„HIP-HOP IST KEINE NEUE MUSIK” – TIAN FU IM MICA-INTERVIEW

Auch so eine Sache: Neue Musik. Muss man sich warmhören oder reinkommen, jedenfalls: einen Zugang finden zu Tönen, die Eingeweihte gerne mal mit wochenzeitungskritischer Miene verfolgen. Oder man macht es wie TIAN FU. Der Chinese in Salzburg baut Beats und komponiert Kunstmusik – nicht in Dr.-Jekyll-und-Mr-Hyde-Manier, sondern gleichzeitig: im selben Projekt. „The Story of Croche” (VÖ: 30. Mai 2024) ist Teil von TIANS Doktorat an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien. Und ein Album, das Neue Musik auch Leuten anbietet, die statt Zwölftontechnik lieber an den 16ern feilen.

Wer ist Tian Fu?

Tian Fu: Ich bin 2017 nach Österreich gezogen, um in Salzburg Komposition zu studieren. Seit 2020 mache ich mein Doktoratsstudium in Wien, in der Zwischenzeit betreibe ich verschiedene Projekte im Bereich Musik. 

Du bist in China aufgewachsen, richtig?

Tian Fu: Ja, ich habe auch viele gute Kindheitserinnerungen, aber: Die Tatsache, dass ich jetzt schon ein paar Jahre in Österreich lebe, hat mich verändert. Ich sehe die Unterschiede zwischen den beiden Kulturen. 

Welche Erinnerungen hast du?

Tian Fu: Es sind eher Gefühle, die sind aber schwer auszudrücken – ich weiß wirklich nicht, wie ich sie beschreiben soll.

Möchtest du darüber sprechen, wie du in China als Musiker angefangen hast?

Tian Fu: Ich habe in China nur meinen Master gemacht, damals aber noch nicht als professioneller Künstler gearbeitet. Als Teenager habe ich zwar einige Platten aufgenommen, aber das war nur zufälliges Herumspielen mit Sounds. Woran ich mich sehr gut erinnere, ist jedenfalls das Organisieren von Veranstaltungen mit meinen Freunden.

In deiner Heimatstadt?

Tian Fu: Ja, ich komme aus Hohhot, das ist eine kleine Stadt mit drei Millionen Einwohnern.

Klein.

Tian Fu live
Tian Fu live

Tian Fu: Für China natürlich. Jedenfalls ging es um 2005 los. Ich war in der Highschool und habe mit Freunden angefangen, Hip-Hop-Beats zu produzieren. So etwas wie eine Szene gab es in meiner Heimat allerdings nicht. Wahrscheinlich gab es die nicht mal in China. Unsere Generation war nämlich die erste, die die Hip-Hop-Kultur akzeptiert hat, weil wir sie an unsere Sprache angepasst haben, das heißt: Wir haben nicht einfach eine Kultur kopiert, wir haben unsere eigene gegründet. Die allerersten Platten, die wir herausgebracht haben, waren auch ziemlich underground – wir haben unsere eigenen CDs gemacht und sie auf Konzerten verkauft. Und eine Menge Leute begannen sich dafür zu interessieren. 

Ihr habt eine neue Kultur gemacht?

Tian Fu: Ich denke schon, auch wenn die Adaption von Hip-Hop in China etwas früher, in den 1990er Jahren, begann – an verschiedenen Orten, vor allem in den großen Städten wie Peking oder Shanghai. In Hohhot war Hip-Hop allerdings vor uns niemandem bekannt. 

„FÜR MICH WAR IMPORTIERTE MUSIK EINE EINZIGARTIGE QUELLE.”

Was hat dich zu Hip-Hop hingezogen?

Tian Fu: Ich habe als Teenager Popmusik gehört und versucht, meine eigene Identität in dieser Popkultur zu finden. Da ich anders und besonders sein wollte, begann ich aber, in Plattenläden nach einzigartiger Musik zu suchen. In China gab es ein Phänomen namens Dakou. Dabei handelte es sich um importierten Plastikmüll aus Übersee, wie alte CDs und Kassetten. Viele waren tatsächlich Müll, andere konnten aber noch abgespielt werden. Manche Leute verkauften sie dann illegal – für mich war diese importierte Musik eine einzigartige Quelle.

Das war in deiner Teenagerzeit?

Tian Fu: Ja, Dakou war ein Phänomen in den 1990ern und verschwand Anfang der 2000er. Damals hatte sich mein Musikgeschmack schon weiterentwickelt. Ich hörte Rockmusik und stolperte über Linkin Park. Die waren für mich wichtig, weil ich merkte, dass man Rock mit Rap mischen kann. Zur gleichen Zeit entdeckte ich auch diesen chinesischen Sänger, Jay Chou – er machte Pop mit Hip-Hop-Einflüssen. Damals kannte ich diese ganze Kultur um Hip-Hop ja noch nicht, aber ich fühlte etwas für sie. Also habe ich versucht, mehr davon zu finden. 

Zum Beispiel?

Tian Fu: Will Smith, der brachte ja neben Filmen auch Platten raus. Ich bin immer tiefer in diese Kultur eingetaucht, habe die Musik von Eminem und 50 Cent und 2Pac gefunden.

Alles amerikanische Rapper mit englischen Texten. Wie bist du dazu gekommen, auf Mandarin zu rappen?

Tian Fu: Mir wurde nach der Highschool klar, dass ich Musik studieren will, um mein Interesse für das Produzieren von Beats zu vertiefen. Also habe ich mich an einer Musikhochschule in Peking beworben, mich aber irgendwie in der Kompositionsabteilung eingeschrieben. Sie haben mich genommen – und es war ganz anders, als ich es erwartet hatte. Trotzdem: Die Erfahrung hat mir neue Türen geöffnet. Hip-Hop ist schließlich keine Neue Musik. Ich kam in eine Szene, die als hohe Kunst galt und gilt. Musik wird hier anders betrachtet als in jener Szene, aus der ich kam. Dann habe ich angefangen, meine eigene Geschichte auszulöschen.

Wie meinst du das?

Tian Fu: Ich habe meine Musik plötzlich als einfach betrachtet, einfach weil ich mich in Kreisen der hohen Kunst bewegte. Erst als ich nach Österreich kam, merkte ich, dass ich dadurch etwas verloren habe. Ich wollte wieder Beats machen. Einfach zum Spaß. Also habe ich mir eine Maschine gekauft und angefangen, genau das zu tun. Es ist zwar offensichtlich, aber ich habe gemerkt: Beats zu bauen ist ein ganz anderer Prozess als das Komponieren in der Neuen Musik. 

Was macht es so anders?

Tian Fu: Wenn ich komponiere, fühlt es sich immer so ernst an. Wenn ich hingegen Beats mache, entspanne ich mich und folge meiner Intuition. Mein Doktoratsstudium hat mir ermöglicht, das Komponieren und Beatmaking zusammenzubringen. Es ist ein Programm für artistic research, mit dem ich auch meiner Identität hinterherforsche.

Indem du deine Roots im Hip-Hop mit deiner Ausbildung in Neuer Musik gegenüberstellst?

Tian Fu: Genau, ich habe angefangen auszutesten, wie weit ich gehen kann. Das ist eine Herausforderung, denn: Ich muss einen Weg finden, beide Ästhetiken auszugleichen. Deshalb fing ich an, über ihre Unterschiede nachzudenken, zum Beispiel: Wie bewerte ich einen Beat aus verschiedenen Perspektiven? 

Wie machst du das?

Tian Fu: Ich habe viele Experimente gemacht: poetische Texte ohne konventionellen Rap-Flow geschrieben, Beats, die nicht auf Loops basieren, produziert. Dadurch habe ich gemerkt, dass es möglich ist: Musik zu komponieren, die sich von zeitgenössischer Kunstmusik unterscheidet, ohne dem Mainstream-Hip-Hop zu ähnlich zu sein. 

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Ich hab mir das Album angehört und gedacht: Du machst Neue Musik tatsächlich zugänglich.

Tian Fu: Ich habe Feedback von verschiedenen Seiten bekommen, jemand sagte: Deine Musik ist komplex, das muss man erstmal verdauen. Jemand anderes sagte: Oh, es ist wunderschön, man kann sich ganz leicht darauf einlassen! Meine Peers aus der Abteilung für Komposition versuchen außerdem immer, die klangliche Logik zu finden, während die Hip-Hop-Leute meine Texte interessanter finden als die Musik.

Du hast dein Doktorat schon erwähnt, welchen Anteil hat das Album?

Tian Fu: Ich versuche damit, den Prozess zu reflektieren und die Entscheidungen, die ich getroffen habe, zu bewerten. Das ist gar nicht so einfach, denn man muss die Szene kennen, oder besser gesagt: Man muss in der Szene sein, was bedeutet, dass ich mich in zwei Szenen gleichzeitig bewegen muss. Selbst dann ist es schwierig. Ich bin nämlich nicht zufrieden mit dem klassischen Fusion-Ansatz. Außerdem will ich nicht einfach Materialien aus beiden Bereichen kombinieren

Warum? 

Tian Fu: Weil man die wahre Bedeutung des Materials kennen sollte. Weil man also wissen muss, woher es kommt und was es braucht, um es herzustellen. Dasselbe gilt für das, was manche transkulturelle Komposition nennen. Man könnte natürlich sagen: Ich bin Komponist, ich kann alles sammeln, was ich will, um damit meine eigene Kunst zu komponieren. Ich aber meine: Das ist nicht fair gegenüber dem Objekt! 

Bild Tian Fu
Tian Fu (c) Ale Borea

Um es zu behandeln, muss man also seine Sprache sprechen?

Tian Fu: Es muss zumindest auf die technische Perspektive zurückgehen: Wenn man von Sampling spricht, bedeutet das, dass man über Hip-Hop spricht. Wenn man von Sound-Collage spricht, befindet man sich im Kontext der hohen Kunst. 

Auch wenn es im Grunde dasselbe ist …

Tian Fu: Aber: Die Bewertung fällt im jeweiligen Kontext anders aus. Deshalb pendle ich zwischen den beiden Bereichen und versuche, die richtige Position in beiden zu finden. 

Wie geht das?

Tian Fu: Indem ich keinen der Gedanken verwerfe, über die ich während meines kreativen Prozesses stolpere. Offenheit ist in der heutigen Zeit das Allerwichtigste, besonders wenn man Kunst macht.

„ICH LASSE DIE MUSIK EIN PAAR TAGE LIEGEN. DANN WEISS ICH ES.”

Das kann man leicht vergessen. Wie erinnerst du dich daran?

Tian Fu: Ich habe keine gute Strategie. Manchmal sind meine Einschätzungen nicht perfekt, zumindest denke ich das dann.

Du bist nicht zufrieden? 

Tian Fu: Oft nicht, aber dann lasse ich die Musik ein paar Tage liegen. Danach weiß ich es.

Die Zeit richtet es also?

Tian Fu: Ja, weißt du, ich bin ein Fan von „Three-Body Problem”, diesem Science-Fiction-Roman, den Netflix zu einer Serie gemacht hat. Das Album ist von dem Gedanken der Geschichte beeinflusst, also: wie man die menschliche Zivilisation aus einer anderen Perspektive sehen und eine andere Story erzählen kann. Das versuche ich durch meine Musik zu erzählen.

Ich denke an Beats mit futuristischen Ninja-Samples, das war in den 1990ern bei US-Producern ein thing.

Tian Fu: Genau, auch sie haben damit eine Geschichte erzählt. Bei mir ist es nicht anders. Alle Elemente dienen dem Storytelling. Ich frage mich also: Wie setze ich die Musik ein, um die gleiche Geschichte wie in meinen Texten zu erzählen, weil: Sollte Musik nicht immer eine Geschichte erzählen?

Danke für deine Zeit!

Christoph Benkeser 

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Links:
Tian Fu (Homepage)
Tian Fu (Bandcamp)