Die Orchester: Wiener Symphoniker, Philharmonia Orchestra und das RSO Stuttgart. Nicht zu vergessen die Solisten: Der bereits international renommierte Pianist Christopher Hinterhuber (mit Strawinski und Haydn); Mitsuko Uchida, seit 1972 in London lebende große japanische Pianistin “Wiener Blutes” (derzeit eigener Konzertzyklus im Konzerthaus, mit Schönbergs Klavierkonzert); Die aus Moldawien stammende, überall begehrte und vielbeschäftigte Geigerin Patricia Kopatchinskaja (mit Strawinskis Violinkonzert). Und: Roger Norrington feierte am 16. März den 75. Geburtstag.
Der hörenswerte Reigen begann am Freitag mit den Symphonikern unter Cambreling (immer noch Erster Gastdirigent des Klangforum Wien, seit 1999 Chef des SWR- Sinfonieorchesters Baden-Baden und Freiburg). Auf dem Programm stand eingangs Strawinskis “Agon”, eine Ballettmusik für den Choreographen George Balanchine (1953-57 entstanden). Mit “Agon” überschritt der in vielen Stilen heimische Zar Igor wohl endgültig den “Rubikon” – so nannte es Roman Haubenstock-Ramati einmal in einem Beitrag für Wien modern. Gemeint ist damit, dass diese Musik in Form einer Suite von fünfzehn kurzen Einzelsätzen sich bereits von der als neoklassizistisch bezeichneten (noch bei der Oper “The Rakes’s Progress”, 1951) entfernt hat und sich schließlich der “Zwölftontechnik” zuwendete. Als Wendepunkt in seiner Musik bezeichnete Strawinski selbst die “Mouvements” für Klavier und Orchester von 1951 (dem Todesjahr Arnold Schönbergs). Sie unterliegen völlig reihentechnischen Gesetzen.Früher, viel früher entstand das “Cappriccio” für Klavier und Orchester (1928/29, rev. 1949), mit dem Christopher Hinterhuber wirklich brillierte. Strawinsky hatte es einst selbst als Pianist auf Schallplatte eingespielt, mit dem Dirigenten der Uraufführung in Paris, Ernest Ansermet – einem großen Dirigenten der modernen Musik und langjährigen Mitstreiter.
Nach der Pause dann Haydns vor 1784 komponiertes B-Dur-Klavierkonzert mit dem wunderbaren “Rondo all’Ungarese” als Schlusssatz, das Hinterhuber ebenfalls bezwingend spielte. Die Interpretation im Gesamten hielt sich etwas zu peinlich daran, dass Haydn damals noch kein Hammerklavier (“Pianoforte”) besaß – auf dem Beethoven dann brillierte, die Uraufführung war vermutlich auf einem Cembalo, dessen Tonumfang bereits etwas größer ist als der eines ebenfalls als “Clavier” gebräuchlichen Orgel-Manuals. Sei´s drum. Mir ist auch eine sehr schöne und zigeunerisch beschwingte Interpretation von Paul Gulda vor etlichen Jahren in Eisenstadt bei einem Programm “alla zingarese” erinnerlich.
Cambrelings Interpretation der Symphonie Nr. 88 (G-Dur) – einem erklärten Lieblingsstück großer Dirigenten des 20. Jahrhunderts, etwa Wilhelm Furtwänglers – konnte nicht ganz so fesseln: Zu schnelles Allegro im ersten Satz, zu langsam, verschleppt und wörtlich verstandenes Largo des zweiten. Dieses Largo ist durch seine Obstinanz des ständig wörtlich wiederkehrenden, aber ungemein originell und effektvoll immer wieder neu figuriert umspielten Themas eine Musik, wie nur Haydn sie erfinden konnte.
Schönberg und Mahlers Neunte – und das Jahr der Wende 1908/09
Markus Hinterhäuser (Musikchef der Salzburger Festspiele) wies im Einführungs-Gespräch des Konzertes am Sonntag (mit Peter Reichelt, seit Dezember 2007 Dramaturg im Wiener Konzerthaus), genau auf diese Schwierigkeit hin, etwa Haydn im Unterschied zu Mozart, dessen Musik fast immer vokal inspiriert ist, oder Schönberg gegenüber Alban Berg zu “verstehen”.
Im Jahr 1908 vollzog sich in Wien mit Schönbergs Zweitem Streichquartett, aber auch Mahlers letzter vollendeter Symphonie Nummer 9 eine musikhistorische Wende, ist Hinterhäuser überzeugt. Von 1908 an ist Schönbergs Musik nicht mehr im herkömmlichen Dur-Moll-tonalen System anzusiedeln, das heißt, ab diesem Zeitpunkt (2. Streichquartett) ist seine Musik frei-atonal. Die im 3. und 4. Satz dem Instrumentalpart hinzugefügte Sopranstimme (Worte: Stefan George) rezitiert: “Ich fühle luft von anderem planeten”.
1909 komponierte Gustav Mahlers nach dem “Lied von der Erde” die Neunte, die in Wien erst postum 1912 unter Bruno Walter, einem treuen (auch Brief-) Freund uraufgeführt wurde. Strawinski hatte seine Ballette L’Oiseau de feu (Der Feuervogel) (1910), Petruschka (1911) und das bahnbrechende Le sacre du printemps (1913) noch gar nicht geschrieben.
Auf noch ein zwischen 1906 und 1908 – in den USA – entstandenes Stück verwies Hinterhäuser: Charles Ives’ “Unanswered Question”: Siebenmal gibt die Trompete zunächst ein kurzes Motiv vor, das Ives als “die ewige Frage der Existenz” beschrieb. Sechsmal suchen die Flöten eine Antwort – immer anders und immer schroffer. Am Ende jedoch bleibt die Frage unbeantwortet.
Schönbergs Konzert für Klavier und Orchester – grandios dann gespielt von Mitsuko Uchida, die sich immer wieder für das 1942 entstandene Werk einsetzte (auch zusammen mit Pierre Boulez, der Anfang der fünfziger Jahre in Bezug auf die Weiterentwicklung der Neuen Musik sagte “Schönberg ist tot .”) – ist gegenüber etwa den Gurreliedern, gar der “Verklärten Nacht” bei Schönbergs Werken beim Publikum zu Unrecht lange im Hintertreffen gestanden. Sein Klavierkonzert wurde 1944 in New York unter der Leitung von Leopold Stokowski, mit Eduard Steuermann als Solist uraufgeführt.
Schönberg im kalifornischen Exil (Lehrtätigkeit an der University of California in Los Angeles”) nimmt auch in seinem Klavierkonzert Bezug auf die europäischen Ereignisse der Zeit. Es ist keine “Programmmusik” im üblichen Sinn des Wortes, doch Schönberg fügte der Partitur einen Zettel mit (nicht veröffentlichten) Notizen bei, um die vier zäsurlos verbundenen Abschnitte näher zu beschreiben, wobei die Anspielungen auf Schönbergs Leben in Wien und Berlin vor der NS-Zeit unverkennbar sind:
Das Leben war so leicht (Andante)
Plötzlich brach Haß aus (Molto allegro)
Eine ernste Situation entstand (Adagio)
Aber das Leben geht weiter (Rondo giocoso)
“Die Abschnitte sind aus einer einzigen Zwölftonreihe entwickelt”, heißt es im Programmheft des Konzerthauses. “Schönberg demonstriert dabei geradezu, welche Vielzahl an musikalischen Gestalten aus einer einzigen Wurzel entwickelt werden kann”.
Im Juli 1942 besuchte übrigens Hanns Eisler gemeinsam mit Bertolt Brecht Schönberg in seiner Villa am Sunset (nach einem Schönberg-Vortrag “Über modernes Komponieren”). Von Schönbergs Lob über die Komposition “Vierzehn Arten den Regen zu beschreiben” hatte Eisler sofort stolz seinem Freund Brecht berichtet.
In “Fragen Sie mehr über Brecht” (Hanns Eisler im Gespräch mit Hans Bunge, erschienen bei Rogner & Bernhard in München 1972) erzählt Eisler über diese Begegnung: “Mein Verhalten – aber nicht nur mein Verhalten, sondern auch solcher außerordentlicher Musiker wie Alban Berg, Anton von Webern, oder meines Freundes Steuermann, oder Kolisch (ich nenne also immerhin zwei der besten Musiker, die ich in meinem Leben kennengelernt habe) – wir waren alle von einem . wie soll ich es sagen, Angst ist ein falscher Ausdruck: es ist eben höchster Respekt.
Aber wissen Sie, in der Musik besteht noch das Verhältnis von Vorbild und Schüler. Dem Schüler zeigen, wie man gut Musik schreibt, die Klassik analysieren – das ist eine große Tradition in der Musik, die es in der Literatur kaum noch gibt, auch nicht so in der Malerei. Dazu kommt noch die außerordentliche Dankbarkeit, diem unsereiner gegen Schönberg hat, weil mich ja Schönberg umsonst unterrichtet hat. Ich habe bei ihm oft ein halbes Jahr gewohnt, er hat mir Geld gegeben, als ich ein sehr armer junger Student war. Also hier ist ungefähr das Verhältnis Vater und Sohn, wenn Sie wollen, da. Er hat mich tatsächlich jahrelang unterstützt und hat aus mit gewissermaßen einen Musiker gemacht – was gar nicht so einfach war, da ich ein ziemlich renitenter Bursche war. Also das ist etwas.
Dann kommt noch zu diesem gewissen betretenen Respekt dazu, daß ich mit Schönberg zwei-, dreimal – zweimal mindestens – in meinem Leben entsetzliche Krachs hatte, die meistens auf meinen politischen Standpunkt zurückzuführen waren, so dass es jahrelang zum Abbruch der Beziehungen des großen Hauses Schönberg zum Hause Eisler kam, was jedoch immer durch die entsetzlichen Ereignisse – vor allem die Emigration – wieder gutgemacht wurde.
(.) “Ich will nur etwas zu Protokoll hier geben, lieber Doktor Bunge: Bevor ich Brecht zu Schönberg brachte, sagte ich ihm: “Mein lieber Freund, jetzt bring’ ich dich zu Schönberg. Das ist ein sehr seltsamer Mann. Er ist ein Genie. Er wird so viel Unsinn reden, daß du vielleicht sehr grob gegen ihn sein wirst. Ich kenne dich. Wenn du dich gehen läßt und du gegen Schönberg grob wirst, dann muß ich dir sagen – bei aller Freundschaft! -, ich brech mit dir sofort den Verkehr ab. Das darfst du nicht machen” (.) “Wenn du ihn kennenlernen willst, dann nehm ich dich mit – aber keinen bösartigen Satz!” Denn Brecht war von einer Bösartigkeit oft, die war erstaunlich. Gegen Dummköpfe! Aber der Brecht konnte nicht übersehen, daß dieser alte vogelhafte Mann kein Dummkopf ist, sondern ein genialer Kleinbürger.
Bei diesem Gespräch war auch Helene Weigel dabei, meine alte Freundin Helli Und es wurde genauso scharf geführt und von Brecht mit gewisser Genugtuung undn Respekt entgegengenommen: Der Eisler versteht, seinen Lehrer, bereits bevor ich ihn noch kenne, so zu verteidigen, daß ich nun auch höflich sein muss. Ich muß sagen: diesen Pakt hat Brecht gehalten.”
Mahlers Neunte Symphonie wurde vom Philharmonia Orchestra unter Esa-Pekka Salonen mit einer solchen Schönheit und Eindrücklichkeit gespielt, ganz besonders virtuos und brillant in der Rondo-Burleske (3. Satz), dass das Publikum am Ende nach dem langsamen Verklingen der wie aus dem Jenseits kommenden Klänge des langen letzten Adagio-Satzes mehr als eine Minute sich betroffen nicht regte, bevor der große Applaus losbrach.
Wie aus dem Jenseits, ja, aber ein Werk, an dem alles ungewöhnlich zu nennen ist. Mahler wird da zum Propheten modernster Strömungen und Tendenzen in der Neuen Musik. Und, wie es Adorno notierte: “Mahler hat die Folgerung aus etwas gezogen, was heute erst ganz offenbar ward: daß die abendländische Idee einheitlicher, in sich geschlossener, gewissermaßen systematischer Musik , deren Zusammenschluss zur Einheit identisch sein soll mit dem Sinn, nicht mehr trägt.”
Das Adagio-Finale zögert zu schließen. Im Verlauf seiner Reprise werden die Themen ihrer Bestimmtheit entkleidet und nur noch Bruchstücke daraus präsentiert. Das Gefühl eines Ungeheuren, das am Schluß den Hörer angehaltenen Atems entlässt, wird eher hervorgebracht vom Bewusstsein des Nachher, als daß es in unmittelbarer Präsenz seinen Ort hätte. Wie über Äonen kehrt das ,Im – Himmel – Sein’ aus dem Urlicht der II. Symphonie wieder.”
Roger Norrintons Geburtagstournee
Bruckners beliebte Siebte Symphonie im schlanken und farbigen »Stuttgart-Sound«: Bereits mehrfach sind Sir Roger Norrington und sein Radio-Sinfonieorchester Stuttgart für ihre historisch informierten Interpretationen ausgezeichnet worden.
Zum eigenen 75. Geburtstag gesellt sich das 10-jährige Jubiläum des international Aufsehen erregenden »Stuttgarter Experiments«: Sir Roger Norrington, vom umtriebigen Querdenker der Alte-Musik-Szene zum Vorreiter einer modernen Orchesterkultur avanciert, hat mit dem Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR neue Töne angeschlagen. Norringtons profunde Kenntnisse der historischen Aufführungspraxis fanden Eingang ins Spiel des auf modernen Instrumenten agierenden Orchesters; das Ergebnis ist ein schlanker, transparenter und farbenreicher Klang, der als »historisch informierter Aufführungsstil« Furore macht. Zum 75er und seinem Stuttgarter Jubiläum liegen exemplarische Einspielungen von Meisterwerken des klassischen und romantischen Repertoires vor. Und die Jubiläums-Tournee umfasst neben Konzerten in London, Berlin, Athen und Luxemburg auch das Jeunesse-Gastspiel im Wiener Konzerthaus.
Auf dem Programm des Wiener Konzerts: Bruckners herrliche, weit ausschwingende Siebente Symphonie, mit der Norrington an seinen umjubelten Bruckner-Zyklus von vor zwei Jahren anknüpft. Er wolle Bruckner, der viel zu oft religiös verklärt werde, ein menschliches Gesicht verleihen, sagt Norrington. Welche Symphonie wäre dazu wohl besser geeignet, als die Siebte, mit der Bruckner bereits zu Lebzeiten seinen Weltruhm begründen konnte?
Und davor Patricia Kopatchinskaja: Igor Strawinskis Violinkonzert. Die »Extremgeigerin« (Stuttgarter Nachrichten), deren Spiel »abgeht wie Pop-Musik« (Westdeutsche Allgemeine Zeitung), hat garantiert den perfekten Zugang für Strawinskys neoklassizistisches Meisterwerk mit seinem rhythmisch-motorischen Drive. (Text zum Norrington-Konzert: www.jeunesse.at)
Heinz Rögl
Konzerthaus, Di, 17.3., 19.30 Uhr
Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR
Patricia Kopatchinskaja
Violine
Sir Roger Norrington
Dirigent
Igor Strawinski
Konzert für Violine und Orchester D-Dur
(Pause)
Anton Bruckner
Symphonie Nr. 7 E-Dur
Fotos:
Uchida: Decca
Schönberg, Hinterhuber, Norrington: SWR
Kopatchinskaja: Marco Borggreve