENEN DAS STÜCK ENTSTANDEN IST.“

Valerie Fritz
Valerie Fritz (c) Thomas Schrott, himmel

Und noch etwas zum Thema Körperlichkeit. Vor ein paar Wochen habe ich ein neues Werk von Georg Friedrich Haas uraufgeführt. In diesem 40-minütigen Solostück singe und spreche ich auch sehr viel, und beim Höhepunkt des Stückes brülle ich auf der Bühne. Ich war nach Ende der Performance so mitgenommen von diesem körperlichen Vorgang und der Intensität dieser Musik, dass ich am liebsten ohne klassischer Verbeugung von der Bühne gegangen wäre und mit mir selbst sein wollte. Was hat dieses Stück gerade mit mir gemacht? Es gibt diese ergreifenden Werke mit so einer Tiefe. Ein paar Tage davor habe ich das „Quatuor pour la fin du temps“ von Olivier Messiaen aufgeführt. Am Ende des Stückes angelangt, spielt die Geige diese losgelöste Melodie und unter dem letzten Takt der Partitur steht: „Vollendet 1941 im Straflager Görlitz“. Danach fühlt es sich für mich einfach falsch an, nach den fünfzig Minuten, die das Stück dauert, aufzustehen und sich zu verbeugen und Applaus entgegen zu nehmen. Da habe ich zu viel Demut vor den Umständen, unter denen das Stück entstanden ist.

Wenn man auf der Landingpage deiner Website ganz nach unten scrollt entdeckt man einen ganz speziellen Raum

Valerie Fritz: Ich habe dieses Foto einem Freund von mir geschickt und er hat mich daraufhin gefragt, ob das die nächste Location für eine Veranstaltung meiner Konzertreihe wird. (lacht) Deshalb finde ich dieses Bild so toll, es steckt da so vieles drin. Das Bild hat mein Geigenbauer gemacht, als ich gerade mein Cello bei ihm hatte, um etwas richten zu lassen. Er hat mir ein Foto geschickt und gefragt, ob er den Stimmstock auch richten soll. Als ich diesen Raum in meinem Cello innen drin gesehen habe, wollte ich ein Foto dieser Art unbedingt auf meiner Website. Er hat dann den Stachel des Cellos abgeschraubt und den Cello-Innenraum auch mit Spezialbeleuchtung durch die F-Löcher des Cellos inszeniert. Übrigens, in Saiteninstrumenten gibt es ja immer ein kleines Knäuel mit Fusseln und Dreck. Der Abfall meiner Arbeit ist wie so ein kleines, weiches Lebewesen im Instrument, und das soll unbedingt da drinnen bleiben.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Michael Franz Woels

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Termine:

Ensemble WirkWerk
Freitag, 05. Juli 2024, 19:30 Uhr
Altes Kino, Landeck

Samstag, 06. Juli 2024, 19:30 Uhr
Waltherpark, Innsbruck

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Links:
Valerie Fritz
Valerie Fritz (music austria Musikdatenbank)
elektrorauschen
Ö1 SOUND ART: ZEIT-TON: Ein höllisch schweres Stück für eine singende Cellistin