“Heutzutage kann jede:r dreizehnjährige Musik produzieren.” – Auskennen im Musikbusiness mit Ariel Oehl

Ariel Oehl ist vieles: Songwriter, Gestalter, ehemaliger Werber und Vater – ein Musiker, der sich zwischen Idealismus und Realität eingerichtet hat – mit klarem Kopf und viel Gespür für Zwischentöne. 
Jemand, der die romantische Vorstellung vom „Künstlergenie“ mit einem charmanten Augenrollen zu entlarven versucht, auf der anderen Seite aber durchaus zwischen Kunst und Industrie getriebenem Handwerk, wie es in Writing Sessions praktiziert wird, unterscheiden möchte. 

In seinem dritten Album “LIEBEN WIR” (Grönland Records) singt Ariel OEHL über die Liebe in unterschiedlichen Facetten. Ob und inwiefern der geschäftliche Teil und die Selbstvermarktung eine davon ist, erzählt er Dominik Beyer in der Rubrik “Auskennen im Musikbusiness. Eine Kooperation von mica – music austria und der Rockhouse Academie.
Ariel spricht offen über finanzielle Realitäten, kreativen Selbstschutz, den Irrsinn der Musikbranche und warum gute Musik nicht reicht, wenn man sie nicht auch clever denkt. Dabei bleibt er angenehm unaufgeregt, klug reflektiert – und trotz aller Business-Affinität immer ein Suchender.
Wer wissen will, wie sich künstlerische Integrität mit unternehmerischem Denken vereinen lässt, findet in dieser Ausgabe der “Auskennen im Musikbusiness” – Reihe eine selten ehrliche Momentaufnahme.

(Dominik Beyer) Du hast gerade dein neues Album veröffentlicht, in dem es um Liebe in all ihren Facetten geht. Wie viel Liebe verspürst du für den unternehmerischen Teil deines Musiker-Daseins? 

Ariel Oehl: Das klingt vielleicht unsympathisch, aber ich sag’s trotzdem: Es gibt so etwas wie einen „entrepreneurial spirit“, den man als Selbstständige:r einfach braucht. Ganz egal, ob man Tische schreinert, Kunstdrucke auf Etsy verkauft oder Friseur:in ist – man muss Lust darauf haben, etwas selbst auf die Beine zu stellen. Bei Musiker:innen ist das nicht anders. 
Ich komme selbst aus der Selbstständigkeit, bevor ich überhaupt Musik gemacht habe. Daher hatte ich schon das Werkzeug, das man eben auch als Musiker:in braucht. Ich finde es befriedigend, zu verstehen, wie dieses System funktioniert – und es ist komplex! 

Von den ersten verdienten Euros über Streaming bis hin zur SVS-Anmeldung, über Fragen wie: „Darf ich in Deutschland überhaupt Merch verkaufen?“ oder „Brauche ich eine Rechnung dafür?“ 
Themen wie Versicherungen, wenn beim Musikvideodreh was kaputt geht – überall ist Bürokratie. Und wenn man das nicht versteht, bleibt immer ein Gefühl der ständigen Überforderung.
Aber wenn man es versteht, dann macht das sogar Spaß – mir jedenfalls. Sonst würde ich den Job auch gar nicht machen.

Das mag für Gewerbetreibende eine Selbstverständlichkeit sein. Aber das Künstlertum wird oft ganz stark romantisiert. Und tut es teils auch selbst.

Oehl: Welche Romantik? (lacht)

Naja, zum Beispiel die Vorstellung, dass Talent sich immer durchsetzt. Man als Künstler:in auch verplant sein darf/soll. Du weißt schon…

Oehl: Ja, das ist interessant. Viele verwechseln Talent mit Leidenschaft. Dieses „Folge deiner Leidenschaft“ – ich weiß nicht, ob das so stimmt. Ich würde eher sagen: Folge deinem Talent. Nur weil ich etwas gerne mache, heißt das ja nicht, dass ich auch gut darin bin. Bei mir war Musik nie die große Leidenschaft. Das war eher ein Zufall.

Vielleicht ist an dieser Stelle dein musikalischer Werdegang ganz passend.

Oehl: Ich habe früher in Salzburg in einer Schulband gespielt – Musik war also immer irgendwie da, aber eher als schöne Nebensache. Nach der Schule habe ich Design studiert, Möbel entworfen und auch Grafikpreise gewonnen. Später habe ich in der Werbung gearbeitet, als Texter und Artdirektor. Kreativität war also schon immer mein Ding – nur eben nicht mehr in Form von Musik.

Ariel Oehl & Dominik Beyer © Tobias Neugebauer

Irgendwann habe ich dann einfach wieder angefangen, ein bisschen Musik zu machen – ganz ohne große Absichten. Zusammen mit Hjörtur (Endless Wellness) haben wir zu Hause aufgenommen, einfach zum Spaß. Bei einem Szenetreffen in Wien (Michel’s Musikstammtisch) haben wir Kontakte geknüpft und wurden weitervermittelt – erst an einen Produzenten, dann an ein Label. Irgendwie ist es dann bei dem deutschen Label Grönland Records gelandet.

Bis kurz vor der Pandemie war ich noch in der Werbung tätig. Mein Sohn kam in den Kindergarten, und ich habe die Gelegenheit genutzt, um eine berufliche Pause einzulegen. Die Corona-Förderungen haben mir enorm geholfen – ohne sie hätte es das Musikprojekt vielleicht gar nicht in dieser Form gegeben. Sie waren wirklich ein wichtiger Anstoß, um überhaupt richtig starten zu können. 

Das Konzept Musiker war aber nie ein Lebenskonzept. Man hangelt sich von einem Album zum nächsten. Nun bin ich bei Album Nummer drei, und es funktioniert immer noch. Das ist schön – aber auch sehr anstrengend. Das ist meine Art des Entromantisierens.

Eine persönliche Frage noch vorab, die im je nach Antwort schon auch mit Business zu tun haben könnte. Was ist denn dein innerster Antrieb, Musik zu machen? Farin Urlaub soll mal gesagt haben, sein Antrieb, kreativ zu bleiben, ist, um Bela zu überraschen.

Oehl: Das ist natürlich eine schöne Geschichte. Freundschaft als kreative Motivation – das hat Charme. Da sind wir aber fast schon beim Marketing.

“Ich war auch auf Writing-Sessions. Die sind natürlich sehr Industriegetrieben. […] Das ist spannend, aber für mich mehr Handwerk als Kunst.

Das ist sicher auch Marketing tauglich. Ich finde es aber insofern relevant, weil ich selbst an einen emotionalen Kern eines Songs glauben möchte. Denn wenn ich das nicht täte, müsste ich mich ohnehin sofort von KI geschlagen geben. Oft beobachte ich, wie Musiker:innen schon im Entstehungsprozess an die Zielgruppe denken. Da wird überlegt: „Für wen produzieren wir das? Für welches Radio? Was wollen die Menschen da draußen hören?“ Das mag bis zu einem gewissen Grad funktionieren. Aber ist das Kunst?

Oehl: Heutzutage kann jede:r dreizehnjährige Musik produzieren. Anstatt Video zu spielen, könnte sich jede:r Ableton runterladen. Mit Splice-Loops ist das etwas, was man nach einer Woche einfach kann. Und das ist meiner Meinung nach auch eine viel sinnvollere Tätigkeit.

Das ist im Grunde auch mein Zugang. Für mich war Musik aber immer etwas sehr persönliches. Ich hab als Jugendlicher alleine im Zimmer Musik gemacht. Das war nie für die Öffentlichkeit gedacht. Natürlich gibt’s auch diese Band-Erfahrung, das Zusammenspielen, aber das war nicht mein Hauptantrieb. Ich schreibe heute immer noch Songs in erster Linie für mich. Ob sie am Ende veröffentlicht werden oder nicht – das ist mir eigentlich egal. Das ist meine intrinsische Motivation.

Ich war auch auf Writing-Sessions. Die sind natürlich sehr Industriegetrieben. Dort schreibt man Songs in Gruppen für andere. Das ist spannend, aber für mich mehr Handwerk als Kunst. Diese Unterscheidung muss man wahrscheinlich auch machen.

Es gibt einen Teil beim Musikmachen, der nachvollziehbar und reproduzierbar ist. Kunst ist aber das, was ich für mich mache. Mittlerweile ist natürlich auch Druck da. Aber beim ersten Album war es einfach da.

Finanzieller Druck von deiner Seite oder vom Label?

Oehl: Klar, ein Album kostet Geld. Unser letztes hat rund 30.000 Euro gekostet.

Abzüglich der Förderungen?

Oehl: Ich hab keine Förderungen bekommen. Das hat das Label glücklicherweise übernommen. Wobei das heutzutage kein Standard mehr ist. Der Preis inkludiert Produktion, Musikvideos, Pressearbeit, Plattenpressung, Artwork. Es ist also im Vergleich ein sehr günstiges Album.

Der Break-even war beim ersten Album nach drei Jahren erreicht. Das Aktuelle wird vermutlich länger brauchen, bis es sich amortisiert hat. Das heißt, das Album selbst ist kein großer finanzieller Antrieb – aber es ermöglicht eine Tour. Und da verdienen wir mit Tickets und Merch dann doch ganz gut.

“Die Musikbranche ist nach außen hin immer wahnsinnig nett – gerade in Österreich –, aber wenn es um Verträge und Zahlen geht, dann ist es eben doch Business.” 

Ariel Oehl © Tobias Neugebauer

Wie liebevoll oder rational ist eigentlich die Wahl deiner Geschäftspartner:innen? Ich habe neulich einen erfolgreichen Manager interviewt. Ich dachte, das wird ein knallharter Business-Talk über Zahlen und Strukturen. Aber für ihn war das Wichtigste am Ende das Vertrauen und dass die Chemie stimmt.

Oehl: Ja, das ist spannend. Die Musikbranche ist nach außen hin immer wahnsinnig nett – gerade in Österreich –, aber wenn es um Verträge und Zahlen geht, dann ist es eben doch Business. 
Junge Artists haben diesen einen Moment, irgendwas geht durch die Decke, dann kommt ein großes Label, macht einen auf super freundlich – und wenn das Album dann nicht performt, bist du ganz schnell wieder draußen.

Deshalb: Lieber mit Leuten aus dem Umfeld arbeiten. Und wenn man ein Angebot bekommt, sollte man unbedingt nach weiteren Erfahrungswerten recherchieren. Ich frag immer: „Mit wem arbeitet ihr sonst?“ und „Wie lange?“ – das sagt mehr aus als der erste nette Eindruck.

Die Branche ist volatil, Leute wechseln ständig. Heute ist dein/e Ansprechpartner:in super engagiert, morgen ist er oder sie in einer anderen Branche.

Wer organisiert eure Tour?

Oehl: Wir arbeiten mit einer Booking-Agentur. Die bekommen 20 Prozent von den Konzertgagen. Mein Label bekommt auch 10 Prozent, weil es Managementaufgaben mit übernimmt. Die Booking-Agentur ist verantwortlich für die Konzertplanung. Am Ende hängt der finanzielle Erfolg auch davon ab, wie man tourt.

Manchmal spielst du vor 1.000 Leuten – aber brauchst dafür einen Nightliner-Bus, der extrem teuer ist. Dann kann es sein, dass du in einem 500er-Club mehr verdienst, weil du einfach mit einem privaten PKW fährst und alles selbst machst. Skalierung ist da extrem wichtig.

Wir sind aktuell zu sechst unterwegs: vier Bandmitglieder, ein Tontechniker und Paula, die Fotos macht und sich ums Merch kümmert. Wir nehmen sogar eigenes Licht mit – das haben wir programmiert, damit wir keine extra Lichtperson brauchen. Alles passt in einen kleinen Van. Sehr effizient.

Für viele ist Touren auch eine Marketing-Ausgabe. Das Touren rentiert sich erst dann, wenn man passenden Merchandise zu bieten hat.

“Merchandise ist also nicht nur Produkt, sondern Teil der Geschichte.”

Und wie ist das Verhältnis der Tour-Einnahmen zu den Einnahmen von Merchandising?

Oehl: Vinyl verkauft sich richtig gut. Es geht dabei oft gar nicht darum, Musik zu hören, sondern ein Erinnerungsstück zu haben. Ich verkaufe zum Beispiel auch Caps mit dem Slogan „Cap der guten Hoffnung“, passend zu einem Song und zur Tour.

Das funktioniert richtig gut, weil es eine stimmige Erzählung ist. Merchandise ist also nicht nur Produkt, sondern Teil der Geschichte. Und die muss für mich auch stimmig sein, damit ich sie glaubwürdig verkaufen kann.

mica – music austria x rockhouse academy – “Auskennen im Musikbusiness” © Tobias Neugebauer

Was waren denn die größten Stolpersteine in deiner Karriere?

Oehl: Menschen. Ganz ehrlich: Menschen haben Meinungen und Erwartungen. Und sobald du auf einer Bühne stehst, wirst du idealisiert – oder kritisiert. Beides ist anstrengend.

Ich hab mal gelesen: „No one knows you – enjoy it.“ Das trifft es ganz gut.

Wenn dich Leute nicht mögen, ist das anstrengend. Wenn sie dich idealisieren, weil du auf einer Bühne stehst, haben sie auch eine Erwartungshaltung. Ich muss mich selbst mitverkaufen. Das nervt oft gewaltig. Meine Musik ist nicht gut genug, dass ich sie mit Maske auch verkaufen könnte. Ich bin nicht Cro.

Hast du deinen Frieden mit Social Media geschlossen?

Oehl: Teilweise. Es gehört einfach dazu. Genau wie die Steuer.

Die wenigsten bekommen Burnout vom Songwriting, aber von Content Creation schon, oder?

Oehl: Ich glaub das nicht ganz. Ich weiß, wie lange ein Song dauert – da könntest du in der Zeit 120 Reels drehen. Ich mach’s nicht gern, aber es ist Teil des Jobs. Genau wie stundenlang im Auto sitzen auf Tour. Es gibt eben auch bei diesem Job Anteile, die nerven.

Ich habe einen Newsletter, den ich sehr gern schreibe – da teile ich Gedanken, Buchtipps, Podcast-Empfehlungen. Das ist persönlicher, ehrlicher und weniger Werbeplattform.

Und oft schreiben mir Leute zurück oder schicken sogar Geld via Paypal. Das ist inzwischen auch eine relevante Einnahmequelle.

Klingt nach einem guten Weg, unabhängig zu bleiben. Unabhängig auch vom Kommen und Gehen der Plattformen. Wie stark bist du im Austausch mit deinem Label, was Marketing-Strategien betrifft?

Oehl: Sehr. Meine Labelmanagerin Kimberley ist super engagiert. Sie hat schon erfolgreiche TikTok-Kampagnen gemacht mit Millionen-Views gemacht. Sie tritt mich freundlich, aber bestimmt.

(Publikumsfrage) Ein eigenes Management, wie das früher alle Künstler:innen hatten, das sämtliche geschäftlichen Angelegenheiten regelt, hast du nicht, oder?

Oehl: Nein. Das mache ich selbst.

Da hat sich mittlerweile auch viel geändert. Ohne Label oder Management war man früher niemand. Heute gibt es das mica – music austria. Hier findet man auf der Webseite, in Workshops sowie in persönlichen Beratungen eigentlich alles, was man insbesondere für die ersten Jahre im Musikgeschäft braucht.

Auch mit vielen etablierten Artists sind wir noch regelmäßig in Kontakt. Da spielt dann weniger das Know-how eine Rolle, als mehr unsere Datenbank mit ausgewählten Kontakten ins Ausland. Und natürlich auch der Rechtsbeistand.

Oehl: “Davon haben wir auch schon Gebrauch gemacht. Wir hatten auch so einen Fall mit einem sogenannten Waiver (Verzichtserklärung) bei einer Stadion-Supporttour. Das war heftig. Das amerikanische Management des Künstlers hat uns einen Vertrag unterzeichnen lassen, dass wir die Tantiemen unserer (eigenen) gespielten Musik nicht bekommen. Das ist soweit nicht unüblich – blöderweise waren dann über Jahre die AKM Konten der Bandmitglieder gesperrt, auch wenn sie nichtmal Urheber:innen an den Songs waren. Das heißt der Vertrag war fälschlicherweise so gebaut, dass die etwa 80.000 € als Minus verbucht wurden, folglich auch all unsere Tantiemen aus Radio, Streaming oder eigenen Konzerten gesperrt waren solange diese riesige Summe wieder eingespielt war. Also komplett irre. Da konnten dann mithilfe eines Anwalts von mica – music austria glücklicherweise klärende Schritte gesetzt werden.“

Ratet mal, um welche Summe es da in etwa geht! Rein der Erlös der Rechteverwertung von elf Stationkonzerten. Ohne Gagen.

Ich schätze mal 5.000 € pro Konzert. Also 55.000 € in Summe.

Oehl: Gut geschätzt. Es ging um fast 83.000 € an Tantiemen.

Das war sicher kein Standardfall. Aber Verträge sollten grundsätzlich alle bei mica – music austria geprüft und erklärt werden.

Oehl: Was man auch kennen sollte, ist das Lied von Moritz Krämer:

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Das sind zwei Alben, für die er sich bei einem Major Label verpflichtet hat, obwohl er eigentlich schon raus sein wollte. Er hat es also künstlerisch verarbeitet, um möglichst schnell aus diesem Vertrag zu kommen. Sehr schön, aber auch wirklich gaga.

Jetzt gehört Grönland Records, von Herbert Grönemeyer 1999 in Berlin gegründet, zu den wirklich etablierten Labels in Deutschland. Wie viel Know-how brauchst du selbst im Alltag?

Oehl: Im Grunde alles. Mir wird zwar viel Arbeit abgenommen, speziell in der Kommunikation mit Partnern wie Booking, aber es ist meistens gut, Gagenrechnungen, die Höhe jeweiliger Steuern in verschiedenen Ländern und generell alles wo’s um Geld und Interessen geht selbst nochmal nachzuchecken. Am Anfang wird man noch mehr an die Hand genommen, aber nach den ersten beiden Jahren muss man es selber machen. Es sei denn, man wird so groß, dass es sich auch für ein Team rentiert.

Gibt es etwas, was du rückblickend anders gemacht hättest?

Oehl: Ich hätte vielleicht früher anfangen sollen, selbst zu produzieren. Die Abhängigkeit von Produzent:innen ist schwierig. Jede:r kennt das Gefühl: Man sitzt im Studio, alle sagen, es klingt super – man selbst spürt es aber noch nicht. Man gibt dann oft klein bei, obwohl es sich nicht richtig anfühlt. Ansonsten würde man Gefahr laufen, die Zusammenarbeit zu sprengen. 
Wenn man selbst produziert, hat man die Kontrolle. Klar, dann gibt’s auch 60 Versionen eines Songs – aber das liegt in meiner Verantwortung.

Ich kenne dieses Gefühl selbst sehr gut. Aus meiner Erfahrung entscheidet aber meistens die Deadline, ob es noch eine Version braucht oder nicht.

Oehl: Du hast schon recht. Deadlines sind natürlich die einzige Möglichkeit, etwas abzuschließen. Sonst wär mein erstes Album vermutlich noch nicht draußen. (lacht)

“Gute Musik setzt sich durch. Budget hilft, aber es ist nicht alles.”

Wie sehen bei dir grob die Budgetaufteilungen für ein Album aus?

Oehl: Ungefähr ein Drittel geht in die Musikproduktion – inklusive Mixing und Mastering. 
Pressearbeit kostet etwa 6.000 Euro (Österreich und Deutschland zusammen). 
Plattenpressung kommt auf rund 4.000 Euro. Und dann nochmal ca. 10.000 Euro
für Marketing: Anzeigen, Social Media, Content-Videos, Styling, Make-up usw…

Das geht natürlich auch günstiger – und man kann mit kleinen Budgets sehr viel erreichen, wie z. B. meine Ex-Bandkolleg:innen von Endless Wellness. Die haben das alles DIY gemacht und riesige Erfolge gefeiert. Gute Musik setzt sich durch. Budget hilft, aber es ist nicht alles.

Auskennen im Musikbusiness © Tobias Neugebauer

Was fällt dir bei den eben erwähnten Ex-Kollegen von Endless Wellness auf? 

Oehl: Ich liebe sie live! Diese Familienerzählung – beste Freund:innen seit immer, gemeinsam die Instrumente entdeckt –  kauft man ihnen ab. Das ist einfach ein toller Vibe. Das erste Album hat aber oftmals einen Bonus.  

Das deckt sich mit den Bedürfnissen vieler Booker:innen und Veranstalter:innen. Man könnte auch meinen, dass ein Newcomer Act auch ein Risiko ist. 

Newcomer sind total gefragt. Vor allem auch deswegen weil sie günstig sind. Festivals buchen lieber den neuen Act für 1.000 Euro als einen „mittelerfolgreichen“ für 5.000. 

Publikumsfrage: Ich überlege als “Deutscher“ nach dem Musikstudium nach Wien zu ziehen. Was denkst du dir dabei spontan?

Oehl: Ich mag die Stadt sehr. Die Mieten sind auch günstiger als in vielen anderen deutschen Städten. Hier lernt man viele tolle Leute kennen. Wie etwa beim Musikstammtisch. Die Szene ist offen. Vielleicht ist es ein Klischee, aber ich finde, in Deutschland gibt’s viel „durchschnittliche Musik“. Vielleicht, weil man Angst hat, anzuecken. In Österreich habe ich das Gefühl, dass mehr Mut zum Eigensinn da ist – dass man nicht so sehr versucht, normiert zu klingen.

“Du kannst in zehn Minuten mit KI coole Songs machen – aber ohne ästhetisches Empfinden wird das alles austauschbar.”

Der österreichische Markt ist auch viel kleiner. Viele machen Musik ohne große kommerzielle Absicht – das schafft vielleicht auch Raum für Experimente.

Oehl: Die Bayern machen ja auch abgefahrene Sachen, teilweise. Man muss sich vielleicht sehen wie ein Gallier. Generell. 
Die Musik von Soap & Skin hat sich fremd und eckig angehört am Anfang, aber auch Buntspecht oder Rahel haben eine Qualität an sich, anders zu schreiben und anders zu klingen als alle anderen. Es erzeugt bestimmt ein bisschen Gegenwind, wenn man etwas zum ersten Mal macht oder zum ersten Mal denkt und das muss man erstmal aushalten. Aber das ist halt die Definition von Kunst. Alles andere ist Handwerk.

Eine letzte Frage, die ich allen immer stelle: Angenommen, du wärst der „König der Kultur“ – was würdest du ändern?

Oehl: Schwierige Frage. Aber ich glaube, ich würde “ästhetische Bildung” in Schulen einführen. Also ein Gefühl dafür, warum Dinge schön oder stimmig sind.

Ich finde, Geschmack ist in einer Zeit, in der KI alles kann, wichtiger denn je. Du kannst in zehn Minuten mit KI coole Songs machen – aber ohne ästhetisches Empfinden wird das alles austauschbar. In Zukunft werden täglich tausende Songs täglich veröffentlicht. Am Ende des Tages wird das Kriterium sein, ob etwas geschmackvoll ist. Und natürlich ob das ein/e Künstler:in auch live auf die Bühne transferieren kann. Jede:r Schüler:in sollte mal in einer Band spielen, weil man da ja auch lernt, was dieser Satz mit dem Ganzen und der Summe seiner Teile wirklich bedeutet.

Danke dir Ariel für deine Zeit, deine Offenheit und die vielen spannenden Gedanken!

Dominik Beyer

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Links:

https://www.oehlmusik.com
https://www.instagram.com/oehlmusik

Live:

AT, Wien                                23 Apr 25        Arena
AT, Lin,                                  09 Mai 25       Schauspielhaus
AT, Mistelbach                       10 Mai 25       Kronen Kino