Ihr neues Album hat für Mira Lu Kovacs die Farbe Dunkelrot. Wer Klänge gewohnheitsmäßig mit Farben assoziiert, kennt sich aus. Auch als Nicht-Synästhetiker:in bringt man die tiefe, sinnliche Farbe aber mühelos in Einklang mit den Songs auf „Please, Save Yourself“ (VÖ 8.11.2024, Play Dead Records/ink music). Drei Jahre nach ihrem letzten Album erzeugt Mira Lu Kovacs erneut eine hochsensible, gewohnt zarte, aber mit harter Kante versehene Klangwelt – feinfühlige Folk-/Popsongs, aus denen eine gelöste Gelassenheit spricht. Im mica-Interview erzählt die österreichische Künstlerin vom Pain Management, das dafür nötig war, von klanglichen Safe Spaces und warum sie ab und zu an ihrer Gitarre riecht.
Du bringst am 8. November ein neues Album heraus, das zweite unter deinem eigenen Namen. Aus dem Album strahlt eine gewisse Ruhe statt Rage, Reife statt Rastlosigkeit. Was sind die Grundemotionen, die dich angetrieben haben, dieses Album zu machen?
Mira Lu Kovacs: Ich bin immer noch wütend. Keine Sorge. Aber ich bin auf eine Art wütend, dass ich selbst von dieser Wut nicht aufgefressen werde. Und dadurch richtet sich die Wut an die richtigen Stellen. Sie zersetzt mich nicht von innen, wie Säure – darum ging es im letzten Schmieds-Puls-Album „Manic Acid Love“, wo ich das Gefühl hatte, ich zerspringe und explodiere wie ein Vulkan.Mittlerweile ist es so, dass ich sehr ruhig mit ineinander verschränkten Fingern dasitzen, jemanden anlächeln und innerlich verfluchen kann und währenddessen total „zen“ bin. Das mit der Ruhe ist vor allem so eine Gesetztheit. Wenn ich an vor zehn Jahren zurückdenke, dann war da schon sehr viel sehr schwer und furchtbar (lacht). Jetzt habe ich das Gefühl, ich kann mit Schmerz, Trauer und Wut, mit sehr vielen komplexen Gefühlen auch viel liebevoller umgehen. Weil ich weiß, es kommt in Wellen – und diese Wellen gilt es zu organisieren. Und die starken Gefühle darin zu erfassen. Es ist Pain Management, und das spiegelt sich im neuen Album wider.
Die Songs auf dem Album sind spannungsgeladen und entspannend zugleich, man fühlt sich irgendwie warm eingebettet in eine intime, introspektive Sphäre. Willst du mit deiner Musik eine Art „Safe Space“ für Zuhörer:innen kreieren? Und wenn ja, darf darin auch Schmerz und Irritation Platz haben?
Mira Lu Kovacs: Absolut. Also für mich kreiere ich diesen Safe Space definitiv. Im politischen Kontext würde ich sagen, ist es nicht möglich, zu behaupten, man kreiere einen Safe Space für andere, das können nur die Personen selbst entscheiden, ob sie sich sicher genug fühlen. Für mich ganz persönlich kann ich die Aussage treffen, dass ich mir, wenn ich Musik mache, diesen Raum schaffe, wo ich sage: Hier ist alles okay, hier erzähle ich meine Geschichte und drücke mein Gefühl aus. Auch damit ich das Gefühl selber besser verstehen kann.
Und ja, es wäre toll, wenn sich für andere Menschen ein Klang, ein Ton, ein Satz, ein Wort, ein ganzes Lied oder eine Melodie beruhigend und safe anfühlt und es ein Ort ist, an den man wieder zurückkommen möchte. Das ist das Tollste überhaupt an dieser Arbeit, wenn du merkst, es ist nicht nur für dich so, sondern auch für andere. Und darin aber auch unschönen Gefühlen wie Angst Platz zu geben – das ist vielleicht manchmal komplex, aber es gehört zusammen. Gleichzeitigkeiten muss man aushalten können. Die schauen sich an und die geben sich eigentlich die Hand.
Ein roter Faden in deinen bereits veröffentlichten Singles scheint mir das Thema „Grenzen“ zu sein, sei es im Sinne von verschwimmenden Grenzen in „Disappear“ oder gesunde Grenzen ziehen in „Please, Save Yourself!“ oder die Angst, Grenzen überschritten zu haben, in „Shut The Fuck Up and Let Go“. Stimmt das und wenn ja, warum ist dir dieses Thema so wichtig?
Mira Lu Kovacs: Grenzen setzen ist sicher seit einigen Jahren eine große Überschrift, auch seitdem das Thema „Mental Health“ medial immer präsenter wurde. Du hast recht, es kommt wirklich in allen Songs in verschiedenen Situationen vor, weil es überall so gegenwärtig ist. Es sind keine harten, bösen Grenzen: „Bis hierhin und nie wieder“. Manchmal braucht’s das zwar schon, aber in dem Fall geht es wirklich mehr um so ein sanftes, „Oh, das möchte ich nicht. Das mache ich nicht mehr. Da sage ich nichts dazu. Das möchte ich hingegen schon.“ Das sind so absolute Basics für Menschen. Ich habe das Gefühl, dass ich das erst in den letzten fünf Jahren so richtig gelernt habe.
Gehört das auch zur „Selbstrettung“ dazu, die du im Albumtitel und der Single „Please, save yourself“ ansprichst?
Mira Lu Kovacs: Dieser Song ist sehr speziell für mich. Ich habe mir in Wahrheit jahrelang überlegt, ob ich den veröffentliche, daher kann ich auch gewisse Sachen dazu gar nicht sagen. Das ist auch okay, glaube ich. Aber nur so viel: Es geht um häusliche Gewalt, es geht um Gewalt an Frauen. Ich möchte aber nicht, dass er falsch verstanden wird, weil ich zu Opfern von häuslicher Gewalt selbstverständlich nicht sage, rette dich einfach selber, hol dich einfach raus aus der Situation. Es geht hier viel mehr um eine Beziehung von mir zu jemandem anderen, den ich nicht retten kann. Nicht, weil ich nicht möchte und weil ich nicht die Skills dazu hätte, sondern weil es nicht geht. Man kann andere Menschen nicht retten, wenn sie das selber nicht wollen. Wenn du die Hand ausstreckst und sie wird nicht genommen, dann kannst du leider nicht mehr machen. Es geht um den Moment, wo man das erkennt und akzeptieren muss und dabei inständig hofft und auch unreligiöserweise betet, dass die Person es irgendwie schafft, sich selbst zu retten.
„Einfachheit kann hochkomplex sein.“
Die Songs am neuen Album sind hochsensible Popsongs mit starker Folkdimension und dennoch mischen sich wie so oft bei dir experimentellere Elemente (etwa aus Jazz oder elektronischer Musik) rein. Durch deine Musik ziehen sich, finde ich, seit jeher komplexe Strukturen bei gleichzeitiger Eingängigkeit – wenn du dich entscheiden müsstest, was imponiert dir mehr in der Musik: Komplexität oder Simplizität?
Mira Lu Kovacs: So wie das mit der Gleichzeitigkeit von Liebe, Ruhe, Wut und Angst in einem Raum ist, so ist es mit dem auch, habe ich das Gefühl. Aber nein, warte mal, vielleicht habe ich eine andere Antwort: Simplizität. Komplexität ist zum Denken, für mich persönlich. Sowohl Komplexität kann simple Strukturen haben als auch Simplizität kann hochkomplex sein. Für mich ist die Einfachheit der Dinge so vielschichtig, dass sie wiederum nicht einfach ist. Dinge wirken ja meistens nur in der ersten Reihe einfach. Ich würde sagen, die Einfachheit der Dinge kann mich schneller erwischen.
„Ich höre auf meine Stimme.“
Ich habe einmal gehört, dass du Rituale magst. Nutzt du auch Rituale, um Musik zu machen, oder um dich in einen Songwriting-, Recording- oder Performance-Modus zu bringen?
Mira Lu Kovacs: Bei Konzerten ist es total wichtig, dass ich auf keinen Fall später als drei Stunden vor dem Konzert esse, weil es nicht angenehm ist, komplett vollgepampft auf die Bühne zu gehen. Außerdem muss ich am Gig-Tag bis 12 Uhr 1,5 Liter Wasser getrunken haben, damit ich zu Mittag schon fertig hydriert bin (lacht). Mein Leben dreht sich um meine Stimme, damit die okay ist. Ich tue alles, was sie will. Ich gehe schlafen, wann sie will. Ich gehe nicht auf Feiern oder auf Treffen, die lange dauern, oder zu anstrengend oder laut sind, wenn sie das nicht will. Ich höre auf meine Stimme. Aber das ist nicht schwer. Ich bin ihr eigentlich dankbar. Ich wirke zwar sehr extrovertiert, bin aber eigentlich gerne allein. Von dem her ist sie eine gute Ausrede (lacht).
Du bist nicht nur seit Langem als Solokünstlerin erfolgreich, sondern spielst auch bei My Ugly Clementine, 5K HD und in anderen Kollaborationen mit namhaften Musiker:innen, schreibst Film- und Theatermusik. Wenn du dir noch ein künstlerisches Projekt erfüllen könntest, welches wäre es, was wäre da deine wildeste Vision?
Mira Lu Kovacs: Also ich sage dir das jetzt einfach so, damit es vielleicht auch weiter hinauskommt in die Welt. Ich sage nicht, dass ich gut drin bin, ich habe es auch nie wirklich ausprobiert – aber ich würde schon gerne mal Schauspielen. Die Leute sagen, ich bin ein Clown, das gefällt mir, weil ich traditionelle Clownerie ursuper finde. Ich bräuchte aber jedenfalls das richtige Projekt, die richtige Rolle und die richtige Betreuung, dass man das aus mir herausholen kann, weil ich mich dem noch nie so richtiggestellt habe. Ich fürchte, es müsste eine sehr subtile, spezielle Rolle sein – am liebsten im Film. Im Theater muss man so laut sein. Und da muss man so reden (spricht Theaterdeutsch). Das finde ich ein bisschen komisch (lacht). Ich wäre zum Beispiel gerne in einem Krimi – so eine Täterin, die einen Frauenmörder ermordet hat, eine Art Robin-Hood-Figur. Wenn das da draußen jemand hört, give me a chance und seid nicht böse, wenn ich es dann doch nicht gut kann (lacht).
„Instrumente haben immer versucht, die menschliche Stimme zu imitieren. Jetzt ist es umgekehrt.“
Deine Musik ist oft von akustisch-analogen Instrumenten getragen wie etwa der Akustikgitarre oder dem Kontrabass. Möchtest du damit in einer Ära der digitalen Musikproduktion, wo viele Sounds virtuell/digital erzeugt werden, ein Zeichen setzen?
Mira Lu Kovacs: Das ist kein bewusstes Statement. Ich bin natürlich ein Akustik-Fan. Ich liebe Holz. Ich liebe Holzinstrumente. Gitarren könnte ich auch einfach nur beschnüffeln den ganzen Tag, vor allem wenn sie alt sind. Aber ich finde es auch total bewundernswert, wenn jemand in Minuten krasse Beats basteln kann. Musikhistorisch ist es interessanterweise so, dass Instrumente, von der Geige bis zum Saxophon, immer versucht haben, die menschliche Stimme zu imitieren. Mittlerweile ist es fast umgekehrt. In modernen Produktionen, wenn alles sehr digital oder voll mit Synthesizern oder allen möglichen – ich sage jetzt mal – artifizielleren Klängen ist, habe ich das Gefühl, dass sich Analog und Digital gegenseitig imitieren wollen. Die geben sich ja wahnsinnig viel. Man merkt auch immer wieder bei elektronischen Bands, da kommt ein:e Saxophonist:in dazu oder sie holen Streicher:innen. Ich glaube, die brauchen einander. Da mache ich mir eigentlich keine Sorgen.
Du hast mit deinen verschiedenen musikalischen Formationen auch viel international gespielt. Wie steht deiner Erfahrung nach die österreichische Musikszene aktuell international da?
Mira Lu Kovacs: Eine Zeit lang habe ich sehr oft gehört, wie neidisch man in Deutschland auf die Wiener und österreichische Szene war, weil einfach so viel Qualität und Innovatives dahergekommen ist und auch sehr viele mutige Experimente. Ich glaube, es hat sich ein klein wenig eingependelt, aber nicht im Schlechten, sondern ich glaube, da kommen jetzt immer weitere Generationen von sehr talentierten und einfallsreichen Leuten. Wenn man kulturpolitische Dinge besprechen möchte, finde ich es relevant, anzumerken, dass die österreichische Musikszene definitiv ein größerer Markt geworden ist und dass sie dabei nicht nur in einer Bittsteller-Position ist. National ist das etwas, das sehr viel Wertschöpfung erzielt. Das muss anerkannt werden. Ansonsten habe ich das Gefühl, die Leute sind jetzt nicht mehr so „Australia? What? Austria? I only know Salzburg. Mozart?“ Falco kennen sie auch, aber mittlerweile geht das Wissen um die österreichische Musik eindeutig darüber hinaus. Und das ist gut so.
Vielen Dank für das Interview!
Florentina Finder
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Mira Lu Kovacs live – Album-Tour:
19.02.25 » Stadtsaal » Wien
26.02.25 » Dom im Berg » Graz
27.02.25 » Kammerlichtspiele » Klagenfurt
28.02.25 » Treibhaus » Innsbruck
28.03.25 » ARGEkultur » Salzburg
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