Bereits im Vorfeld des Festivals WIEN MODERN führten Armin Thurnher und Heinz Rögl mit PETER BÖHM ein Gespräch über dessen Metier der Klangregie und der Gestaltung von Klangräumen. Grund dafür war – neben seinen eigenen Aufgaben für das KLANGFORUM WIEN etwa beim Porträt von PETER EÖTVÖS (am 5. November) – unsere Neugier auf die Aufführung von OLGA NEUWIRTHS akustischer Reise „Le Encantandas“, die am Montag, dem 20. November 2017, zur Aufführung gelangt. PETER BÖHM, der selbst sehr oft schon mit der Komponistin zusammengearbeitet hatte, könnte uns, wie wir hofften, die ausgefeilte Raumklangtechnik des IRCAM (er selbst war an der Realisierung des Stücks nicht beteiligt) gut erklären. Wir bringen hier die Langfassung des im FALTER (Nr. 43a) gekürzt und zusammengefasst erschienenen Gesprächs.
Peter Böhm, 1961 in Prag geboren, ist heute Komponist und Klangregisseur. Er studierte Geige (und spielte auch bei Roland Neuwirth), Jazztheorie und Elektroakustik. Seit 1989 arbeitet er mit dem Klangforum Wien als Klangregisseur und Experte für Live-Elektronik zusammen. Seit 1985 betreibt er auch ein eigenes Studio. Neben der Entwicklung eigener Werke sind die Realisierung und die Erstellung von Klangkonzepten mit Komponistinnen und Komponisten (etwa Roman Haubenstock-Ramati, Beat Furrer, Mauricio Sotelo, Olga Neuwirth, Clemens Gadenstätter, Gerhard E. Winkler, Peter Ablinger und viele andere mehr) seine Haupttätigkeiten.
Wir möchten mit Ihnen über Elektronik, Elektroakustik, Klangregie, Raumbild, Live-Elektronik – auch über das Wien Modern-Motto „Bilder im Kopf“ – sprechen, und zwar so, dass es auch wir als Laien besser verstehen können. In unserem Gespräch geht es im Besonderen um die Möglichkeiten der Klangraum-Erzeugung. Ihre Haupttätigkeit v. a. beim Klangforum Wien (und schon vorher mit Beat Furrer) war die Klangraum-Realisierung und -Erstellung von Klangkonzepten mit Komponistinnen und Komponisten. Was ist Klangregie?
Peter Böhm: Klangregie kann etwas sehr Unterschiedliches bedeuten, weil die Aufgabenstellungen auch sehr unterschiedlich sind. Sie hängen von den Vorstellungen oder Anforderungen der Komponistinnen und Komponisten oder Performerinnen und Performer ab oder beispielsweise auch von szenischen Anforderungen bei Opern. Wenn man einen Klangraum schaffen oder einen Raum klanglich gestalten will, ist man zuerst mit den akustischen Eigenschaften des Aufführungsraums konfrontiert. Es gilt, seine Klangausbreitung, sein Reflexionsverhalten zu erforschen und zu erfahren, um in einer Mischung aus Erfahrung und Theorie den akustischen und technischen Möglichkeiten auf die Spur zu kommen, die es dann ermöglichen, diesen Raum klanglich zu verändern und zu gestalten. Diese Gestaltung kann dann etwa auch mit „verrückten“ Ideen zu tun haben, zum Beispiel mit sich bewegenden Rezipientinnen und Rezipienten. Der Raum klingt dann ganz anders als bei der sehr statischen Rezeption aus einem Publikumssessel.
Es wäre falsch zu glauben, dass Klanggestaltung aus technischem Know-how und dem Einschalten von Geräten besteht, die dann irgendetwas mit dem Raum machen. Das wäre so, als würde man bei einem Flug von A nach B glauben, jemand würde einen Hauptschalter umlegen und man würde dann vorprogrammiert nach B gelangen. Es sind vielmehr ganz differenzierte, kleinste Schritte, die oft auf manuelle Art und Weise beeinflusst werden müssen – etwa aufgrund von Anzeigenergebnissen, am wichtigsten aber aufgrund des Hörens. Man könnte also sagen, dass Klangregie zu einem sehr wichtigen Teil aus Hören und Re-Agieren besteht. Ein Problem dabei ist, dass man nicht an verschiedenen Orten gleichzeitig hören kann.
Es gibt Kompositionen, da agiere ich als Interpret der Partitur, der Komponist bzw. die Komponistin hat sein bzw. ihr räumliches Konzept mehr oder weniger genau in der Partitur beschrieben. Oft habe ich aber auch schon mit Komponistinnen und Komponisten das Konzept des Klangraums gemeinsam entwickelt und umgesetzt. Bei „El Público“, der Flamenco-Oper von Mauricio Sotelo aus dem Jahr 2014, haben wir so gearbeitet. Ältere Beispiele dafür sind Beat Furrers Oper „Narcissus“ aus dem Jahr 1992 und Olga Neuwirths „Construction in Space“ aus dem Jahr 2000 und „Bählamms Fest“ aus dem Jahr 1999. Bei mir ist es so, dass Zusammenarbeit oft aus kommunikativen Prozessen mit Komponistinnen und Komponisten entsteht, die dann mit Musikerinnen und Musikern, Sängerinnen und Sängern sowie Dirigentinnen und Dirigenten ausgearbeitet werden. Mit dem Klangforum arbeite ich sehr oft – und bereits seit seiner Gründung. Andererseits werde ich auch für eine bestimmte Aufführung zum Beispiel eines Musiktheaters damit beauftragt, ein umfassendes Klang-Raum-Konzept zu schaffen. Da arbeite ich dann auch mit Bühnenbild und Regie zusammen.
„Oftmals finde ich mich da in der Rolle eines Vermittlers.“
Ist es ein Problem, dass man Beschallungen vorausplant? Was sagen Komponistinnen und Komponisten dazu?
Peter Böhm: Die Kommunikation mit den Komponistinnen und Komponisten geschieht oft über eine Art Visualisierung oder über Skizzen der Klangorte und der Klangbewegung. Zum Beispiel mussten wir für Olga Neuwirths „Bählamms Fest“ überlegen, was man von bestimmten Vorstellungen auch technisch umsetzen kann und was nicht. Das war 1999, also zu einer Zeit, als Computer noch wesentlich weniger schnell waren und Software z. B. für Raumklangbewegung erst programmiert werden musste. Herauszufinden, was machbar ist, ist oft ein sehr langer Prozess. Da geht es – neben technischen Lösungen – auch um Auf- und Umbauten, um Verhandlungen mit Veranstalterinnen und Veranstaltern oder mit dem Ensemble. Oftmals finde ich mich da in der Rolle eines Vermittlers. Es gibt aber auch kompositorische Vorstellungen, die nicht so umsetzbar sind, wie das ursprünglich gewünscht war.
Was ist nicht zu erfüllen?
Peter Böhm: Das können ganz banale Dinge sein. Dass jemand in einem anderen Saal spielt und fünf Sekunden später wieder auf der Bühne erscheinen und in ein Mikrofon oder irgendeine Apparatur hineinspielen soll, was allein schon vom Weg, der zurückzulegen ist, nicht machbar ist. Ganz banale Dinge werden oft nicht bedacht, auch nicht von mir.
Sind Sie nur elektronisch zuständig, also sozusagen bei Lautsprechern oder Verstärkungen? Oder geht es da auch um Klänge, die mit akustischen Instrumenten erreicht werden können?
Peter Böhm: Es geht in beide Richtungen. Um treffende Umsetzungen zu finden, muss man sich sowohl im Musikalischen als auch im Elektronischen mit einer Komposition befasst haben – will man Dinge realisieren, die nicht nur im luftleeren Raum stattfinden.
Sie haben ja auch eine Partitur vor Ihnen, die Sie studieren müssen. An dieser und jener Stelle muss man schauen, wie das jetzt klingt, muss man nachjustieren, ein Instrument stärker hervorheben etc. Es geht ja auch oft um Live-Elektronik. Was ist für Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen – es sind ja oft mehrere am Schaltpult und an den Reglern – besonders in der Livesituation wichtig? Wie ist da die jeweilige Arbeitsteilung?
Peter Böhm: Ich glaube ganz allgemein, dass das Umsetzen einer Partitur oder von musikalischen Konzepten nicht auf eine Person zentriert sein kann. Oft ist der Umfang der Aufgaben sehr groß. Manchmal braucht es mehr als zwei Ohren, zwei Hände und zehn Finger. Und: Kein Mensch kann heute Spezialist auf allen Gebieten sein. Man muss kooperieren und man muss mit Leuten zusammenarbeiten, was ein sozialer und kreativer Prozess ist. In verschiedenen Bereichen ergänzt man sich sinnvoll, das kann Unterschiede von Beschallungs- und Computersystemen betreffen oder Software. Welche Software verwendet wird, ist schon eine ziemlich wichtige Entscheidung. Die Arbeitsteilung wird im Vorhinein geplant. Dabei wird schon sehr genau festgelegt, wer was macht. Schon beim Aufbau für die Proben muss klar sein, wo z. B. bestimmte Geräte platziert werden.
„Ob ich ein Stück jetzt nur von vorne klingen lasse oder ein wenig in den Raum ziehe, kann einen wesentlichen Unterschied ausmachen.“
Es gibt in einer Partitur, in die Sie wahrscheinlich vorher genau hineinschauen, ja möglicherweise immer wieder Vortragszeichen, in denen Anweisungen enthalten sind, was zu geschehen hat.
Peter Böhm: Es gibt viele Möglichkeiten der Verschriftlichung – aber manches entsteht auch oft in Zusammenarbeit mit uns Klangregisseurinnen und -regisseuren. Luigi Nono beispielsweise hatte sehr engen Kontakt mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Freiburger SWR Experimentalstudios, daher war vieles in der Vorarbeit schon so weit besprochen, dass er nur vage Bezeichnungen in die Partitur eingetragen hat. Eine der Schwierigkeiten bei Nono ist, dass es unterschiedliche Skizzen für die elektronischen Klangtransformationen gibt. Diese wurden oft erst im Nachhinein genau beschrieben und in die Partitur eingetragen. Dann geht es – wie bei Musikerinnen und Musikern – um die Interpretation eines Stücks. Man kann bestimmte Parameter so oder anders gestalten. Was heißt etwa bei Nono die Intensität eines vierfachen Pianissimo für die Elektronik? Bewegt sich das in Relation zu einem Instrument oder einem akustischen Klang? Ist der akustische Klang stärker oder schwächer? Ist das Pianissimo eine gleichwertige Anweisung für alle? Das sind Feinheiten, die man dann mit der Dirigentin bzw. dem Dirigenten und dem Ensemble klären muss. Das Interpretieren macht auch sehr große Freude – und ist oft auch eine Herausforderung. Meist gibt es keine strikten Raster. Selbst bei Zuspielungen von Klängen ist es ja oft so, dass durch eine simple Regelung der Dynamik oder die Position des Zuspielortes Entscheidungen getroffen werden, die sich radikal voneinander unterscheiden können. Ob ich ein Stück jetzt nur von vorne klingen lasse oder ein wenig in den Raum ziehe, kann einen wesentlichen Unterschied ausmachen.
Um über das Stück „Le Encantadas“ von Olga Neuwirth zu sprechen: Soweit wir das verstanden haben, sind das „Klanginseln“, denen eigentlich die Akustik einer berühmten Kirche in Venedig zugrunde liegt. Olga Neuwirth verlangt aber immer wieder, dass die Akustik und die Mauern der Chiesa San Lorenzo porös werden, dass Nachhallwirkungen da sind und in nächstem Augenblick wieder nicht da sind, dass Geräusche aus der Lagune oder Signale oder Glocken zu hören sind. Es gibt zwar einen Zeitverlauf von siebzig Minuten, aber was man genau wann hört, soll man eigentlich gar nicht mehr merken. [Aus der Beschreibung: „Mithilfe der Raumklang-Technik des IRCAM hat Olga Neuwirth die aus allen Richtungen kommenden Glockenklänge in der Lagune räumlich präzise eingefangen. Die Raumakustik der Chiesa di San Lorenzo, in der sie als 16-Jährige eine Aufführung von Luigi Nonos ‚Prometeo‘ gehört hatte, wurde für das Projekt so präzise vermessen, dass sie sich mit Hilfe einer Ambisonic-Lautsprechermatrix in der Halle E täuschend echt simulieren lässt“]. Wie setzt das ein Klangregisseur um?
Peter Böhm: Über dieses Stück kann ich nicht wirklich etwas Präzises sagen. Aus der Beschreibung geht hervor, dass sie das am IRCAM [Institut de Recherche et Coordination Acoustique/Musique; Anm.] mit Markus Noisternig und Gilbert Nouno entwickelt hat …
… mit denen Sie ja zuletzt bei dem Boulez-Projekt im Wiener Konzerthaus – und nicht nur dort – zusammengearbeitet haben.
Peter Böhm: Markus Noisternig war auch schon bei „Bählamms Fest“ dabei. Ich habe mit ihm bei der Aufführung in Luzern zusammengearbeitet. Markus ist sicherlich einer der profundesten Kenner der sogenannten ambisonischen Verräumlichung. Ich denke, dass es vor allem darum geht, dass sich Transformationen in einem akustischen Raum, in einem Schallfeld, das sich aufgrund bestimmter Vorstellungen verfremden soll bzw. veränderbar sein soll, in Relationen verändern, sehr allgemein gesprochen.
Bereits bei „Bählamms Fest“ gab es bereits „Klanginseln“?
Peter Böhm: Das ist richtig. Bei Olga Neuwirth gab es schon immer die Verwebung mit räumlichen Ideen, die sie umzusetzen versucht. Das ist nie so eine rein instrumentale Klangwelt, sondern sie hat auch meistens Raumbezug und auch sehr viel Bezug zur elektronischen Transformation …
… bis hin zu künstlichen Stimmen.
Peter Böhm: Bei „Bählamms Fest“ gibt es zwei Ebenen – die Ebene des Ensembles und die Verfremdung verschiedener solistischer Instrumente, die diese Räumlichkeit nutzen, in diesen Raum projiziert werden, und die der Ebene des Gesangs, also einiger solistischer Stimmen, die durch sehr interessante Transformationen verfremdet werden. Eine davon war das „Morphing“. Es wurde damals im IEM [Institut für elektronische Musik in Graz; Anm.] von Robert Höldrich, Markus Noisternig und Alois Sontacchi entwickelt und zum ersten Mal bei der Oper eingesetzt. Durch eine Transformation wurde die Stimme des Countertenors in verschiedensten Abstufungen in Wolfsgeheul verwandelt. Zur Spatialisation [Verräumlichung; Anm.] des Orchesters und der Soloinstrumente habe ich damals eine kanalbezogene Softwaremethode mit diskreten Softwaremodulen entwickelt. Für die Spatialisation der Stimmen hat das IEM eine ambisonische Methode verwendet.
Man muss sich vorstellen, dass 1999 Ideen wie die Transformation von Stimmen und die Klangverräumlichung und -bewegung im Livebereich extrem innovativ und on the edge of electronics, also am Rande der Machbarkeit waren. So etwas live in einem Theater umzusetzen war schon rein technisch sehr ambitioniert und höchst anspruchsvoll.
Ich war damals sehr fasziniert daran, zu experimentieren und in der Zusammenarbeit mit Komponistinnen und Komponisten neue Werke zu kreieren. Für Realisierungen dieser Art bin ich immer wieder große finanzielle Risiken eingegangen, indem ich in äußerst ungewöhnliche, sehr teure Geräte investiert habe. Für diese Investitionen brauchte ich Kredite, für die meine Mutter mit ihrem Gehalt als Lehrerin mehrmals bürgen musste.
Heute befinden wir uns natürlich in einem anderen Stadium der technischen und auch der künstlerischen Entwicklung. Und diese wird weitergehen, zum Beispiel durch mobile Geräte, die immer kleiner werden und die vom Publikum als Rezeptoren getragen werden können und zentrale Steuerungen ersetzen. Am IRCAM gibt es Gruppen, die in diese Richtung entwickeln. Norbert Schnell hat bis vor Kurzem dort solche Projekte geleitet. Mit ihm tausche ich mich oft aus. Ich habe mit ihm für Beat Furrers Werke Software entwickelt und mache mit ihm auch eigene künstlerische Projekte.
Können Sie den Unterschied zwischen Ambisonic und diskreter Gestaltung erklären?
Peter Böhm: Ambisonic ist ein Verfahren zur Erfassung, Aufnahme und Reproduktion eines Schallfeldes. Wenn wir uns vorstellen, dass wir auf jeden Fall Luft brauchen, und zwar nicht nur um zu atmen, sondern auch um zu hören, dann können wir sagen, dass die Luft, durch die wir uns bewegen, von Vibrationen erfüllt ist oder durch Klänge angeregt wird, die verschiedene Ausbreitungs- und Schwingungsmöglichkeiten aufweisen. Diese sind durch Decke, Boden und Wände eines Raums begrenzt, oder auch durch die Leute, die in diesem Raum sitzen. Ambisonic versucht, dieses spezifische Schallfeld durch eine Berechnungsmethode und durch Funktionen auf einer variablen Anzahl von Lautsprechern abzubilden. Stellen wir uns einmal vor, es wäre mitten in diesem Raum eine Fliege, die summen würde, oder eine Flöte, die gespielt werden würde. Jetzt nehme ich die Flöte weg und möchte das Klangereignis nicht mit Lautsprechern an diesem Punkt nachbilden, sondern mit Lautsprechern, die im Raum um diesen Punkt an der Oberfläche einer Kugel platziert sind. Je feiner diese Kugeloberfläche mit Lautsprechern aufgefüllt wird, umso genauer kann ich die Schallschnelle, die an diesem Punkt stattfinden soll, und den Schalldruck nachbilden, der dem entspricht, was die Flöte oder die Fliege dort „spielt“. Das ist immer nur punktbezogen. Das Verfahren ist nicht neu, sondern eigentlich aus den Sechziger-, Siebzigerjahren, aber das Faszinierende daran ist eben diese Variabilität an Anzahl und Flexibilität der Lautsprecher, der Reproduktoren. Die Sache ist nichts anderes als der Versuch, ein Schallereignis in einem Raum oder auf einer Fläche zu reproduzieren.
Im Unterschied dazu versucht die kanalbezogene diskrete Methode, die Position des Instruments durch die Intensität und die Richtung der von den Lautsprechern abgestrahlten Schallsignale abzubilden. Sie ist auch im Vergleich mit wesentlich weniger Rechenkapazität realisierbar.
Der Klang einer Flöte kann also von da nach dort transferiert werden?
Peter Böhm: Ja, die Bewegung eines Schallereignisses im Raum ist möglich. In der Praxis kann schon mit wenigen Lautsprechern ein ambisonisches Schallfeld erzeugt werden. Der große Vorteil von Ambisonic ist, dass es damit sehr viel flexibler als andere Methoden ist und dadurch Aufführungen in unterschiedlichen Sälen erleichtert.
Ist das so, als ob eine Geigerin bzw. ein Geiger aus einer Partitur spielen würde, oder muss man das berechnen?
Peter Böhm: Vieles muss man schon auch berechnen, um es so zu gestalten, dass das Ergebnis stimmt. Das gilt nicht nur für räumliche Anforderungen, sondern zum Beispiel auch für transformierte Klänge und deren Überlagerung mit dem Originalklang.
Sie haben ja mit verschiedenen Komponistinnen und Komponisten gearbeitet, die jeweils andere Anforderungen an Sie stellten. Nennen wir neben Olga Neuwirth etwa Beat Furrer oder Peter Eötvös, mit dem Sie bei Wien Modern bei dessen „Chinese Opera“ und bei der „Sonata per sei“ arbeiten werden, bei der ein Sampler-Keyboard dabei ist. Was ist das?
Peter Böhm: Das ist im Gegensatz zur ambisonischen Diskussion relativ einfach. Ein Sampler ist ein Gerät, das digitalisierte Klangsignale auffangen und aufnehmen kann. Es heißt Sampler, weil das Verfahren auf digitale Technik zurückzuführen ist, die analoge Signale in Werten „sampelt“.
„Es stellt sich allerdings die Frage, ob diese Möglichkeiten oder ihre Anwendungen zu einem neuen Kunstverständnis der Musik führen […]“
Etwa einen Wassertropfen?
Peter Böhm: Ja, der besteht aber dann pro Sekunde aus, sagen wir mal, 48.000 Werten. Das führt natürlich zu extrem vielen Möglichkeiten, die man vorher im analogen Bereich nicht hatte. Unsere Welt, auch unsere Alltagswelt, wenn wir nur an ein Handy denken, bietet perfekte Wiedergabemechanismen, um digitale Werte wieder in analoge Vibrationen von Membranen umzusetzen. Deshalb können wir abgespielte Samples dann überhaupt hören.
Was wir in ein Mikrofon hineinsprechen, wird in sehr kleinen Zeitabständen bemessen und gespeichert. Das führt dann dazu, dass man komplexe Signale analysieren kann – bis hin zur Spracherkennung. Auf ganz vielen Forschungsgebieten sind da in den letzten zwanzig Jahren große Fortschritte gemacht worden.
Ein Bereich davon ist die Musik. Eine ganze Palette von Transformationsalgorithmen sind Standard geworden, seien es simple Zeitverzögerungen, um ein Signal schneller oder langsamer abzuspielen, oder komplizierte Filter, bis hin zur Fourier-Transformation. Die Anwendungsmöglichkeiten sind wirklich sehr vielfältig. Es stellt sich allerdings die Frage, ob diese Möglichkeiten oder ihre Anwendungen zu einem neuen Kunstverständnis der Musik führen, ob alle diese Geräte, Gadgets und hochkomplexen Anlagen uns zu neuen Bewusstseinsstandards „erheben“. Ich bin mir da unsicher.
Es gibt Komponistinnen und Komponisten, die total vertieft in Technologien sind, und andere – „klassische“ – Komponistinnen und Komponisten, die sich selbst nicht unbedingt mit Technologie auseinandersetzen. In deren Partitur wird dann etwas mehr oder weniger verschriftlicht und die elektronische Umsetzung wird anderen überlassen.
Auf der einen Seite könnte man an Bernhard Lang denken, auf der anderen Seite wäre etwa ein Johannes Maria Staud zu sehen?
Peter Böhm: Das könnte ein bisschen zutreffen. Man kann eben nicht auf jedem Gebiet gestalten. Dass es in unserer Gesellschaft so viele Erscheinungsformen gibt, ist auch eine Ausprägung unserer Kultur. Ich habe zum Beispiel in den letzten acht Jahren viel mit Tänzerinnen und Tänzern sowie Choreografinnen und Choreografen zusammengearbeitet, zum Beispiel mit Isabelle Schad, Xavier Le Roy, Eszter Salamon und Anne Juren, und bekam sehr profunde Erkenntnisse, über welche Phänomene diese Leute nachdenken. Das sind ganz andere Ideen als in der „reinen“ Musikwelt.
Es gibt eine musikalische Gestik, es gibt tänzerische Gestik.
Peter Böhm: Klang und Musik spielen zum Beispiel auch in der Kunst eine Rolle. Denken wir zum Beispiel an Bernhard Leitner …
… der Installationen in Donaueschingen machte.
Peter Böhm: Er ist eine ganz wichtige Figur in der Auseinandersetzung mit Klangraum und Klangarchitektur. Er beschäftigt sich nicht mit Komposition im klassischen Sinn, mit musikalischer Komposition, sondern mit einer Klangwelt, die beispielsweise sehr differenzierte Bewegungen im Klangraum untersucht und darstellt.
„Ich will also nicht sagen, dass es in einer Stadt nicht interessante Klänge gibt, aber es gibt viel zu viele.“
Wir führen unser Interview auch aus akustischen Gründen nicht im Café Korb.
Peter Böhm: Die Klangwelt einer Stadt empfinde ich oft als bedrohlich. Man begibt sich in einen Tonraum, in dem man nicht zur Ruhe kommt. Es gibt kaum Orte in der Stadt, an denen man sich akustisch beruhigen könnte. Ich interessiere mich für Klänge und Klangtransformationen. Schon als Kind habe ich mich mit Aufnahmen von Klängen beschäftigt – etwa auf Tonband – und habe versucht, Klänge generieren, die es noch nicht gab oder die man nicht auf einem Instrument spielen konnte. Auf der Geige, auf der ich gelernt habe, war für mich schon immer interessant, die Saiten irgendwie anders zu spannen. Dass da Geräusche entstehen, die man nicht einfach katalogisieren kann … Alle diese Aspekte finde ich interessant. Ich will also nicht sagen, dass es in einer Stadt nicht interessante Klänge gibt, aber es gibt viel zu viele.
In vielen öffentlichen Räumen spielt ja tatsächlich eine bestimmte „Klangregie“ eine Rolle.
Peter Böhm: Ja. Ich glaube, dass wir durch die Kommerzialisierung einen großen Strukturwandel der Klangwelt erlebt haben. Klangwelten sind überwiegend funktional. An der Kassa im Supermarkt, bei irgendwelchen Einrichtungen, die Dauerlärm verursachen – z. B. Infotafeln am Bahnhof, in die Computer einbaut sind, deren Kühlung weithin hörbar ist. Mich wundert es oft, wieso das andere Menschen nicht wahrnehmen oder nicht beachten.
Oder nicht mehr hören?
Peter Böhm: Das kann auch sein. In Frühstücksräumen scheint man unbedingt Musik spielen zu müssen. Jemand, der für das Wohl der Gäste verantwortlich ist, kommt und dreht Musik auf. Wenn man fragt, ob man auch ohne Musik auskommt, wird man zumindest schief angeschaut oder man bekommt sogar gesagt: „Ein Begräbnis wollen wir hier jetzt nicht haben.“ Nur weil es still sein soll. Scheinbar gibt es eine gewisse Angst vor Spiegeln unserer Ohren. Die Welt darf nicht so sein, wie sie ist, sondern muss offenbar ständig akustisch angereichert werden.
Viele haben Ohrstöpsel in den Ohren stecken und hören dann gar nicht mehr die sie umgebenden Geräusche. Das Ganze ist sogar manchmal lebensgefährlich.
Peter Böhm: Ich erlebe oft, dass man zusammenstößt. Die Leute schauen auf ein Display und nehmen gar nicht mehr wahr, in welche Richtung sie gehen. Ein Loch im Boden wäre hundertprozentig eine Falle. Ohne Konzentration kann man nicht wahrnehmen. Auch wenn man ein Buch liest: Das verändert einen. Die Unterschiede zur unserer „normalen“ urbanen Welt werden erst sichtbar. Oder bewusst. In der Arbeit mit dem Klangforum werden oft differenzierteste Klangunterschiede ausgearbeitet, die in totalem Gegensatz zu dem liegen, was man draußen im Urbanen erlebt. Die Wurschtigkeit gegenüber Klang ist erschreckend, allein in der Dynamik. Dass kaum jemand wahrnimmt, wenn etwas sehr laut ist, sehr störend, dass Lärm als notwendiger Bestandteil unserer Welt gesehen wird. Es ist fast schon bedrohlich, dass wir uns so vergewaltigen haben lassen. Signalhörner etwa in einem Stadion sind so laut, dass sie in einem Sicherheitsabstand zum Publikum montiert werden müssen, um keine gesundheitlichen Schäden zu verursachen. Das ist bezeichnend für die derzeitige Welt unserer Geräusche. Dass die Alarmanlage eines Fahrzeugs losgeht, weil eingebrochen wurde oder weil das Fahrzeug nur berührt wurde, fällt ja kaum mehr auf. Der akustische Unfall gehört zur Tagesordnung.
Ihre letzten Gedanken und Betrachtungen wären eigentlich Grund genug, darüber ein eigenes Gespräch mit Ihnen zu führen. Herzlichen Dank für das Interview.
Armin Thurnher, Heinz Rögl
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